Freier Handel bis Wladiwostock

Von | 16. Januar 2015
Bühne Neujahrsempfang IHK

Schmückten die Bühne: Modelle von Bootsklassen, die an den olympischen Segelwettbewerben 1972 teilgenommen haben. Foto: panama

Rund tau­send Teilnehmerinnen und Teilnehmer ver­sam­mel­ten sich ges­tern zum Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer zu Kiel (IHK Kiel) im Konzertsaal des Kieler Schlosses. Zentrales Thema war die Zukunftsfähigkeit Schleswig-Holsteins. Positive Impulse für Infrastruktur und Tourismus sowie ein Image als welt­of­fe­ne Gesellschaft ver­spre­chen sich sowohl Wirtschaft als auch Politik von der Ausrichtung der Olympischen Segelwettbewerbe 2024 in Schleswig-Holstein. Während IHK-Präsident Klaus-Hinrich Vater jedoch alles auf den Freihandel mit USA und Kanada setzt, spricht sich sein Ehrengast, der in Neumünster gebo­re­ne Dr. Eckhard Cordes  vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, für eine freie Handelszone mit Russland aus.

Das trans­at­lan­ti­sche Abkommen wer­de beson­ders den klei­nen und mit­tel­gro­ßen Unternehmen in Deutschland eine Chance zur Teilhabe am stei­gen­den Handelsaustausch eröff­nen, ver­mu­tet Klaus-Hinrich Vater. Dem wider­sprach Dr. Eckhard Cordes in sei­nem Vortrag über „Das Verhältnis EU und Russland“ nicht, erin­ner­te aber an die tra­di­tio­nel­len, in mehr als tau­send Jahren gewach­se­nen Handelsbeziehungen, an die Blütezeit der Hanse, an den Austausch west­li­cher Fertigprodukte und Technologie gegen Rohstoffe und Naturprodukte wie Felle, Bernstein und Wachs aus Russland. „Werkzeuge und Maschinen lie­fern wir heu­te noch. Im Gegenzug bezie­hen wir vor allem Öl und Gas. Beide Rohstoffe machen heu­te unge­fähr 70 % unse­rer Importe aus Russland aus“, führt der Top-Manager an. Er erwähnt auch den 1728 in Kiel gebo­re­nen Zar Peter III. Dieser sei ein Freund der Landwirte und des Mittelstands gewe­sen. Dessen Ehefrau und Nachfolgerin auf dem Thron, Katharina die Große, habe für den Neubau der jetzt 350 Jahre alten Kieler Christian-Albrechts-Universität gesorgt, erin­nert Cordes, von ihr erhielt die CAU ihre Traditionsfarben Weiß und Lila.

Von den guten Beziehungen Schleswig-Holsteins zu Russland zeu­gen eben­falls der bis heu­te bestehen­de regel­mä­ßi­ge Frachtverkehr über die Ostsee nach St. Petersburg sowie Kiels Städtepartnerschaften mit Sovetsk und Kali­nin­grad. Seit 1998 habe sich der Handel mit Russland deutsch­land­weit ver­fünf­facht. Die Zahl der deut­schen Unternehmen, die sich dort nie­der­ge­las­sen haben oder Beteiligungen ein­ge­gan­gen sei­en, wuchs auf über 6.000 an:

„Aktuell lie­gen die deut­schen Direktinvestitionen in Russland unge­fähr in einem Bereich von rund 20 Mrd. Euro. (…) Trotz die­ses Booms (…) hat­ten wir Ende 2013 gera­de­zu ein Niveau erreicht, das ver­gleich­bar ist mit dem der bevöl­ke­rungs­mä­ßig klei­nen EU-Länder Tschechien, Belgien und Österreich. Das zeigt, dass das unaus­ge­schöpf­te Potential für Handel und Investitionen ange­sichts von 143 Mio. rus­si­scher Bürger wei­ter­hin rie­sen­groß ist. Daher hät­ten wir die Erfolgsgeschichte der letz­ten Jahre gern fort­ge­setzt.“

Annahmen, dass die aktu­el­len Wirtschaftssanktionen der EU Russland in die Knie zwin­gen könn­ten, hält Eckhard Cordes für falsch. Zum einen wür­de sich bloß ein Teil der Welt dar­an betei­li­gen, zum ande­ren ver­fü­ge Russland über Währungsreserven von 380 Mrd. Euro. Die Staatsverschuldung dort betra­ge 12 Prozent. Das sei im Vergleich zu allen EU-Ländern mini­mal. Außerdem stün­den chi­ne­si­sche Banken bereit, Russland Kredite zu gewäh­ren. „Ob es uns gefällt oder nicht, mei­ne Damen und Herren, Russland wird immer ein gro­ßer Machtfaktor in Europa sein. Eine Alternative zur Integration Russlands in euro­päi­sche Strukturen sehe ich des­halb nicht.“ Ganz Europa ver­liert in der Ukraine-Krise, fasst er sei­ne Ausführungen zusam­men, Gewinner wären China und Korea, mit denen Russland nach jahr­zehn­te­lang sto­cken­den Verhandlungen nun­mehr Handelsverträge schließt.

Über wirt­schaft­li­che Annäherung will der Manager den Weg zurück zur poli­ti­schen Verständigung fin­den. Die Ukraine brau­che Russland, eben­so wie die EU, lau­tet das Fazit sei­ner letz­ten Gespräche mit Staatschef Jazenjuk und des­sen Wirtschaftminister Abromavicius. Es gel­te, die­se Zwickmühle zu besei­ti­gen, in der sich auch die Republiken Moldau und Georgien befän­den: „Wenn wir uns dau­er­haft spal­ten, wer­den die Geschicke der Weltwirtschaft am ande­ren Ende ent­schie­den wer­den“. Anzustreben sei ein gro­ßer gemein­sa­mer Freihandelsraum, der von von Lissabon bis Wladiwostok rei­che — eine Zielsetzung, die Vladimir Putin öffent­lich for­mu­liert habe, und die von der Bundeskanzlerin vor­ges­tern offi­zi­ell gut­ge­hei­ßen wur­de, erklär­te Eckhard Cordes, der an die­ser Gesprächsrunde teil­ge­nom­men hat­te. Solche Verhandlungen sei­en jedoch min­des­tens eben­so kom­pli­ziert wie die mit Nordamerika, for­mu­lier­te er mit Bezug auf sei­nen Vorredner Klaus-Hinrich Vater.

Neben dem Ministerpräsidenten, der tra­di­tio­nell beim Neujahrsempfang der IHK Gelegenheit zu einem Grußwort erhält, nah­men diver­se Ministerinnen und Minister der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung sowie ihre Staatssekretäre an der Veranstaltung teil. Auffällig groß war auch das Interesse des diplo­ma­ti­schen Korps. Namen offi­zi­el­ler Vertreter der Staaten Serbien, China, Ukraine, Ägypten, Griechenlands, der Russische Föderation, aus Mexiko, Panama, Argentinien, Italien, Polen, Kroatien, Rumänien, den Niederlanden, der Türkei, Schweiz und dem Iran las­sen sich auf den 53 Seiten der Teilnehmerliste fin­den.

Das Manuskript der Rede von Klaus-Hinrich Vater lag bei Veranstaltungsschluß bereits öffent­lich aus. Weitere Redemanuskripte sowie Videos sol­len inner­halb weni­ger Tage auf der Website der IHK zu Kiel ver­öf­fent­licht wer­den.

panama
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das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 30 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews - www.panama-sh.com.

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