Schmückten die Bühne: Modelle von Bootsklassen, die an den olympischen Segelwettbewerben 1972 teilgenommen haben. Foto: panama
Rund tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer versammelten sich gestern zum Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer zu Kiel (IHK Kiel) im Konzertsaal des Kieler Schlosses. Zentrales Thema war die Zukunftsfähigkeit Schleswig-Holsteins. Positive Impulse für Infrastruktur und Tourismus sowie ein Image als weltoffene Gesellschaft versprechen sich sowohl Wirtschaft als auch Politik von der Ausrichtung der Olympischen Segelwettbewerbe 2024 in Schleswig-Holstein. Während IHK-Präsident Klaus-Hinrich Vater jedoch alles auf den Freihandel mit USA und Kanada setzt, spricht sich sein Ehrengast, der in Neumünster geborene Dr. Eckhard Cordes vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, für eine freie Handelszone mit Russland aus.
Das transatlantische Abkommen werde besonders den kleinen und mittelgroßen Unternehmen in Deutschland eine Chance zur Teilhabe am steigenden Handelsaustausch eröffnen, vermutet Klaus-Hinrich Vater. Dem widersprach Dr. Eckhard Cordes in seinem Vortrag über „Das Verhältnis EU und Russland“ nicht, erinnerte aber an die traditionellen, in mehr als tausend Jahren gewachsenen Handelsbeziehungen, an die Blütezeit der Hanse, an den Austausch westlicher Fertigprodukte und Technologie gegen Rohstoffe und Naturprodukte wie Felle, Bernstein und Wachs aus Russland. „Werkzeuge und Maschinen liefern wir heute noch. Im Gegenzug beziehen wir vor allem Öl und Gas. Beide Rohstoffe machen heute ungefähr 70 % unserer Importe aus Russland aus“, führt der Top-Manager an. Er erwähnt auch den 1728 in Kiel geborenen Zar Peter III. Dieser sei ein Freund der Landwirte und des Mittelstands gewesen. Dessen Ehefrau und Nachfolgerin auf dem Thron, Katharina die Große, habe für den Neubau der jetzt 350 Jahre alten Kieler Christian-Albrechts-Universität gesorgt, erinnert Cordes, von ihr erhielt die CAU ihre Traditionsfarben Weiß und Lila.
Von den guten Beziehungen Schleswig-Holsteins zu Russland zeugen ebenfalls der bis heute bestehende regelmäßige Frachtverkehr über die Ostsee nach St. Petersburg sowie Kiels Städtepartnerschaften mit Sovetsk und Kaliningrad. Seit 1998 habe sich der Handel mit Russland deutschlandweit verfünffacht. Die Zahl der deutschen Unternehmen, die sich dort niedergelassen haben oder Beteiligungen eingegangen seien, wuchs auf über 6.000 an:
„Aktuell liegen die deutschen Direktinvestitionen in Russland ungefähr in einem Bereich von rund 20 Mrd. Euro. (…) Trotz dieses Booms (…) hatten wir Ende 2013 geradezu ein Niveau erreicht, das vergleichbar ist mit dem der bevölkerungsmäßig kleinen EU-Länder Tschechien, Belgien und Österreich. Das zeigt, dass das unausgeschöpfte Potential für Handel und Investitionen angesichts von 143 Mio. russischer Bürger weiterhin riesengroß ist. Daher hätten wir die Erfolgsgeschichte der letzten Jahre gern fortgesetzt.“
Annahmen, dass die aktuellen Wirtschaftssanktionen der EU Russland in die Knie zwingen könnten, hält Eckhard Cordes für falsch. Zum einen würde sich bloß ein Teil der Welt daran beteiligen, zum anderen verfüge Russland über Währungsreserven von 380 Mrd. Euro. Die Staatsverschuldung dort betrage 12 Prozent. Das sei im Vergleich zu allen EU-Ländern minimal. Außerdem stünden chinesische Banken bereit, Russland Kredite zu gewähren. „Ob es uns gefällt oder nicht, meine Damen und Herren, Russland wird immer ein großer Machtfaktor in Europa sein. Eine Alternative zur Integration Russlands in europäische Strukturen sehe ich deshalb nicht.“ Ganz Europa verliert in der Ukraine-Krise, fasst er seine Ausführungen zusammen, Gewinner wären China und Korea, mit denen Russland nach jahrzehntelang stockenden Verhandlungen nunmehr Handelsverträge schließt.
Über wirtschaftliche Annäherung will der Manager den Weg zurück zur politischen Verständigung finden. Die Ukraine brauche Russland, ebenso wie die EU, lautet das Fazit seiner letzten Gespräche mit Staatschef Jazenjuk und dessen Wirtschaftminister Abromavicius. Es gelte, diese Zwickmühle zu beseitigen, in der sich auch die Republiken Moldau und Georgien befänden: „Wenn wir uns dauerhaft spalten, werden die Geschicke der Weltwirtschaft am anderen Ende entschieden werden“. Anzustreben sei ein großer gemeinsamer Freihandelsraum, der von von Lissabon bis Wladiwostok reiche — eine Zielsetzung, die Vladimir Putin öffentlich formuliert habe, und die von der Bundeskanzlerin vorgestern offiziell gutgeheißen wurde, erklärte Eckhard Cordes, der an dieser Gesprächsrunde teilgenommen hatte. Solche Verhandlungen seien jedoch mindestens ebenso kompliziert wie die mit Nordamerika, formulierte er mit Bezug auf seinen Vorredner Klaus-Hinrich Vater.
Neben dem Ministerpräsidenten, der traditionell beim Neujahrsempfang der IHK Gelegenheit zu einem Grußwort erhält, nahmen diverse Ministerinnen und Minister der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung sowie ihre Staatssekretäre an der Veranstaltung teil. Auffällig groß war auch das Interesse des diplomatischen Korps. Namen offizieller Vertreter der Staaten Serbien, China, Ukraine, Ägypten, Griechenlands, der Russische Föderation, aus Mexiko, Panama, Argentinien, Italien, Polen, Kroatien, Rumänien, den Niederlanden, der Türkei, Schweiz und dem Iran lassen sich auf den 53 Seiten der Teilnehmerliste finden.
Das Manuskript der Rede von Klaus-Hinrich Vater lag bei Veranstaltungsschluß bereits öffentlich aus. Weitere Redemanuskripte sowie Videos sollen innerhalb weniger Tage auf der Website der IHK zu Kiel veröffentlicht werden.