Harriet Heise (Mitte) moderierte die Abschlussrunde der beiden Referenten Gregor Hackmack (links) und Nico Lange (rechts). Auf den Stühlen neben ihr konnten Gäste aus dem Publikum Platz nehmen, um eigene Positionen einzubringen. Foto: panama
Der Schuh drückt, und zwar bei allen Parteien im Land — Anlass für die sechs parteinahen Bildungsträger Schleswig-Holsteins, erstmals gemeinsame Sache zu machen. Unter Regie des Landesbeauftragten für politische Bildung, Dr. Meyer-Heidemann, einigte man sich auf eine Vortragsreihe zur „Zukunft der Parteiendemokratie”.
Den Auftakt bildeten Montagabend zwei Impulsvorträge. Im vollbesetzten Landtag berichtete Gregor Hackmack, Gründer von abgeordnetenwatch.de, über den Weg Hamburgs zu mehr Transparenz und direkter Demokratie. Nico Lange, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung, forderte die Parteien auf, ihre aus den 50er, 60er Jahren stammende Angebotspalette für Bürgerbeteiligung attraktiver zu gestalten. Am Ende diskutierten beide mit wechselnden Gästen Beiträge aus dem Publikum.
Verschiedene Aspekte kamen bei der gut zweistündigen Veranstaltung zur Sprache. In seinem Grußwort erinnerte Prof. Dr. Utz Schliesky an den Artikel 21 des Grundgesetzes: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit”. Wer diesen Grundsatz der repräsentativen Demokratie aushebeln wolle, so der Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landtags und stellvertretende Vorsitzende der Hermann Ehlers Stiftung, müsse die Verfassung ändern.
Die Parteiendemokratie abschaffen, versicherte Gregor Hackmack, wolle er gar nicht, sondern Beteiligungsformen schaffen, mit denen Bürger direkt Einfluss auf politische Entscheidungen bekämen. Damit ließe sich dem stetig wachsenden Verlust des Vertrauens in die repräsentative Demokratie begegnen. Als Beispiel nannte er die Volksinitiative zur Verbindlichkeit von Volksentscheiden, in deren Folge es u.a. gelungen sei, die Bewerbung Hamburgs um die Olympischen Sommerspiele zu kippen. Maßgeblich beteiligt war Hackmack in Hamburg auch an der Änderung des Wahlrechts hin zu einer personalisierten Verhältniswahl, das eine engere Bindung der Abgeordneten an ihren Wahlkreis bewirken soll und Seiteneinsteigern eine Chance böte, sowie zur Einführung eines Transparenzgesetzes. In Hamburg müssen Politik und Verwaltung Dokumente von öffentlichem Interesse unaufgefordert und kostenfrei im Internet zur Verfügung stellen. Er warb eindringlich dafür, die Möglichkeiten der Digitalisierung aktiv zu nutzen, und verwies auf Marianne Grimmenstein, der es gelungen sei, eine Sammelklage gegen CETA zu organisieren.
Nico Lange konterte mit einer Aufforderung an Hackmack, in einer Partei mitzuwirken, um sich den Debatten über verschiedene Ebenen zu stellen. Er bemängelte, im Netz würden Emotionen die Fakten dominieren, und selbst über Fakten herrsche längst keine Einigkeit mehr wie sich an der Staatsschuldenkrise, dem Angriff Russlands auf die Ukraine sowie der Flüchtlingsbewegung Richtung Europa beobachten lasse. Unter hohem Personalaufwand professionell recherchierte Themen stünden im Internet gleichberechtigt neben Quatschmeldungen. Um einen Qualitätsverlust zu verhindern, wie er in Social Media zu beobachten sei, und dem „Neuen Markt der Politik” nach Vorbild Trumps zu begegnen, der Probleme verstärke anstatt sie zu lösen, hielte er es für ratsam, die Hürde z.B. für Online-Petitionen an den Petitionsausschuss des Bundestages höher zu legen. Zudem müssten Parteien beweglicher werden und mehr experimentieren anstatt das zu machen, was sie immer schon getan hätten, monierte Lange. Auch Politiker, die nach einer Niederlage ihr Amt nicht zur Verfügung stellten, seien ein Problem für die Parteiendemokratie.
Beiträge der Diskussionsteilnehmer aus dem Publikum stützten Langes Einschätzung. Allgemein bemängelt wurde die geringe Wertschätzung, die Neueinsteiger in den Parteien erfahren. Man werde nicht gehört. Neulinge bekämen das Gefühl, die Ordnung zu stören. Von der Politik nicht wahrgenommen zu werden, beklagten Interessenvertreter der Zivilgesellschaft. Sie verlangten einen institutionalisierten Ausgleich zu Lobbyisten, denen es aufgrund personeller und finanzieller Ausstattung möglich sein, Vollzeit für ihre Interessen einzutreten.
Die Vortragsreihe wird am 27. September in Eutin fortgesetzt mit dem Journalisten Christoph Seils (Cicero) und Lars Winter (SPD) zur Frage „Sind die Volksparteien am Ende?”.