Ernstfall Demokratie - Parteien vor der Abwahl

Von | 21. September 2016

Harriet Heise (Mitte) moderierte die Abschlussrunde der beiden Referenten Gregor Hackmack (links) und Nico Lange (rechts). Auf den Stühlen neben ihr konnten Gäste aus dem Publikum Platz nehmen, um eigene Positionen einzubringen. Foto: panama

Der Schuh drückt, und zwar bei allen Parteien im Land — Anlass für die sechs par­tei­na­hen Bildungsträger Schleswig-Holsteins, erst­mals gemein­sa­me Sache zu machen. Unter Regie des Landesbeauftragten für poli­ti­sche Bildung, Dr. Meyer-Heidemann, einig­te man sich auf eine Vortragsreihe zur „Zukunft der Parteiendemokratie”.

Den Auftakt bildeten Montagabend zwei Impulsvorträge. Im vollbesetzten Landtag berichtete Gregor Hackmack, Gründer von abgeordnetenwatch.de, über den Weg Hamburgs zu mehr Transparenz und direkter Demokratie.  Nico Lange, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung, forderte die Parteien auf, ihre aus den 50er, 60er Jahren stammende Angebotspalette für Bürgerbeteiligung attraktiver zu gestalten. Am Ende diskutierten beide mit wechselnden Gästen Beiträge aus dem Publikum.

Verschiedene Aspekte kamen bei der gut zwei­stün­di­gen Veranstaltung zur Sprache. In sei­nem Grußwort erin­ner­te Prof. Dr. Utz Schliesky an den Artikel 21 des Grundgesetzes: „Die Parteien wir­ken bei der poli­ti­schen Willensbildung des Volkes mit”. Wer die­sen Grundsatz der reprä­sen­ta­ti­ven Demokratie aus­he­beln wol­le, so der Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landtags und stell­ver­tre­ten­de Vorsitzende der Hermann Ehlers Stiftung, müs­se die Verfassung ändern.

Die Parteiendemokratie abschaf­fen, ver­si­cher­te Gregor Hackmack, wol­le er gar nicht, son­dern Beteiligungsformen schaf­fen, mit denen Bürger direkt Einfluss auf poli­ti­sche Entscheidungen bekä­men. Damit lie­ße sich dem ste­tig wach­sen­den Verlust des Vertrauens in die reprä­sen­ta­ti­ve Demokratie begeg­nen. Als Beispiel nann­te er die Volksinitiative zur Verbindlichkeit von Volksentscheiden, in deren Folge es u.a. gelun­gen sei, die Bewerbung Hamburgs um die Olympischen Sommerspiele zu kip­pen. Maßgeblich betei­ligt war Hackmack in Hamburg auch an der Änderung des Wahlrechts hin zu einer per­so­na­li­sier­ten Verhältniswahl, das eine enge­re Bindung der  Abgeordneten an ihren Wahlkreis bewir­ken soll und Seiteneinsteigern eine Chance böte,  sowie zur Einführung eines Transparenzgesetzes. In Hamburg müs­sen Politik und Verwaltung Dokumente von öffent­li­chem Interesse unauf­ge­for­dert und kos­ten­frei im Internet zur Verfügung stel­len. Er warb ein­dring­lich dafür, die Möglichkeiten der Digitalisierung aktiv zu nut­zen, und ver­wies auf Marianne Grimmenstein, der es gelun­gen sei, eine Sammelklage gegen CETA zu orga­ni­sie­ren.

Nico Lange kon­ter­te mit einer Aufforderung an Hackmack, in einer Partei mit­zu­wir­ken, um sich den Debatten über ver­schie­de­ne Ebenen zu stel­len. Er bemän­gel­te, im Netz wür­den Emotionen die Fakten domi­nie­ren, und selbst über Fakten herr­sche längst kei­ne Einigkeit mehr wie sich an der Staatsschuldenkrise, dem Angriff Russlands auf die Ukraine sowie der Flüchtlingsbewegung Richtung Europa beob­ach­ten las­se. Unter hohem Personalaufwand pro­fes­sio­nell recher­chier­te Themen stün­den im Internet gleich­be­rech­tigt neben Quatschmeldungen. Um einen Qualitätsverlust zu ver­hin­dern, wie er in Social Media zu beob­ach­ten sei, und dem „Neuen Markt der Politik” nach Vorbild Trumps zu begeg­nen, der Probleme ver­stär­ke anstatt sie zu lösen, hiel­te er es für rat­sam, die Hürde z.B. für Online-Petitionen an den Petitionsausschuss des Bundestages höher zu legen. Zudem müss­ten Parteien beweg­li­cher wer­den und mehr expe­ri­men­tie­ren anstatt das zu machen, was sie immer schon getan hät­ten, monier­te Lange. Auch Politiker, die nach einer Niederlage ihr Amt nicht zur Verfügung stell­ten, sei­en ein Problem für die Parteiendemokratie.

Beiträge der Diskussionsteilnehmer aus dem Publikum stütz­ten Langes Einschätzung. Allgemein bemän­gelt wur­de die gerin­ge Wertschätzung, die Neueinsteiger in den Parteien erfah­ren. Man wer­de nicht gehört. Neulinge bekä­men das Gefühl, die Ordnung zu stö­ren. Von der Politik nicht wahr­ge­nom­men zu wer­den, beklag­ten Interessenvertreter der Zivilgesellschaft. Sie ver­lang­ten einen insti­tu­tio­na­li­sier­ten Ausgleich zu Lobbyisten, denen es auf­grund per­so­nel­ler und finan­zi­el­ler Ausstattung mög­lich sein, Vollzeit für ihre Interessen ein­zu­tre­ten.

Die Vortragsreihe wird am 27. September in Eutin fort­ge­setzt mit dem Journalisten Christoph Seils (Cicero) und Lars Winter (SPD) zur Frage „Sind die Volksparteien am Ende?”.

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das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 30 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews - www.panama-sh.com.

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