Irgendwann muss doch die Pointe kommen. Da verschickt ein Ministerium einen Erlassentwurf im Lande herum und ein Satz, der sich — ohne dass man den Kontext kennt — wenigstens ungelenk anhört, sickert an die Öffentlichkeit. Der Erlassentwurf wird vom Ministerium zurückgezogen. Der Fraktionsvorsitzende einer regierungstragenden Fraktion fordert daraufhin, wie aus der Pistole geschossen, Köpfe: Eine „sozialdemokratisch durchzogene Ministerialbürokratie“ konterkariere „die Bildungspolitik von FDP und CDU“.
Geschlagene drei Tage darf sich die mäßig interessierte Öffentlichkeit ausmalen, wie die Verwaltung einen Minister, einen Staatssekretär sowie deren Büros fies hintergangen hat und einen Erlassentwurf verschickt hat, der anscheinend nichts anderes macht, als — was angesichts der Differenzen bei CDU und FDP in der Bildungspolitik immerhin ein Kunststück ist — gleich beide Politiken der Regierungspartner zu konterkarieren. Als die Grünen gerade Akteneinsicht erwägen, weil nicht nur dort niemand so recht glauben mag, dass eine Ministerialverwaltung so etwas macht, da signalisiert der Minister am Montag Morgen, dass der Entwurf „so nicht von mir hätte freigegeben werden dürfen”. Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass sein Staatsekretär und der eine oder andere aus dem ministeriellen Leitungsstab den Entwurf ebenfalls gesehen haben. Der Minister stellt sich vor seinen Staatssekretär und übernimmt die „politische Verantwortung“, was — für viele sicher eine überraschende Neuinterpretation des Begriffs — nicht etwa bedeutet, dass er oder der Verwaltungschef (der Staatssekretär) Mist gebaut hätten und Konsequenzen zu ziehen hätten. Nein, der Vorgang gebe „Anlass, Zuständigkeiten, Arbeitsabläufe und Entscheidungswege im Ministerium zu verändern.” Sein Fraktionsvorsitzender Wolfgang Kubicki sekundiert, dass es „angemessen“ sei, dass Klug seinen Fehler (den Erlass abzuzeichnen) eingestanden habe und weiß außerdem, wie das überhaupt passieren konnte: wegen der heißen Debatte über das neue Schulgesetz. Dann haut er noch mal auf die Ministeriumsmitarbeiter ein, die „stigmatisierende und kinderfeindliche Gedankengänge“ zu Papier gebracht hätten. Auch der Fraktionsvorsitzende der anderen Regierungspartei, Christian von Boetticher, hält seine Kritik am Ministerialapparat aufrecht und stellt fest: „Ein Erlassentwurf mit solchen Formulierungen darf gar nicht erst vorgelegt werden“. Was immerhin eine bemerkenswerte Lösungsvariante ist: Nicht mehr die Verwaltung schreibt die Erlassentwürfe sondern die Chefs gleich selbst. Die Opposition fordert derweil den Rücktritt des Ministers. Was auch etwas merkwürdig ist, denn es war ja nicht der Minister, sondern sein Fraktionsvorsitzender, der das vermaledeite Gerücht in die Welt gesetzt hatte, das den Minister jetzt so blöde dastehen lässt.
Schauen wir uns die Fakten an und bewerten sie:
Minister Ekkehard Klug ist seit dem 27. Oktober 2009 Minister für Bildung und Kultur. Ihm steht mit Eckhard Zirkmann ein Verwaltungschef zur Seite, der lange Jahre in der FDP-Fraktion und im Landesrechnungshof gearbeitet hat und damit Verwaltungserfahrung hat. Es sollte möglich sein, ein Ministerium in einem Jahr und einhundert Tagen soweit zu instruieren, dass es die Ideen der Hausspitze korrekt interpretieren kann und ohne permanente, lähmende Einzelfallanfragen die kommunizierten(!) Vorgaben(!) umsetzt. Das klappt in allen anderen Ministerien auch. Aus anderen Häusern, die gleichfalls lange von Sozialdemokraten geleitet wurden, hört man keine vergleichbaren Klagen. Selbst aus der Zeit nach 1988, als viele Ministerialbeamte erstmals in ihrem beruflichen Leben mit einer anderen Regierung(spartei) konfrontiert waren, sind mir solche Klagen nicht Erinnerung. Das spricht in der Summe eher für ein Versagen der Leitung.
Die Frage, wie man mit dem möglichen Zustand umgeht, wenn mehr Schüler G8 oder G9 wollen, als Plätze am Gymnasium da sind, muss geregelt sein. Und zwar nicht irgendwie sondern nachvollziehbar. Das kann man natürlich schon vom Grundsatz her als bekloppt bezeichnen: wie soll man denn dafür überhaupt sachliche Argumente finden? Aber das rettet die Schulleitung nicht vor dem Problem. Also muss ein Maßstab gefunden werden. Und dieser Maßstab sollte in dem Erlass geregelt werden. Solche Erlasse werden in der Regel nicht von Pädagogen oder Lehrern geschrieben sondern von Juristen. Denn sie müssen gerichtsfest formuliert sein und sind deshalb aus gutem Grund in ödester, formalisierter Verwaltungssprache gehalten. Bevor man sich da über einzelne Sätze hermacht, sollten wir uns den Erlass also erstmal im Ganzen anschauen, also den Kontext kennen. Solange der Erlass, was auch aus Transparenz-Gründen zu bedauern ist, nicht in vollständigen Wortlaut öffentlich zur Verfügung steht, gibt es keinen Sinn, sich über einzelne Formulierungen zu erregen.
Es bleiben Fragen:
Warum hat der Fraktionsvorsitzender, eigentlich doch ein ausgewiesener Taktiker, der noch vor wenigen Wochen allein aus taktischem Kalkül — nämlich um seine so anders aufgestellte Landespartei vor der drohenden außerparlamentarischen Oppositionsrolle zu retten — seinen Parteivorsitzenden ebenso scharf wie erfolglos angriff, anscheinend ohne Rücksprache mit seinem langjährigen politischen Weggefährten das Märchen von der bösen Verwaltung aufgebracht? Wollte er so die anstehende Neustrukturierung im Bildungsministerium — im verabschiedeten Einzelplan des Kultusministers sind Geld und Stelle dafür vorhanden — mit einem tollen Beispiel belegen? Damit jeder die Mehrausgaben für weiteres Personal im Ministerium „verstehen“ kann? Wenn das der Grund war, dann ist der Schuss nach hinten losgegangen.
Warum greift zu einem Zeitpunkt, als man sich schon ausmalen konnte, dass mit der Aktion keinen politischen Blumentopf mehr zu gewinnen ist, ausgerechnet der Ministerpräsidentenkandidat der CDU in die Debatte ein und schürt das Feuer ausgerechnet gegen den — allein schon das Wort! — „Ministerialapparat“? Wo doch schon deutlich wird, dass da keiner verantwortlich ist. Weil das ein Gegner ist, der sich nicht wehren kann? Der Personalrat des Ministeriums hat sich noch am Montag gegen die diskreditierenden Äußerungen verwahrt.
Oder geht es nur darum, ein Bauernopfer der Regierung zu finden, das auf dem Altar der Entscheidungsfähigkeit geopfert werden kann? Und hat man sich mit Ekkehard Klug einfach den Schwächsten ausgesucht? Denjenigen, der am meisten in der Kritik steht? Und das in einem Politikfeld, das in der nächsten Wahl vielleicht eine wichtige Rolle spielen darf? Und der einem Ministerium vorsteht, das Christian von Boetticher schon für die CDU eingefordert hat? Aber Ekkehard Klug ist Abgeordneter. Und CDU und FDP dürfen auf keine Stimme verzichten, wenn sie nicht ihre Mehrheit riskieren wollen.
Oder ist alles nur eine Werbeveranstaltung für die Initiative „Lesen macht stark” — einem Programm, das das sinnentnehmende Lesen fördert?
So richtig Sinn gibt das ja alles noch nicht. Und auf die Pointe warte ich auch noch. Ebenso wie auf ein Wort vom Ministerpräsidenten. Vielleicht ist das ja die Pointe.
Dass ausgerechnet der Ministerpräsidentenkandidat der CDU zu diesem Zeitpunkt in die Debatte eingreift, ist nicht ganz richtig. Er hat das schon viel früher getan. Zitat aus den Lübecker Nachrichten vom 24.01.11:
„Ich glaube, dass sich im Bildungsministerium auf der administrativen Ebene — gerade im Bereich der Kommunikation mit den Schulen — noch einiges ändern muss”.
Das ist einer der Punkte, die der CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende aus seinen Bildungstalks in den Kreisen mitgenommen hat: Dort haben Lehrer beklagt, dass „auf dem Dienstweg” der politische Wille gar nicht oder nicht richtig ankommt bzw. umgesetzt wird.
Dem ist eigentlich nichts hinzu zu fügen. Man darf gespannt sein, wie der Erlass nun aussehen wird. Ein merkwürdiges Konstrukt im Schulgesetz ist aber auch schwierig durch einen Erlass zu heilen. Viel Zeit bleibt nicht.
Der Erlassentwurf zeigt doch, wie schwierig das verkorkste Schulgesetz in der Praxis umzusetzen sein wird. Die Grünen haben für die nächste Landtagssitzung eine Fragestunde angekündigt. In diesem Rahmen wird der Bildungsminister sicher Gelegenheit haben, viele der offenen Fragen im Detail zu erläutern.