Sinnentnehmendes Lesen im Berufsalltag

Von | 8. Februar 2011

Irgendwann muss doch die Pointe kom­men. Da ver­schickt ein Ministerium einen Erlassentwurf im Lande her­um und ein Satz, der sich — ohne dass man den Kontext kennt — wenigs­tens unge­lenk anhört, sickert an die Öffentlichkeit. Der Erlassentwurf wird vom Ministerium zurück­ge­zo­gen. Der Fraktionsvorsitzende einer regie­rungs­tra­gen­den Fraktion for­dert dar­auf­hin, wie aus der Pistole geschos­sen, Köpfe: Eine „sozi­al­de­mo­kra­tisch durch­zo­ge­ne Ministerialbürokratie“ kon­ter­ka­rie­re „die Bildungspolitik von FDP und CDU“.

Geschlagene drei Tage darf sich die mäßig inter­es­sier­te Öffentlichkeit aus­ma­len, wie die Verwaltung einen Minister, einen Staatssekretär sowie deren Büros fies hin­ter­gan­gen hat und einen Erlassentwurf ver­schickt hat, der anschei­nend nichts ande­res macht, als — was ange­sichts der Differenzen bei CDU und FDP in der Bildungspolitik immer­hin ein Kunststück ist — gleich bei­de Politiken der Regierungspartner zu kon­ter­ka­rie­ren. Als die Grünen gera­de Akteneinsicht erwä­gen, weil nicht nur dort nie­mand so recht glau­ben mag, dass eine Ministerialverwaltung so etwas macht, da signa­li­siert der Minister am Montag Morgen, dass der Entwurf „so nicht von mir hät­te frei­ge­ge­ben wer­den dür­fen”. Wir dür­fen wohl davon aus­ge­hen, dass sein Staatsekretär und der eine oder ande­re aus dem minis­te­ri­el­len Leitungsstab den Entwurf eben­falls gese­hen haben. Der Minister stellt sich vor sei­nen Staatssekretär und über­nimmt die „poli­ti­sche Verantwortung“, was — für vie­le sicher eine über­ra­schen­de Neuinterpretation des Begriffs — nicht etwa bedeu­tet, dass er oder der Verwaltungschef (der Staatssekretär) Mist gebaut hät­ten und Konsequenzen zu zie­hen hät­ten. Nein, der Vorgang gebe „Anlass, Zuständigkeiten, Arbeitsabläufe und Entscheidungswege im Ministerium zu ver­än­dern.” Sein Fraktionsvorsitzender Wolfgang Kubicki sekun­diert, dass es „ange­mes­sen“ sei, dass Klug sei­nen Fehler (den Erlass abzu­zeich­nen) ein­ge­stan­den habe und weiß außer­dem, wie das über­haupt pas­sie­ren konn­te: wegen der hei­ßen Debatte über das neue Schulgesetz. Dann haut er noch mal auf die Ministeriumsmitarbeiter ein, die „stig­ma­ti­sie­ren­de und kin­der­feind­li­che Gedankengänge“ zu Papier gebracht hät­ten. Auch der Fraktionsvorsitzende der ande­ren Regierungspartei, Christian von Boetticher, hält sei­ne Kritik am Ministerialapparat auf­recht und stellt fest: „Ein Erlassentwurf mit sol­chen Formulierungen darf gar nicht erst vor­ge­legt wer­den“. Was immer­hin eine bemer­kens­wer­te Lösungsvariante ist: Nicht mehr die Verwaltung schreibt die Erlassentwürfe son­dern die Chefs gleich selbst. Die Opposition for­dert der­weil den Rücktritt des Ministers. Was auch etwas merk­wür­dig ist, denn es war ja nicht der Minister, son­dern sein Fraktionsvorsitzender, der das ver­ma­le­dei­te Gerücht in die Welt gesetzt hat­te, das den Minister jetzt so blö­de daste­hen lässt.

Schauen wir uns die Fakten an und bewer­ten sie:

Minister Ekkehard Klug ist seit dem 27. Oktober 2009 Minister für Bildung und Kultur. Ihm steht mit Eckhard Zirkmann ein Verwaltungschef zur Seite, der lan­ge Jahre in der FDP-Fraktion und im Landesrechnungshof gear­bei­tet hat und damit Verwaltungserfahrung hat. Es soll­te mög­lich sein, ein Ministerium in einem Jahr und ein­hun­dert Tagen soweit zu instru­ie­ren, dass es die Ideen der Hausspitze kor­rekt inter­pre­tie­ren kann und ohne per­ma­nen­te, läh­men­de Einzelfallanfragen die kom­mu­ni­zier­ten(!) Vorgaben(!) umsetzt. Das klappt in allen ande­ren Ministerien auch. Aus ande­ren Häusern, die gleich­falls lan­ge von Sozialdemokraten gelei­tet wur­den, hört man kei­ne ver­gleich­ba­ren Klagen. Selbst aus der Zeit nach 1988, als vie­le Ministerialbeamte erst­mals in ihrem beruf­li­chen Leben mit einer ande­ren Regierung(spartei) kon­fron­tiert waren, sind mir sol­che Klagen nicht Erinnerung. Das spricht in der Summe eher für ein Versagen der Leitung.

Die Frage, wie man mit dem mög­li­chen Zustand umgeht, wenn mehr Schüler G8 oder G9 wol­len, als Plätze am Gymnasium da sind, muss gere­gelt sein. Und zwar nicht irgend­wie son­dern nach­voll­zieh­bar. Das kann man natür­lich schon vom Grundsatz her als bekloppt bezeich­nen: wie soll man denn dafür über­haupt sach­li­che Argumente fin­den? Aber das ret­tet die Schulleitung nicht vor dem Problem. Also muss ein Maßstab gefun­den wer­den. Und die­ser Maßstab soll­te in dem Erlass gere­gelt wer­den. Solche Erlasse wer­den in der Regel nicht von Pädagogen oder Lehrern geschrie­ben son­dern von Juristen. Denn sie müs­sen gerichts­fest for­mu­liert sein und sind des­halb aus gutem Grund in ödes­ter, for­ma­li­sier­ter Verwaltungssprache gehal­ten. Bevor man sich da über ein­zel­ne Sätze her­macht, soll­ten wir uns den Erlass also erst­mal im Ganzen anschau­en, also den Kontext ken­nen. Solange der Erlass, was auch aus Transparenz-Gründen zu bedau­ern ist, nicht in voll­stän­di­gen Wortlaut öffent­lich zur Verfügung steht, gibt es kei­nen Sinn, sich über ein­zel­ne Formulierungen zu erre­gen.

Es blei­ben Fragen:

Warum hat der Fraktionsvorsitzender, eigent­lich doch ein aus­ge­wie­se­ner Taktiker, der noch vor weni­gen Wochen allein aus tak­ti­schem Kalkül — näm­lich um sei­ne so anders auf­ge­stell­te Landespartei vor der dro­hen­den außer­par­la­men­ta­ri­schen Oppositionsrolle zu ret­ten — sei­nen Parteivorsitzenden eben­so scharf wie erfolg­los angriff, anschei­nend ohne Rücksprache mit sei­nem lang­jäh­ri­gen poli­ti­schen Weggefährten das Märchen von der bösen Verwaltung auf­ge­bracht? Wollte er so die anste­hen­de Neustrukturierung im Bildungsministerium — im ver­ab­schie­de­ten Einzelplan des Kultusministers sind Geld und Stelle dafür vor­han­den — mit einem tol­len Beispiel bele­gen? Damit jeder die Mehrausgaben für wei­te­res Personal im Ministerium „ver­ste­hen“ kann? Wenn das der Grund war, dann ist der Schuss nach hin­ten los­ge­gan­gen.

Warum greift zu einem Zeitpunkt, als man sich schon aus­ma­len konn­te, dass mit der Aktion kei­nen poli­ti­schen Blumentopf mehr zu gewin­nen ist, aus­ge­rech­net der Ministerpräsidentenkandidat der CDU in die Debatte ein und schürt das Feuer aus­ge­rech­net gegen den — allein schon das Wort! — „Ministerialapparat“? Wo doch schon deut­lich wird, dass da kei­ner ver­ant­wort­lich ist. Weil das ein Gegner ist, der sich nicht weh­ren kann? Der Personalrat des Ministeriums hat sich noch am Montag gegen die dis­kre­di­tie­ren­den Äußerungen ver­wahrt.

Oder geht es nur dar­um, ein Bauernopfer der Regierung zu fin­den, das auf dem Altar der Entscheidungsfähigkeit geop­fert wer­den kann? Und hat man sich mit Ekkehard Klug ein­fach den Schwächsten aus­ge­sucht? Denjenigen, der am meis­ten in der Kritik steht? Und das in einem Politikfeld, das in der nächs­ten Wahl viel­leicht eine wich­ti­ge Rolle spie­len darf? Und der einem Ministerium vor­steht, das Christian von Boetticher schon für die CDU ein­ge­for­dert hat? Aber Ekkehard Klug ist Abgeordneter. Und CDU und FDP dür­fen auf kei­ne Stimme ver­zich­ten, wenn sie nicht ihre Mehrheit ris­kie­ren wol­len.

Oder ist alles nur eine Werbeveranstaltung für die Initiative „Lesen macht stark” — einem  Programm, das das sinn­ent­neh­men­de Lesen för­dert?

So rich­tig Sinn gibt das ja alles noch nicht. Und auf die Pointe war­te ich auch noch. Ebenso wie auf ein Wort vom Ministerpräsidenten. Vielleicht ist das ja die Pointe.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

3 Gedanken zu “Sinnentnehmendes Lesen im Berufsalltag”:

  1. Dirk Hundertmark

    Dass aus­ge­rech­net der Ministerpräsidentenkandidat der CDU zu die­sem Zeitpunkt in die Debatte ein­greift, ist nicht ganz rich­tig. Er hat das schon viel frü­her getan. Zitat aus den Lübecker Nachrichten vom 24.01.11:
    „Ich glau­be, dass sich im Bildungsministerium auf der admi­nis­tra­ti­ven Ebene — gera­de im Bereich der Kommunikation mit den Schulen — noch eini­ges ändern muss”.
    Das ist einer der Punkte, die der CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende aus sei­nen Bildungstalks in den Kreisen mit­ge­nom­men hat: Dort haben Lehrer beklagt, dass „auf dem Dienstweg” der poli­ti­sche Wille gar nicht oder nicht rich­tig ankommt bzw. umge­setzt wird.

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  2. Klaus Mangold

    Dem ist eigent­lich nichts hin­zu zu fügen. Man darf gespannt sein, wie der Erlass nun aus­se­hen wird. Ein merk­wür­di­ges Konstrukt im Schulgesetz ist aber auch schwie­rig durch einen Erlass zu hei­len. Viel Zeit bleibt nicht.

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  3. Jörg Nickel

    Der Erlassentwurf zeigt doch, wie schwie­rig das ver­korks­te Schulgesetz in der Praxis umzu­set­zen sein wird. Die Grünen haben für die nächs­te Landtagssitzung eine Fragestunde ange­kün­digt. In die­sem Rahmen wird der Bildungsminister sicher Gelegenheit haben, vie­le der offe­nen Fragen im Detail zu erläu­tern.

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