Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Torsten Geerdts, sagte neulich, als er sich mit der Frage beschäftigte, wie wir 2020 in Schleswig-Holstein leben wollen: „Die Bürgerinnen und Bürger fordern zu Recht Aufklärung und Erklärung, Transparenz und offene Worte von der Politik ein. Diesen Respekt ist die Politik den Menschen schuldig. Hier haben alle Parteien einen Nachholbedarf.”
Der Alltag ist voller Tücken
Die Geschäftsordnung des Landtages kennt seit dem Jahr 2008 Sammeldrucksachen. In § 63 Absatz 1a ist geregelt, dass in solchen Drucksachen Gesetzentwürfe, Anträge, Berichte, Beschlussempfehlungen der Ausschüsse und Wahlvorschläge gesammelt werden, über die eine Aussprache nicht vorgesehen ist. Sofern kein Abgeordneter widerspricht, entscheidet der Landtag in einer Gesamtabstimmung. Eine Aussprache findet nicht mehr statt. Herr Geerdts, damals frisch gebackener parlamentarischer Geschäftsführer der CDU, begründete die Änderung: Zur Vereinfachung für alle Beteiligten werden Tagesordnungspunkte ohne Aussprachebedarf in Zukunft in einer Sammelabstimmung zur Abstimmung gestellt. Ich glaube, auch das macht Sinn; denn das Verfahren, das wir hier bisher praktiziert haben, war erstens zeitraubend, zweitens nervig und drittens für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar.
Ich bin Teil der Öffentlichkeit. Etwas ist für mich nachvollziehbarer, wenn das Parlament schweigt, wenn es etwas gesammelt abstimmt? Ich lass mich mal überraschen und verfolge den parlamentarischen Werdegang des „Gesetzes zur Durchführung der Marktüberwachung bei Bauprodukten — Marktüberwachungsgesetz Bauprodukte (BauPMÜG)”. Vorweg: Der Anschein spricht dafür, dass in diesem Gesetz Gutes geregelt wird, kein Bürgerrecht entzogen wird oder Streitbares unter den Teppich gekehrt wird. Genau weiß ich das aber nicht.
Ein erstes Lebenszeichen
Die Landessatzung verpflichtet die Landesregierung, den Landtag über Gegenstände von grundsätzlicher Bedeutung, die auch die Rechte des Parlamentes berühren, frühzeitig und vollständig zu unterrichten. Ich, Teil der Öffentlichkeit, rate, dass es hierum in der Unterrichtung 17/37 vom 08. September 2010 ging. Ich muss raten, die Unterrichtung ist nicht öffentlich.
Die Landesregierung beschließt einen Gesetzesentwurf
Am 26. Oktober 2010 legt die Landesregierung einen Gesetzesentwurf vor, die Drucksache 17/965. Der Entwurf hat 19 Seiten. Auf vier Seiten schildert der Entwurf — durchaus verständlich — das Problem, die Lösung und die nicht vorhandenen Alternativen. Das Gesetz umfasst sechs Seiten. Auf weiteren acht Seiten erklärt das Innenministerium, was die einzelnen Paragraphen bedeuten.
Erste Lesung Landtag
In der ersten Lesung findet, wenn es das Thema oder die Interessenslage der Fraktionen hergibt, ein erster Meinungsaustausch statt. Der Gesetzesentwurf wird danach in die betroffenen Ausschüsse verwiesen. Häufig genug findet das auch ohne Aussprache statt. Das Marktüberwachungsgesetz Bauprodukte ist halt kein an sich präsentes Thema und es lässt sich nichts aktuell Bedeutsames dran aufhängen. Unser Marktüberwachungsgesetz Bauprodukte wird so ein bescheidener Bestandteil der 20 Punkte umfassenden Sammeldrucksache 17/1019 und am 19. November 2010 ohne Aussprache in erster Lesung in den Innen- und Rechtsausschuss verwiesen. Das Protokoll der Sitzung dokumentiert das auf der Seite 2918 um 15.53 Uhr. Der Präsident sagt danach noch: „Wir sind am Ende unserer Tagung“ und wünscht allen ein schönes Wochenende. Dann ist die Sitzung ist geschlossen. Ob es einen Grund hat, warum es Erste Lesung und nicht Erste Debatte heißt?
Der Innen- und Rechtsausschuss befasst sich
Die Themenblättern für den politisch bildenden Unterricht, die der Landtag für seine Besucher bereithält, klären mich im Kapitel 2b „Was ist der Landtag — ein Arbeits- oder Redeparlament” auf: Der Landtag ist (auch) ein Arbeitsparlament, in dem ein Hauptteil an parlamentarischer Macht und Arbeit in den ständigen Fachausschüssen stattfindet.
Das Ausschussprotokoll der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses vom 24. November 2010 gibt es noch nicht: 17/41. Im Kurzprotokoll steht, dass der Ausschuss dem Landtag einstimmig empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Keine Spur von dem in den Themenblättern versprochenen „detaillierten Infragestellen in den Ausschüssen”, der „wirklichen Auseinandersetzung” um die „strittigen Punkte”, die nicht im Plenum sondern im Ausschuss stattfindet. Parlamentarische Macht heißt manchmal wohl auch, etwas schweigend passieren zu lassen? Parlamentarische Arbeit heißt manchmal, etwas nicht zu hinterfragen, sich nicht von Experten in Anhörungen beraten zu lassen? Der Innen- und Rechtsausschuss schreibt dem Plenum, er habe sich mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung befasst. Er empfiehlt dem Landtag die unveränderte Annahme des Gesetzentwurfs.
Zweite Lesung Landtag
Die zweite Lesung des Landtages steht nun diese Woche an. In der Plenartagung 17/13 soll unser Marktüberwachungsgesetz Bauprodukte TOP 5 werden. Das ist zwar ziemlich weit vorn auf der 58 Tagesordnungspunkte umfassenden Agenda der dreitägigen Sitzung. Das hat aber nichts zu bedeuten. Aus der schon feststehenden Reihenfolge der Beratung kann ich, die Öffentlichkeit, entnehmen, dass es wieder nur für eine Sammeldrucksache reicht. Wenn der Zeitplan eingehalten wird, wird der Präsident am Freitag um 17.05 Uhr, ganz zum Schluss, die Tagesordnungspunkte ohne Aussprache aufrufen und sagen: „Die Tagesordnungspunkte mit den entsprechenden Voten der Ausschüsse und der Fraktionen entnehmen Sie bitte der Ihnen vorliegenden Sammeldrucksache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer mit der Übernahme der Empfehlungen entsprechend der Sammeldrucksache 17/1112 einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. Das ist einstimmig so beschlossen.” Dann sagt er wahrscheinlich noch: „Wir sind am Ende unserer Tagung” und wünscht allen ein schönes neues Jahr.
Das Gesetz wird einige Tage später im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht werden und am drauffolgenden Tag inkrafttreten. Es ist ohne Zweifel rechtsstaatlich korrekt ausgestaltet worden. Es ist in einem demokratisch gewählten Gremium beschlossen worden. Seine Legitimationskette ist schlüssig und ohne Fehl oder Tadel.
Dennoch
Und dennoch bleibt das Gefühl, dass da was falsch gelaufen ist. Das parlamentarische Verfahren, das wir eben nachvollzogen haben, war eine inhaltsleere, mechanische Veranstaltung. Da aber, wo die Demokratie nicht mehr öffentlich debattiert, wird sie sinnlos. Weil sie nicht mehr nachvollziehbar agiert. Weil allenfalls die Verfahren, nicht aber die Motive, transparent sind. Wenn es Dinge gibt, die ein Parlament nicht mehr beraten will und auch nicht beraten muss, dann kann die Lösung nicht sein, Rituale bis zur Abstumpfung zu pflegen. Dann muss man halt die Verfahren neu diskutieren und — vielleicht — neue Pflöcke einschlagen oder andere Verfahren finden, die aus Sicht der Öffentlichkeit hinreichend legitimieren.
Ein Gefühl kann ich Dir natürlich nicht nehmen, aber in aller Kürze: Beim von Dir angeführten Gesetzentwurf hat niemand Diskussionsbedarf angemeldet, da sich alle Fraktionen von Linke(!) bis CDU (!) einig in der Zustimmung waren. Für uns alle war die Vorlage im Ausschuss selbsterklärend. Wir haben nun diese Woche bereits die 45. Ausschusssitzung mit bis zu 25 Tops (und die Legislaturperiode ist knapp ein Jahr alt) und wie man den bisherigen Protokollen entnehmen kann, werden viele Diskussionen lange und intensiv geführt. Hier gab es aber nun wirklich nichts kontrovers zu diskutieren und eine Debatte nur um der Debatte wegen zu führen, bei der von Linkspartei bis CDU alle erklären, dass sie den Gesetzentwurf für richtig halten, ist auch nicht sonderlich effektiv und auch für die Zuschauer eher ermüdend und erhöht die Transparenz auch nicht unbedingt. Zudem fehlt dann tatsächlich die Zeit, um sich über die Dinge zu debattieren, die es verdienen, kontrovers diskutiert zu werden und davon haben wir eigentlich genügend. Die Marktüberwachung von Bauprodukten ist es definitiv nicht.
Ich habe in meinem dienstlichen und in meinem ehrenamtlichen Leben reichlich Stunden in den verschiedensten Gremien verbracht und kann Deine Argumente sehr gut nachvollziehen, zum großen Teil sogar unterschreiben.
Ich sehe zwei Möglichkeiten:
Entweder, man nimmt das mit der Transparenz wirklich ernst. Dann gehören in den „Vorgang”, den das Landtagsinformationssystem bildet, auch die Vorgängerdokumente aus dem EP, dem BR und Querverweise zu anderen Landtagen … Ebenso die Unterlagen, die die Fraktionen dazu bewegt haben, zu der Entscheidungen zu kommen, den Vorgang „durchzuwinken”. Ich möchte als Bürger die Möglichkeit haben, solche Vorgänge — auch historisch — aktiv nachvollziehen zu können. (Abgeordneten wird es sicher ähnlich gehen) Die Verknüpfung von Datenbanken kann da zusätzliche Transparenz schaffen. Die Pflicht, Entscheidungsgründe zu dokumentieren, aber auch. Auch die Entscheidung, etwas durchzuwinken, muss begründet sein und kann sich nicht allein aus dem Handeln ergeben.
Oder aber man kommt zu dem Schluss, dass Dinge wie das in Rede stehende Gesetz in Wirklichkeit nicht mehr dem parlamentarischen Wirkungskreis zuzuordnen sind sondern eher der adminstrativen Sphäre; also eigentlich „nur” Verordnungsrang haben und somit vom Kabinett, der Exekutive, beschlossen werden könnten (Mein Wunsch nach transparenten Daten gilt auch in diesem Staatsbereich, da liegt auch noch einiges im Argen). Wenn das nun verneint wird, dann muss das Parlament seine Eigenwahrnehmung nachschärfen und seinen zustimmende Befassung mit solchen Gesetzen auch mit Hingabe ausfüllen. Vielleicht auch durch eine Aufteilung des IuR-Ausschusses. In meinem „Welche Kleidergröße hat der Landtag”-Artikel (http://landesblog.de/2010/10/welche-kleidergrose-hat-der-landtag/) hatte ich die Anzahl der Ausschüsse — allerdings eher en passant — angesprochen.
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Grundsätzlich wünsche ich mir auch mehr Transparenz. Wenn z. B. Anträge mit Gutachten oder Konzepten begründet werden, dann gehören diese natürlich auch auf den Tisch und mögliche schützenswerte Informationen ( wie z. B. persönliche Daten) müssen selbstverständlich geschwärzt werden. Gewisse Dinge haben nunmal Gesetzesrang und sollten auch in der parlamentarischen Sphäre bleiben, selbst wenn aktuelle Vorschriften manchmal nicht so spannend sind. Man weiß häufiger nicht vorher, ob eine Änderung nun politisch bedeutend ist und damit diskussionswürdig ist oder nicht. Verordnungen gehen an der parlamentarischen Kontrolle vorbei und viele Kollegen haben anfänglich die Brisanz des 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrag auch nicht erkannt. Andere Rundfunkänderungsverträge hatten diese Aufmerksamkeit nicht. Gut, dass der Bereich trotzdem nicht alleine der Exekutive überlassen ist.