Ein Französischer Dom in Itzehoe?

Von | 30. März 2011

Auf dem Berliner Gendarmenmarkt steht der Französische Dom; ein Turm mit einer Kuppel oben drauf, der nie eine reli­giö­se Bedeutung hat­te. Seine inne­re Funktionslosigkeit teilt er mit dem benach­bar­ten, eben­falls welt­li­chen Deutschen Dom. Sie ent­fal­ten nach außen hin Pracht und sol­len städ­te­bau­lich wir­ken. Das tun sie auch. Der Französische Dom ist aber auch Ausdruck einer poli­ti­schen Entscheidung der bran­den­bur­gi­schen Kurfürsten und preu­ßi­schen Könige des 17. und 18. Jahrhunderts: Der Ansiedlung von Menschen, beson­ders von Fachkräften, aus dem Ausland. Aus Böhmen, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden, beson­ders aber aus Frankreich, ström­ten sie in das dünn besie­del­te Brandenburg-Preußen.

Das Edikt von Potsdam von 1685 gewähr­te ihnen freie Religionsausübung, Steuerbefreiung, Starthilfen für Unternehmer. Denn aus dem bevöl­ke­rungs­ar­men, von Hunger geplag­ten, wirt­schaft­lich schwa­chen, unge­bil­de­ten und reich­lich kul­tur­lo­sen Land soll­te ein Staat wer­den, der sich neben England, Frankreich, Österreich und Russland behaup­ten konn­te. Die Strategie ging auf: Zeitweise bil­de­ten die Hugenotten ein Drittel der Bevölkerung Berlins. Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur pro­spe­rier­ten. Um den wei­te­ren Ansprüchen der wach­sen­den Bevölkerung fol­gen zu kön­nen, wur­de der Anbau der Kartoffel befoh­lenSümpfe tro­cken­ge­legt oder gan­ze Flüsse umge­lei­tet

Schleswig-Holstein schrumpft

Kann es sein, dass wir uns in Schleswig-Holstein dem­nächst ähn­li­che Gedanken machen müs­sen? Das Innenministerium hat Mitte März die „Aktualisierte Bevölkerungsvorausberechnung 2010 bis 2025 für die Kreise und kreis­frei­en Städte in Schleswig-Holstein” ver­öf­fent­licht. Die Zahlen und Diagramme hat das Ministerium hier recht detail­liert zur Verfügung gestellt. Auch das Statistische Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein hält Daten parat, lei­der nur im PDF-Format, nicht als Tabellenblatt. 

Schaut man sich die Zukunft an, dann nimmt die Einwohnerzahl Schleswig-Holstein ab. Betrachtet man einen Zeitraum vom 90 Jahren (1970 bis 2060), dann erscheint die Rückgang nicht son­der­lich dra­ma­tisch:

grün: vorliegende Zahlen, blau: Vorausberechnung, rot: Modellrechnung

grün: vor­lie­gen­de Zahlen, blau: Vorausberechnung, rot: Modellrechnung (Quelle: http://www.statistik-nord.de)

 

Das Verschwinden der Jugend

Das eigent­li­che Drama offen­bart sich, wenn man sich die Zusammensetzung der Bevölkerung nach ihrem Alter anschaut: Es wer­den weni­ger jun­ge Menschen in Schleswig-Holstein leben, die Anzahl der Älteren steigt. Der Verlauf ist aller­dings nicht über­all in Schleswig-Holstein gleich: In Flensburg und Kiel steigt die Zahl der unter 20-Jährigen. In Lübeck und im Hamburger Rand sinkt sie leicht. Im Rest des Landes sind teil­wei­se dra­ma­ti­sche Einbrüche zu ver­zeich­nen: Das Schlusslicht Steinburg muss mit einem Rückgang von 30,2 Prozent der unter 20-Jährigen rech­nen. Dort könn­te jede drit­te Schule vor dem Aus ste­hen, Schulwege ver­län­ger­ten sich ent­spre­chend, Betriebe fän­den vor Ort kaum noch Auszubildenden. 

Prognose: Einwohnerinnen und Einwohner in SH "unter 20 Jahren" 2009 bis 2025 (in %)

Nun sind sol­che Erkenntnisse nicht neu. In der 2004 ver­öf­fent­lich­ten, von der Landesregierung in Auftrag gege­be­nen, Studie „Zukunftsfähiges Schleswig-Holstein — Konsequenzen des demo­gra­phi­schen Wandels” fin­det man ent­spre­chen­des Zahlenmaterial für die Zeitraum 1999 bis 2015. Auch hier ist die Tendenz klar: Rückläufige Bevölkerung, weni­ger jun­ge Menschen, mehr älte­re Mitbürger. Die Zahlen wei­chen aller­dings in ihrer räum­li­chen Verteilung erheb­lich von­ein­an­der ab. Hier eine Gegenüberstellung der aktu­el­len Vorhersage mit der aus der Studie:

Vergleich der Prognosen: Einwohnerinnen und Einwohner in SH "unter 20 Jahren" 1999 bis 2015 und 2009 bis 2025

Vergleich der Prognosen: Einwohnerinnen und Einwohner in SH „unter 20 Jahren” für die Zeiträume „1999 bis 2015” und „2009 bis 2025” (jeweils in %)

Die Abkehr von der Vorstellung, dass beson­ders in den grö­ße­ren Städten mit einem erheb­li­chen Absinken der Bevölkerung (und damit auch der Anzahl der Jugendlichen) zu rech­nen sei, wur­de schon in der Studie von 2004 erkannt (S. 56): Zum Zeitpunkt der Studie war für die Autoren erkenn­bar, dass der für die Jahre 1999 bis 2003 pro­gnos­ti­zier­te Bevölkerungsrückgang in den gro­ßen Städten nicht ein­trat. Im Gegenteil stieg die Wohnbevölkerung in Kiel, Lübeck und Flensburg. Ausschlaggebend waren, so die Studie, gerin­ge­re Wanderungsverluste gegen­über dem Umland und stei­gen­den Wanderungsgewinne aus ande­ren Teilen Deutschlands sowie aus dem Ausland. Gleichwohl igno­rier­te man dies und sag­te nur zwei Seiten spä­ter (S. 58) deut­li­che Bevölkerungsrückgänge in den Kreisfreien Städten Schleswig-Holsteins vor­aus, da „die Bevölkerungszahlen stär­ker sin­ken und die Rückgänge frü­her ein­set­zen, denn für die kreis­frei­en Städte spie­len neben der bereits heu­te über­durch­schnitt­lich alten Bevölkerungsstruktur die Stadt-Umland Wanderungen eine beson­de­re Rolle.”
Es scheint, dass sich jeden­falls aktu­ell eine ande­re Auffassung ihren Weg bahnt. Um Planungssicherheit für die gro­ßen orts­ge­bun­de­nen staat­li­chen Investitionen und Infrastruktur (Straßen, Schienen, Strom- und Kommunikationsnetze, Schulen …) zu haben, wäre es sicher­lich för­der­lich, wenn man sich eini­gen könn­te, was rich­tig ist. Stimmt die neue Bevölkerungsvorausberechnung, muss man die Studie von 2004 zwar nicht in die Tonne tre­ten, kommt aber nicht umhin, bei der regio­na­len Schwerpunktsetzung nach­zu­bes­sern.

Land der alten Horizonte

Für die Entwicklung einer Bevölkerung sind drei demo­gra­phi­sche Faktoren maß­geb­lich: Die Geburtenrate, die Lebenserwartung und die Zuwanderung. Schleswig-Holstein hat­te in der Vergangenheit im Vergleich zu ande­ren Bundesländern stets posi­ti­ve Zuwanderungsbilanzen, die im Wesentlichen aus Aus- und Übersiedlern ent­stan­den sind, spä­ter durch Zuzug aus Mecklenburg-Vorpommern. Sie konn­ten etwai­ge Verluste durch ein Geburtendefizit mehr als aus­glei­chen. In der Studie aus dem Jahre 2004 pro­gnos­ti­zie­ren die Autoren, dass es damit ein Ende haben wer­de:

Zukünftig wer­den Wanderungsgewinne die wach­sen­de Differenz zwi­schen Gestorbenen und Lebendgeborenen in Schleswig-Holstein nicht mehr aus­glei­chen. Auch höhe­re als die in der Modellrechnung ange­nom­me­nen Wanderungsgewinne wer­den die Entwicklung nur abschwä­chen aber nicht stop­pen kön­nen. Trotz der Wanderungsgewinne und einer stei­gen­den Lebenserwartung wer­den also mit­tel­fris­tig weni­ger Menschen in Schleswig-Holstein leben.

Das muss wohl ergänzt wer­den um die Aussage, dass die „weni­ger Menschen“ anders zusam­men­ge­setzt sein wer­den. Die Gruppen der Jugendlichen — aber auch die der Erwachsenen, der Erwerbstätigen — sinkt, die Gruppe der Senioren steigt jedoch signi­fi­kant: 

Prognose: Einwohnerinnen und Einwohner in SH "75 Jahre und älter" 2009-2025 (in %)

Prognose: Einwohnerinnen und Einwohner in SH „75 Jahre und älter” 2009 – 2025 (in %)

35 Prozent aller Einwohnerinnen und Einwohner unse­res Bundeslandes wird 60 Jahre und älter sein.

Politische Handlungsfelder

Die Studie „Zukunftsfähiges Schleswig-Holstein — Konsequenzen des demo­gra­phi­schen Wandels” sieht 13 Handlungsfelder

  • Ausschöpfung des Erwerbspersonenpotenzials
  • Qualitätsverbesserung des Humankapitals
  • Erhöhung des Kapitaleinsatzes
  • Branchenspezifische Anpassung an die ver­än­der­te Nachfragestruktur
  • Ausweitung eines bedarfs­ge­rech­ten Bildungsangebots
  • Steigerung von Kooperation und Vernetzung der Bildungseinrichtungen
  • Erhöhung der Anzahl von Qualifizierungs- und Weiterbildungsteilnehmenden
  • Effizienzsteigerung und Kooperation bei pri­va­ten und öffent­li­chen Infrastruktur- und Dienstleistungsangeboten
  • Anpassung der Infrastruktur an die Nachfrageveränderung ins­be­son­de­re in den Bereichen Gesundheit, Wohnen und Verkehr
  • Regionalspezifische Nutzung von Chancen und Minderung von Risiken des demo­gra­phi­schen Wandels
  • Erhöhung der Familienfreundlichkeit
  • Stärkung des Zusammenlebens der Generationen
  • Verbesserte Integration von Migrantinnen und Migranten

Ich glau­be, da fehlt ein wesent­li­cher Aspekt. Denn wenn es wahr ist, dass wir kei­ne Wanderungsgewinne mehr erzie­len kön­nen; und wenn wir beden­ken, dass der Hamburger Rand kein natur­ge­be­ner Wachstumsbereich ist — son­dern in Konkurrenz zum nörd­li­chen Niedersachsen steht: Dann kann es nicht aus­rei­chen, Migrantinnen und Migranten zu inte­grie­ren, son­dern dann soll­ten wir über­le­gen, wie wir Migrantinnen und Migranten dazu bewe­gen, nach Schleswig-Holstein zu kom­men. Ein moder­nes Variante des Satzes, den Friedrich II. 1740 sag­te: „„Alle Religionen seindt gleich und guht, wan nuhr die Leute, so sie pro­fe­sie­ren, erli­che Leute seindt, und wen Türken und Heiden käh­men und wol­ten das Land pöb­plie­ren, so wol­len wier sie Mosqueen und Kirchen bau­en“ (Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sie aus­üben, ehr­li­che Leute sind. Und wenn Türken und Heiden kämen und das Land bevöl­ker­ten, so bau­te ich ihnen Moscheen und Kirchen).

Und wer weiß schon, ob es dann ein Französischer Dom in Itzehoe oder eine al-Aqsa-Moschee (das bedeu­tet soviel wie ‚die fer­ne Kultstätte‘) in Plön wer­den wird.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

2 Gedanken zu “Ein Französischer Dom in Itzehoe?”:

  1. Claudia

    Ist es nicht lan­ge schon ein all­ge­mei­ner Trend, dass jun­ge Leute das Land ver­las­sen und in die (ger­ne grö­ße­ren) Städte zie­hen? Und die Alten auf dem Land zurück blei­ben?
    Je mehr LAND ein Bundesland hat, des­to mehr wird es die­se Entwicklung spü­ren.

    Ich glau­be nicht, dass man viel dage­gen tun kann. Das Land wird zuneh­mend Touristengebiet, Altenheim, Naturpark und natür­lich wei­ter­hin Zone lang­wirt­schaft­li­cher Nutzung.

    Reply
    1. Swen Wacker

      Ja, das ist ein schon seit län­ge­ren erkenn­ba­rer Trend. Ich bin nur nicht so sicher, dass wir sei­ne Auswirkung wirk­lich durch­den­ken.
      In Städten ist die Geburtenrate nied­ri­ger als auf dem Land. Das ist nicht nur hier so son­dern auch in Schwellenländern.

      Das Problem der schrump­fen­den „werk­tä­ti­gen” Bevölkerung wird so noch ver­stärkt. Das hat Auswirkungen auf alle Systeme, nicht nur auf die Versicherungssysteme der Solidargemeinschaft.

      Selbst Altenheime wer­den auf die Dauer kei­ne Zukunft auf dem Land haben, wenn dort nie­mand mehr ist, der dort „drau­ßen” (ange­sichts der Löhne und der Arbeitszeiten ver­bie­tet sich das Pendeln) arbei­ten will.

      Klar, man kann sich hin­stel­len und sagen: Verödung ken­nen wir als Folge von Ereignissen wie dem drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg, der Pest-Epidimien und der Wiedervereinigung. Das ist nor­mal und hin­zu­neh­men. Nur muss man sich dann auch expli­zit dazu beken­nen. Kleiner Flächenländer wie SH (nicht viel anders Brandenburg oder McPom) müs­sen dann in eine gere­gel­te Schließung der poli­ti­schen Systeme ein­tre­ten. Denn selbst die Infrastruktur (Straßen, Schiene …) kann man ohne Einnahmen nicht mehr gestal­ten oder erhal­ten. Selbst tou­ris­ti­sche Gebiete schaf­fen das schon heu­te nicht mehr: Sanierung zu teu­er: Fehmarn will 54 Kilometer Straße sper­ren.

      Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert