Bei Wagners Ring des Nibelungen kommt man nicht unter 2 ½ Stunden weg, wird dafür mit über 100 Musikern, 34 Solisten und zwei Chören belohnt. Kulturpolitische Diskussionsveranstaltungen können da ganz gut mithalten. Ein proppevoller Schleswig-Holstein-Saal hörte am Dienstag (27. September 2011) knapp 2 ½ Stunden lang 1 Begrüßung, 1 Grußwort, 1 Impulsreferat, 1 Acapella Chor, 3 Diskussionsrunden mit zusammen 15 Diskutanten, 1 Resümee von 2 Gastgebern. Ohne Pause.
Der Landeskulturverband, das Kulturforum und die Regionalgruppe der Kulturpolitischen Gesellschaft veranstalteten am Dienstag einen gemeinsamen Kulturpolitischen Abend im Kieler Landeshaus unter dem Motto „Kultur macht mobil“. Das stimmte nicht ganz, man durfte die ganze Zeit sitzen.
Dr. Bernd Wagner, stellvertretender Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft Bonn, sprach klare Worte zur „Kulturpolitik in Zeiten der Haushaltskonsolidierung“, die nicht jedem im Saal gefielen. Angesichts der nicht wegzudiskutierenden Lage der öffentlichen Haushalte seien Kürzungen unvermeidlich. Schlimm sei die Situation etwa in den USA, wo die traditionell hohe private Förderung durch die Bankenpleiten schier ausgetrocknet sei. Die – bei aller berechtigten Kritik im regionalen Detail – in der Summe durchaus respektablen Entwicklung der staatlichen finanziellen Förderung in Deutschland lasse Kritik unglaubwürdig erscheinen, wenn sie zu alarmistisch angelegt sei. Zumal auch im kulturellen Bereich gern St. Florians Schlachtruf „not in my backyard“ gerufen werde. Vokabeln wie Kulturkampf und Schlacht um die Subventionen seien fehl am Platze. Er spielte auf Konstantin Richters (in meinen Augen vortrefflichen) Zeit-Artikel über die Bühnen in Flensburg und Lübeck an. Damit Kürzungen vermittelt werden könnten, sei eine Transparenz der Entscheidungen, der Maßstäbe nötig. Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) sah er skeptisch: man dürfe und könne nicht verleugnen, dass die Motive eines privaten Unternehmers und einer öffentlichen Förderung zu unterschiedlich ein, um langfristig unter einem Dach zu wohnen. Wichtig sei Drittens die Denkrichtung; Kultur müssen man vom Menschen, von der Stadt her denken, nicht von den Institutionen her. Und schließlich brach er eine Lanze für die sogenannten „freiwilligen Leistungen“. Es sei nämlich Unsinn, bei Kürzungen zunächst bei diesen zu streichen und hernach erst die „Pflichtaufgaben“ ins Visier zu nehmen. Freiwillig sei kein Synonym für verzichtbar. Wäre das eine Theatervorstellung gewesen, wäre der Applaus wohl als „verhalten“ eingestuft worden gewesen. Aber ehrlich war er, der Vortrag.
Ein Acapella-Chor versöhnte die Ohren, bevor Andreas Schmidt vom NDR als Moderator pausenlos durch gleich drei Diskussionsrunden führte.
Die Diskutanten, von Schmidt darauf hingewiesen, das zwischen den Bistrotischen fiese Kabel lauerten, gaben sich sichtlich Mühe, weder zwischen den Stühlen zu sitzen noch zwischen den Tischen zu stolpern.
In der ersten Runde, betitelt „Gemeinsame Kulturverantwortung leben“ und besetzt mit Teilnehmern aus der öffentlichen und privaten Kulturförderung, konnte Birgit Herdejürgen, finanzpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, von den unfairen Sitte erzählen, dass in Kürzungsdiskussionen über die kleinen Beträge gern und intensiv gefeilscht werde, während die größeren Summen schon mal durchgewunken würden. Sie plädierte dafür, den aktuellen Druck kreativ dafür zu nutzen, Strukturen zu überdenken und, wo nötig, zu reformieren.
Werner Kalinka, Vorsitzender des CDU-Fraktionsarbeitskreises Innen und Recht sprach über Freud und Leid bei Etatkürzungen, die in Kreis Plön etwa SHMF und Salzau beträfen, wünschte sich auch in kulturellen Fragen interkommunale Zusammenarbeit und sprach die zunehmende Mobilität und Bereitschaft der Bürger an, für ein kulturelles Erlebnis auch mal mehr als 20 Kilometer Anfahrt oder sogar Hamburg in Kauf zu nehmen. Wichtig war ihm Verlässlichkeit und Planungssicherheit, etwa durch Garantieverträge.
Dr. Bernd Brandes-Druba von der Stiftung des Schleswig-Holsteinischen Sparkassen- und Giroverbandes betrachtete ebenfalls die Sorge um die Kleinteiligkeit mancher Strukturen und die von ihm ausgemachte Fraktionierung im Lande. Für die Stiftung betonte er deren festen Willen, ihre Förderung permanent in Frage zu stellen und stetig nach wenigen Jahren neu auszurichten. Eine landesweite Servicegesellschaft, die Stiftungen, Kunst- und Kultureinrichtungen zur Hand gehen könne und sie effizient entlaste und begleite, brachte er ins Spiel.
Flensburgs Oberbürgermeister Simon Faber berichtet von der nicht einfachen Idee, die Klangkörper der Orchester in Sonderburg und Flensburg nicht des Einsparens wegen sondern zur Erbauung des Publikums auch mal gemeinsam spielen zu lassen. Müssen unverändert drei Bühnen in Schleswig-Holstein bestehen? Oder führe Strukturkonservatismus zum Fadenriss, wenn man daran denke, dass die Kulturpräferenz nachwachsender Generationen sich wandele.
Als der stets präsente Moderator die kulturpolitischen Sprechern aller sechs Landtagsfraktionen zum Thema „Anforderungen an die Aufstellung eines Kulturentwicklungsplanes für Schleswig-Holstein“ nach vorn bat, wurde es überraschender. Denn Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hatte noch mal nachgedacht und revidierte seine kürzlich im Landtag noch geäußerte Unterstützung der Idee. Ein solcher Plan, der in seiner ersten Stufe die Kulturlandschaft beschreibe, frage weder nach einem Ziel, noch lasse es sich aus dem Kataster ableiten. Das im zweiten Schritt nötige Rating, Ranking oder Benchmarking könne dann also nicht zielgerichtet sein — weil zudem die Politik nicht die Aufgabe habe, der Kultur das Ziel vorzugeben. Er bezweifelte, dass die zunächst auch von ihm befürworte Idee funktionieren könne, Kulturförderung wie eine Pyramide zu betrachten, in der unten die unverzichtbaren Basis der soziokulturellen Infrastruktur stehe, auf der sich dann, stetig verjüngend, die Museen, Theater und andere Einrichtungen bis zur Spitze, der Förderung der Festivalkultur, schichteten. Vielleicht müsse man doch er anders an die Sache herangehen, nicht klar trennen, sondern zum Beispiel auch mal Bildung, Tourismus und Kultur zusammendenken. Ein Plan ermögliche das nicht. Tatsächlich findet man im aktuellen Entwurf des Wahlprogrammes (Seite 63ff) das Wort Plan nicht mehr.
Anke Spoorendonk vom SSW blieb dabei: Der Plan sei wichtig. Man müsse wissen, wo man stehe, wie die Kultur in Schleswig-Holstein aufgestellt sei. Nur dann könne man überhaupt darüber diskutieren, wohin es gehen solle. Nur dann könne die notwendige Planungssicherheit für die kulturellen Einrichtungen gewährleistet werden. Museen, Archive, Gedenkstätten, Bibliotheken, sie alle würden darauf warten. Über diese und mit diesen müsse man reden.
Der Sozialdemokrat Hans Müller blickte in Richtung Regierungsfraktionen und stellte fest, dass es nach der großen Anfrage der SPD zum Stand und Perspektiven der kulturellen Entwicklung Schleswig-Holsteins, die immerhin schon in der letzten Legislaturperiode von seiner Fraktion gestellt worden sei, nicht Neues von der Landesregierung gegeben habe.
Kirstin Funke von der FDP wollte keinen Plan.
Das sah der Christdemokrat Wilfried Wengler auch so. Eine lebendige Kultur und ein an Planwirtschaft erinnerndes Wort, das ginge nicht zusammen.
Heinz-Werner Jezewski von den Linke brachte in Erinnerung, dass auch Haushaltspläne Planwirtschaft seien. Er sprach sich gerade in Kulturfragen für partizipative Bürgerhaushalte aus, so ließe sich die für die Kultur notwendige möglichst eigenständige und verantwortliche Trennung Zweckbestimmung realisieren.
Dann diskutierten Vertreter von Kulturinstitutionen über „Widerstand und / oder Anpassung“.
Dr. Martin Lätzel vom Landesverband der Volkshochschulen S-H schaute nach vorn, will neue Ideen entwickeln, Kooperationen suchen, Vernetzungen ausbauen. Die Akzeptanz der Einrichtungen dürfe nicht als gegeben angesehen werden, sondern müsse permanent erhalten und ausgebaut werden. Die Marke müsse gestärkt werden.
Antje Schmidt, deren Altonaer Museum unlängst geschlossen werden sollte, plädierte leidenschaftlich für den Widerstand. Ohne ihn, den breit in der Bevölkerung organisierten Widerstand, hätten die Schließung des Museums nicht abgewendet werden können. Geblieben seien die finanziellen Probleme. Nicht verbindliche Zusagen von Zuschüssen, die nur kurzfristig erfolgten, verhinderten Planung, Ausstellungen und andere Projekte bräuchten aber lange Vorläufe.
Reinhard Take vom Freundeskreis der Stadtgalerie Kiel hatte den Widerstand gegen die angedrohte Schließung der Stadtgalerie anders organisiert. Man sei auf die Politik zugegangen, habe Gespräch und Verhandlung gesucht, zugleich private Gelder eingeworben, das Ehrenamt bringe sich verstärkt in das Tagesgeschäft ein.
Günter Schiemann, der für die LAG Soziokultur S-H sprach, argumentierte klassisch, auf die althergebrachte Art: Die Gebäude müssten saniert werden, damit sie nicht verrotten, es gebe zu wenig Personal mit zu wenig Perspektive Und man brauche mehr Geld. So.
Dr. Ralf Klöter, Kaufmännischer Direktor des Theaters Kiel und auf dem Sprung nach Mannheim mochte die Frage, mit wieviel Euro ein Sitzplatz des Theaters in Kiel subventioniert werde — zuvor waren die Zuschüsse im Kinder- und Jugendtheaterbereich mit 1,40 bis 3 Euro angeben worden — lieber nicht beantworten. Man mache „deutlich was anderes”. Ach.
Heute, am Freitag (29. September 2011) wird sich zeigen, wie es weiter geht, Kulturministers Dr. Ekkehard Klug hat für 16.00 Uhr Kunst- und Kulturschaffende, Vertreterinnen und Vertreter von Verbänden und aus der Politik zur zweiten Kulturkonferenz in der Sparkassen-Akademie in Kiel eingeladen. Themen sind u. a. die Bewahrung des kulturellen Erbes, Raum für die Kunst, die Stärkung der kulturellen Bildung sowie neue Partnerschaften pro Kultur. Die drei Verbände habe dafür ein Positionspapier erarbeitet: Wir brauchen eine Allianz für Kunst und Kultur in Schleswig-Holstein.