Die Auswirkungen der Landespolitik auf die Arbeitsmarktzahlen sind gering. Das Thema taugt deshalb nicht für den Wahlkampf.
95 Tage bis zur Landtagswahl ist es höchste Zeit, mit den Sachargumenten sparsamer umzugehen und auf Wahlkampfrhetorik umzuschalten. Arbeitsmarktzahlen sind ein beliebtes Spiel, um aus Versatzstücken eine Presseerklärung zu basteln.
Die Zahl der Arbeitslosen ist für jeweils aktuelle Mehrheit im Kieler Landtag
- in Schleswig-Holstein seit [Datum] gesunken.
- im [Zahl der Regierungsjahre] Jahr [PARTEI]-geführter Landesregierungen unter [Schwellenwert] gesunken
- Dank unserer klugen [CDU:Wirtschaftspolitik / SPD:Arbeitsmarkpolitik / Grüne:Nachhaltigkeitspolitik / FDP:Minister] zurückgegangen
und damit so niedrig wie zuletzt [Jahreszahl].
Läuft es nicht ganz so gut, misst man den Abstand zum Nachbarland oder zum Bund. Oder man nimmt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten oder in Arbeit vermittelten oder die Zahl der offenen Stellen. Diese sind (kontinuierlich/stetig/nachhaltig) (stabilisiert/Ruhe eingekehrt/Trendwende eingeleitet/)
Auf alle Fälle ist
- das ist ein gutes Signal für die Bürger in Schleswig-Holstein,
- der Weg richtig und
- unter der Regierung [NAME] der Aufschwung (kontinuierlich/stetig/nachhaltig) (eingetreten/stabilisiert/fortgesetzt/in neue Höhen gestiegen).
Und die Wirtschaft brummt.
Fällt einem überhaupt nichts Sinnvolles ein, dann ist auf alle Fälle die Vorgängerregierung schuld, die Schleswig-Holstein in irgendwelche ganz fiesen Abgründe gewirtschaftet hat, wo nicht mal mehr Mordor hinschauen mag.
Margit Haupt-Koopmann, die neue Leiterin der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit, hat gestern (31. Januar) in Kiel die neuen Arbeitsmarktzahlen vorgestellt: In Schleswig-Holstein ist die Zahl der Arbeitslosen im Januar 2012 gegenüber dem Vorjahr um 7.300 (6,3 Prozent) gesunken. Sie liegt nun bei 109.900, dem niedrigste Januar-Wert seit 1993.“ Die Arbeitslosenquote sinkt von 8,2 Prozent (Januar 2011) auf nun 7,7 Prozent. Gegenüber dem Vormonat Dezember nahm die Zahl um 11.100 oder 11,3 Prozent zu; das sei aber kein Grund zur Beunruhigung sondern allein saisonal üblich. Überproportional, aber ebenfalls jahreszeitlich begründbar, stieg die Anzahl männlicher Arbeitsloser (+13,7 Prozent) und in den Tourismusregionen des Landes, also Nordfriesland, Rendsburg-Eckernförde und Ostholstein. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stieg im Vergleich zum Vorjahr um 21.100 (2,5 Prozent) und erreicht mit 859.000 den höchsten Stand seit 1999.
Der Sozialdemokrat Wolfgang Baasch schaute lange auf die Zahlenreihen und fand dann auf den zweiten Blick Bedenkliches: Die Teilzeitarbeit steige stärker als die Vollzeitarbeit und die geringfügig entlohnte Beschäftigung entwickle sich überproportional. Auch profitierten Langzeitarbeitslose kaum von der guten Entwicklung am Arbeitsmarkt. Arbeitsminister Garg wiederholte die Zahlen, die die Arbeitsagentur schon mitgeteilt hatte und sah das Positive: „Diese Zahlen weisen den Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein als robust und dynamisch aus und geben Anlass zu Optimismus für das neue Jahr 2012.“
Soweit das Sachlich-nüchterne.
Robert Habeck, grüner Spitzenkandidat, meldete sich morgens als erster und wies schon mal vorsorglich Richtung Regierung darauf hin, dass die “weiter gesunkenen Zahlen kein Verdienst der CDU/FDP-Landesregierung“ sei. Im Gegenteil habe sich unter Schwarz-Gelb „der Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein schlechter entwickelt als der Bundesdurchschnitt.“
CDU-Fraktionschef Johannes Callsen kletterte flugs wahlkampfkorrekt auf die Palme und retournierte: „Zum Ende der rot/grünen Koalition hatten wir im Januar 2005 fast 13 Prozent Arbeitslose in Schleswig-Holstein. Heute ist es der beste Wert seit 1993 – mehr als fünf Prozent weniger.“ Es gebe 70.000 Arbeitslose weniger und 90.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als zum Ende Grüner Regierungsbeteiligung im Januar 2005.
Christopher Vogt von der FDP fand, Robert Habeck sei peinlich und bohre dabei dünne Bretter: “Wer den Januar 2009 – quasi den Höhepunkt der letzten Wirtschaftskrise – als Vergleichszeitpunkt mit dem Bundesdurchschnitt nimmt, der blendet komplett aus, dass Schleswig-Holstein eine mittelständisch geprägte Wirtschaftsstruktur hat.“
Ich denke, Christopher Vogt hat in dieser Hinsicht Recht: Schleswig-Holstein hat eine mittelständig geprägte Wirtschaftsstruktur. Aber: das hat weder die CDU oder die FDP in Schleswig-Holstein geschaffen noch haben die Sozialdemokraten oder die Grünen im Lande da was verbockt. Die Einflüsse der Politik der Landesregierung auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes dürften gegen Null tendieren. Weder im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik (ABM, staatliche Investitionsprogramme, dritter Arbeitsmarkt, Förderung der Weiterbildung oder Mobilität) noch in der passiven Arbeitsmarktpolitik (im Wesentlichen: Die Leistungen der Arbeitsagentur) noch in den gesetzlichen Rahmenbedingungen (Urlaub, Kündigungsschutz, Mindestlöhne …) hat ein Land was zu melden. Ich kenne keine Untersuchung, die einen spürbaren Einfluss regionaler Wirtschaftspolitiken (jenseits der nicht mit der Gießkanne verstreuten zentralen Impulse) auf Arbeitslosenzahlen, Konjunktur oder Wachstum belegen kann – sieht man mal vom An- oder Abschalten eines Atomkraftwerkes aufgrund von Sicherheitsmängeln ab.
Was also bleibt, ist die Wirtschaftsstruktur, die man aber wohl allenfalls im Laufe von Jahrzehnten verändern kann. Schaut man sich die langen Reihen der Arbeitsmarktzahlen an, dann ist da in meinen Augen auch kein Punkt, an dem man die Arbeit einer Landesregierung an der Entwicklung der Statistik ablesen könnte.

Arbeitslosenquote bis 1990 (bezogen auf abhängige zivile Erwerbspersonen) Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf Datenstand: Dezember 2011 (DZ/AM) West: Westdeutschland SH: Schleswig-Holstein

Arbeitslosenquote ab 1991 (bezogen auf abhängige zivile Erwerbspersonen) Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf Datenstand: Dezember 2011 (DZ/AM) West: Westdeutschland SH: Schleswig-Holstein

Arbeitslosenquote, Monatszahlen seit 2008 (bezogen auf abhängige zivile Erwerbspersonen) Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf, Datenstand : Januar 2012 (DZ/AM)
Sehen Sie was? Nein, wie Sie sehen, sehen Sie nicht. Konjunkturkrisen, Umstellungen in der Statistik, Phasen der Erholung, Auswirkungen Deutsche Einheit oder die Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 prägen das Bild. Ob rot-grün oder schwarz-gelb im Landtag die Mehrheit hatten, hat die Arbeitslosenzahlen nur in homöopathischen Dosen verändert. Im Wesentlichen folgt die Kurve des Landes der des Bundes. So gesehen, hat zwar auch Robert Habeck recht: Die gesunkenen Zahlen sind kein Verdienst der CDU/FDP-Landesregierung. Aber: genau deshalb geht auch der Vorwurf, unter Schwarz-Gelb habe sich der Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein schlechter entwickelt als im Bundesdurchschnitt, ins Leere. Das hat mit schwarz-gelb soviel zu tun wie mit dem Tabellenplatz des THW oder der Anzahl der Störche in Bergenhusen.
Edit: Bis 07.30 Uhr stand hier eine Vorgängerversion, die inhaltlich identisch war, der aber noch ein paar kleine Korrekturen fehlten.
Man kann natürlich in frage stellen, welche Bedeutung Arbeitsmarktzahlen überhaupt haben. Oder auch, dass heute „Gute Politik” mit „Guter Arbeitsmarktpolitik” gleichgesetzt wird. Ich denke aber nicht, dass man die Landespolitik da bei Einflussfaktor Null ansetzen sollte. Entscheidender als die Arbeitsmarktzahlen finde ich die Zufriedenheit der BürgerInnen oder die Einkommensentwicklung — wie sich Arm und reich entwickeln. Bildungspolitik kann da auch viel tun — Geht man Richtung Exzellenzinitiativen oder tut man etwas für die breite Bevölkerung. Das sind Entscheidungen die im wesentlichen von der Landesregierung getroffen werden. Kommunen und Land können viel für Unternehmen tun. Da gibt es Riesenunterschiede z.B. zwischen SH und Bayern — weiss jeder, der mal in Bayern gelebt hat. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass das unser Maßstab für gute Politik sein sollte.
Im Bereich der Bildungspolitik kann man örtlich viel machen — viel falsch machen, viel gut machen.
Was kann ein Land für Industriezweige machen, die notleidend sind? Haben NRW und Saarland die Krise im Montanbereich bewältigt? Oder war das eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung? Hat das Land die Werftenkrise bewältigt, oder waren das (im Wesentlichen) Bundesmittel, die den Untergang der Unternehmen (mit Blick auf die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen) nicht wirklich geändert haben? Liegen die Schwerpunkte und Kompetenzen der Länder (und ihrer Kommunen) vielleicht eher in der zielgerichten vund durchdachten Umsetzung von (Bundes- und EU-)geldern, um sozialen (Ab)Brüchen im Strukturwandel entgegenzuwirken? Ich weiß da keine klare Antwort drauf. Ich würde z.B. auch gern mal wissen, welche Mechanismen es waren, die dazu führten, dass aus dem Nehmerland Bayern das Geberland Bayern im Länderfinanzausgleich wurde. Ist der Erfolg der byrischen Politik zuzuschreiben? Oder geschah das einfach in Bayern, auch ohne dass die Landespolitik da was machen musste? Ich weiß aus Bremen und Hamburg, dass deren Rolle im Länderfinanzausgleich sich in den siebziger Jahren grundlegend wandelte, als die Aufkommen der Lohnsteuer nicht mehr dem Arbeitsplatz sondern dem Wohnort zugeordnet wurde. Da skann in Bayern nicht der Effekt gewesen sein. Spätestens, wenn ich in Rente bin, dann lese ich mich da rein :-)
Was schließe ich aus der Analyse. Mach wat oder mach nix — is eh sinnlos?
Dieses Ergebnis könnte bedeuten, dass Wirtschaftsförderung und Arbeitsmarktpolitik sinnlos sind. Hm.
Können sie wenigstens die Spitzen der Kurven etwas runder machen, aber die Gesamtentwicklung nicht verändern. Na das wär doch was.
Wenn die erste These stimmt (sinnlos), könnte man sicher die Aufwendungen für WiFö und ArbPol sparen und den Benachteiligten direkt zugute kommen lassen? Führt das zur Erkenntnis: keine staatlichen Eingriffe auf Landesebene aber eine bessere Ausstattung der Bedürftigen und damit Stärkung der Eigenverantwortung?
Ja nee, lieber nicht, das traut sich keiner …
Es geht im Kern nicht um „sinnlos” sondern um die Frage, ob der engere Kern der Wirtschafts- oder Arbeitsmarktpolitik einer Landesregierung — die Bereiche, wo sie selbst exekutiv oder legislativ gestalten kann — die Situation des Landes im Vergleich zum Bund ändern können. Das scheint mir nicht der Fall zu sein, jedenfalls nicht im Bezug auf die Entwicklung der Zahl der Arbeitslosen in der Statistik. Die Frage, wie Betroffene zielgerichtet und nachhaltig unterstützt werden können, ist im größeren Zusammenhang zu diskutieren. Denn es engagieren sich ja (in der Arbeitsmarktpolitik) auch der Bund, die Kommunen und die Arbeitsverwaltung.