Reha oder das Ende? Der Kulturinfarkt in der Diskussion

Von | 20. März 2012

Eine Woche, bevor das Buch Der Kulturinfarkt in die Läden kam, koch­te die Diskussion um die dort ver­tre­te­nen Thesen schon hoch. Angeregt waren die Auseinandersetzungen durch einen von den Autoren geschickt plat­zier­ten Artikel im SPIEGEL vom 12. März. Armin Klein, Pius Knüsel, Stephan Opitz und Dieter Haselbach ken­nen sich mit Kulturmarketing aus. Dass ihnen ein Coup mit einem Knall gelun­gen ist, kann ihnen nicht vor­ge­wor­fen wer­den – das ist legi­tim. Sogar einen Trailer zum Buch hat der Verlag pro­du­ziert. Im SPIEGEL-Artikel ver­tre­ten sie unter der pla­ka­ti­ven Überschrift Die Hälfte einen radi­ka­len Umbau der bis­he­ri­gen Kulturförderpolitik. Die zum Teil hef­ti­gen Reaktionen lie­ßen nicht lan­ge auf sich war­ten.

Schon am Tage der Veröffentlichung mel­de­ten sich die Kulturwelt und die Politik zu Wort. Dort hieß es, die Thesen sei­en „kon­zept­los“ (Siegmund Ehrmann, MdB SPD)  oder ein „Armutszeugnis“ (Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates), den Autoren warf man „Unwissen und einen Mangel an kul­tur­po­li­ti­scher Verantwortung” vor (Deutscher Bühnenverein). Der Tagesspiegel begann zwar unter sei­nem Niveau, als er die Autoren als „kaum bekannt“ bezeich­net. Die dar­auf fol­gen­de kri­ti­sche Auseinandersetzung von Peter Laudenbach mit den Thesen ist aber etwas dif­fe­ren­zier­ter und man­cher Kritik müs­sen sich die Verfasser stel­len. Die taz rezen­sier­te zwar das Buch nicht, wid­me­te aber Stephan Opitz aus Kiel ein fai­res Porträt, in dem die­ser Möglichkeit nut­zen konn­te, in der Diskussion mehr Sachlichkeit ein­zu­for­dern. Der Artikel in den Kieler Nachrichten ist eher als Aufweis der Arroganz des Feuilletons zu lesen denn als eine kon­struk­ti­ve Auseinandersetzung. Schade. Gerade in unse­rem Land hät­te es der sub­stan­zi­el­len Rezeption bedurft. Der Blog nachtkritik.de fass­te die Reaktionen des Feuilleton prä­gnant zusam­men.

Der schles­wig-hol­stei­ni­sche Landeskulturverband (LKV) weist die Thesen eben­falls kate­go­risch zurück: „Sie [die Autoren, Anm. M.L.] ret­ten nichts und nie­man­den. Sie erhal­ten nichts und nie­man­den“, zitiert die Landeszeitung den Vorsitzenden Rolf Teucher. Er deu­tet auf die eh gerin­ge Kulturfördersumme im Land. Dass Manna, von dem die Autoren in ihrem Buch spre­chen (73), fällt halt nicht über­all gleich­zei­tig. Auf der Homepage des LKV fin­det sich kei­ne Stellungnahme. Der Intendant der Kieler Bühnen, Daniel Karasek, nennt im NDR-Interview Buch und Artikel ein „fre­ches Pamphlet“.

Ein Wuppertaler Blogger dage­gen ist ganz begeis­tert, er wünscht sich eine kri­ti­sche Auseinandersetzung mit der Klasse der Kulturschaffenden und die not­wen­di­ge Selbstkritik. Einhellige Unterstützung auch durch das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim.

Manche Reaktion dis­qua­li­fi­zier­te sich durch ihren Stil lei­der sel­ber. Der Deutsche Kulturrat, eine eigent­lich sehr hono­ri­ge Einrichtung, brach­te in sei­ner Stellungnahme die Diskussion lei­der auch auf die per­sön­li­che Ebene, frag­te die Institutionen an, in den die Autoren arbei­ten, die ja schließ­lich auch öffent­lich geför­dert wer­den. Der Blogger Moritz Egger agiert ähn­lich, macht den Expertencheck, aber sein Blog heißt ja auch Bad Blog. Das mag ja alles als Faktum stim­men, aber in der Diskussion um Sachfragen dür­fen solch per­so­ni­fi­zier­ten Argumente eigent­lich kei­ne Rolle spie­len. Wer die per­sön­li­che Ebene sucht, ent­zieht sich der sach­li­chen Auseinandersetzung. Dieter Haselbach hat immer­hin wegen der per­sön­li­chen Diffamierung sei­ne Funktion als Geschäftsführer des Zentrums für Kulturforschung nie­der­ge­legt, um, wie er sagt, die Institution zu schüt­zen. So weit darf Kritik nicht ver­fan­gen, die Kultur unse­res Staates zeich­net sich auch dadurch aus, dass Meinungsfreiheit herrscht.

Was wol­len die vier Kulturmusketiere?

Sie wol­len, so sagen sie, durch eine Polemik auf­rüt­teln, ver­krus­te­te Strukturen in Bewegung brin­gen und mehr Wettbewerb errei­chen. Räume für Kunst ermög­li­chen, sagt Armin Klein im Buchtrailer. Und ja, natür­lich brau­chen wir, nach Meinung von Klein, Knüsel, Haselbach und Opitz, mehr Nachfrageorientierung. Die Autoren stel­len im Spiegelartikel fest: „Die kul­tu­rel­le Flutung Deutschlands wur­de stets vom Angebot, nicht von der Nachfrage her gedacht. Der Vormarsch der geför­der­ten Kultur pro­du­ziert nicht Vielfalt, son­dern Konformität – Übereinstimmung mit Fördermatrizen, Projektformaten und ver­trag­lich abge­si­cher­ten Leistungen.“ Der Aspekt ist nichts Neues, kann man den Aufregern ent­ge­gen­hal­ten; die Bedeutung der Nachfrage und Kundenorientierung fin­det sich schon im Standardwerk von Armin Klein zum Kulturmarketing.

Geht es nur um Kürzungen, um die Hälfte, wie die Überschrift im Spiegel lau­te­te? Nein, das ist nur die Schlagzeile gewe­sen, auf die sich vie­le Äußerungen bezie­hen. Liest man das Buch genau, kommt man zu einer dif­fe­ren­zier­te­ren Sicht. „Wonach wir suchen“, schrei­ben die Verfasser auf Seite 175, „sind jene Mechanismen, die uns vor dem Kulturinfarkt bewah­ren. Die uns davon befrei­en, dass so vie­les sich poli­tisch ver­an­kert hat und nicht ster­ben darf, obwohl weder Ressourcen vor­han­den sind noch eine Notwendigkeit aus­ge­wie­sen ist, dass es bleibt.“ Das ist, was es in der Kultur wirk­lich braucht. Eine zukünf­ti­ge Kulturpolitik muss sich, nach Aussage des Buches, an den Paradigmen Mündigkeit, Rationalität, Gleichberechtigung und Widerspruch zu ori­en­tie­ren. Verknappung schaf­fe einen Mehrwert für die Kultur und womög­lich sei es gar nicht so, dass jeder Mensch ein Künstler wer­den kön­ne oder an der Kultur teil­ha­ben wol­le. Ziel der Autoren ist es, die vor­herr­schen­de Kulturförderung so umzu­bau­en, dass Innovationen und neue Ideen mög­lich sind. Dabei haben sie unter ande­rem die nach ihrer Sicht auf­ge­bläh­ten Verwaltungen (im Exkurs benen­nen sie expli­zit die Stiftung Preußischer Kulturbesitz) im Blick, die Entwicklungen eher behin­dern wür­den.

Fünf Schwerpunkte

Die Autoren sel­ber schla­gen fünf Schwerpunkte vor, die der beson­de­ren Förderung ver­die­nen: Angemessenere Förderung von Einrichtungen, ver­bun­den mit Vorgaben des sozia­len Engagements, Unterstützung der Laienkultur, Förderung der Kulturindustrie und Kulturwirtschaft sowie von Hochschulen der kul­tu­rel­len Bildung mit dem Auftrag, pra­xis­be­zo­gen zu arbei­ten. Nicht zuletzt schla­gen sie vor, die kul­tu­rel­le Bildung zu ver­stär­ken mit einem Schwerpunkt auf inter­kul­tu­rel­le Bildung.

Man kann der Meinung sein, dass die Analyse stim­men mag, aber die Schwerpunkte falsch gesetzt sind. Aber man kann und muss sie als Vorschlag dis­ku­tie­ren, beson­ders gegen­wär­tig, da eine poli­ti­sche Diskussion über Schwerpunkte nicht vor­han­den ist.

Ob der Kulturbetrieb bei stär­ke­rer Marktorientierung fle­xi­bler wird, mag ich nicht zu beur­tei­len. Kann sein, muss nicht. Seit eini­gen Jahren schon geht man davon aus, dass Wirtschaftsbetriebe effek­ti­ver sind als öffent­li­che Einrichtungen. Die zur­zeit lau­fen­de Re-Kommunalisierung beweist das Gegenteil. Manche Kosten wer­den durch Outsourcing ein­fach ver­scho­ben. Viele Kunsthochschulen arbei­ten schon mit Entrepreneurship-Förderung, die Kulturwirtschaftsansätze gibt es (auch bei uns im Norden), sie müss­ten sicher stär­ker unter­stützt wer­den. Wenn es eine stär­ke­re Förderung der Laienkultur geben soll, dann brau­chen wir eine stär­ke­re Unterstützung der kul­tu­rel­len Bildung als bis­her, glei­ches gilt für den inter­kul­tu­rel­len Dialog.

Zuzustimmen ist den Autoren, dass bei der Förderung öffent­li­cher Einrichtungen öffent­li­ches Interesse defi­niert wer­den muss. Das ist die Idee des Public Value, die lei­der in Deutschland bis­her zu wenig Beachtung gefun­den hat. Wenn wir über Ziele und Wirkungen spre­chen, dann spre­chen wir über eine akti­ve Kulturpolitik. Der Artikel ist ja – das wird bei der Kritik oft über­se­hen – ein Hinweis auf poli­ti­schen Leerstellen, sub­stan­zi­el­ler wie struk­tu­rel­ler Art.

Die Autoren stel­len sich der Diskussion im Nordkolleg

Gestern Abend gab es in Schleswig-Holstein die Möglichkeit, den Kulturinfarkt zu the­ra­pie­ren. Zwei der Autoren, Stephan Opitz und Dieter Haselbach stell­ten sich den kri­ti­schen Fragen der Kulturredakteure Christoph Munk (Kieler Nachrichten) und Michael Stitz (SHZ). Opitz und Haselbach zeig­ten sich von den hef­ti­gen Reaktionen über­rascht. Ihnen, so Haselbach, sei es dar­um gegan­gen, einen Diskussionsprozess anzu­sto­ßen. Am Anfang des Gespräches ging es nur dar­um, ob Stil und Umfang der Präsentation der Thesen nicht etwas über­di­men­sio­niert gewe­sen sei­en. Insgesamt wur­de fest­ge­stellt, dass nach gut einer Woche die Debatten sach­li­cher wur­den. Das Buch, so Michael Stitz, habe doch auf einer ana­ly­ti­schen Ebene in eine bis­her sehr emo­tio­nal geführ­te Debatte ein­ge­grif­fen. Die Frage sei doch, was man nun kon­kret aus der Analyse, was man nun aus den Thesen zu ler­nen habe. Sowohl Opitz als auch Haselbach wie­sen dar­auf­hin, wie knapp doch die öffent­li­chen Mittel für die Kultur sei­en, da wäre es kaum mög­lich, den Status quo im Bestand zu erhal­ten – und zwar auf hohem Niveau. Das Buch, so Stephan Opitz, sei ein Versuch, mit dem Finanzproblem, vor dem die öffent­li­che Hand zwei­fel­los ste­he, fer­tig­zu­wer­den und dabei die Haushälter nicht allein zu las­sen. Das Verhältnis der Kultur zu ihrer eige­nen wirt­schaft­li­chen Seite gel­te es zu ent­span­nen, ergänz­te Dieter Haselbach. Christoph Munk kri­ti­sier­te, die Autoren blie­ben die Antworten schul­dig. Das aller­dings, erwi­der­te Opitz, kön­ne man ange­sichts der unter­schied­li­chen Bedingungen im gan­zen Land gar nicht leis­ten. Indikatoren für mehr Geld sei­en ohne­dies nicht in Sicht. Wie sieht es denn mit Neubau des Theaters in Schleswig aus, regio­na­li­sier­ten die Diskutanten das Thema. Ist eine Finanzierung von Bau und Betrieb mög­lich und sinn­voll?

Munk sah im Buch die Künstler nicht genü­gend gewür­digt, er sehe deren Rolle nur dem Markt unter­wor­fen. Der Markt, ent­geg­ne­te ihm Dieter Haselbach, sei nicht so nega­tiv kon­no­tiert, wie die Frage insi­nu­ie­re. Kunst und Menschsein ist zutiefst mit­ein­an­der ver­bun­den, von daher, so Opitz, sei­en Künstler für die Gesellschaft zen­tral.

Das Gespräch, es dau­er­te über neun­zig Minuten, zeig­te, dass die Materie dif­fe­ren­zier­ter zu betrach­ten ist, als der Artikel im Spiegel sug­ge­rie­re. Insgesamt ver­lief die Diskussion sach­ge­recht, mit eini­gen Längen und – von Seiten des Publikums – Emotionalität. Fühlbar wur­de ein­mal mehr, wie viel Unsicherheit in der Beschäftigung mit dem Thema Zukunft der Kultur steckt.

Ideen sind da

Der Pauschalität und kate­go­ri­schen Äußerungen, mit denen die Autoren in ihren schrift­li­chen Äußerungen agie­ren, sind sicher dem pole­mi­schen Duktus geschul­det. Es gibt im Kulturbetrieb durch­aus gute und zukunfts­träch­ti­ge Ideen, oft gene­ra­tio­nell bedingt. Nicht über­all will man nur das „Mehr“ und häu­fig gibt es sinn­vol­le und inno­va­ti­ve Überlegungen, mit weni­ger Struktur mehr Qualität und Zuspruch zu errei­chen. Nicht zuletzt ist die Kundenorientierung bei vie­len Einrichtungen heut­zu­ta­ge selbst­ver­ständ­lich. Die kri­ti­schen Impulse kom­men eben nicht nur von außen, wie die Autoren behaup­ten.

Die sind nicht so offen­siv auf dem Markt wie der Kulturinfarkt, viel­leicht auch nicht so pro­fes­sio­nell ver­fasst, aber durch­aus weg­wei­send und mit kon­struk­ti­ven Ansätzen. Das Rendsburger Manifest bei­spiels­wei­se bringt eini­ge Ideen, wie bei uns im Land Schwerpunkte gesetzt wer­den könn­ten. Das ist posi­tiv for­mu­liert und spricht von Aufbau, nicht von Abbau. Dabei wer­den Posterioritäten nicht ver­schwie­gen, die gehö­ren zur Schwerpunktsetzung immer dazu. Außerdem ist nicht von der Hand zu wei­sen, dass es zwei­fel­los attrak­ti­ve und nach­fra­ge­ori­en­tier­te Kulturangebote geben kann, wie zum Beispiel das Kieler Theater seit Jahren unter Beweis stellt. Das angel­säch­si­sche Konzept eines Audience deve­lop­ment zeigt kon­struk­ti­ve Ansätze, wird aber im Buch lei­der nicht erwähnt (der kos­ten­freie Eintritt in die Museen der Insel gilt als Beispiel für das ver­zwei­fel­te Ringen nach Besuchern, ein Schuh wird frei­lich erst dar­aus, wenn man den frei­en Eintritt mit dem Konzept einer Bildung der mög­li­chen Kulturrezipienten ver­knüpft).

Thesen sind dazu da, sie zu dis­ku­tie­ren.

Die erwart­ba­re Apologetik der Kulturszene war, so wie sie erfolgt ist, lei­der eher eine Affirmation der Thesen als eine kri­ti­sche Auseinandersetzung. Zuspitzungen sind dafür da, dass man sie auf­greift, um ihren wah­ren Kernen her­aus zu schä­len. Das ist lei­der in vie­len Fällen nicht erfolgt. Gefragt ist jetzt kein Abbruchunternehmen, son­dern eine Reflexion der Analyse zum Aufbau einer akti­ven Kulturpolitik.

Die ein­zi­ge Kritik, die am Ende am Kulturinfarkt ver­fängt, ist doch die, dass Verwaltungsmenschen und PolitikerInnen, die wenig Ahnung und kei­nen Sensus für Kunstszene und Kulturpolitik haben, das Buch als Basis neh­men könn­ten, um jetzt erst recht Kürzungen ein­zu­for­dern. Schließlich haben ja Kulturleute die Thesen ver­fasst, und wenn die schon kri­tisch sind, dann darf man es von der Steuerungsseite her auch sein. Es wäre fatal, wenn das Buch, anstatt eine wirk­lich sub­stan­zi­el­le und nöti­ge Diskussion über die zukünf­ti­ge Gestaltung von Kulturpolitik und Kulturinvestitionen zu beför­dern, genau das Gegenteil bewirkt, näm­lich, dass man sich jetzt kei­ne inno­va­ti­ven Gedanken auf brei­ter Basis mehr macht, weil ja alles schon gesagt ist – und zwar von Fachleuten.

Insgesamt sind die Thesen des Kulturinfarkts ein guter Aufschlag zu einer not­wen­di­gen Diskussion, die eh in Zukunft durch eine immer stär­ker wer­den­de Digitalisierung befeu­ert wird. Wohin es dadurch geht, ist bis­her kaum abzu­se­hen. Die Beschäftigung damit wird span­nend – so span­nend, wie Kultur sein soll.

Von:

Dr. Martin Lätzel ist Theologe und Publizist. Er blogt zu bildungs- und kulturpolitischen Themen auf dem Bildungsweg.

Ein Gedanke zu “Reha oder das Ende? Der Kulturinfarkt in der Diskussion”:

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