Die Kieler Nachrichten hatten in der Donnerstagsausgabe Rüdiger Blaschke, Dozent für Staats- und Europarecht an der Verwaltungsakademie Bordesholm mit dem Hinweis zitiert, dass das erstmals in Schleswig-Holstein zur Geltung kommende Zählverfahren nach Sainte-Laguë ein anderes Ergebnis als das bisherige Verfahren nach d’Hondt geliefert habe.
Das Verfahren nach d’Hondt benachteiligt in der Tendenz kleinere Parteien zugunsten größerer. Das Verfahren nach Sainte-Laguë gewährleistet, dass es nicht zu irrationalen Abweichungen kommt. Wahlrecht.de versucht sich hier in einer anschaulichen Darstellung der verschiedenen Verfahren.
Nicht ganz so genau, dafür aber etwas plastischer ist dieser Screenshot, der das Schleswig-Holsteinische Ergebnis nach den Zählverfahren d’Hondt, Niemeyer und Hagenbach-Bischoff gegenüberstellt. Es handelt sich eine Bildschirmfoto des javascriptbasierten Rechners von Arndt Bruenner, der gegenüber den meisten anderen Mandaterechnern den Vorteil hat, dass die Methode der Berechnung mit einem Blick ins Javascript leicht nachzogen werden kann. Da dieser Rechner das Verfahren nach Sainte-Laguë nicht kennt – im Gegensatz zu unserem javascriptbasiertem Mandaterechner – habe ich das Schleswig-Holsteinische Ergebnis nachträglich rot eingefügt.
Zählt man die Stimmanteile von SPD, Grünen und SSW zusammen, dann ist deren Stimmanteil (48,2) größer als der von CDU, FDP und Piraten (47,2). Die Verteilung der Sitze nach Sainte-Laguë bewahrt dieses Verhältnis; d’Hondt (oder Hagenbach-Bischoff) hätte die Mehrheitsverhältnisse umgedreht. Der nächste Legitimitätsskandal wäre da gewesen. So aber hat schon die erste Wahl nach dem neuen Wahlgesetz gezeigt, dass es den Parteien gelungen ist, eine befriedigende Lösung zu finden.
Moin,
gibt es irgendwo auch die Möglichkeit auszurechnen, an wen die Ausgleichmandate gegangen wären, wenn die CDU 23 Wahlkreise und daher 1 Überhangmandat gewonnen hätte?
Moin Chris,
das ERSTE Überhangmandat wird in der Regel NICHT ausgeglichen…
Aber Du berührst da einen wunden Punkt:
Wenn jemand nun meinen würde, das neue (schwarz-gelbe…) LT-Wahlrecht hätte sich in dieser Wahl bewährt, dem möchte ich entgegenhalten: ja, aber nur sehr´knapp und nur mit sehr viel Glück.
Es ist nun mal ein Faktum, dass wir lernen müssen, mit 5 – 7 Parteien in den Parlamenten zu leben. Und mit rund 60% Stimmenanteilen, die sich auf die beiden „großen” Parteien verteilen — und nicht mehr 80 – 90% wie Anno Dunnemals.
Wenn man jetzt also immer noch meint, 51% der Sitze über Direktmandate vergeben zu können, dann provoziert man einfach Überhangmandate, die ja wohl allgemein als unerwünscht zu gelten haben.
Wie gesagt: diesmal ist uns das knapp erspart geblieben, vor allem Dank zweier überraschender SPD-Wahlkreis-Ergebnisse (in OH-Nord und Hzm. Lbg.-Süd). Aber beim nächsten Mal kann das wieder ganz schnell anders aussehen.
Mein Wunsch oder Tipp also:
Runter auf 1/3 Direktmandate, wenn man denn meint, dass die überhaupt sein müssen.
Liebe Grüße aus Addis,
Maddin =:-)
> Runter auf 1/3 Direktmandate, wenn man denn meint, dass die überhaupt sein müssen.
Da wäre ich dabei, zumal ich die enge Verknüpfung mit dem Wahlkreisen nicht sehe. MdL Göttsch, der in der letzten Legislaturperiode zweimal im Landtag redete, dazu zwei Presseerklärungen veröffentlichte und bei zwei Anträgen als Antragsteller firmierte, bezeichnet sich auf seiner Webseite als „Sprachrohr der Region im Kieler Landtag” und wurde von den Wähler gewählt. Das legt für mich den Verdacht nahe, dass man in einem Wahlkreis erfolgreich sein kann, ohne eine Personifizierung von Politik zu betreiben.
Moin Maddin,
danke für Deine Antwort. Ja am Anfang des Wahlabends hieß es 12 SPD-Direktmandate, was ein Überhangmandat für die CDU bedeutet hätte, schön, dass es 13 geworden sind.
Jemand sagte uns allerdings in der Wahlnacht im Brustton der Überzeugung, dass es bei einem Überhangmandat zwei Ausgleichsmandate gäbe. Hast Du eine Ahnung, worauf das basieren könnte?
Grüße aus Südholstein
Chris
Sorry,
hab grad nochmal nachgelesen: § 3 Absatz 5 Satz 3 Wahlgesetz S-H. Demnach darf es nur UNGERADE besetzte Landtage geben.
Für jedes Überhangmandat gibt es also mindestens EIN Ausgleichsmandat, sonst haben wir ja einen Landtag mit einer geraden Anzahl an Abgeordneten.
Daraufhin habe ich das Ergebnis nochmal ein bisschen durchgerechnet.
Bei der gegebenen Zweitstimmenzahl hätte sich der Landtag bei Überhangmandaten der CDU wie folgt vergrößert:
CDU 23 –> + 1 SPD (23) –> Landtag 71 Abgeordnete,
CDU 24 –> + 1 SSW (4) –> Landtag 73 Abgeordnete,
also keine aufregende Mehrheitsverschiebung bis hier.
Aber dann wird’s spannend:
CDU 25 –> + 1 SPD(24) + 1 FDP(7) + 1 Piraten(7) –> Landtag 77;
und damit keine Regierungsmehrheit mehr für rot/grün/dänisch
(24+10+4=38 77/2).
Es war also doch immerhin noch ein klein wenig mehr „Luft” nach oben, als ich zunächst dachte.
Liebe Grüße,
Maddin =:-)
> Daraufhin habe ich das Ergebnis nochmal ein bisschen durchgerechnet
Könntest Du mal sagen, wie Du das errechnest bzw. wie „man” das korrekt errechnet. Ich stelle mit das so vor:
Gegeben ist, dass die CDU vier Überhangsmandate hat, also einen Anspruch nicht auf 22 sondern auf 26 Sitze hat.
Ich erhöhe im Mandaterechner des Landesblogs die Anzahl der zu vergebenden Sitze schrittweise solange, bis die CDU auf 26 Sitze kommt (Dazu müssten ich die 69 Sitze, die aktuelle fix verdrahtet sind, als Eingabefeld umfummeln). Hat die CDU 26 und es kommt (durch die Anzahl der Ausgeichmandate) im Ergebnis zu einer geraden Zahl, dann erhält die nächste noch nicht berücksichtigte Höchstzahl einen zusätzlicher Sitz (§ 3 Absatz 5). Um das an unserem Mandaterechner „erspielen” zu können, müssten wir die Höchstzahlen einblenden.
Richtig?
Danke.
Wahrscheinlich wurden hier Überhang- und Ausgleichmandat zusammengerechnet (die Person sprach ja ausdrücklich von zwei Ausgleichsmandaten). Denn mit drei zusätzlichen Mandaten hätte wir einen Landtag mit einer geraden Anzahl von Sitzen gehabt.
Wobei der letzte Wahlkreis, der noch ausstand, der von Martin Habersaat war und eigentlich kein Grund zur Sorge bestand, zumal auch Glinde (der Ort, von dem bis tief in die Nacht nur Ergebnisse von 13 von 14 Wahlbezirken vorlagen) eher als rot gilt. Aber Deine Rechnung zeigt ja jetzt, dass selbst bei einem Überhangmandat die Schleswig-Holstein-Ampel ihre Mehrheit behalten hätte.
Liebe Grüße
Chris
Richtig kaputt wird es dann, wenn man die Liste weiter fortsetzt:
CDU 26 –> + 1 Grüne (11) + 2 (sic!) SPD (26) –> Landtag 81:
und plötzlich ist die Regierungsmehrheit wieder da!
Das lässt sich dann wirklich nur noch mit dem verfassungsfeindlichen „negativen Stimmgewicht” erklären. Und alles nur, weil man einen Landtag verhindern will, der in gerader Abgeordnetenzahl besetzt ist…
*kopfschüttel*
CDU 27 –> + 1 SPD (27) –> Landtag 83 (bleibt rot/grün/SSW);
CDU 28 –> + 1 Grüne (12) –> Landtag 85 (auch noch rot/grün/SSW);
CDU 29 –> +1 SPD(28) +1 FDP(8) +1 Piraten (8) –> Landtag 89,
und wieder wäre die Regierungsmehrheit dahin.
Man sieht: es ist ein lustiges Hin und Her mit den natürlicherweise auftretenden Rundungsungenauigkeiten. Und bei einer potentiell auftretenden Nachwahl in einem Wahlkreis könnte es gut den sogenannten „DRESDEN-Effekt” geben, der ja das Bundesverfassungsgericht von der Existenz des „negativen Stimmgewichts” überzeugt hat: dass nämlich eine Partei zur Nichtwahl eines eigenen Direktkandidaten aufruft, um negative Ergebnisse für die Gesamtmandate der eigenen Partei bzw. Koalition zu vermeiden.
Das war und ist verfassungswidrig.
Ergo:
Bitte nacharbeiten, werte Damen und Herren Gesetzgeber!!!
Moin,
wenn ich das Wahlgesetz richtig verstehe, gibt es eine Nachwahl nur beim Tode eines Bewerbers oder einer Bewerberin VOR der Wahl, und eine Ersatzwahl nur beim Ausscheiden aus dem Landtag eines Abgeordneten oder einer Abgeordneten ohne Parteizugehörigkeit. Aber vielleicht habe ich da etwas übersehen.
Übrigens finde ich den Begriff „Regierungsmehrheit” gut. Die Schleswig-Holstein-Ampel muss sich auch sprachlich von der grundsätzlich anderen Situation mit der Ein-Stimmen-Mehrheit von 2005 absetzen, und deutlich machen, dass die “Totalopposition” eben nur 28 Sitze hat.
„Der nächste Legitimitätsskandal wäre da gewesen.”
Na ja. Bei mehr als 2 Parteien kann mathematisch kein Zählverfahren dieser Welt bei jeder Konstellation die Mehrheitsverhältnisse bewahren.
Wenn etwa der SSW 1% weniger bekommen hätte und diese Stimmen gleichmäßig bei FDP und Piraten gelandet wären, hätte sich die Sitzverteilung nicht verändert. Dann hätten SPD/Grüne/SSW mit 47,2% eine Parlamentsmehrheit gegen 48,2% bekommen.
Ein Skandal wäre das nicht. Ebensowenig wie die Tatsache, dass unser Wahlgesetz einer 48%-Minderheit zu einer parlamentarischen Mehrheit verhilft. Es ist unbestreitbar, dass die 5%-Hürde den Wählerwillen wesentlich stärker verfälscht, als es ein D’Hondt-Verfahren oder auch ein Überhangmandat täte.
Letztlich hat fast jedes Wahlrecht Elemente, die eine „ungerechte” Repräsentanz des Volkes herbeiführen, zur Erleichterung von parlamentarischen Mehrheiten.
In Griechenland bekommt die stärkste Partei einfach noch einmal 50 Sitze on top.
Selbst ein Mehrheitswahlrecht wie in Frankreich oder Großbritannien ist nicht per se undemokratisch oder skandalös.
Und ein unausgeglichenes Überhangmandat ist es als kleine Reminiszenz an ein Mehrheitswahlrecht auch nicht.
> Wenn etwa der SSW 1% weniger bekommen hätte und diese Stimmen gleichmäßig bei FDP und Piraten gelandet wären …
Stimmt. Ich hatte ein wenig gespielt und war anscheinend zu grob mit den Verteilung vorgegangen. Bei mir kam stets ein Wechsel der Sitzzahl.
> Und ein unausgeglichenes Überhangmandat ist es als kleine Reminiszenz an ein Mehrheitswahlrecht auch nicht
Das sah das Verfassungsgericht aber anders, wenn ich mich richtig erinnere. Die hielten es zwar nicht für skandalös, aber einen Ausgleich für nötig um dem Grundsatz der Wahlgleichheit zu genügen.