Es ist kompliziert

Von | 22. Mai 2012

Den 21. Mai hat die UNESCO zum Tag der inter­kul­tu­rel­len Vielfalt bestimmt. Der Deutsche Kulturrat hat die Initiative auf­ge­grif­fen und den bun­des­wei­ten Aktionstag „Kultur gut stär­ken“ ins Leben geru­fen. Thema in die­sem Jahr war der „Wert der Kreativität.“ Das Kulturforum Schleswig-Holstein, die Kulturpolitische Gesellschaft im Land und der Landeskulturverband luden anläss­lich der Aktion ges­tern (21. Mai) zu einem Vortrag mit Wolfgang Thierse (SPD) und Johanna Wanka, der nie­der­säch­si­schen Ministerin für Wissenschaft und Kultur, in die Sparkassenakademie Schleswig-Holstein.
Wir brau­chen, so die Vorsitzender der Kulturpolitischen Gesellschaft Jutta Johannsen zu Beginn der Veranstaltung, „eine inten­si­ve und kon­struk­ti­ve Diskussion über den Wert von Kultur in unse­rer Gesellschaft“. Dem soll­ten Vortrag und Austausch an die­sem Abend die­nen. Wanka kam krank­heits­be­dingt nicht nach Kiel. So blieb es an Wolfgang Thierse, zum Thema zu spre­chen.

Der Wert der Kreativität, sag­te der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, sei für das Leben sub­stan­zi­ell und also kön­ne man Kunst und Kultur nicht allein der Industrie (sprich: Kulturwirtschaft) über­las­sen. Er sei davon über­zeugt, dass Kulturförderung eine Investition in die Zukunft sei. Das Ausspielen von öffent­li­cher Kulturförderung gegen die freie Szene wür­de eher zu einer Konfliktverschärfung füh­ren als zu zukunfts­wei­sen­den Lösungen. Dass die­se not­wen­dig sei­en, dar­in ließ Thierse kei­nen Zweifel. Ja, es gäbe begrenz­te finan­zi­el­le Ressourcen, und die sei­en sinn­voll ein­zu­set­zen. Kultur kön­ne per se aller­dings nicht gewinn­brin­gend im öko­no­mi­schen Sinn sein. Andererseits stel­le sie einen gesell­schaft­li­chen Gewinn dar. Die kul­tu­rel­le Infrastruktur sei, so Thierse, der größ­te Reichtum Deutschlands. Kultur und Kreativität trü­gen zur gesell­schaft­li­chen Selbstreflexion bei, gera­de ange­sichts wach­sen­der Pluralität und Heterogenität.

Den Verheißungen der Kreativwirtschaft wol­le er aller­dings nicht blind­lings glau­ben. Ein gro­ßer Anteil davon ent­fal­le auf den Bereich von Was-mit-Medien, wäh­rend der „tra­di­tio­nel­le“ Kulturbereich star­ke Probleme zei­ge. Ein Großteil der Kultur ver­wirk­li­che sich in „pre­kä­ren Kleinstbetrieben“. Viele Künstler ver­dien­ten zu wenig, um Leben und Kunst zu finan­zie­ren. Ein krea­ti­ves Wachstum gebe es nur dann zu gene­rie­ren, wenn inves­ti­ve Anreize vor­han­den sei­en. Hier ver­hal­te sich die Kultur ähn­lich wie die Wirtschaft. Dafür sei es aber wich­tig, so Thierse, Maßstäbe zu for­mu­lie­ren. Genau das sei die ori­gi­nä­re Aufgabe der Kulturpolitik. „Wir müs­sen immer gute Gründe fin­den“, sag­te Thierse und for­der­te Inhalte ein. „Finanzielle und tra­di­tio­nel­le Gründe rei­chen nicht aus.“ In der Verantwortung des Staates lie­ge es, die Freiheit der Kultur dort zu ermög­li­chen, wo die zivil­ge­sell­schaft­li­che Decke nicht aus­rei­chend sein. In der Krise der öffent­li­chen Finanzen sieht der SPD-Politiker eine Chance, ein­ge­fah­re­ne Strukturen auf­zu­bre­chen. Der Weg in eine Zukunft, in der Kultur gut gestärkt sei, füh­re über den öffent­li­chen Diskurs zu Wert und Rahmenbedingungen für Kreativität.

„Kulturpolitik ist die Verteidigung der Freiheit“, sag­te Wolfgang Thierse mit eini­gem Pathos. Und: „Kulturpolitik ist hand­lungs­ori­en­tier­te Kommunikation mit dem Ziel wert­be­grün­den­der Entscheidungen.“ Dass hie­ße jedoch, sich über Schwerpunksetzungen und die Ausrichtung von Kulturpolitik zu ver­stän­di­gen. Man müs­se sich den Schwierigkeiten – hier nann­te der Vorsitzende des Kulturforums der Sozialdemokratie expli­zit „Schrumpfungsprozesse“ – stel­len und sie dis­ku­tie­ren.

Dem will der inter­es­sier­te und kul­tu­raf­fi­ne Zuhörer ger­ne bei­pflich­ten. Wenn es nicht das Aber gäbe. Im Auditorium in der Sparkassenakademie waren inter­es­sier­te Bürgerinnen und Bürger, dazu vie­le Aktive aus der Kulturszene. Wie aber soll man den not­wen­di­gen Streit füh­ren, wenn man unter sich bleibt? Anders gesagt: Wo sind die Personen aus Kultur und Politik, um über den Wert von Kreativität zu spre­chen? Wo sind die Räume, in denen man einen kon­struk­ti­ven und inno­va­ti­ven Diskurs ange­sichts man­geln­der finan­zi­el­ler Ressourcen füh­ren kann? Wann, wenn nicht jetzt?

Hierin liegt die eigent­li­che Herausforderung. Als posi­ti­ves Beispiel nann­te Thierse einen von der Landesregierung in Sachsen-Anhalt initi­ier­ten Kulturkonvent. Er böte ein Forum, sich über Zukunft und Ziele im gemein­sa­men Gespräch von Kultur und Politik zu ver­ge­wis­sern. Ob man einen sol­chen Prozess nun Kulturkonvent, Kulturdialog oder Gottorfer Prozess nennt, ist einer­lei. Wichtig ist, dass wir Foren brau­chen, in denen Politik, Kultur, Künstlerinnen und Künstler, Bürgerinnen und Bürger gemein­sam dar­um rin­gen, wel­che Ermöglichungsräume die Kultur in unse­rer Gesellschaft braucht und wel­che Räume von Kultur unse­re Gesellschaft benö­tigt.

Themen gibt es zur Genüge. Wie kann es bei­spiels­wei­se gelin­gen, kul­tu­rel­le Exklusion zu ver­hin­dern? Wie kann die kul­tu­rel­le Bildung gestärkt wer­den? Die sozia­le Selektivität von Kultur hat sich in den ver­gan­ge­nen drei­ßig Jahren kaum geän­dert, kon­ze­diert auch Thierse. Die Analyse stimmt. Wie aber kann die Theorie zur Praxis wer­den – und zwar bei Berücksichtigung vie­ler Meinungen und Blickwinkel?

Hierzulande wird in die­sen Tagen ein Koalitionsvertrag ver­han­delt. Da bie­tet sich doch eine ein­ma­li­ge Chance, den Kairos der aktu­el­len Kulturdiskussionen beim Schopfe zu packen, Ideen für die Zukunft der Kultur in Schleswig-Holstein zu ent­wi­ckeln und breit ange­leg­te Dialoge zu begin­nen. Bis dahin bleibt der Beziehungsstand zwi­schen Politik und Kultur in Schleswig-Holstein ein­ge­stellt auf: Es ist kom­pli­ziert.

Von:

Dr. Martin Lätzel ist Theologe und Publizist. Er blogt zu bildungs- und kulturpolitischen Themen auf dem Bildungsweg.

3 Gedanken zu “Es ist kompliziert”:

  1. Dirk Mirow

    Ein Dank an Martin Lätzel für den sehr guten Beitrag. Ich möch­te ergän­zen, dass Wolfgang Thierse sich auch kurz zur lan­des­po­li­ti­schen Situation ein­ge­las­sen hat und den nur 0.3-%igen Anteil von Kulturausgaben am Landeshaushalt — Schleswig-Holstein ist damit das Schlusslicht unter den Bundesländern — als „Skandal” bezeich­ne­te.

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  2. Swen Wacker

    0,3 Prozent. Da ist die Zahl schon wie­der. Ich las (hör­te) die Zahl neu­lich hier: http://www.dradio.de/download/162904/

    Genau so sieht das auch der Vorsitzende des Landeskulturverbandes, Rolf Teucher. Im Jahr 2000 lag der Anteil der Kulturausgaben am Gesamthaushalt des Landes noch bei knapp einem Prozent — seit­her ging es steil berg­ab, immer wie­der wur­de gekürzt.

    „Alle Ausgaben des Landes, die der­zeit für Kultur flie­ßen im Landeshaushalt, machen genau 0,3 % des Haushalts aus.”

    Ich ken­ne die Entwicklung der Kulturausgaben des Landes 1985 – 2007 aus die­sen bei­de klei­nen Anfragen http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl16/drucks/0000/drucksache-16 – 0048.pdf und http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl16/drucks/1600/drucksache-16 – 1687.pdf
    sowie die (eben­falls grot­ten­schlech­ten aber mit den o.g. Zahlen nicht über­ein­stim­men­den) Zahlen aus dem Kulturfinanzbericht 2010 (http://www.statistikportal.de/statistik-portal/kulturfinanzbericht_2010.pdf) Tabelle2-3 – 3

    Gibt es irgend­wo aktu­el­le­re Zahlen?

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  3. ThiloP

    Das was Thierse sag­te scheint mir doch total wider­sprüch­lich zu sein. Zum einen lehnt er die Ökonomisierung von Kultur ab, spricht dann aber wohl von „Investition in die Zukunft”, „Kreativwirtschaft”. Oder „Ein krea­ti­ves Wachstum gebe es nur dann zu gene­rie­ren, wenn inves­ti­ve Anreize vor­han­den sei­en. Hier ver­hal­te sich die Kultur ähn­lich wie die Wirtschaft.”

    Das ist eine furcht­ba­re voll­kom­men durch­öko­no­mi­sier­te Sprache, bei der dann Kultur zwar nicht total dem Markt über­las­sen wird, aber im Grunde voll­kom­men in deren Denken ver­haf­tet ist. Da ist der nächs­te Schritt nicht mehr fern, der in der Politik ja bereits gegan­gen wur­de, näm­lich Kultur zu einem rei­nen Standortfaktor zu degra­die­ren. Demnach ist die Kultur wert­voll, die Menschen in eine Region holt. Diese trägt dann nach unmit­tel­bar aber mit­tel­bar zu mehr Wirtschaftswachstum bei.

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