Memo aus Manhattan

Von | 4. Oktober 2016
Spaziergänger im Central Park

Wer glaubt, Kiel und New York City hät­ten wenig gemein­sam, der irrt. Die bes­ten Zeiten lie­gen je gut 100 Jahre zurück, der Strukturwandel hat bei­den ästhe­tisch eini­ges abver­langt, die Infrastruktur hält nur schwer­lich Schritt. Nicht zuletzt lie­gen bei­de stra­te­gisch ide­al, gut geschützt am Meer und was den New Yorkern Coney Island, ist den Kielerinnen und Kielern Schilksee.

Coney Island und Schilksee

Kaum ein Ort auf der Welt hat so vie­le gespro­che­ne Sprachen auf einem Raum. Die ZEIT hat jüngst auf­ge­schrie­ben, dass von den 6.000 Sprachen welt­weit etwa 800 in New York City gespro­chen wer­den. Es ist erst weni­ge Generationen her, dass Menschen von über­all auf­ge­bro­chen sind, um in den USA ihr Glück zu (ver)suchen. Manche von ihnen auf der Flucht vor Krieg, ande­re vor den an sie gestell­ten Erwartungen (etwa wie der Vater Bauer zu wer­den), ande­re aus schie­rer Abenteuerlust, wie­der ande­re mit unter­neh­me­ri­schen Hoffnungen.

All sie eint, dass sie viel auf sich genom­men haben, eine lan­ge Reise unter­nom­men haben und nicht sicher sein konn­ten, es in den USA zu etwas Besserem zu brin­gen. Sie ein­te aber auch der Wille und der Glaube, etwas (mehr) aus ihrem Leben machen zu kön­nen.

Wenn heu­te Schleswig-Holstein neue Mitbürger will­kom­men heißt, dann liegt dar­in eben­so eine Chance, wie 1946, als mei­ne Großeltern als Flüchtlinge ins nörd­lichs­te Bundesland kamen (eine offi­zi­el­le Aufarbeitung fin­det sich in „Das Flüchtlingsgeschehen in Schleswig-Holstein infol­ge des 2. Weltkriegs im Spiegel der amt­li­chen Statistik“, Kiel 1974). Auch sie waren sich nicht sicher, ob sie es schaf­fen wür­den, auch sie wur­den nicht mit offe­nen Armen emp­fan­gen. Aber sie hat­ten eine Reise hin­ter sich, deren Strapazen sich loh­nen soll­ten. Sie wuss­ten, dass sie aus ihrem Leben etwas machen woll­ten.

Little Italy und Trappenkamp

Wir leben zwar im schöns­ten Bundesland der Welt, aber nie­mand wird behaup­ten, es sei das Land der unbe­grenz­ten Möglichkeiten. Ein Vergleich mit den USA muss des­halb schief gehen. Aber was New York als Anlaufpunkt für Einwanderer und als offe­ne Handelsstadt angeht, gibt es Ähnlichkeiten zu Kiel und Lübeck, natür­lich erst recht zu Hamburg. Wer heu­te durch New York City geht und die vie­len ver­schie­de­nen Sprachen auf der Straße und den Plätzen der Stadt hört, wer durch Little Italy oder Chinatown geht, der spürt die Vielfalt. In nord­deut­schen Städten ent­spricht das den Danziger-, Stettiner-, und Breslauer Straßen oder Flüchtlingsorten wie Trappenkamp.

Der Bundespräsident hat in sei­ner Rede zum Tag der Deutschen Einheit ges­tern dar­auf hin­ge­wie­sen, wie eng unse­re Geschichte ver­bun­den ist mit der Flüchtlingssituation in Syrien. Allein nach dem 2. Weltkrieg sind ca. eine hal­be Million Neu-Schleswig-Holsteiner zu uns gekom­men, vie­le von ihnen sind geblie­ben. Wenn wir heu­te auf die USA schau­en, dann benei­den wir sie zwar um ihre Einfach-machen-Attitüde, die der deut­schen Gründlichkeit oft ent­ge­gen zu ste­hen scheint. Wir schau­en aber auch mit Sorge auf die sozia­len Spannungen.

„If you can make it here…“

In New York spürt man, mit wel­cher Ehrfurcht Zugezogene gleich wel­cher (sozia­len, geo­gra­phi­schen, …) Herkunft von der Herausforderung spre­chen, „to make it here“. Vielleicht sind sich New York und grö­ße­re Städte wie Kiel und Lübeck gar nicht so unähn­lich und wir müs­sen uns nur häu­fi­ger dar­an erin­nern, dass auch wir ein Volk von Zugezogenen sind. Die alle etwas Starthilfe brauch­ten.

Philipp Neuenfeldt
Von:

Philipp leitet seit Anfang 2018 das Ministerbüro im Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus Schleswig-Holstein. Der gebürtige Schleswig-Holsteiner war zuvor Leiter des Online-Wahlkampfs des FDP-Landesverbandes zur Bundestagswahl und sechs Jahre für eine politische Kommunikationsberatung tätig, zuletzt als Associate Director. Zuvor hat er als Forenleiter Veranstaltungen für die Friedrich-Naumann-Stiftung konzipiert, organisiert und moderiert. Philipp hat sein Studium an der CAU Kiel mit einem Magister in Lesen-Denken-Schreiben abgeschlossen und ist stolzer Vater zweier Kieler Sprotten und Altenholzer Neubürger.

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