Die da oben – Stegner trifft Martin Schulz

Von | 15. November 2016
Martin Schulz in Kiel zu Gast bei "Stegner trifft..."

Hätte er einen Wunsch frei, würde EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kurzfristig eine gemeinsame europäische Steuerpolitik realisieren. Foto: panama

In sei­ner Talkreihe „Stegner trifft…“ lädt sich der SPD-Landesvorsitzende pro­mi­nen­te Gäste nach Schleswig-Holstein zum locker mode­rier­ten Gespräch vor Publikum. Für den Tag nach der US-Präsidentschaftswahl hat­te sich Dr. Ralf Stegner bewusst mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in Kiel ver­ab­re­det. Zum Start in den abend­li­chen Talk lie­fer­ten die bei­den vor gut 400 Gästen ihre Kommentare zum Wahlausgang ab. Später wur­de es per­sön­li­cher.

Gestartet sei er damit vor zehn Jahren, gibt Ralf Stegners Pressesprecherin zur Auskunft, mitt­ler­wei­le fän­den drei bis vier Veranstaltungen die­ser Art pro Jahr an wech­seln­den Orten statt. So kam im Juni Gregor Gysi zum Gespräch nach Bordesholm in das Savoy. Im Februar traf Ralf Stegner im Lübecker Hansemuseum den Spiegel-Journalisten Jan Fleischhauer. Für Mitte Februar 2017 sei das nächs­te Treffen im Hamburger Umland geplant.

Mit wem oder wo genau, wer­de jeweils bei­zei­ten über Plakate, Social Media und auf der per­sön­li­chen Webseite von Ralf Stegner sowie der des SPD-Landesverbandes öffent­lich bekannt gege­ben. Damit neben den Mitgliedern und ihren Angehörigen auch Interessierte unab­hän­gig von ihrer Parteizugehörigkeit Gelegenheit bekom­men, sich für eine Teilnahme anzu­mel­den. Denn das muss man. Am Eingang der Schulmensa vom Regionalen Bildungszentrum Wirtschaft in Kiel fan­den Einlasskontrollen statt. Die Veranstaltung mit den bei­den SPD-Spitzenpolitikern war Tage zuvor bereits aus­ge­bucht. Per Livestream ließ sie sich aber noch übers Internet ver­fol­gen.

Politik und Persönliches

Zum Format gehört, dass neben poli­ti­schen Themen auch Privates auf der Bühne zur Sprache kommt. Mit ihren Fragen nach der Smartphone-Nutzung, nach Buchtipps oder der durch­schnitt­li­chen Schlafdauer ziel­te Moderatorin Nina Wonerow (Radio Hamburg) dar­auf ab, die Spitzenpolitiker von poli­ti­scher Rhetorik mit Statements zu CETA, der Türkei, dem Brexit usw. weg­zu­len­ken, die so oder im ähn­li­chen Wortlaut viel­fach in den Medien zu ver­neh­men gewe­sen sind. Denn bei­läu­fi­ges Ziel die­ser Veranstaltungsreihe ist, Vorurteile über Politiker abzu­bau­en — über „die da oben“, die alle gleich ticken wür­den und sich um Sorgen der Bevölkerung nicht küm­mer­ten.

Wortmeldekarten

Auf jedem Publikumsplatz ein Meldekärtchen — die Moderatorin las am Ende aus­ge­wähl­te Beiträge vor

Kann das gelin­gen? Wenn Martin Schulz über die Bufo cala­mi­ta aus sei­nem Garten spricht, die Kreuzkröte, deren Foto er im Handy hat, fühlt sich das kurz an wie beim Smalltalk am Gartenzaun. Doch das täuscht. Er wie auch Stegner besit­zen mäch­tig viel Einfluss. Um den zu behal­ten, sind sie per­ma­nent auf Achse und sel­ten vor 22 Uhr daheim. Schlaf erhal­ten sie in homöo­pa­ti­schen Dosen. Ihr Harmoniebedürfnis beschrän­ken sie auf Familie und Freunde (so Stegner) ansons­ten gilt per­ma­nent: Streitbar sein! Was das heißt, stell­te Martin Schulz spon­tan zur Schau, indem er einen wüten­den Zwischenruf rou­ti­niert fak­ten­reich parier­te.

Mein Fazit

Spannender als einen mode­rier­ten Talk fän­de ich einen direk­ten Dialog, ohne Zäsur durch Fragen eines Journalisten. Denn die oder der notiert sich auf sei­nen Kärtchen vor­ab nur Themen, die das Internet per Suchmaschine wie­der­gibt, also bereits ver­öf­fent­lich­te. Dagegen könn­te sich zwi­schen Ralf Stegner und sei­nem jewei­li­gen Gast im direk­ten Gespräch mit­ein­an­der ein Gesprächsfaden ent­wi­ckeln, der über­ra­schen­de, viel­leicht unbe­kann­te Wege nimmt. So bekä­me das Publikum die Chance, etwas über die Beziehung der bei­den Gesprächspartner zuein­an­der erfah­ren.

Für mich jeden­falls gehör­te der Ausflug in die Wallonie zu den inter­es­san­tes­ten Momenten des Abends. Sein Wohnhaus, eröff­ne­te Martin Schulz, läge nur fünf­zehn Kilometer ent­fernt vor der Grenze zu der bel­gi­schen Region, die das Ceta-Abkommen blo­ckiert hät­te. Deren Ministerpräsidenten Paul Magnette wür­de er gut ken­nen. Bei ihrem Parteikonvent Anfang September in Wolfsburg hat­te die SPD dar­über bera­ten, wie sie zum Freihandelsabkommen steht. Als beson­ders hei­kel galt der dar­in ent­hal­te­ne Investorenschutz. Daraufhin hät­ten sich ihre Parteifreunde aus der Wallonie „das Wolfsburger Papier von Ralf und mir” (Schulz) vor­ge­nom­men. Das Ergebnis ken­nen wir: Unter Ausschöpfen ihrer demo­kra­ti­schen Möglichkeiten blo­ckier­te die Region den Vertragsabschluss und erreich­te damit im Sinne von Millionen Bürgerinnen und Bürgern Europas weit­rei­chen­de Verbesserungen.

Bonusmaterial — die Buchtipps von Martin Schulz
  1. Karl Dietrich Bracher: „Die Auflösung der Weimarer Republik”.
  2. Juli Zeh: „Unterleuten”.
  3. Tomasi di Lampedusa: „Der Leopard”.
  4. Alle 72 Maigret-Romane von Georges Simenon.
Videoaufzeichnung der Veranstaltung
panama
Von:

das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 30 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews - www.panama-sh.com.

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