Datenschützer fordern: Facebook-Fanpage abschalten

Von | 19. August 2011

Nach den Abschalten der Atomkraftwerke sind jetzt die Fanpages bei Facebook dran: Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz (ULD) hat heu­te „alle Stellen in Schleswig-Holsteinper Presseerklärung auf­ge­for­dert, ihre Fanpages bei Facebook zu löschen und Social-Plugins wie den „Gefällt mir“-Button auf ihren Webseiten zu ent­fer­nen. Diese Facebook-Dienste geben näm­lich Verkehrs- und Inhaltsdaten in die USA wei­ter. Zudem fin­de eine „qua­li­fi­zier­te Rückmeldung“ an den Betreiber über die Nutzung des Angebots, eine soge­nann­te „Reichweitenanalyse“, statt (die Begriffe „tracking“ oder „aus­hor­chen“ pas­sen auch). Die Behörde des streit­ba­ren schles­wig-hol­stei­ni­schen Datenschützers Thilo Weichert fin­det nun, dass dies gegen die ein­schlä­gi­gen schles­wig-hol­stei­ni­schen, deut­schen und euro­päi­schen Datenschutznormen ver­sto­ße, da die Facebook-Nutzer nicht aus­rei­chend hier­über infor­miert wür­den und ihnen kein Wahlrecht zuge­stan­den wer­de.

Mehrere Mitarbeiter des ULD haben die tech­nisch beleg­te und recht­lich begrün­de­te Auffassung auf dem heu­te (19. August) und mor­gen (20. August) in Kiel statt­fin­den­den BarCamp Kiel in einer Session offen­siv ver­tre­ten. Jens Matheuszik vom Pottblog hat dar­über nicht nur aus­führ­lich berich­tet son­dern auch Dr. Moritz Karg vom ULD dazu inter­viewt:

 

Kieler Reaktionen unterschiedlich 

Die Fraktion im Kieler Landtag reagier­ten unter­schied­lich:

Der medi­en­po­li­ti­sche Sprecher der Grünen, Thorsten Fürther, zeig­te sich alar­miert über die tech­ni­sche und recht­li­che Bewertung des ULD , for­der­te jedoch „dif­fe­ren­zier­te und maß­vol­le“ Konsequenzen: Die Forderung sei rich­tig im Hinblick auf alle öffent­li­chen Betreiber sol­cher Seiten. Privaten Betreibern von Fanseiten Bußgelder von bis zu 50.000 Euro anzu­dro­hen, sei aber der fal­sche Weg: „Die Problematik muss für die­se anders gelöst wer­den. Hier ist die Politik der rich­ti­ge Adressat, um sich für den Schutz der Persönlichkeitsrechte der NutzerInnen im Internet auf inter­na­tio­na­ler Ebene ein­zu­set­zen.“ 

Der medi­en­po­li­ti­sche Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Peter Eichstädt, will die Einwände des Landesdatenschutzbeauftragten, den er eine „beson­ders sen­si­ble Instanz in Sachen Datenschutz“ nann­te, ernst neh­men, fin­det aller­dings, das zunächst nicht mit hohen Geldstrafen zu dro­hen sei, son­dern „auf Aufklärung und wei­te­re Förderung der Medienkompetenz“ gesetzt wer­den sol­le.

Auch Dr. Michael von Abercron, daten­schutz­po­li­ti­scher Sprecher der CDU-Fraktion, begrüßt die Initiative Weicherts, hält aber nicht viel von den Bußgeldern: „Bevor über Bußgeldverfahren gere­det wer­de, sol­le aller­dings nach einem recht­lich sau­be­ren Weg gesucht wer­den, der vor jede Datenweitergabe den Erlaubnisvorbehalt des Nutzers stel­le“. Er wider­sprach auch der Forderung der Grünen nach einer unter­schied­li­chen Behandlung von öffent­li­chen Betreibern und ande­ren: „Die Vernetzung über sozia­le Netzwerke ist heu­te ein uner­läss­li­ches Mittel der Informationsarbeit – auch und gera­de für öffent­li­che Einrichtungen. Es wäre nicht im öffent­li­chen Interesse, wenn Privatpersonen, Medien, Konzerne und Lobbygruppen sich wei­ter­hin über sozia­le Medien ver­net­zen und aus­tau­schen kön­nen und öffent­li­che Betreiber außen vor sind. Dann wird Politik im wahrs­ten Sinne des Wortes zum ‚clo­sed shop’“. Der CDU-Abgeordnete setzt auf den Markt: „Die Konkurrenz im Bereich der sozia­len Netzwerke ist durch­aus da. Datenschutz wird dann zum Wettbewerbsvorteil“.

Ingrid Brand-Hückstädt, medi­en­po­li­ti­sche Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, fand die Hinweise des ULD inter­es­sant, die Drohungen aber über­zo­gen: „Ich bin erstaunt über die for­sche Ankündigung des Datenschutzbeauftragten Dr. Thilo Weichert. Gegen schles­wig-hol­stei­ni­sche Webseitenbetreiber ord­nungs­recht­lich vor­ge­hen zu wol­len, soll­ten die­se ihre Fanpages oder die soge­nann­ten ‚Social-Plugins’ nicht ent­fer­nen, erscheint mir zum jet­zi­gen Zeitpunkt unver­hält­nis­mä­ßig.”

Die Vorsitzende der SSW-Landtagsfraktion, Anke Spoorendonk fin­det es gut, dass Thilo Weichert ein „beson­ders enga­gier­ter Datenschutzbeauftragter“ sei, der den „infor­ma­ti­ons­hung­ri­gen Internetkonzernen wie Facebook und Google genau auf die Finger schaut. Mit sei­nem heu­ti­gen Paukenschlag hat Thilo Weichert auf jeden Fall dafür gesorgt, dass die Schattenseite die­ses klei­nen unauf­fäl­li­gen „Gefällt mir“-Knopfs und der Facebook-Fanseiten mög­lichst vie­len Menschen bewusst wird. Ob nun ein dra­ko­ni­sches Bußgeld oder ande­re Maßnahmen am bes­ten geeig­net sind, der­ar­ti­gen Datenmissbrauch zu ver­mei­den, wer­den wir im zustän­di­gen Innenausschuss des Landtages noch näher erör­tern müs­sen“.

Und nun?

Ich bin mir sicher, das Thilo Weichert ein­fach nur sei­nen Job macht: Er inter­pre­tiert vor­han­de­ne Gesetze und zieht dar­aus die Konsequenzen, die er als Behörde zu zie­hen hat. Wo es Ermessenspielräume gibt, wer­den die­se im Zweifel gericht­lich geklärt wer­den. Die Kritik ist nicht an ihm zu üben. 

Politik hin­ge­gen soll­te sich Gedanken über die Gesetze als sol­che machen. Global agie­ren­den Unternehmen, deren Standort „Erde“ ist, mit loka­len oder regio­na­len Rechtsvorschriften bei­kom­men zu wol­len, die „dort über den Wolken“, wo Facebook oder Google agie­ren, nicht durch­ge­setzt wer­den kön­nen, ist Unfug. So nach­voll­zieh­bar die Taktik Weicherts ist, so glaub­haft die tech­ni­schen Analyse ist, so sehr ich ihm recht geben möch­te in der recht­li­chen Bewertung – es bleibt ein scha­ler Nachgeschmack.

Denn letzt­lich führt er das Recht ad absur­dum: Von drölf abge­schal­te­ten Facebook-Plugin in Schleswig-Holstein mer­ken sol­che Konzerne nichts. Das erin­nert eher an die nach Australien rei­sen­den Ameisen in dem Gedicht von Joachim Ringelnatz. Wenn es noch eines Beispiels gebraucht hät­te, dass die Durchsetzung von Datenschutzrecht in die­sen Dimensionen nicht auf regio­na­ler, nicht ein­mal auf staat­li­cher (da ver­sagt die Bundesministerin Aigner seit Monaten auf gan­zer Linie), son­dern auf euro­päi­scher Ebene zu erfol­gen hat, dann brach­te es der heu­ti­ge Tag.

Der gelack­mei­er­te ist also allein der schles­wig-hol­stei­ni­sche Blogger oder Kleinunternehmer, wäh­rend in irgend­wel­chen Konzernzentralen nie­mand nur ein Kratzen wahr­nimmt.

Ich muss mit dem Landesblog kein Geld ver­die­nen. Wenn ich 360 Leser weni­ger am Tag habe, dann geht mei­ne Welt nicht unter. Was aber der Sinn sein soll, wenn ich zukünf­tig auf die Artikel mei­nes Blogs halt nicht mehr über eine Fanpage son­dern über mei­nen pri­va­ten Account hin­wei­se, dass kapie­re ich nicht. Und reicht es alter­na­tiv, wenn ich das Weichertsche Revier ver­las­se und mei­nen Erstwohnsitz nach Lüneburg ver­le­ge?
Nein, ein Recht, das an einer immer weni­ger in Zweifel gezo­ge­nen, geleb­ten Realität vor­bei geht, ver­liert an Strahlkraft. Kai Biermann ver­gleicht das in einem lesens­wer­ten Analyse in der Zeit mit der Post, die uns zu Olims Zeiten die Modems ver­bot.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

5 Gedanken zu “Datenschützer fordern: Facebook-Fanpage abschalten”:

  1. Chräcker

    Jup, 99% sehe ich genau­so. Allerdings emp­fin­de ich auch immer einen etwas scha­len Beigeschmack bei der Formel: Gesetze nach geleb­te Realität. Wenn ich dabei noch vor ein paar Jahren auf mei­nen Atomstrom geschielt habe, aus mei­ner PET-Flasche trin­ke und abends mein Mastviehsteak esse, erle­be ich eine Menge geleb­te Realität, wo etwas loka­le Sperrigkeit ja auch nicht so falsch wären. Auch unab­hän­gig davon, das es Global kei­nen jucken wür­de, wenn wir da hier­zu­lan­de etwas sper­ri­ger wären.

    ABER: ich gehe beim Datenschutz hier in der Tat auch eher in des Artikels Gedankenrichtung. Und vor allem in der Formel: nicht den Interpretateuren des Gesetztes ist ein Vorwurf zu machen und kei­ne Behörde ver­bie­tet „plötz­lich” etwas gelieb­tes, son­dern man muß beim Gesetz anpa­cken und natür­lich beim „Strafvervolgungs-Ermessensspielraum” bei, wenn es denn wirk­lich so ist, loka­lem Übertreten sel­bi­ger Regeln durch Privatpersonen.

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    1. Kai Dolgner

      Natürlich muss der Gesetzgeber auf die Durchsetzbarkeit und Durchführbarkeit eines Gesetzes ach­ten und ggf. anpas­sen, beson­ders wenn sich Gesellschaft und Technik wei­ter­ent­wi­ckelt hat. Sonst macht er sich lächer­lich (Sendezeiten im Internet(!)) oder er ver­sucht im mit immer stär­ke­ren Einschränkungen zu reagie­ren um das ursprüng­li­che zu schüt­zen­de Gut (Jugendschutz) zu ver­tei­di­gen (Netzsperren). Wer etwas lokal oder glo­bal „sper­ren” oder ver­bie­ten möch­te (Mastviehsteak), wird um stär­ke­re Kontrollen und Überwachung nicht her­um­kom­men, die umso klein­tei­li­ger sind, je lokal begrenz­ter die „Ächtung” sein soll. Stärkere Kontrollen bedin­gen aber auch immer, dass ich Unbeteiligte beläs­ti­ge oder sie sogar in ihren Freiheitsrechten ein­schrän­ke. Deshalb ist der „Ruf nach dem Gesetzgeber” immer sehr ambi­va­lent.

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      1. Chräcker

        Ja. Sehe ich auch so. Nur des­we­gen möch­te ich unger­ne auf zwei der drei Gewalten ver­zich­ten, nur weil uns ein Gesetz nicht behagt. Dann müs­sen wir das Gesetz und die Regel ändern. Sonst wird das alles belie­big.

        Auch woll­te ich kein Plädoyer für „Gesetze für alle Eventualitäten” hal­ten mit mei­nen Beispielen, son­dern nur von der Formel weg kom­men, die im Internet oft ange­wen­det wird wenn es gera­de so rein passt: es ist längst eta­blier­ter Standard und inter­na­tio­nal so üblich und daher nicht mehr weg zu den­ken, auch wenn wir natio­nal es anders machen wür­den. => das ist mir als Bewertungsgrunformel dann doch zu wenig.

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  2. Kevin Kamionka

    Hallo Swen, hast du zufäl­lig noch eine Diaspora Einladung?

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