Der Sozialdemokrat Torsten Albig möchte Ministerpräsident in Schleswig-Holstein werden. Dass er der richtige Kandidat ist, davon hat er seine Partei in einem parteiinternen Wahlkampf überzeugt. Er lehnte sich gegen den Landes- und Fraktionsvorsitzenden der SPD in Schleswig-Holstein, Ralf Stegner auf und deklassierte ihn und zwei weitere Kandidaten in einer Mitgliederbefragung klar: 57 Prozent der Genossen stimmten für den amtierenden Kieler Oberbürgermeister, lediglich 32 Prozent für Stegner.
Solche Entscheidungen sind nicht monokausal. Es wurde nicht nur „für Albig“ sondern auch „gegen Stegner“ gestimmt. Dennoch schasste er nicht – wie es viele erwarteten, das unterlegene Alphatier Stegner, sondern überließ ihm den Landesvorsitz.
Ralf Stegner allein tritt in der alltäglichen Öffentlichkeitsarbeit der SPD auf. Albig konzentriert sich auf gelegentliche Pressekonferenzen eher allgemeiner Natur und auf Zukunftsgespräche und einen Bürgerparteitag als bürgernahe Elemente eines Demokratiesommers. Er tourt wie die Spitzenkandidaten der anderen Parteien – zu nennen sind da besonders sein direkter Konkurrent um das Amt des Ministerpräsidenten, der CDU-Mann Jost de Jager, und der stets präsente Frontmann der Grünen, Robert Habeck – von Kreisbauern- zu Gewerkschaftstagen. Ab und an gibt es Veranstaltungen, die jenseits von den bekannten Alltagsproblemen der Landespolitik das „große Ganze“ ins Auge fassen.
Solche Veranstaltungen gehen in der Medienlandschaft Schleswig-Holstein leider unter. Am 21. November zum Beispiel war Frau Prof. Dr. Gesine Schwan in Kiel zu Gast. Die angesehene Politikwissenschaftlerin und querköpfige Sozialdemokratin diskutierte mit Torsten Albig im Kieler Wissenschaftszentrum über „Gutes Regieren“. Das Thema ist dem SPD-Spitzenkandidat wichtig. Er hat dazu ein Diskussionspapier geschrieben, das der Aufhänger für das öffentliche Gespräch zwischen dem aufstrebenden 48-Jährigen Politiker und der nonkonformistischen Genossin war. Die mediale Aufmerksamkeit war mau: Über die Veranstaltung – mit 300 Besuchern gut besucht, nicht jeder konnte hineingelassen werden – gab es, wenn ich es recht überblicke, nicht einen einzigen Bericht (auch hier im Landesblog nicht).
Über zwei Petitessen jedoch wurde breit berichtet: Der folgenlose Wurf eines Stücks Torte von einer namenlosen Person auf Torsten Albig – mittlerweile sogar bei Wikipedia zu finden. Und der Umstand, dass der SPD-Landesverband ein Videomitschnitt der Veranstaltung zunächst auf einer Webseite veröffentlichte, die vor dem Beginn des Videos Werbung einblendet – das dort beworbene Computerspiel ist „frei ab 16“; so eine Werbung darf aber natürlich nicht sein für eine Wahlentscheidung, die frei ab 18 ist.
Es ist natürlich nicht falsch, über solche Nebenereignisse zu berichten. Es ist natürlich auch nicht falsch, über den Inhalt der Veranstaltungen nicht berichten. So etwas birgt aber immer auch die Gefahr, dass ein unvollständiges Bild von unserem Land entsteht. Dabei bin ich mir sicher, dass es genügend interessierte Leserinnen und Leser in Schleswig-Holstein gibt, die sich auch über solche Veranstaltungen auseinandersetzen wollen.
Gutes Regieren
Das Video der Veranstaltung gibt es mittlerweile, werbefrei, bei Youtube zu sehen. 72 Aufrufe verzeichnet es bislang (Stand: 12.12.2011). Vielleicht muss ich über den letzten Satz einen Absatz höher doch noch mal nachdenken. Die Broschüre (auch werbefrei) kann man hier lesen oder herunterladen. Da ich bei der Veranstaltung nicht dabei sein konnte, habe mir ich das Video angesehen und die Broschüre gelesen. Gründlich, hoffe ich.
Gutes Regieren. Dafür braucht es, steht in der Broschüre, Vertrauen (der Bürger in ihre Regierung). Das heißt beteiligen (das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern im ganzen Land suchen). Das verlangt ein offenes politisches Klima (zwischen den Parteien und den Fraktionen). Dazu ist eine effiziente, transparente und inspirierende Verwaltung nötig. Das soll den Politikstil von Torsten Albig bilden.
Politiker, sagte er im Wissenschaftszentrum, beteiligen nicht, hören nicht zu, fragen nicht nach. Sie umgeben sich mit einem Nimbus der schnellen harten Entscheidungen. Die Wählerinnen, die Bürger werden zu Zuschauern degradiert, die Politik wendet sich ihnen nicht (mehr?) mit Vertrauen zu. Torsten Albig will das anders machen. Er will das Gespräch suchen. Er will es aushalten, wenn eine Entscheidung dauert, weil man vorher mit den Beteiligten spricht, ihnen zuhört, sie ernst nimmt — und dann entscheidet. Und er hat kein Problem damit, zu bekennen, dass er mitnichten für alle Weltenprobleme der Experte sei.
Da mag man nicht widersprechen, so flauschig wie das daher kommt. Frau Professor Schwan ist eine höfliche Frau. Wenn sie ein „aber“ formuliert „Ich glaube nicht, dass man damit Vertrauen gewinnen kann, wenn man jetzt offen zugibt, man könne nicht alles. Das kann man eine Weile tun, aber dann hört man: ‚Ja, aber nun musst Du entscheiden. Wir haben Dich doch dafür gewählt, dass Du was machst‘“, dann hört sich sogar die Kritik höflich an.
Frau Schwan findet, dass, wer als Politiker Vertrauen gewinnen will, Wahrhaftigkeit, Kompetenz und Gerechtigkeit braucht. Wobei (politische) Kompetenz für sie dabei nicht vermeintliches Expertentum ist („man muss nicht die Sozialversicherungsgesetzgebung runterbeten können“) sondern die Fähigkeit, die politischen, also strittigen (und auch machtpolitisch bedeutenden) Fragen zu verstehen — und Perspektiven zu benennen. Und dann die Menschen unter dieser Perspektive zusammenzubringen. Auch sie verlangt von der Politik, dass sie Hilfe von der Gesellschaft annimmt, wobei das für sie nicht die in der Broschüre von Torsten Albig erwähnten Bürgerinnen und Bürger sind, sondern Meinungsballungspunkte wie die organisierte Zivilgesellschaft und die Wirtschaftsunternehmen.
Es bringt Spaß, dieser klugen Frau zuzuhören. Da nimmt man sogar die leider stets mäandernden, manchmal sogar völlig wirren Fragen des Moderators in Kauf, der mit seinen Fragen die beiden Diskutanten nicht nur einmal ratlos zurückließ. Schade, dadurch gingen spannende Aspekte wie die Verantwortung der Medien oder die Begrifflichkeit von Transparenz verloren, wurden nur angerissen.
Solche Veranstaltungen sind wichtig. Auch Videoaufnahmen davon, damit man sich manches nochmal in Ruhe ein zweites Mal anhören kann. Und dann ist man ein wenig klüger und glaubt ein wenig zu verstehen, was im Wahlkampf der SPD gerade mächtig schief läuft.
Hic Rhodus, hic salta!
Am Ende der Veranstaltung, als, längst überfällig, das Publikum eingezogen wurde, wurde lebensnah nachgefragt. Zu den Vorgärten in der Kieler Feldstraße zum Beispiel, ein Fanal des Versagens bisheriger Politik, mitten in der Stadt des Oberbürgermeisters.
Die Verwaltung will seit den 50er oder 60er Jahren die Straße verbreiten. Eigentlich weiß das auch jeder oder könnte das auch jeder wissen. „Per Anhalter durch die Galaxis“ lässt grüßen. Aber irgendwie hat es keiner mehr so richtig gewusst oder wissen wollen. Als die Bäume auf der anderen Straßenseite schon mal gefällt wurden und das Tiefbauamt die Anwohner in Vorverkaufsgespräche verwickelte, da fühlen sich alle getäuscht. Immerhin: Die Verwaltung focht es nicht durch, sondern schreckte und zog den Antrag zurück. Jetzt will man erstmal miteinander reden. Es lief also genau so, wie es der Kieler Oberbürgermeister als Ministerpräsident nicht machen will und wie er es zukünftig machen will.
Nur: damit gewinnt man keinen Wahlkampf.
Die Wähler wollen nicht nur wissen, dass jemand den Dialog schätzt. Zumal das kein Alleindarstellungsmerkmal des SPD-Kandidaten ist. Auch der Mitbewerber von der CDU schätzt den Dialog. Und die Grünen sowieso. Und alle anderen auch.
Das Wahlvolk kann bislang nicht erkennen, dass jemand ein in Kiel erfolgreich praktiziertes politisches Tun auf das Land übertragen möchte. Und es will sowieso nicht einen Oberbürgermeister sondern einen Ministerpräsidenten wählen. Und der ist nun mal qua Amt nicht der Kommunen größter Kumpel.
Außerdem, wie Frau Schwan schwante: Die Wählerinnen und Wähler wollen Perspektive sehen. Wo soll es hingehen? Was sind die Wegmarken dorthin? Dass auf dem Weg in die Zukunft mit uns geredet wird, dass wir uns einbringen können – gebongt, das haben wir jetzt alle begriffen. Das glauben wir. Das können wir abhaken. Jetzt kommt das Kapitel: Wie geht es weiter.
Auf Dauer wird es nicht reichen, den Ministerpräsidentenkandidaten der SPD in präsidialer Pose durch das Land ziehen zu lassen und den Tag über den Nichtministerpräsidentenkandidaten in gewohnter Manier und Lautstärke zu hören.
Zu wissen, dass Torsten Albig verbal nicht rumkeilt, dass er nicht auf Krawall gebürstet ist und dass er auf die Menschen zugeht: das reißt niemandem vom Hocker. Auch weil er so ist, gab man ihm in der SPD den Vorzug vor Stegner. Wahlkampf geht aber anders, Wahlkampf ist mehr – da reicht es nicht, für seine Person, seine Partei und sein Land zu werben.
Wahrhaftigkeit, Kompetenz und Gerechtigkeit, die von Frau Schwan genannten Tugenden, da werden die Kandidaten sich nichts nehmen.
Was fehlt, was den Unterschied macht, ist die Perspektive. Kommunizieren wollen kann kein Selbstzweck sein. Von dem Ministerpräsidentenkandidaten will man auch Ziele hören. Was soll nach dem Wahltag passieren? Wo stehen die Eckpfeiler? Was bleibt? Was fällt weg? Wofür steht eine SPD unter Torsten Albig? Wie sieht das Koordinatensystem für die nächsten Jahre aus? Was soll am Ende der Legislaturperiode das Ergebnis sein? Das will man von dem wissen, der für lange fünf Jahre das oberste Leitungs-, Entscheidungs- und Vollzugsorgan der vollziehenden Gewalt bekleiden möchte. Bislang ist da nur diffuses zu hören.
Wenn da nichts kommt – und zwar schnell, dann wird es nicht reichen. Der Hinweis, es sei ja noch Zeit, ist trügerisch. Denn hat sich erst mal das Ruf des Zögerers und Zauderers, den netten aber unverbindlichen Herrn Albig verfestigt, dann kriegt man den nicht so leicht weg. Und man darf sich dann auch nicht wundern, wenn sich die Anderen im Mai zum Spielen verabreden, ohne einen zu fragen.
Diffuses war und ist zu hören von Herrn Albig. Und diffus bleibt seine Linie auch in anderen Fragen: Man beobachte den aktuellen Schlingerkurs zum Glücksspielgesetz, das Stegner wieder kassieren will, während Albig und andere Genossen sich bemühen, Steuer-Einnahmen und Sponosorengelder durch Ansiedlung der Glücksspielbranche nach Schleswig-Holstein zu holen:
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/s-h_magazin/media/shmag13301.html Stringente Politik sieht wohl anders aus.