Torsten Albig: Wo bleibt die Perspektive?

Von | 13. Dezember 2011

Der Sozialdemokrat Torsten Albig möch­te Ministerpräsident in Schleswig-Holstein wer­den. Dass er der rich­ti­ge Kandidat ist, davon hat er sei­ne Partei in einem par­tei­in­ter­nen Wahlkampf über­zeugt. Er lehn­te sich gegen den Landes- und Fraktionsvorsitzenden der SPD in Schleswig-Holstein, Ralf Stegner auf und deklas­sier­te ihn und zwei wei­te­re Kandidaten in einer Mitgliederbefragung klar: 57 Prozent der Genossen stimm­ten für den amtie­ren­den Kieler Oberbürgermeister, ledig­lich 32 Prozent für Stegner.

Solche Entscheidungen sind nicht mono­kau­sal. Es wur­de nicht nur „für Albig“ son­dern auch „gegen Stegner“ gestimmt. Dennoch schass­te er nicht – wie es vie­le erwar­te­ten, das unter­le­ge­ne Alphatier Stegner, son­dern über­ließ ihm den Landesvorsitz.

Ralf Stegner allein tritt in der all­täg­li­chen Öffentlichkeitsarbeit der SPD auf. Albig kon­zen­triert sich auf gele­gent­li­che Pressekonferenzen eher all­ge­mei­ner Natur und auf Zukunftsgespräche und einen Bürgerparteitag als bür­ger­na­he Elemente eines Demokratiesommers. Er tourt wie die Spitzenkandidaten der ande­ren Parteien – zu nen­nen sind da beson­ders sein direk­ter Konkurrent um das Amt des Ministerpräsidenten, der CDU-Mann Jost de Jager, und der stets prä­sen­te Frontmann der Grünen, Robert Habeck – von Kreisbauern- zu Gewerkschaftstagen. Ab und an gibt es Veranstaltungen, die jen­seits von den bekann­ten Alltagsproblemen der Landespolitik das „gro­ße Ganze“ ins Auge fas­sen.

Solche Veranstaltungen gehen in der Medienlandschaft Schleswig-Holstein lei­der unter. Am 21. November zum Beispiel war Frau Prof. Dr. Gesine Schwan in Kiel zu Gast. Die ange­se­he­ne Politikwissenschaftlerin und quer­köp­fi­ge Sozialdemokratin dis­ku­tier­te mit Torsten Albig im Kieler Wissenschaftszentrum über „Gutes Regieren“. Das Thema ist dem SPD-Spitzenkandidat wich­tig. Er hat dazu ein Diskussionspapier geschrie­ben, das der Aufhänger für das öffent­li­che Gespräch zwi­schen dem auf­stre­ben­den 48-Jährigen Politiker und der non­kon­for­mis­ti­schen Genossin war. Die media­le Aufmerksamkeit war mau: Über die Veranstaltung – mit 300 Besuchern gut besucht, nicht jeder konn­te hin­ein­ge­las­sen wer­den – gab es, wenn ich es recht über­bli­cke, nicht einen ein­zi­gen Bericht (auch hier im Landesblog nicht).

Über zwei Petitessen jedoch wur­de breit berich­tet: Der fol­gen­lo­se Wurf eines Stücks Torte von einer namen­lo­sen Person auf Torsten Albig – mitt­ler­wei­le sogar bei Wikipedia zu fin­den. Und der Umstand, dass der SPD-Landesverband ein Videomitschnitt der Veranstaltung zunächst auf einer Webseite ver­öf­fent­lich­te, die vor dem Beginn des Videos Werbung ein­blen­det – das dort bewor­be­ne Computerspiel ist „frei ab 16“; so eine Werbung darf aber natür­lich nicht sein für eine Wahlentscheidung, die frei ab 18 ist.

Es ist natür­lich nicht falsch, über sol­che Nebenereignisse zu berich­ten. Es ist natür­lich auch nicht falsch, über den Inhalt der Veranstaltungen nicht berich­ten. So etwas birgt aber immer auch die Gefahr, dass ein unvoll­stän­di­ges Bild von unse­rem Land ent­steht. Dabei bin ich mir sicher, dass es genü­gend inter­es­sier­te Leserinnen und Leser in Schleswig-Holstein gibt, die sich auch über sol­che Veranstaltungen aus­ein­an­der­set­zen wol­len.

Gutes Regieren

Das Video der Veranstaltung gibt es mitt­ler­wei­le, wer­be­frei, bei Youtube zu sehen. 72 Aufrufe ver­zeich­net es bis­lang (Stand: 12.12.2011). Vielleicht muss ich über den letz­ten Satz einen Absatz höher doch noch mal nach­den­ken. Die Broschüre (auch wer­be­frei) kann man hier lesen oder her­un­ter­la­den. Da ich bei der Veranstaltung nicht dabei sein konn­te, habe mir ich das Video ange­se­hen und die Broschüre gele­sen. Gründlich, hof­fe ich.

Gutes Regieren. Dafür braucht es, steht in der Broschüre, Vertrauen (der Bürger in ihre Regierung). Das heißt betei­li­gen (das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern im gan­zen Land suchen). Das ver­langt ein offe­nes poli­ti­sches Klima (zwi­schen den Parteien und den Fraktionen). Dazu ist eine effi­zi­en­te, trans­pa­ren­te und inspi­rie­ren­de Verwaltung nötig. Das soll den Politikstil von Torsten Albig bil­den.

Politiker, sag­te er im Wissenschaftszentrum, betei­li­gen nicht, hören nicht zu, fra­gen nicht nach. Sie umge­ben sich mit einem Nimbus der schnel­len har­ten Entscheidungen. Die Wählerinnen, die Bürger wer­den zu Zuschauern degra­diert, die Politik wen­det sich ihnen nicht (mehr?) mit Vertrauen zu. Torsten Albig will das anders machen. Er will das Gespräch suchen. Er will es aus­hal­ten, wenn eine Entscheidung dau­ert, weil man vor­her mit den Beteiligten spricht, ihnen zuhört, sie ernst nimmt — und dann ent­schei­det. Und er hat kein Problem damit, zu beken­nen, dass er mit­nich­ten für alle Weltenprobleme der Experte sei.

Da mag man nicht wider­spre­chen, so flau­schig wie das daher kommt. Frau Professor Schwan ist eine höf­li­che Frau. Wenn sie ein „aber“ for­mu­liert „Ich glau­be nicht, dass man damit Vertrauen gewin­nen kann, wenn man jetzt offen zugibt, man kön­ne nicht alles. Das kann man eine Weile tun, aber dann hört man: ‚Ja, aber nun musst Du ent­schei­den. Wir haben Dich doch dafür gewählt, dass Du was machst‘“, dann hört sich sogar die Kritik höf­lich an.

Frau Schwan fin­det, dass, wer als Politiker Vertrauen gewin­nen will, Wahrhaftigkeit, Kompetenz und Gerechtigkeit braucht. Wobei (poli­ti­sche) Kompetenz für sie dabei nicht ver­meint­li­ches Expertentum ist („man muss nicht die Sozialversicherungsgesetzgebung run­ter­be­ten kön­nen“) son­dern die Fähigkeit, die poli­ti­schen, also strit­ti­gen (und auch macht­po­li­tisch bedeu­ten­den) Fragen zu ver­ste­hen — und Perspektiven zu benen­nen. Und dann die Menschen unter die­ser Perspektive zusam­men­zu­brin­gen. Auch sie ver­langt von der Politik, dass sie Hilfe von der Gesellschaft annimmt, wobei das für sie nicht die in der Broschüre von Torsten Albig erwähn­ten Bürgerinnen und Bürger sind, son­dern Meinungsballungspunkte wie die orga­ni­sier­te Zivilgesellschaft und die Wirtschaftsunternehmen.

Es bringt Spaß, die­ser klu­gen Frau zuzu­hö­ren. Da nimmt man sogar die lei­der stets mäan­dern­den, manch­mal sogar völ­lig wir­ren Fragen des Moderators in Kauf, der mit sei­nen Fragen die bei­den Diskutanten nicht nur ein­mal rat­los zurück­ließ. Schade, dadurch gin­gen span­nen­de Aspekte wie die Verantwortung der Medien oder die Begrifflichkeit von Transparenz ver­lo­ren, wur­den nur ange­ris­sen.

Solche Veranstaltungen sind wich­tig. Auch Videoaufnahmen davon, damit man sich man­ches noch­mal in Ruhe ein zwei­tes Mal anhö­ren kann. Und dann ist man ein wenig klü­ger und glaubt ein wenig zu ver­ste­hen, was im Wahlkampf der SPD gera­de mäch­tig schief läuft.

Hic Rhodus, hic salta!

Am Ende der Veranstaltung, als, längst über­fäl­lig, das Publikum ein­ge­zo­gen wur­de, wur­de lebens­nah nach­ge­fragt. Zu den Vorgärten in der Kieler Feldstraße zum Beispiel, ein Fanal des Versagens bis­he­ri­ger Politik, mit­ten in der Stadt des Oberbürgermeisters.
Die Verwaltung will seit den 50er oder 60er Jahren die Straße ver­brei­ten. Eigentlich weiß das auch jeder oder könn­te das auch jeder wis­sen. „Per Anhalter durch die Galaxis“ lässt grü­ßen. Aber irgend­wie hat es kei­ner mehr so rich­tig gewusst oder wis­sen wol­len. Als die Bäume auf der ande­ren Straßenseite schon mal gefällt wur­den und das Tiefbauamt die Anwohner in Vorverkaufsgespräche ver­wi­ckel­te, da füh­len sich alle getäuscht. Immerhin: Die Verwaltung focht es nicht durch, son­dern schreck­te und zog den Antrag zurück. Jetzt will man erst­mal mit­ein­an­der reden. Es lief also genau so, wie es der Kieler Oberbürgermeister als Ministerpräsident nicht machen will und wie er es zukünf­tig machen will.

Nur: damit gewinnt man kei­nen Wahlkampf.
Die Wähler wol­len nicht nur wis­sen, dass jemand den Dialog schätzt. Zumal das kein Alleindarstellungsmerkmal des SPD-Kandidaten ist. Auch der Mitbewerber von der CDU schätzt den Dialog. Und die Grünen sowie­so. Und alle ande­ren auch. 

Das Wahlvolk kann bis­lang nicht erken­nen, dass jemand ein in Kiel erfolg­reich prak­ti­zier­tes poli­ti­sches Tun auf das Land über­tra­gen möch­te. Und es will sowie­so nicht einen Oberbürgermeister son­dern einen Ministerpräsidenten wäh­len. Und der ist nun mal qua Amt nicht der Kommunen größ­ter Kumpel.
Außerdem, wie Frau Schwan schwan­te: Die Wählerinnen und Wähler wol­len Perspektive sehen. Wo soll es hin­ge­hen? Was sind die Wegmarken dort­hin? Dass auf dem Weg in die Zukunft mit uns gere­det wird, dass wir uns ein­brin­gen kön­nen – gebongt, das haben wir jetzt alle begrif­fen. Das glau­ben wir. Das kön­nen wir abha­ken. Jetzt kommt das Kapitel: Wie geht es wei­ter.

Auf Dauer wird es nicht rei­chen, den Ministerpräsidentenkandidaten der SPD in prä­si­dia­ler Pose durch das Land zie­hen zu las­sen und den Tag über den Nichtministerpräsidentenkandidaten in gewohn­ter Manier und Lautstärke zu hören.

Zu wis­sen, dass Torsten Albig ver­bal nicht rum­keilt, dass er nicht auf Krawall gebürs­tet ist und dass er auf die Menschen zugeht: das reißt nie­man­dem vom Hocker. Auch weil er so ist, gab man ihm in der SPD den Vorzug vor Stegner. Wahlkampf geht aber anders, Wahlkampf ist mehr – da reicht es nicht, für sei­ne Person, sei­ne Partei und sein Land zu wer­ben.

Wahrhaftigkeit, Kompetenz und Gerechtigkeit, die von Frau Schwan genann­ten Tugenden, da wer­den die Kandidaten sich nichts neh­men.
Was fehlt, was den Unterschied macht, ist die Perspektive. Kommunizieren wol­len kann kein Selbstzweck sein. Von dem Ministerpräsidentenkandidaten will man auch Ziele hören. Was soll nach dem Wahltag pas­sie­ren? Wo ste­hen die Eckpfeiler? Was bleibt? Was fällt weg? Wofür steht eine SPD unter Torsten Albig? Wie sieht das Koordinatensystem für die nächs­ten Jahre aus? Was soll am Ende der Legislaturperiode das Ergebnis sein? Das will man von dem wis­sen, der für lan­ge fünf Jahre das obers­te Leitungs-, Entscheidungs- und Vollzugsorgan der voll­zie­hen­den Gewalt beklei­den möch­te. Bislang ist da nur dif­fu­ses zu hören.

Wenn da nichts kommt – und zwar schnell, dann wird es nicht rei­chen. Der Hinweis, es sei ja noch Zeit, ist trü­ge­risch. Denn hat sich erst mal das Ruf des Zögerers und Zauderers, den net­ten aber unver­bind­li­chen Herrn Albig ver­fes­tigt, dann kriegt man den nicht so leicht weg. Und man darf sich dann auch nicht wun­dern, wenn sich die Anderen im Mai zum Spielen ver­ab­re­den, ohne einen zu fra­gen.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

Ein Gedanke zu “Torsten Albig: Wo bleibt die Perspektive?”:

  1. Fabian Fermer

    Diffuses war und ist zu hören von Herrn Albig. Und dif­fus bleibt sei­ne Linie auch in ande­ren Fragen: Man beob­ach­te den aktu­el­len Schlingerkurs zum Glücksspielgesetz, das Stegner wie­der kas­sie­ren will, wäh­rend Albig und ande­re Genossen sich bemü­hen, Steuer-Einnahmen und Sponosorengelder durch Ansiedlung der Glücksspielbranche nach Schleswig-Holstein zu holen:
    http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/s-h_magazin/media/shmag13301.html Stringente Politik sieht wohl anders aus.

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