Gestern (10. Januar) hat der Parteirat der Schleswig-Holsteinischen Grünen den Ausstieg aus seinem Facebook-Engagement beschlossen. Aus Teilnehmerkreisen ist zu hören, dass der (nicht unumstrittene) Beschluss sich nicht nur auf die Fanseite des Landesvorstandes bezieht: Die Kreis- und Ortverbände der Partei und die Landtagskandidatinnen und -kandidaten sollen gebeten werden, sich entsprechend zu verhalten. Vollständig zurückziehen will man sich aber anscheinend nicht: Private Profile und Gruppen sollen weiter möglich sein.
Der Landesverband der Grünen hatte Ende September, als sich der Streit zwischen dem Schleswig-Holsteinischen Datenschützer (und Grünen) Thilo Weichert und Facebook zuspitze, ihre Fanpage „bestreikt“. Sie forderten „einen besseren Datenschutz bei Facebook“ und wollten ihre Seite „einen Monat lang nicht mehr nutzen“.
Schleswig-Holsteins Piraten, die sich nach den letzten Umfragen durchaus Chancen ausrechnen dürfen, in den nächsten Kieler Landtag einziehen zu können, haben schon Anfang Oktober 2011 aus datenschutzrechtlichen Gründen Facebook den Rücken zugekehrt: Sie stellten den Betrieb ihrer Facebook-Fanpage ein und begründeten dies mit mangelndem Datenschutz und Nutzerrechten, die ihnen wichtiger sind als die Vorteile sozialer Netzwerke im Wahlkampf. Als Alternative erwogen die politischen Newcomer das soziale Netzwerk Diaspora, das sich durch seinen dezentralen, datenschutzfreundlichen und offenen Charakter auszeichnet.
Der SSW hatte, so schrieb deren Fraktionsvorsitzende Anke Spoorendonk im Oktober in einem Artikel im Landesblog, auf den Konflikt zwischen dem Kieler Datenschützer Thilo Weichert und Facebook „damit reagiert, dass wir eine bereits erstellte Facebook-Fanpage der Partei vorerst nicht online gestellt haben.“
SPD, CDU, Linke und FDP sind weiterhin aktiv. Ich hatte über das Engagement der Parteien erst vor ein paar Tagen im Landesblog berichtet.
Ob Facebook nun gut oder schlecht ist, darüber kann man sich nicht wirklich streiten: Für mich ist Facebook „broken by design“. Mein Unbehagen an Facebook mache ich dabei nicht am Datenschutz fest, sondern an dem prinzipiellen Verstoß gegen eine der Säulen des World Wide Web: Universalität ist das grundliegende Design des Webs. Landespolitiker, aber auch Pressesprecher, Öffentlichkeitsarbeiter und engagierte Unterstützer der Fraktionen und Parteien führen bei Facebook zunehmend auch politische Diskurse. Diese sind allerdings nur scheinbar „öffentlich“ (obwohl den Protagonisten durchaus daran gelegen wäre), denn sie finden in einer Umgebung statt, die nur dem komplett zugänglich ist, der Mitglied bei Facebook ist. Solche von Mauern umgebenen Reservate haben aber im Web die Ausnahme zu sein. Wenn es um „öffentlich“ geht, sind sie sogar falsch: ein systematischer Fehler in einer demokratischen Sphäre. Sir Tim Berners-Lee, der „Erfinder“ des World Wide Webs, hat in diesem Artikel vor gut einem Jahr die Prinzipien des Webs in Erinnerung gebracht. (Alexander Stock hat die Kernthesen hier übersetzt). Mit Blick auf Facebook genügt die erste und wichtigste These: Universalität ist das grundliegende Design des Webs. Unabhängig von Hard- und Software, Netzwerkanbindung und Sprache soll es den Menschen möglich sein, jeden Inhalt in das Web zu stellen und auf eben diese Ressource zu verlinken. Das setzt zwingend Offenheit und Dezentralität voraus. Nicht ohne Grund war der Leitspruch des W3-Konsortiums, dem Gremium, das die zum World Wide Web gehörenden Techniken standardisiert, zunächst „Everyone’s a publisher!“. Jeder soll veröffentlichen können Das erfüllt Facebook nicht und ist deshalb kaputt.
Das wird den Wahlkampfstrategen der Bündnis-Grünen nicht wirklich nützen. Denn jenseits der reinen Lehre kommt schnell die reine Leere: Viele Grüne sind bei Facebook aktiv. Die sozialen Netzwerke sind einfache und effektive Instrumente, um Kampagnen besonders im eigenen Klientel zu verbreiten und ein sinnvoller weiterer Kanal, um Mitglieder zum Wahlkampf zu motivieren. Man wird sehen, ob nun ein Ausweichen auf Facebook-Profile und -Gruppen stattfinden wird. Ein nicht ganz einfaches Abwägen, da das schnell den Vorwurf des Populismus nach sich ziehen könnte.
Ein Armutszeugnis. Wer sich über den FB-Ausstieg wohl richtig freut?
Danke, das war für mich auch eine neue Sichtweise auf FB und Co. Die ich aber nur bestätigen kann. Mich beschleicht auch immer öfters das Gefühl, dass solche Netzwerke ähnlich wie früher z.b. das Compuserve Netz sind. Nach aussen sie fast unsichtbar und ohne aktiviertes JS sind sie es (zumindest FB und G+).
In vielen Punkte sehr gut ausgeführt.
Facebook ist eben keine echte Öffentlichkeit(sarbeit). Es ist nur für eine Teilöffentlichkeit bestimmt, die zudem einer finanziellen Fremdbestimmung unterliegt.
Wenn dies zudem den Datenschutz angesprochenen Nutzer — also anderer — beeinträchtigt, sollte man dies unterlassen.
Respekt auch und insbeaondere, dies in der Wahlkampfphase zu tun umd den Piraten zu folgen.
Mich als Wähler spricht es zumindest insoweit an, dass es nun ein „Kreuzverhinderer”
Mist — die kleinen „Smartphonetastaturen”! Beim Korrekturversuch zu früh auf „Publish” gekommen.
Daher geht es hier mit der Korrektur weiter:
Mich spricht es insoweit an, dass nun ein “Kreuzverhinderer” beseitigt wurde.
Es wird jedenfalls nicht allein auf die eventuelle Möglichkeit geschielt, Wähler um jeden Preis zugewinnen, sondern läßt seiner Überzeugung auch Entscheidungen folgen.
Andere sollten sich da mE ein Beispiel an den Piraten, dem SSW und nun auch den Grünen nehmen.
Folgt den netzpolitschen Stern(en) ;-)
Sollten wir die Anregung des Autors bezüglich anderer Sozialer Netzwerke wie Diaspora nicht zB mal beim nächsten NetzPolitikBierKiel #npbki besprechen.
Wie kann man aus der „reaktiven Verweigererhaltung” zu positiven Aktivitäten kommen?
Es ist immer lustig zu lesen, wie schnell doch umdefiniert wird, was erstrebenswertes Verhalten bei Abgeordneten ist, damit man „wählbar” sei. Vor nicht ganz 1,5 Jahren wurden auch hier im landesblog Listen aufgemacht, wer bei facebook und bei twitter wie aktiv ist. Das waren schon damals kommerzielle Dienste! Die Stoßrichtung schien mir eher nicht zu sein, diese Aktivitäten zu kritisieren. Ich hatte übrigens schon immer ganz bewusst nur ein Profil und keine Seite. In der allgemeinen „was-wir gerade-richtig-finden-Normierung” galt das als rückständig. Nun ist das also per se böse eine Seite zu haben, soso. Ich leide hoffentlich nicht an Allmachtsgefühlen. Nicht die Politiker suchen sich die Kommunikationswege aus, sondern es werden an uns immer wieder neue Anforderungen gestellt, wie wir a) erreichbar zu sein haben b) unsere Arbeit präsentieren sollen. Da aber auch unser Tag nur 24 Stunden hat, müssen wir die Kommunikationswege mit dem meisten „impact” anbieten udn das suchen wir uns wahrlich nicht aus. Andere, vielleicht sogar bessere und im Kern nicht kommerzielle, wie IRC oder usenet musste ich deshalb schon vor Jahren einstellen. Hand aufs Herz, wieviele Menschen lesen noch bei kiel.* mit? Ich wäre heilfroh, wenn es denn den e i n e n Kommunikationsweg mit den Bürgerinnen und Bürgern geben würde, aber wer ein Interview gibt, kommuniziert auch nur mit denjenigen, die das Medium lesen oder hören, in vielen Fällen sogar kaufen müssen. Internetzugang gibt es leider auch nicht für lau, ein guter Teil der Bevölkerung nutzt das Internet überhaupt nicht, ein anderer Teil nur zum shoppen etc. Bei Webforen muss mensch sich meistens anmelden usw. „Barrieren und Reservate” gibt es vielfältig, gewollt und ungewollt, dass fängt schon dabei an, dass nicht alle Menschen die gleichen „Kulturtechniken” beherrschen (wollen). Viele Menschen U20 kommunizieren übrigens (leider) ausschließlich per facebook mit mir, davor war es studivz. Die nutzen zum Teil gar keine email mehr. Schlussbemerkung: Auch beim landesblog sind die ersten drei Möglichkeiten von „Folgen Sie uns” sind die weitverbreitesten und kommerziellen fb, g+ und twitter, ein Schelm ist… Wo ist da eigentlich diaspora?
Nur meine zwei Eurocents
Kai
Disclaimer: Die Darstellung der Überlegungen des Autors zur konkreten Problematik soll weder die derzeitigen Zustände rechtfertigen, noch lassen sie Rückschlüsse auf seine Idealvorstellungen zu, sondern ist lediglich Ausfluss seiner eigenen Unvollkommenheit und Machtberschränktheit, die „Beste aller Welten” im Alleingang zu verwirklichen. Der Autor hat nicht zu jedem Problem im Detail Stellung genommen, nicht weil er diese ausblenden möchte, sondern weil er die Zahl der unnötig geschubsten Elektronen minimieren wollte.
Wo fang ich an? Also: Das Landesblog hat, das war intern durchaus umstritten, einen Facebook-Button unten drunter und so einen Facebook-Kasten rechts neben jedem Artikel. Das bedeutet, dass wir uns auf der Plattform FB engagieren und damit dieses soziale Netzwerk auch in gewisser Hinsicht unterstützen. Anderseits halte ich FB prinzipiell für kaputt. So wie ich das in diesen Artikeln (nicht zum ersten Mal auf dem Landesblog, siehe der verlinkte Artikel „Unbehagen an Facebook”)
Mir ist klar, dass das in gewisser Hinsicht widersprüchlich ist. So widersprüchlich wie das Verdammen der BILD und das geichzeitige Klicken auf deren Webseiten um zu lesen, was sie neues über Wulff ausgebuddelt haben. So wiedersprüchlich, wie gegen Atomkraft zu sein und seinen Strom immer noch von den Stadtwerken zu beziehen (Ich: in KI: Stadtwerke, in LG: politisch korrekter Strom)
FB und Atomstrom haben den angenehmen Unterschied, dass bei FB-GAU aller Voraussicht nach niemand stirbt. Deshalb finde ich den Widerspruch auch erträglich und kann es für mich auch ertragen, auf FB zu sein. Um daraus eine politische Kampagne zu machen (das wäre mein Vorwurf an die Grünen), reicht es eben nicht, FB (streckenweise) zu boykottieren. Dann muss auch die Alternative her. So wie wir beim Atomausstieg auch stets die Förderung von Energie-Effizienzmaßnahmen und der Förderung regenerativer Energien angeschoben haben.
Ich hätte mir deshalb gewünscht, dass gleichzeitig eine Hinwendung zu Diaspora oder andere Alternativen propagandiert wird. So wie ich mir vom ULD wünsche, dass es nicht in der jetzigen Art gegen FB agiert, sondern dass es auf praktischer Ebene z.B. Diaspora unterstützt. So wie seinerzeit das ULD das Projekt AN.ON gefördert hat.
Ich finde es nicht böse, eine Fanpage zu haben. Ich lese das auch nicht aus meinen Artikel heraus.
Zu Diaspora und WordPress: Ich hatte gern ein Plugin, das Diaspora und WP verbindet. Ich habe dafür geworben und herumgegefragt — leider ohne Erfolg. Niemand hat dafür den Elan. Schade.
Was den fehlenden „Folgen Sie uns” Button angeht: Stimmt, der muss da hin.
Randbemerkung: Und das ist das Problem, weshalb Kommerzialisierung und Majorisierung sehr häufig klappt: Da kommt der Elan automatisch mit dem Gewinnstreben…
Immer diese Marktradikalinskis… ;-)
Diese Meinung kann ich leider nicht unterstützen.
Wenn Grüne sich bei Facebook einen Monat lang nicht blicken lassen, hat das überhaupt keine Wirkung! Es macht außerdem den Eindruck als würden sie nur den Piraten hinterherlaufen.
Aber ich kann auch die Meinung nicht teilen, Facebook sei nicht wie ein öffentlicher Raum zu behandeln.
Wenn ich bei Facebook nicht angemeldet bin, kann ich nicht sehen, was andere Nutzer schreiben.
Wenn ich kein Abo einer Tageszeitung habe, sehe ich nicht, wenn eine Pressemitteilung gedruckt wird.
Wenn ich keinen Fernseher habe, kann ich mir die Nachrichten nicht angucken.
Wenn ich kein Telefon habe, kann ich nicht angerufen werden und über vermeintlich wichtiges aufgeklärt werden.
Fällt was auf? Jeder entscheidet selbst, wie sehr er am öffentlichen Leben teilhaben mag. Und dazu gehört nunmal auch Facebook.
http://www.roter-beisser.com