Schleswig-Holstein soll eine Küsten- und Hochwasserschutzabgabe bekommen. Oliver Fink hat vor kurzem erklärt, was da auf uns zukommen soll. Das war Anlass für mich, mich zu fragen: warum überhaupt? Neuen Belastungen stehe ich, wie wohl jeder Bürger, zunächst skeptisch gegenüber. Grundsätzlich bin ich aber willig: Ich wohne 400 Meter von einer bröckelnden Steilküste entfernt, habe in der Schule Trutz, blanke Hans auswendig gelernt und den Schimmelreiter nicht nur einmal gern gelesen.
Die Koalitionsvereinbarung
In der Koalitionsvereinbarung — einer politischen Verabredung, was man warum(!) erreichen möchte — steht nichts über einen Küsten- und Hochwasserschutzabgabe. Dort steht, dass Schleswig-Holstein, also wir alle, vor besonderen Herausforderungen im Küstenschutz stehen. Dort steht nicht, dass die Regierung neue Abgaben erfinden soll. Nein, umgekehrt: Man will die „Ausgaben an Einnahmen anpassen“. Regierung und die sie tragenden Fraktionen nahmen das bislang ziemlich ernst. In der Folge gaben sich in den letzten Wochen und Monaten Demonstranten vor dem Kieler Landeshaus die sprichwörtliche Klinke in die Hand; die Straße vor dem Parlament wurde faktisch zur Fußgängerzone. Mit steigenden Steuereinnahmen als Rückenwind hat die Regierung nun einen Haushalt vorgelegt, der ein erstes Etappenziel auf dem Weg zu Konsolidierung des Landeshaushaltes erreichen will.
Mit Blick auf die Koalitionsvereinbarung ist also nicht erkennbar, warum eine Küsten- und Hochwasserschutzabgabe her muss. Im Gegenteil widerspricht die Einführung einer Küsten- und Hochwasserschutzabgabe dem Geist der getroffenen Vereinbarung.
Haushaltsstrukturkommission
Nun ist eine Koalitionsvereinbarung keine Bibel. Es mag trotzdem und immer wieder Anlass geben, von ihrem Wortlaut oder sogar von ihrem Geist abzuweichen.
Die Koalitionsvereinbarung richtete eine Haushaltsstrukturkommission einrichten, die „Butter bei die Fische“ packen soll. Sie soll „… den Prozess zum Aufgabenabbau, zur Aufgabenauslagerung und zur Konsolidierung der Ressorthaushalte forcieren, um das Ziel des strukturell ausgeglichenen Haushalts zu erreichen.“ Das ist eine klare Zielvorgabe: Kürzungen und Streichungen, Verzicht und Abbau — den Haushalt auf der Ausgabenseite konsolidieren.
Dennoch forderte die Kommission — ohne nachvollziehbare Begründung — eine Küstenschutzabgabe. Der einzige Hinweis, die „aus Steuermitteln aufzubringende Finanzierung durch das Land wird künftig immer schwieriger“, gilt für jede Ausgabe. Er passt nicht in die Reihe der anderen, stets auf der Ausgabenseite liegenden, Vorschläge. Der Vorschlag der Haushaltsstrukturkommission ist strukturell kritikwürdig und sachlich unbegründet.
Landesregierung
Die Landesregierung übernahm gleichwohl den Vorschlag:
„Für die Unterhaltung und den Neubau von Küstenschutzanlagen in Schleswig-Holstein werden jährlich insgesamt rund 60 Millionen Euro aufgewendet. Sie werden vom Land, vom Bund und von der Europäischen Union finanziert. Die aus Steuermitteln aufzubringende Finanzierung durch das Land wird immer schwieriger. Vor diesem Hintergrund ist geplant, die Menschen, die von den Küstenschutzmaßnahmen profitieren, mit zu den Kosten des Baus und der Unterhaltung heranzuziehen.
Ab 2012 soll der Beitrag für den Küstenschutz mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand erhoben werden. Die Landesregierung setzt sich für eine risikoorientierte Abgrenzung der Vorteilsgebiete, einen gerechten Bewertungsmaßstab und ein unbürokratisches Erhebungsverfahren ein. Über die Höhe der Küstenschutzabgabe wird zu einem späteren Zeitpunkt entschieden.“
Die oppositionelle SPD skandierte schon im Sommer Zustimmung: Sie unterstütze „die Einführung einer zweckgebundenen Küstenschutzabgabe.“ Später, ohne dass für mich der Grund für den Sinneswandel erkennbar wird, sprach sie sich gegen die Abgabe aus.
Es ist das gute Recht einer Landesregierung, die Einführung einer neuer Abgabe vorzuschlagen. Mit welche Argumenten will sie die Schleswig-Holsteiner von der zusätzlichen Last überzeugen?
Den Hinweis, die „aus Steuermitteln aufzubringende Finanzierung durch das Land wird immer schwieriger“ ist zweifelsfrei richtig, gilt aber gleichberechtigt für jede Ausgabe des Landes, die nicht individuell durch eine Gebühr gedeckt wird. Er passt auch auf die Größe von Schulklassen, die Qualität der Straßen oder die Höhe der Besoldung von Beamten und Ministern.
Solidarität
Es heißt, dass die Menschen, die von den Küstenschutzmaßnahmen profitieren, herangezogen werden sollen.
Wer genau profitiert vom Küstenschutz? Diejenigen, die hinter den Deichen wohnen? Diejenigen, die in einer Zone wohnen, in der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass im Laufe eines Menschenlebens ohne Küstenschutz ein Hochwasser Schaden anrichten könnte? Diejenigen, die sich dort gern aufhalten, sich dort an der Natur berauschen, die dort sonntags zum Ausflug hinfahren? Diejenigen, die im Sommer dort Urlaub machen?
Nein, wir alle profitieren von dem, was ein „Land zwischen den Meeren” nun mal hat: Küsten. Sie machen nicht nur den Charme unseres Landes aus. Sie sind notwendiger Bestandteil unseres Landes. Sie zu schützen, zu erhalten und zu verteidigen ist Aufgabe des gesamten Landes.
Küstenschutz ist ein Teil der elementaren Solidarität, die den Wesensbereich des Staates (in rechtlicher Logik aufgedröselt in Staatsvolk, Staatsgewalt und Staatsgebiet) ausmacht. Diese Aufgabe unterscheidet sich von den sich aus dem Sozialstaatsprinzip ergebenden; deren Grenzen kann man in politischen Streit weiter oder enger ziehen.
Dass das so ist, kann man auch dem Grundgesetz entnehmen. Es gibt nämlich nur wenige Aufgaben, die unser Grundgesetz für die Gesamtheit als so bedeutsam erachtet, dass es die Aufgabe nicht den Ländern überlässt, sondern explizit die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse für erforderlich hält. Neben der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und der Agrarstruktur ist dies — der Küstenschutz. Die Solidargemeinschaft Bundesrepublik unterstützt das Land Schleswig-Holstein; theoretisch.
Praktisch schleicht sich das Land ein Stück aus seiner zu tragenden Grundlast heraus und überantwortet sie einzelnen Bürgern. Das meint im Klartext: Ich bin nicht mehr in der Lage, elementare Vorsorge für mein Land aus Steuermitteln zu finanzieren. Von hier bis „Handtuch werfen” ist dann nicht mehr weit.
Nun könnte man dem entgegenhalten, dass auch elementare Aufgaben des Staates einem Wandel unterliegen. So, wie sich z.B. die Bedeutung der Wehrpflicht und die (militärische) Bereitschaft und Notwendigkeit zur unmittelbaren Verteidigung der Landesgrenzen verändert hat. Die aktuelle oder die absehbare Entwicklung des Küstenschutzes und insbesondere die damit verbunden Kosten haben allerdings keine Stufe erreicht, die ein wenigstens teilweises Ende der Solidarität erwarten lässt. Die nicht mal zwei Jahre alte Antwort der Landesregierung auf eine große Anfrage (der damals in der Regierung befindlichen SPD) zur „Bilanz und Zukunft des Küstenschutzes in Schleswig-Holstein an Nord- und Ostsee” (Drucksache16/2124) malt keine Horrorszenarien, bei deren unaufgeregter Betrachtung man zu dem Schluss kommen könnte, dass der Aufwand der Solidargemeinschaft keinen vernünftigen Gegenwert mehr aufzeige. Aktuell scheint die Strategie „Verteidigung bzw. Halten der Deichlinie“ in Deutschland gesellschaftlicher Konsens zu sein.
Das nebulös auftauchende Wort„Klimawandel” ist ein Schlagworten wie Demographie oder Mobilität. Mit denen lassen sich in gleicher Weise Abgaben für den Erhalt von Schulen, Polizeistationen oder Brücken begründen. Und wenn nun die Bewohner der Westküste für den Küstenschutz (mit) aufkommen müssen, warum nicht auch gleich für die aus Steuermitteln aufzubringende Finanzierung der dortigen Autobahnen und Kindergärten?
Die Küstenbewohner müssen sich verhöhnt vorkommen, wenn Ministerpräsident Carstensen in seiner Regierungserklärung am 16. Juni 2010 feststellt: „Die neuen Herausforderungen durch den Klimawandel und den dadurch zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels werden wir nur bewältigen, wenn wir solidarisch zusammenstehen.“ Heißt solidarisch zusammenstehen seit neuesten, dass alle gemeinsam auf trockenem Land stehen wollen, aber nur manche den Preis dafür zahlen müssen?
Die Bewohner der Küstenstriche finanzieren schon heute die Wasser-, Boden-, Deich- und Sielverbände mit. Sie nehmen Beschränkungen auf ihren Grundstücken in Kauf. Sie können neben Geld- auch zu Sachleistungen verpflichtet werden. In der eben schon erwähnten Antwort der Landesregierung auf eine große Anfrage der SPD heißt es (auf Seite 9), dass das Land die Arbeit der Wasser- und Bodenverbänden mit jährlich rund 5 Millionen Euro fördert. Die Wasser- und Bodenverbände wenden jährlich etwa 15,7 Millionen Euro auf.
Werden Verschiebungen zulasten (einiger) Bürger, dann ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis findige Zeitgenossen Lärmschutzwallabgaben für Anwohner von Landesstraßen, Schulgeld für Familien mit mehr als 1,38 Kindern oder nächtliche Polizeistreifen gegen Anliegergebühren erfinden. Neben das Argument der Unsolidarität gesellt sich also noch die Gefahr des schlechten Beispiels, das Schule machen könnte.
Haushalt ist Not!
In einem Interview mit der shz machte die beliebte Umweltministerin Ende November deutlich, worum allein es im Grunde geht — um Haushaltslöcher: „Wenn wir die Abgabe jedoch nicht bekommen, werden wir hier ein Haushaltsloch haben, durch das wir rund zehn Millionen Euro weiterer Bundes- und EU-Mittel für den Küstenschutz nicht binden können.“ Haushaltslöcher stopfen zu müssen ist keine ehrenrührige Tätigkeit. Im Gegenteil. Und es ist gut, wenn man das Motiv deutlich benennt. In der politischen Abwägung, was man weiter finanzieren können möchte und was eben nicht, hat der Deichbau anscheinend verloren: er ist keine Kernaufgabe mehr.
In dem Informationen zur Einführung einer Küsten- und Hochwasserschutzabgabe wird erklärt, dass Bund und EU 32 Millionen in den schleswig-holsteinischen Küstenschutz stecken. Das Land wendet aktuell 28 Millionen Euro jährlich für den Küstenschutz auf. 6 Millionen davon, das sind 21 Prozent, sollen zukünftig die Küstenbewohner schultern. Das mögliche Argument, dass eine Gleichbehandlung aller Küstenbewohner (etwa mit denen Bremens und Niedersachsen) das politische Ziel sei, lese ich nicht. Von zusätzlich(!) zu finanzierenden Aufgaben, mit denen zusätzliche(!) Bundes- und EU-Mittel gebunden werden sollen, lese ich auch nichts. Das Papier zählt auf vielen Seiten die rechtlichen Fallstricke auf, die bei der Einführung der Abgabe zu vermeiden waren.
Es scheint so zu sein, dass es hier nicht um zusätzliche Ausgaben geht, sondern um die Finanzierung des Landesanteils, der bislang aus den Steuereinnahmen des Landes erfolgte. Die klamme Situation der Landeskasse erfordert einen Eingriff in die Tasche der Bürger. Und zwar weit überwiegend in die Tasche der Bürgerinnen und Bürger der Westküste.
Es ist nun kein schlechtes Argument, mit Hinweis auf die Ertragslage des Landes den Bürgern und Unternehmen neben der Kürzung von Zuwendungen auch die Erhöhung von Steuern oder Abgaben aufzubürden. Schuldiger in solchen Situationen ist nicht der Finanzminister sondern der eklatante und nie behobene Geburtsfehler des Föderalismus in Deutschland, der den Ländern hinsichtlich ihrer Einnahmesituation zwar fast komplett den Gestaltungsrahmen entzieht, sie aber gleichwohl mit Aufgaben überzieht. Neue Einnahmequellen zu schaffen ist kein Teufelszeug: Dann sollte man das aber bitte auch gerade heraus sagen. Aber muss das wirklich ausgerechnet beim Bau und der Unterhaltung von Deichen sein?
Die Einführung einer Küsten- und Hochwasserschutzabgabe im Lande von Detlev von Liliencron, Theodor Storm oder Klaus Groth erfolgte ohne einen in der Sache liegenden Grund. Sie wäre ein Bruch mit den Grundlinien der Politik der Landesregierung, dient allein dem Stopfen von Haushaltslöchern. Ihre Erhebung allein zu Lasten der Küstenbewohner ist unsolidarisch. Die Abgeordneten im schleswig-holsteinischen Landtag sollte die Idee verwerfen.
Die SPD hat bei der Vorstellung ihres Konzeptes zur Haushaltssanierung im Sommer verdeutlicht, dass sie die Vorstellungen der Landesregierung nicht unterstützt. Eine einseitige Belastung alleinig der Küstenanwohner hatte sie bereits damals schon abgelehnt. In der Pressekonferenz ist dies auch mehrfach betont worden, denn der entsprechende Hinweis fehlte in der (oben verlinkten) Broschüre.
Die weiteren Beratungen innerhalb der SPD (in der ähnliche Argumente wie hier dargestellt eine Rolle spielten) führten zu einer neuen Positionierung und der klaren Ablehnung der schwarz-gelben Pläne durch die SPD. In den Haushaltsanträgen der SPD-Fraktion, die in die Sitzung des Landtags der kommenden Woche eingebracht werden, ist dies entsprechend berücksichtigt.
Die Diskussion um die Finanzierung des Küstenschutzes wird sicherlich langfristig immer wieder auf der Tagesordnung stehen — Stichwort Klimawandel. Dann vermutlich leider unter ganz anderen Vorzeichen…
Der FDP-Kreisverband Nordfriesland scheint – freundlich formuliert – auch nicht so richtig von der Einführung der Küstenschutzabgabe überzeugt zu sein. Der enttäuschte Kreisvorsitzende Kurt Eichert spricht von einem „herrschenden Eindruck der Westküstenfeindlichkeit” vor Ort.