Der Landtag debattiert über „politische Führung“
Sternschnuppen sind Meteore, die beim Eintritt in die Erdatmosphäre zu heißem Dampf verglühen. Viel heißer Dampf wurde in der Landtagssitzung am Donnerstag produziert, als über einen SPD-Antrag zum Thema „politische Führung und die Wahrnehmung schleswig-holsteinischer Interessen“ debattiert wurde. Es sollte eine „Generaldebatte“ werden, und es hätte eine Glanzstunde des Parlaments werden können. Hätte. Wurde es aber nicht.
Stattdessen das zu erwartende mit-dem-Finger-auf-die-anderen-zeigen: „Klamauk“, „Sprechblasen“; „Agonie“; „Armutszeugnis“; „Lachnummer“; „Witzfigur“; „Regierungsmurks“; „Totalausfall“; „grotesk“; „überheblich“; „ignorant“; „peinlich“; „jämmerlich“; „populistisch“; „konfus“; „chaotisch“; „willkürlich“; „erbärmlich“. Ja, unsere Abgeordneten haben ihren Sartre gründlich gelesen: Die Hölle, das sind die anderen.
Zum Auftakt holte Ralf Stegner zum verbalen Rundumschlag gegen Politik und Personal der Regierung aus, kam dabei vom Hölzchen aufs Stöckchen und blieb den Nachweis schuldig, warum es hier und heute diese Debatte brauchte. Ihm antwortete Christian von Boetticher, der wenig mehr anzubieten hatte als Schwarz-Weiß-Malerei (früher = SPD = alles schlecht; heute = CDU/FDP = alles prima). Wolfgang Kubicki (wie stets mit einer Extraportion Häme für Ralf Stegner) und die Linke-Fraktion perpetuierten lediglich die vorgestanzten Deutungsmuster.
Die Regierung – hier wäre der Ministerpräsident gefragt gewesen – verzichtete gleich ganz auf die ihr zustehende Redezeit; man wollte wohl signalisieren, für wie überflüssig man die ganze Debatte hielt, machte es damit der Opposition aber allzu leicht, den Vorwurf der politischen Führungslosigkeit ad hoc bestätigt zu finden; zumal dieses Verhalten wieder einmal den Eindruck nährte, der Ministerpräsident befinde sich seit Verabschiedung des Haushaltes im politischen Vorruhestand.
Lediglich der grüne Fraktionschef Robert Habeck und sein SSW-Pendant Anke Spoorendonk versuchten, sich dem Thema „politische Führung” nicht allein aus der Frosch-, sondern auch aus der Vogelperspektive zu nähern. Habeck konstatierte einen allgemeinen Vertrauensverlust gegenüber Politik und Parteien und suchte nach Gründen dafür (fehlende Idee von einer Gesellschaft, in der wir leben wollen; Vorgaukeln von politischen Entscheidungen als alternativlos; Angst, alte Zöpfe abzuschneiden; fehlende politische Kultur, in der Fehler gemacht und eingestanden wenden können). Spoorendonk kritisierte die Personenbezogenheit der Debatte und die Verengung der Regierungspolitik auf Haushaltskonsolidierung, verweigerte sich im Übrigen aber weitgehend dem Oppositionsbeißreflex und nahm lieber die offenkundige Folgenlosigkeit des SPD-Antrags aufs Korn.
Kubicki schob dann statt der Schriftfassung seiner Rede lieber noch eine Presseerklärung mit der Story von den jungen FDP-MdLs nach, die nach dem Prinzip „jede SPD-Phrase ein Treffer“ im Landtagsplenum „Stegner-Bingo“ spielen. Nun ist es zwar eine lustige Sache, wenn Volksvertreter Bingo spielen. Es zeigt aber auch den Unernst, der hier am Werke ist, und der repräsentativ für die ganze Debatte steht: Wenn sich die Parlamentarier nicht mehr gegenseitig ernst nehmen, warum sollten es dann die Bürgerinnen und Bürger tun?
P.S.: Wenn Sternschnuppen verglühen, darf man sich bekanntlich etwas wünschen. Ist es wirklich vermessen, sich einen Landtag zu wünschen, in dem ab und an zwar hart in der Sache, aber respektvoll im Ton, offen, neugierig und überraschend darüber gesprochen wird, wie man gemeinsam dieses schrullig-liebenswerte Schleswig-Holstein in eine gute Zukunft trägt?