Frederic Vester hat 1980 Ökolopoly erfunden, ein kybernetisches Brettspiel mit politischer Thematik. Wir spielten es im Freundeskreis begeistert und johlten voller Häme, wenn ein unaufgeklärter Mitspieler mit einer Überbetonung von „Produktion“ bei gleichzeitiger Missachtung von „Lebensqualität“, „Sanierung“ und „Aufklärung“ Kybernetien ruinierte. Schleswig-Holsteiner haben anscheinend einen Faible für das Spiel: Zwei Lehrer aus Schleswig-Holstein organisierten 2005 die erste ecopolicyade, die mittlerweile bundesweit veranstaltet wird.
Es liegt nahe, andere komplizierte und komplexe Dinge des Alltags ähnlich aufzubereiten: die Erziehung von Kindern, das Hüten von Flöhen oder die Aufstellung von Landeshaushalten zum Beispiel. Leider klappt das ebenso wenig wie Ökolopoly je realistisch war: Wie bei der Wettervorhersage sind es zuviele harte oder weiche, ungreifbare oder fließende Faktoren, die ineinander verwoben sind.
Die Landtagsfraktion der Grünen möchte mit den Bürgerinnen und Bürgern Schleswig-Holstein seit gestern (2. Mai) knapp 6 Wochen lang über die Haushaltspolitik des Landes diskutieren. Unter http://www.mitmachhaushalt.de kann man über Vorschläge für Sparmaßnahmen, Einnahmensteigerungen oder Investitionen abstimmen und eigene Vorschläge beisteuern. Robert Habeck, Chef der grünen Landtagsfraktion und die finanzpolitische Sprecherin der Fraktion, Monika Heinold haben gestern vor Journalisten ein „absolutes Experiment“ gestartet, das bis zum 10. Juni dauern soll: Man wolle im Gegensatz zur Haushaltsstrukturkommission der CDU/FDP-geführten Regierung nicht als „closed shop“ arbeiten, sondern den „gesellschaftlichen Diskurs“ suchen. Eine Prognose, wie hoch die Beteiligung denn sein müsste, um das Experiment als gelungen zu bezeichnen, wollte keiner der beide abgeben. Wohl aber sagten sie deutlich, dass es dabei nicht darum gehe, den finanzpolitischen Kurs der schleswig-holsteinischen Grünen per Akklamation neu zu justieren. Man werde die Ergebnisse auswerten und in die eigene Meinungsbildung einfließen lassen. Mehr nicht. Denn das ein Meinungsbild trotz Anmeldepflicht leicht manipuliert werden könne, war beiden klar. Das stehe dem Experiment aber nicht entgegen, da es eben nicht um verbindliche Entscheidungsfindung gehe.
Wäre es nach Monika Heinold gegangen, dann wäre wohl so etwas wie ein Budgetlopoly entstanden. Man habe gehofft, die Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage der Landtagsgrünen zur Finanzlage des Landes könne das notwendige Zahlenmaterial hergeben, um wenigstens grob die gegenseitigen Abhängigkeiten darzustellen. Pustekuchen, die Antwort der Landesregierung erhelle da nicht wirklich was. Außer vielleicht, dass durch den Verzicht auf die Neubaumaßnahme Ortsumgehung Hammoor im Zuge der L 89 3,2 Millionen Euro eingespart werden könnten. Deshalb schlagen die Grünen auch gleich den Verzicht vor. Das freut den Finanzminister des Landes Schleswig-Holstein bestimmt. Allein der zuständige Landtagsabgeordnete (Rainer Wiegard, CDU) könnte das anders sehen.
Die Aktion der Grünen mag vielleicht nicht dazu führen, dass Haushaltspolitik verständlicher oder „volksnäher“ werden wird. Die Widersprüche bleiben. In allen Umfragen, die mir in Erinnerung sind, wird „Haushaltspolitik“ zwar stets pflichtschuldigst als „wichtig“ bezeichnet, aber seltenst als „interessant“ oder „spannend“. Auch größere Transparenz wird im Juni nicht messbar sein. Zwar werden grundsätzliche Papiere der Regierung, der CDU, der SPD und der Grünen verlinkt. Aber dadurch wird Haushaltspolitik weder verständlicher oder gar „kinderleicht“. Böhmische Dörfer bleiben auch in schönen Worten Böhmische Dörfer. Das ist aber nicht Schlimmes und spricht nicht gegen das Experiment. Im Gegenteil. Wenn wir ehrlich sind, dann geht es der Mehrzahl der Abgeordneten sicher nicht viel anders als uns Bürgern; anders sind die vielen St.-Florians-Pressemeldungen, die „wir müssen sparen aber nicht in meinem Politikfeld“ oder „aufgrund der vielfältigen Sparmaßnahmen konnten wir zusätzliche Wahlgeschenke beschließen“ rufen, nicht erklärbar.
Am 10. Juni kann es auch ohne webbasierte kommunzierende Röhren wie am Ende einer Runde Ökolopoly sein: Der Spielspaß kann nämlich positive Spuren hinterlassen: zum Beispiel die Erkenntnis, dass es nicht so leicht und so holzschnittartig geht, wie der Stammtisch in unserem Stammhirn das allzu gern sehen möchte. Dass man das Problem aber trotzdem angehen muss. Denn es gibt Lösungen, nur einfach, verständlich und schön werden sie nicht sein. Dieser Erkenntnisgewinn wäre auch schon mal was. Das mit der Partizipatorischen Demokratie, der Bürgerbeteiligung und den Bürgerhaushalten kommt dann in der nächsten Runde.