Ein Blog, acht Meinungen - Landesblog-Autoren zur Trendumfrage des NDR

Von | 18. Mai 2011

Umfragen im Vorfeld einer Landtagswahl lösen in uns anschei­nend unwill­kür­lich eine archai­sche Bewertungsneugier aus. Das muss ein Trieb sein, der uns schon von frü­hes­ter Kindheit an beglei­tet. Woran mag das lie­gen? Zu den sekun­dä­ren Trieben (Primär: Nahrung, Wasser, Sauerstoff, Ruhe und Sexualität) gehö­ren die Bedürfnisse nach Anerkennung und Sicherheit. Bei Männern äußert sich Anerkennung in dem Wunsch nach Macht, bei Frauen mani­fes­tiert Anerkennung sich, so sagt man, in dem Wunsch nach einer zen­tra­len Position in der Gruppe. Was ja irgend­wie nicht wirk­lich was ver­schie­de­nes ist.

Ich habe die Kollegen im Landesblog Gestern Abend gefragt, ihren Trieben frei­en Lauf zu las­sen ob sie bit­te die gest­ri­ge Trendumfrage des NDR kurz kom­men­tie­ren könn­ten. And here are the results of Landesblog:

Sebastian Maas: Die Grünen kön­nen mit ihrem extrem erfolg­rei­chen Konzept der Bürgernähe und Mitsprache punk­ten, doch das war bei den bun­des­weit
sehr guten Umfragewerten nicht wei­ter ver­wun­der­lich. Zwar fehlt den Schleswig — Holsteinischen Grünen noch immer ein letz­tes Alleinstellungsmerkmal,
da sie bei den meis­ten Themen mit dem SSW oder der SPD d‘accord sind, doch Experimente wie der „Mitmachhaushalt” machen Appetit auf mehr.
Weitaus über­ra­schen­der sind hin­ge­gen die Ergebnisse der bei­den tra­di­tio­nel­len Bürgerparteien CDU und SPD, da auch die­se sich allen Unkenrufen, Sparbeschlüssen und Protesten zum Trotz ver­bes­sern konn­ten.
Bleibt nur eine Frage: Was wird Herr Kubicki tun, wenn es sei­ne Partei bis zur nächs­ten Wahl nicht schaf­fen soll­te, die 5% zurück zu erobern? Ein Plenum ohne sei­ne stän­di­gen Zwischenrufe kann und will ich mir nicht vor­stel­len.

Dieter Hoogestraat: Starke Gewinne für die Grünen, die FDP im Kampf mit der Fünf-Prozent-Hürde, die Linke dar­un­ter. Von außen sieht das aus, als soll­te Baden-Württemberg zum Trend wer­den und damit die Quadratur des Kreises zum Regelfall: die kon­ser­va­ti­ve Ökopartei als Protestpartei einer bür­ger­lich-kon­ser­va­ti­ven Mitte. Wenn so etwas denn geht.
Doch das Donnerwetter im Ländle ver­hallt schon lang­sam. Bis zur nächs­ten Landtagswahl ver­geht noch fast ein Jahr. Und für Stuttgart 21 ist kein Kiel 22 in Sicht. Selbst Philipp Rösler und sei­nen Kieler Arm wür­de ich noch nicht abschrei­ben wol­len. In die­ser offe­nen Situation wäre es gut, käme der Anstoß zu mehr Klarheit aus Schleswig-Holstein und nicht aus Berlin oder sonst­wo.

Oliver Fink: Die CDU scheint sich bei über 30 Prozent zu kon­so­li­die­ren, kann von den her­ben Verlusten der FDP kaum pro­fi­tie­ren. Der SPD hin­ge­gen nüt­zen die Abkehr vom Krawallkandidaten Ralf Stegner und die Wahl Torsten Albigs zum Spitzenkandidaten. Sie kann so bei­na­he zur CDU auf­schlie­ßen. Bündnis 90/​Die Grünen müs­sen sich eben­so wie die FDP fra­gen, inwie­weit ihr Ergebnis eige­ner Landespolitik oder dem Bundestrends geschul­det ist. Dabei lie­gen die Grünen wei­ter­hin deut­lich hin­ter der SPD, die FDP wür­de momen­tan an der Fünfprozenthürde schei­tern. Ob die von Wolfgang Kubicki in Aussicht gestell­te Verdopplung der Stimmenzahlen bis zur Landtagswahl gelingt oder das berühm­te Pfeifen im Walde ist, wird sich zei­gen. Die Linke bekommt mit 2 Prozent nicht nur das Ergebnis des Bundestrends auf­ge­zeigt, son­dern auch das einer bemer­kens­wert schwa­chen Performance im Landtag.
Umfragen sind aller­dings kei­ne Wahlergebnisse. Deshalb bleibt es bis zum 6. Mai 2012 um 18 Uhr span­nend.

Ulf Kämpfer: Umfragen ein Jahr vor der Wahl sind Schall und Rauch, ABER:
Zunächst ist bemer­kens­wert, dass Albig trotz noch immer begrenz­ten Bekanntheitsgrades schon jetzt im direk­ten Vergleich mit v. Boetticher vor­ne liegt. Im Übrigen macht die Spanne von 20 Prozentpunkten zwi­schen CDU/​FDP und SPD/​Grünen/​SSW klar, wie die Favoritenrollen ver­teilt sind. Bleibt die Grundkonstellation SchwarzGelb in Land und Bund bis zur Landtagswahl sta­bil und pas­siert auch sonst nichts Außergewöhnliches, wird der Vorsprung für einen Regierungswechsel rei­chen; da sich die SPD auf jeden Fall im Vergleich zu 2009 ver­bes­sern wird, hängt alles davon ab, ob sich der Höhenflug der Grünen sta­bi­li­siert. Dafür spricht, dass die Umfragenstärke ange­sichts der Präsenz der Landesgrünen nicht allein vom Bundestrend gelie­hen ist. Und es dürf­te den Grünen zugu­te kom­men, dass mit Carstensen, Kubicki und Stegner bei den Mitbewerbern nicht das poli­ti­sche Personal der Zukunft, son­dern jenes aus Vergangenheit und Gegenwart (mit) in der ers­ten Reihe steht.

Malte Steckmeister: Wenn man ein­mal davon absieht, daß Wahlentscheidungen auf­grund abneh­men­der Parteibindungen und zuneh­men­dem Einfluß kurz­fris­ti­ger Trends immer vola­ti­ler und weni­ger pro­gno­se­fä­hig wer­den, über­ra­schen die der­zei­ti­gen Zahlen am ehes­ten dadurch, daß die CDU trotz des schmerz­haf­ten Haushaltskonsolidierungskurses zuneh­men konn­te. Von 40+x ist die Union dabei genau­so weit weg wie die SPD. Deren Spitzenkandidat hat­te durch den lan­gen von enor­mer media­ler Aufmerksamkeit beglei­te­ten inner­par­tei­li­chen Kampf gegen den unbe­lieb­ten Stegner die Chance, sich durch war­me Worte ins rech­te Licht zu rücken und damit in der Wählergunst zunächst vor von Boetticher zu plat­zie­ren. Aber ob Albigs Strategie des Durchlavierens auf­ge­hen kann, bleibt genau­so frag­lich, wie das Schicksal der Grünen. Deren Hang zum Populismus kann — bei­spiels­wei­se im Vergleich von Anspruch und Wirklichkeit in Baden-Württemberg – bis zum Wahlzeitpunkt in einem Jahr nach hin­ten los­ge­hen. Die FDP wird die Zeit bis zum 6. Mai 2012 inten­siv nut­zen müs­sen. Und dann sind wir schlau­er.

Rüdiger Kohls: Nicht umsonst steht über den bun­ten Balken der infra­test-dimap das Wort „TREND” in Großbuchstaben, man könn­te es auch durch das Wort „MODE” erset­zen — und wir wis­sen alle wie schnell sich Mode ändert. Nichtsdestotrotz:
Klammheimlich hat die SPD in Schleswig-Holstein mit dem eher undog­ma­tisch wir­ken­den Torsten Albig offen­bar nahe­zu das gesam­te nicht-grü­ne Linkspotential des Landes auf­ge­so­gen, trotz der Kannibalisierung der Linken aber nicht ein­mal ein Drittel der Befragten an sich bin­den kön­nen und wäre — in Form eines Wahlergebnisses — auf die trotz aller inhalt­li­chen Unzulänglichkeiten erstark­ten Grünen zur Bildung einer rot-rot-grü­nen Zweiparteienkoalition ange­wie­sen.
Die FDP dage­gen muss erken­nen, dass es für die Gunst der Kunden nicht aus­reicht, den eige­nen poli­ti­schen Obsthandel allein mit dem Verkauf von Zitronen namens „Haushaltskonsolidierung” bestrei­ten zu wol­len. Auch wenn jeder weiß, dass die­se gel­be Frucht gesund und reich an Vitaminen ist, wird sie nie­mand in gro­ßen Maßen pur zu sich neh­men. Ihren Saft über einen Obstsalat aus ver­schie­de­nen süßen Früchten poli­ti­scher Gestaltungsentscheidungen geträu­felt aber, ver­leiht dem Geschmack eine not­wen­di­ge Frische und ver­hin­dert unschö­ne Verfärbungen. Die Rezepte dafür sind vor­han­den, müs­sen aber bes­ser sicht­bar prä­sen­tiert wer­den. Schließlich wird sie gezwun­gen sein, den Grünen die Zielscheibe ans Revers zu hef­ten, um sie (mit Zitronen und ande­rem har­ten pro­gram­ma­ti­schen Obst) inhalt­lich über­all dort zu stel­len, wo der blo­ße Schein zur Politik erho­ben wird.

Volker Thomas: Dass CDU und SPD im (Fast-)Gleichgewicht sind, hat höchst unter­schied­li­che Gründe. Die Sparbeschlüsse haben die CDU nicht in den Keller fal­len las­sen, dies deu­tet auf Wachstumspotential hin. Die SPD hat das Stegner-Tief über­wun­den, das jet­zi­ge Albig-Hoch muss aller­dings noch mit real­po­li­ti­schen Vorschlägen unter­füt­tert wer­den. Wenn das aus­bleibt, wird die SPD abseh­bar vom Genossen Trend nach unten gezo­gen. Die Grünen kön­nen sich ihren Partner aus­su­chen. Da bleibt es span­nend, wem sie sich stär­ker zunei­gen wer­den. Die FDP ist stark ange­schla­gen. Die libe­ra­le Hoffnung auf einen bes­se­ren Bundestrend ver­nach­läs­sigt die haus­ei­ge­nen Schwächen: Noch nie gab es sovie­le Lehrer wie heu­te, den­noch ist die Unzufriedenheit mit dem wich­ti­gen, wenn nicht wahl­ent­schei­den­den Thema Schule rie­sig. Da darf man gespannt sein, was sich die Liberalen per­so­nell und inhalt­lich in nächs­ter Zeit ein­fal­len las­sen.

Swen Wacker: 31 Prozent für die SPD. Auf die­sem Umfrage-Stand war sie schon im August 2010, als der umstrit­te­ne Ralf Stegner noch fest im Sattel saß. Wo ist der Albig-Bonus? Und die CDU: Landauf land­ab hört man Klagen über eine Regierung, die auf Autopilot geschal­tet hat. Das scheint die Menschen nicht davon abzu­hal­ten, das wei­ter­hin gleich gut (oder gleich schlecht) zu fin­den. Sie ver­harrt auf dem his­to­risch nied­ri­gen Niveau der letz­ten Landtagswahl. Die Grünen legen zu; woher kom­men die Stimmen? Nichtwähler? Enttäuschte bür­ger­lich-libe­ra­le Wähler? Und: Trotz oder wegen des sehr offe­nen und akti­ven Bekenntnisses zur Schuldenbremse? Bei den Linken feh­len, neben einer aktiv-posi­ti­ven Vision, wahr­nehm­ba­ren Köpfen in der Landespolitik. Der SSW wird für sei­ne Klientel-ori­en­tier­te grad­li­ni­ge Politik belohnt; die in Bewegung befind­li­che SPD oder die Grünen kön­nen ihr kei­ne Wähler abspens­tig machen. Und end­lich die FDP – Dilemma oder Drama? Ihr inhalt­li­cher Kurs in Schleswig-Holstein (etwa in der Atompolitik) und ihre per­so­nel­le Kritik wird von der Bundespartei unter Wehen und Schmerzen über­nom­men — Kubicki und Koppelin bei den Wahlen aber abge­straft. Liebt man den Verrat, aber nicht die Verräter? Oder ist es allein das Fleisch gewor­de­ne Kommunikationsdesaster Klug, das die FDP in den außer­par­la­men­ta­ri­schen Abgrund reißt?

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

Ein Gedanke zu “Ein Blog, acht Meinungen - Landesblog-Autoren zur Trendumfrage des NDR”:

  1. Ralf Brinkmann

    Interessanter Blog.
    Da man bei uns in Schleswig-Holstein meh­re­re Koalitionen zum Vergleich hat, kann man gut ver­glei­chen.
    10 Jahre Heide Simonis und bis zum 6. Mai 2012, 7 Jahre Peter Harry Carstensen.
    Erst eine SPD Alleinregierung, dann eine Rot-Grüne Landesregierung. Später kam die Große Koalition und seit 2009 haben wir eine Schwarz/​ Gelbe Regierung.
    SPD und CDU haben den Schuldenberg auf mitt­ler­wei­le knap­pe 27 mil­li­ar­den Euro anwach­sen las­sen, trotz Schuldenbremse, geht die Tendenz der Schulden wei­ter nach oben.

    Leider hat sich der Frust, über die Volksparteien SPD und CDU so der­ma­ßen fest­ge­fah­ren bei mir, das ich nicht mehr gewillt bin, eine Partei zu wäh­len, die im Landtag ver­tre­ten ist.
    Meine Favoriten sind die Freien Wähler Schleswig-Holstein, (seit kur­zem bin ich dort Mitglied) und die Familienpartei.
    Als Konservativ/​ Liberaler Bürger, hat mich das Agieren der Regierung vor und wäh­rend der HSH Nordbank-kri­se zu schaf­fen gemacht und die Kompetenz, die ich der CDU im Finanzbereich gege­ben hat­te, muss­te ich der CDU wie­der ent­zie­hen.
    Es kann nicht sein, das bei Hartz4 Empfängern, sank­tio­nen aus­ge­spro­chen wer­den kön­nen, und das schlimms­te ist, das der Regelsatz für 3 Monate gesperrt wer­den kann, wäh­rend ein Bankvorstand Herr Nonnenmacher eine mil­lio­nen-hohe „Bonuszahlung” erhält, obwohl der Bankvorstand, nicht ganz unschul­dig am wirt­schaft­li­chem Ruin war.
    Dazu kommt das Gezerre ums neue Wahlgesetz und vie­les mehr.
    Viele CDUler sind auch sau­er dar­über, das das Blindengeld, gekürt­zt wur­de und die Herren Minister die gleich­zei­tig Abgeordnete sind, sich wochen­lang gesperrt haben, ihren Sparbeitrag zu leis­ten, zu dem sie fähig waren und sind.
    Trotzdem bin ich gespannt, wie die Parteien das 1 Jahr bis zur Wahl nut­zen wer­den.

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