Umfragen im Vorfeld einer Landtagswahl lösen in uns anscheinend unwillkürlich eine archaische Bewertungsneugier aus. Das muss ein Trieb sein, der uns schon von frühester Kindheit an begleitet. Woran mag das liegen? Zu den sekundären Trieben (Primär: Nahrung, Wasser, Sauerstoff, Ruhe und Sexualität) gehören die Bedürfnisse nach Anerkennung und Sicherheit. Bei Männern äußert sich Anerkennung in dem Wunsch nach Macht, bei Frauen manifestiert Anerkennung sich, so sagt man, in dem Wunsch nach einer zentralen Position in der Gruppe. Was ja irgendwie nicht wirklich was verschiedenes ist.
Ich habe die Kollegen im Landesblog Gestern Abend gefragt, ihren Trieben freien Lauf zu lassen ob sie bitte die gestrige Trendumfrage des NDR kurz kommentieren könnten. And here are the results of Landesblog:
Sebastian Maas: Die Grünen können mit ihrem extrem erfolgreichen Konzept der Bürgernähe und Mitsprache punkten, doch das war bei den bundesweit
sehr guten Umfragewerten nicht weiter verwunderlich. Zwar fehlt den Schleswig — Holsteinischen Grünen noch immer ein letztes Alleinstellungsmerkmal,
da sie bei den meisten Themen mit dem SSW oder der SPD d‘accord sind, doch Experimente wie der „Mitmachhaushalt” machen Appetit auf mehr.
Weitaus überraschender sind hingegen die Ergebnisse der beiden traditionellen Bürgerparteien CDU und SPD, da auch diese sich allen Unkenrufen, Sparbeschlüssen und Protesten zum Trotz verbessern konnten.
Bleibt nur eine Frage: Was wird Herr Kubicki tun, wenn es seine Partei bis zur nächsten Wahl nicht schaffen sollte, die 5% zurück zu erobern? Ein Plenum ohne seine ständigen Zwischenrufe kann und will ich mir nicht vorstellen.
Dieter Hoogestraat: Starke Gewinne für die Grünen, die FDP im Kampf mit der Fünf-Prozent-Hürde, die Linke darunter. Von außen sieht das aus, als sollte Baden-Württemberg zum Trend werden und damit die Quadratur des Kreises zum Regelfall: die konservative Ökopartei als Protestpartei einer bürgerlich-konservativen Mitte. Wenn so etwas denn geht.
Doch das Donnerwetter im Ländle verhallt schon langsam. Bis zur nächsten Landtagswahl vergeht noch fast ein Jahr. Und für Stuttgart 21 ist kein Kiel 22 in Sicht. Selbst Philipp Rösler und seinen Kieler Arm würde ich noch nicht abschreiben wollen. In dieser offenen Situation wäre es gut, käme der Anstoß zu mehr Klarheit aus Schleswig-Holstein und nicht aus Berlin oder sonstwo.
Oliver Fink: Die CDU scheint sich bei über 30 Prozent zu konsolidieren, kann von den herben Verlusten der FDP kaum profitieren. Der SPD hingegen nützen die Abkehr vom Krawallkandidaten Ralf Stegner und die Wahl Torsten Albigs zum Spitzenkandidaten. Sie kann so beinahe zur CDU aufschließen. Bündnis 90/Die Grünen müssen sich ebenso wie die FDP fragen, inwieweit ihr Ergebnis eigener Landespolitik oder dem Bundestrends geschuldet ist. Dabei liegen die Grünen weiterhin deutlich hinter der SPD, die FDP würde momentan an der Fünfprozenthürde scheitern. Ob die von Wolfgang Kubicki in Aussicht gestellte Verdopplung der Stimmenzahlen bis zur Landtagswahl gelingt oder das berühmte Pfeifen im Walde ist, wird sich zeigen. Die Linke bekommt mit 2 Prozent nicht nur das Ergebnis des Bundestrends aufgezeigt, sondern auch das einer bemerkenswert schwachen Performance im Landtag.
Umfragen sind allerdings keine Wahlergebnisse. Deshalb bleibt es bis zum 6. Mai 2012 um 18 Uhr spannend.
Ulf Kämpfer: Umfragen ein Jahr vor der Wahl sind Schall und Rauch, ABER:
Zunächst ist bemerkenswert, dass Albig trotz noch immer begrenzten Bekanntheitsgrades schon jetzt im direkten Vergleich mit v. Boetticher vorne liegt. Im Übrigen macht die Spanne von 20 Prozentpunkten zwischen CDU/FDP und SPD/Grünen/SSW klar, wie die Favoritenrollen verteilt sind. Bleibt die Grundkonstellation SchwarzGelb in Land und Bund bis zur Landtagswahl stabil und passiert auch sonst nichts Außergewöhnliches, wird der Vorsprung für einen Regierungswechsel reichen; da sich die SPD auf jeden Fall im Vergleich zu 2009 verbessern wird, hängt alles davon ab, ob sich der Höhenflug der Grünen stabilisiert. Dafür spricht, dass die Umfragenstärke angesichts der Präsenz der Landesgrünen nicht allein vom Bundestrend geliehen ist. Und es dürfte den Grünen zugute kommen, dass mit Carstensen, Kubicki und Stegner bei den Mitbewerbern nicht das politische Personal der Zukunft, sondern jenes aus Vergangenheit und Gegenwart (mit) in der ersten Reihe steht.
Malte Steckmeister: Wenn man einmal davon absieht, daß Wahlentscheidungen aufgrund abnehmender Parteibindungen und zunehmendem Einfluß kurzfristiger Trends immer volatiler und weniger prognosefähig werden, überraschen die derzeitigen Zahlen am ehesten dadurch, daß die CDU trotz des schmerzhaften Haushaltskonsolidierungskurses zunehmen konnte. Von 40+x ist die Union dabei genauso weit weg wie die SPD. Deren Spitzenkandidat hatte durch den langen von enormer medialer Aufmerksamkeit begleiteten innerparteilichen Kampf gegen den unbeliebten Stegner die Chance, sich durch warme Worte ins rechte Licht zu rücken und damit in der Wählergunst zunächst vor von Boetticher zu platzieren. Aber ob Albigs Strategie des Durchlavierens aufgehen kann, bleibt genauso fraglich, wie das Schicksal der Grünen. Deren Hang zum Populismus kann — beispielsweise im Vergleich von Anspruch und Wirklichkeit in Baden-Württemberg – bis zum Wahlzeitpunkt in einem Jahr nach hinten losgehen. Die FDP wird die Zeit bis zum 6. Mai 2012 intensiv nutzen müssen. Und dann sind wir schlauer.
Rüdiger Kohls: Nicht umsonst steht über den bunten Balken der infratest-dimap das Wort „TREND” in Großbuchstaben, man könnte es auch durch das Wort „MODE” ersetzen — und wir wissen alle wie schnell sich Mode ändert. Nichtsdestotrotz:
Klammheimlich hat die SPD in Schleswig-Holstein mit dem eher undogmatisch wirkenden Torsten Albig offenbar nahezu das gesamte nicht-grüne Linkspotential des Landes aufgesogen, trotz der Kannibalisierung der Linken aber nicht einmal ein Drittel der Befragten an sich binden können und wäre — in Form eines Wahlergebnisses — auf die trotz aller inhaltlichen Unzulänglichkeiten erstarkten Grünen zur Bildung einer rot-rot-grünen Zweiparteienkoalition angewiesen.
Die FDP dagegen muss erkennen, dass es für die Gunst der Kunden nicht ausreicht, den eigenen politischen Obsthandel allein mit dem Verkauf von Zitronen namens „Haushaltskonsolidierung” bestreiten zu wollen. Auch wenn jeder weiß, dass diese gelbe Frucht gesund und reich an Vitaminen ist, wird sie niemand in großen Maßen pur zu sich nehmen. Ihren Saft über einen Obstsalat aus verschiedenen süßen Früchten politischer Gestaltungsentscheidungen geträufelt aber, verleiht dem Geschmack eine notwendige Frische und verhindert unschöne Verfärbungen. Die Rezepte dafür sind vorhanden, müssen aber besser sichtbar präsentiert werden. Schließlich wird sie gezwungen sein, den Grünen die Zielscheibe ans Revers zu heften, um sie (mit Zitronen und anderem harten programmatischen Obst) inhaltlich überall dort zu stellen, wo der bloße Schein zur Politik erhoben wird.
Volker Thomas: Dass CDU und SPD im (Fast-)Gleichgewicht sind, hat höchst unterschiedliche Gründe. Die Sparbeschlüsse haben die CDU nicht in den Keller fallen lassen, dies deutet auf Wachstumspotential hin. Die SPD hat das Stegner-Tief überwunden, das jetzige Albig-Hoch muss allerdings noch mit realpolitischen Vorschlägen unterfüttert werden. Wenn das ausbleibt, wird die SPD absehbar vom Genossen Trend nach unten gezogen. Die Grünen können sich ihren Partner aussuchen. Da bleibt es spannend, wem sie sich stärker zuneigen werden. Die FDP ist stark angeschlagen. Die liberale Hoffnung auf einen besseren Bundestrend vernachlässigt die hauseigenen Schwächen: Noch nie gab es soviele Lehrer wie heute, dennoch ist die Unzufriedenheit mit dem wichtigen, wenn nicht wahlentscheidenden Thema Schule riesig. Da darf man gespannt sein, was sich die Liberalen personell und inhaltlich in nächster Zeit einfallen lassen.
Swen Wacker: 31 Prozent für die SPD. Auf diesem Umfrage-Stand war sie schon im August 2010, als der umstrittene Ralf Stegner noch fest im Sattel saß. Wo ist der Albig-Bonus? Und die CDU: Landauf landab hört man Klagen über eine Regierung, die auf Autopilot geschaltet hat. Das scheint die Menschen nicht davon abzuhalten, das weiterhin gleich gut (oder gleich schlecht) zu finden. Sie verharrt auf dem historisch niedrigen Niveau der letzten Landtagswahl. Die Grünen legen zu; woher kommen die Stimmen? Nichtwähler? Enttäuschte bürgerlich-liberale Wähler? Und: Trotz oder wegen des sehr offenen und aktiven Bekenntnisses zur Schuldenbremse? Bei den Linken fehlen, neben einer aktiv-positiven Vision, wahrnehmbaren Köpfen in der Landespolitik. Der SSW wird für seine Klientel-orientierte gradlinige Politik belohnt; die in Bewegung befindliche SPD oder die Grünen können ihr keine Wähler abspenstig machen. Und endlich die FDP – Dilemma oder Drama? Ihr inhaltlicher Kurs in Schleswig-Holstein (etwa in der Atompolitik) und ihre personelle Kritik wird von der Bundespartei unter Wehen und Schmerzen übernommen — Kubicki und Koppelin bei den Wahlen aber abgestraft. Liebt man den Verrat, aber nicht die Verräter? Oder ist es allein das Fleisch gewordene Kommunikationsdesaster Klug, das die FDP in den außerparlamentarischen Abgrund reißt?
Interessanter Blog.
Da man bei uns in Schleswig-Holstein mehrere Koalitionen zum Vergleich hat, kann man gut vergleichen.
10 Jahre Heide Simonis und bis zum 6. Mai 2012, 7 Jahre Peter Harry Carstensen.
Erst eine SPD Alleinregierung, dann eine Rot-Grüne Landesregierung. Später kam die Große Koalition und seit 2009 haben wir eine Schwarz/ Gelbe Regierung.
SPD und CDU haben den Schuldenberg auf mittlerweile knappe 27 milliarden Euro anwachsen lassen, trotz Schuldenbremse, geht die Tendenz der Schulden weiter nach oben.
Leider hat sich der Frust, über die Volksparteien SPD und CDU so dermaßen festgefahren bei mir, das ich nicht mehr gewillt bin, eine Partei zu wählen, die im Landtag vertreten ist.
Meine Favoriten sind die Freien Wähler Schleswig-Holstein, (seit kurzem bin ich dort Mitglied) und die Familienpartei.
Als Konservativ/ Liberaler Bürger, hat mich das Agieren der Regierung vor und während der HSH Nordbank-krise zu schaffen gemacht und die Kompetenz, die ich der CDU im Finanzbereich gegeben hatte, musste ich der CDU wieder entziehen.
Es kann nicht sein, das bei Hartz4 Empfängern, sanktionen ausgesprochen werden können, und das schlimmste ist, das der Regelsatz für 3 Monate gesperrt werden kann, während ein Bankvorstand Herr Nonnenmacher eine millionen-hohe „Bonuszahlung” erhält, obwohl der Bankvorstand, nicht ganz unschuldig am wirtschaftlichem Ruin war.
Dazu kommt das Gezerre ums neue Wahlgesetz und vieles mehr.
Viele CDUler sind auch sauer darüber, das das Blindengeld, gekürtzt wurde und die Herren Minister die gleichzeitig Abgeordnete sind, sich wochenlang gesperrt haben, ihren Sparbeitrag zu leisten, zu dem sie fähig waren und sind.
Trotzdem bin ich gespannt, wie die Parteien das 1 Jahr bis zur Wahl nutzen werden.