Die Kreativwirtschaft boomt. Mit 63 Milliarden Euro tragen Künstler, Publizisten, Werber und die dazugehörige Industrie inzwischen fast so viel zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bundesrepublik bei wie der Maschinenbau oder die Autoindustrie.
Die Bedeutung der Kreativwirtschaft für Schleswig-Holstein wurde nun durch eine Tagung im Wissenschaftszentrum Kiel unterstrichen. Unter dem Titel „Kreativ zwischen den Meeren“ trafen sich Anfang Juni über 150 Kreativlinge, Wirtschaftsförderer sowie Vertreter aus Verbänden und Politik, um über die Möglichkeiten der Branche und ihre Förderung zu diskutieren.
Schleswig-Holstein unter Bundesdurchschnitt
Zwar sind im Bundesland nur 1,7 Prozent aller Erwerbstätigen in Kultur- oder Kreativberufen tätig, was knapp unter dem Bundesdurchschnitt (2,3 Prozent) und weit unter den Spitzensätzen von Berlin (7,5 Prozent) und Hamburg (5,9 Prozent) liegt, dennoch konnte die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium Tamara Zieschang auf der Tagung auch für Schleswig-Holstein den bundesweit stark positiven Trend bestätigen. Die Branche habe sich zu einem Wachstumsmotor entwickelt, der neue Arbeitsplätze schaffe und dessen Potenziale es zu nutzen gelte, so eine Mitteilung der Landesregierung.
In dem Schreiben heißt es auch, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft in Schleswig-Holstein zurzeit 2,2 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. Die 6.000 dahinterstehenden Unternehmen tragen einen Anteil von 5,7 Prozent zur Gesamtwirtschaft des Lands bei (bundesweit: 6,3 Prozent).
Arbeitsplätze: Kreative stark wie die Automobilindustrie
Noch deutlicher wird die Kraft des von Zieschang angesprochene Wachstumsmotors, schaut man auf die mittlerweile gut dokumentierten Bundeszahlen: Die 237.000 Betriebe der Branche halten mit 787.000 abhängig Beschäftigten ebenso viele Menschen in Lohn und Brot wie die Automobilindustrie. Rechnet man die Selbstständigen hinzu, arbeiten in der Bundesrepublik kapp über eine Million Menschen in der Kreativwirtschaft. Dabei liegt der Frauenanteil mit 40 bis 44 Prozent um das sechsfache über dem gesamtwirtschaftlichen Schnitt.
Um dieses Potenzial zu erschließen, rief Zieschang, wie die Landesregierung berichtete, diejenigen, die in der Kreativwirtschaft ihr berufliches Zuhause haben, auf, Fördermöglichkeiten von Bund und Ländern konsequent zu nutzen. Dazu sei es zurzeit nötig, den Dialog zwischen Kreativen und Banken zu stärken. Die Tagung diene vor diesem Hintergrund auch als Plattform, um neue Kontakte zu knüpfen.
Regionale Anlaufadresse
Einen weiteren Ansatz verfolgt die Bundesregierung seit 2007 mit der „Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft“. Mit ihr bündelt sie ihre Anstrengungen zur Unterstützung der Branche. Kern ist das beim Rationalisierungs- und Innovationszentrum der deutschen Wirtschaft (RKW) angesiedelte Kompetenzzentrum. Es versteht sich nach eigener Aussage als Mittler zwischen Kreativen und politischen Entscheidungsträgern.
Das Kompetenzzentrum unterhält acht Regionalbüros. Zuständig für Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg ist Frank Lemloh (Adresse unten). Regelmäßige Sprechtage hält er in Flensburg, Husum, Kiel, Lübeck und Rendsburg ab.
Kreativ zwischen den Meeren
Wie die Landesregierung weiter schrieb, konnten sich im Rahmen der Tagung als Unternehmen aus dem Kreativbereich die Cloudsters aus Lübeck, der „Einfallsraum“ aus Kiel und Torsten Meyer-Bogyas „Büro für Gestaltung“, ebenfalls aus Kiel, vorstellen. Stehen die Cloudsters für eine Kombination aus Coworking und vor allem virtueller, großräumiger Vernetzung, veranschaulichte Meyer-Bogya die Situation der Design-Wirtschaft in Schleswig-Holstein. Der „Einfallsraum“ wurde als Best-Practice-Beispiel für eine gelungene Kombination aus Marktentwicklung, Design sowie Marken- und Produktbetreuung vorgestellt.
Abrundend, so die Landesregierung im Kulturportal des Landes, stellte Holger Zervas von der Investitionsbank Schleswig-Holstein konkrete Fördermöglichkeiten vor und kündigte an, dass ein Mikrokredit-Programm in Vorbereitung sei, das als niederschwelliges Angebot für Unternehme mit geringem Fremdkapitalbedarf vor allem die Kreativwirtschaft interessieren können.
Nicht zu unterschätzen
„Die ökonomische Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft kann gar nicht deutlich genug herausgestellt werden“, hält die Bundesregierung als Begründung für ihr Interesse an der Branche fest. Sie habe sich seit den 1980er-Jahren zu einem der bedeutendsten Wirtschaftszweige entwickelt. Gestützt wird sie in ihrem Interesse besonders von den Entwicklungen der jüngsten Zeit: Nicht einmal die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise konnte dem Wachstum der Kreativwirtschaft etwas anhaben. Während das verarbeitende Gewerbe mit Einbußen von 18 Prozent kalkulieren musste, kam die – so die offizielle Bezeichnung – Kultur- und Kreativwirtschaft mit einem leichten Kratzer von 3,5 Prozent minus davon. Seitdem zeigt die Tendenz wieder nach oben.
Dass die Kreativwirtschaft einen bedeutenden Anteil an der Wirtschaftsleistung im Land haben und dass die institutionellen Rahmenbedingungen hier stimmen, das ist auf der Tagung deutlich geworden. Dass die Lage Schleswig-Holsteins im Drehkreuz zwischen Nord- und Mitteleuropa sowie die Möglichkeiten dieser kaum von Schwerindustrie vorbelasteten reizvollen Region für die Kultur- und Kreativwirtschaft recht günstig sind – auch das könnte ins Bewusstsein der Teilnehmer eingegangen sein.
Nachtrag am 28. Juni 2011:
Das Mikrokreditprogramm ist seit dem 23. Juni 2011 verfügbar. Der Landesblog berichtet darüber unter dem Titel „Mikrokredite sollen Kreativwirtschaft stärken”.
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Die Zahlen entstammen dem Forschungsbericht „Monitoring zu wirtschaftlichen Eckdaten der Kultur- und Kreativwirtschaft“, den das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben, der länderübergreifenden Zusammenstellung „Kulturindikatoren auf einen Blick“ sowie der erwähnten Mitteilung der Landesregierung im Kulturportal mit dem Titel „Kreativ zwischen den Meeren“.
Einen eigenen Bericht zur Lage der Kultur- und Kreativwirtschaft hat die Landesregierung offensichtlich zuletzt 2004 veröffentlicht: Bericht der Landesregierung über Entwicklung und Stand der Kulturwirstschaft in Schleswig-Holstein.
Nächster Termin für die Kreativwirtschaft im Land ist der „Creative Monday Nord“, der in Lübeck am 22. Juni und damit an einem Mittwoch stattfindet.
Eine Coworking-Initiative gibt es inzwischen auch in Kiel. Sie trifft sich jeden Donnerstag ab 11 Uhr zum Jelly-Coworking in der Lounge des Galileo am Westring 453 (Wissenschaftspark).
Ansprechpartner der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung für Schleswig-Holstein:
Frank Lemloh
RKW Nord GmbH
Habichtstraße 41
22305 Hamburg
E-Mail: lemloh@rkw-kreativ.de
Lesenswerte Beleuchtung eines Aspekts, der sich so meiner Wahrnehmung bisher nicht erschlossen hatte. Danke.
Der Artikel stellt ja eine Beziehung zwischen Kreativwirtschaft und Automobilindustrie her – zumindest hinsichtlich der Anzahl der Arbeitsplätze. Was mich allerdings auch interessieren würde, ist die Antwort auf die Fragen, wie hoch der Umsatz, das Steueraufkommen und die Unterstützung mit öffentlichen Geldern (sei es als Kultur-, Wirtschafts- oder Forschungsförderung) im Vergleich ausfallen. Existieren dazu auch Zahlen?
@Oliver: Danke für deine Feedback und die Fragen! Der Monitoring-Bericht, wie ich ihn unter meinen Quellen aufgeführt habe, beziffert den Umsatz der Kultur- und Kreativwirtschaft auf 131,4 Milliarden Euro. Zu Steueraufkommen und Förderung mit öffentlichen Geldern habe ich keine Angaben. Ich denke aber, dass man zum Vergleich der Branchen die Bruttowertschöpfung gut heranziehen kann. Aus dem Monitoring-Bericht ergeben sich für 2009 dann die folgenden Zahlen: IKT-Industrie 93 Mrd., Automobilindustrie 77 Mrd., Kultur- und Kreativwirtschaft 63 Mrd., Chemie 53 Mrd. und Energieversorgung 43 Mrd. Euro.
Hallo Dieter,
was ich mich schon während der Veranstaltung fragte — weißt du, ob der NDR in der Statistik drinsteckt, also in den 2,2 Mrd?
Das könnten zum einen die Gebühren sein, die er einnimmt.
Da ließe sich fragen, ob die gerechtfertigt in dieser Statistik auftauchen, ist der NDR doch letztlich Staatsquote. Wenn ja, wäre zu schauen, wie es mit den Aufträgen steht, die der NDR an die regionale Wirtschaft ausschüttet (Produktionen, Künstler, etc).
Dann würde dieses Geld doppelt erfasst.
@Ulrich: Hallo, hab Dank für deine interessante Frage. Wie die Öffentlich-Rechtlichen berücksichtigt werden, habe ich mich auch gefragt und verstehe es so, dass beispielsweise der NDR nicht in die Berechnungen einfließt. Für mich geht das aus der Beschreibung des betreffenden Teilmarktes Rundfunkwirtschaft hervor. Dort wird gesagt: Der privatwirtschaftliche Rundfunk, hier als Rundfunkwirtschaft bezeichnet, …
Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das eine gute Eingrenzung ist. Denn zumindest die Werbeeinnahmen der Öffentlich-Rechtlichen könnte man ja als Umsatz werten, wenn — von ökonomischer Warte aus — nicht auch die Gebühreneinnahmen.
Die Aufträge, die der NDR in den Bereich der Kreativwirtschaft abgibt, werden, wie du schon sagtest, schließlich als Umsätze und Gewinnanteile in den jeweiligen Unternehmen erfasst.