Es drängt sich in den letzten Wochen ein wenig der Verdacht auf, dass das politische Sommerloch des Jahres 2011 in Schleswig-Holstein offenbar nur unter Beteiligung der schleswig-holsteinischen Justiz gefüllt werden kann. Wurde zunächst eine Amtsrichterin für die ränkisch-zänkischen Plänkeleien der Parteien instrumentalisiert, sorgt nun der medienwirksame Vorstoß der Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts Uta Fölster, den körperlichen Eingriff von Blutentnahmen aus Anlass von Alkohol- und Drogenkontrollen künftig ohne richterliche Anordnung direkt von den eingesetzten Polizeibeamten verfügen zu lassen, für Diskussionsstoff und erregte Reaktionen Pawlowschen Ausmaßes insbesondere derjenigen, die sich als Strafverteidiger der Betroffenen beruflich mit der Materie befassen.
Konkret geht es dabei um die Vorschrift des §81a StPO:
§ 81a
(1) Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Zu diesem Zweck sind Entnahmen von Blutproben und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist.
(2) Die Anordnung steht dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu.
(3) …
Dieser enthält in seinem Abs.2 einen einfachgesetzlich geregelten sog. Richtervorbehalt: Blutproben und andere körperliche Eingriffe dürfen danach grundsätzlich, aber nicht ausnahmslos, vorrangig nur durch einen Richter angeordnet werden, weil dieser auf staatliche Veranlassung hin auch gegen den Willen des Betroffenen erzwungene Eingriff den Schutzbereich der grundrechtlich garantierten körperlichen Unversehrtheit dieses Menschen betrifft.
Nun hat diese Regelung in der Praxis der Strafverfolgung erhebliche Konsequenzen, weil gerade die trunkenheits- und rauschbedingten Verkehrsstraftaten noch immer Massendelikte in einem automobilen Land sind, wo Bier und Wein aus vielen Hähnen, Fässern, Flaschen und Dosen fließen. Polizeikontrollen finden zumeist in den Abend- und Nachtstunden statt und führen in einem unheiligen Zusammenwirken mit dem menschlichen Stoffwechsel zu einem Wettlauf zwischen richterlicher Erreichbarkeit und dem Abbau von Alkohol und/oder anderen Wirkstoffen aus dem menschlichen Kreislauf, das der Vertreter der Jurisprudenz bislang in der Regel zu verlieren neigt. Es gilt daher zu berücksichtigen, wo die Diskussion herrührt, die nun ausgerechnet aus der Richterschaft neu angefacht wird. Es ist nämlich bei weitem nicht so, dass der Polizeibeamte auf der Straße sagt: „Mir sind die Grundrechte egal, ich hau der nach billigem Fusel stinkenden, Papas-Porsche-fahrenden 18-jährigen Schnapsleiche mal gepflegt eine Kanüle in den Arm, weil mir das Spaß macht!”
Vielmehr wurden die Beamten in den vergangenen Jahren vermehrt damit konfrontiert, dass der Staat nicht in der Lage ist, seinen in ehrwürdiger richterlicher Unabhängigkeit arbeitenden Männern und Frauen einen vernünftig funktionierenden Bereitschaftsdienst vorzuschreiben. Strafverteidiger monieren in diesen Fällen oft, dass in vielen Gerichten die entsprechenden Diensthandys der Bereitschaftsrichter ab 22.00 Uhr einfach ausgeschaltet werden um dem richterlichen Schlaf ein Wohlgefallen zu tun. Lange Zeit führte das dazu, dass bei Blutentnahmen ohne richterliche Anordnung auf Grundlage der Ausnahmeregelung des §81 Abs.2 StPO mit der Begründung der Gefährdung des Untersuchungserfolges gearbeitet wurde, bis es schließlich so eingeschliffen war, dass schnell nicht einmal mehr pro forma versucht wurde, einen Richter ans Telefon zu bekommen. Da der Richtervorbehalt des §81a StPO „nur” ein einfachgesetzlicher und eben kein verfassungsrechtlicher Richtervorbehalt ist, stellte sich eine solche Verweigerung nicht unmittelbar als Mißachtung der Verfassung dar und wird schließlich im Strafverfahren — durch höchstrichterliche Rechtsprechung gebilligt — nicht einmal mehr obligatorisch mit einem Verwertungsverbot geahndet.
Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht erst im letzten Jahr gezwungenermaßen wiederholt zur Klarstellung seiner tradierten Rechtsprechung genötigt gesehen, dass der Richtervorbehalt zumindest effektiven Rechtsschutz durch „eine effektive Kontrolle der Ermitlungsmaßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz” gewährleiste und allein „bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung verbundene Verzögerung” die Staatsanwaltschaft und — nachrangig — die Ermittlungsbehörden die Blutentnahme selbst anordnen dürfe. Doch die deutsche Rechtsprechung hat bereits höchstselbst erst dafür gesorgt, dass dieser strafprozessuale Richtervorbehalt heute von einer OLG-Präsidentin als „überholt” und „überflüssig” bezeichnet werden kann.
Neuer Anschub für CDU-Initiative zur Änderung der StPO
Mit ihrer Forderung, diesen Richtervorbehalt abzuschaffen, sekundiert die Juristin aus Schleswig eine entsprechende Initiative der CDU aus dem Jahre 2010, die seit mehr als einem halben Jahr auf die Befassung im Bundestag wartet, weil die Bundesregierung — durch das zuständige Bundesjustizministerium — Prüfungsbedarf anmeldete. Niedersachsen hatte im November 2010 einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, der die „Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben” für die Straftatbestände der Trunkenheit im Verkehr, der Straßenverkehrsgefährdung und der Gefährdung des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs neu regeln soll, indem dem §81a Abs.2 StPO folgende Sätze angefügt werden:
„Einer richterlichen Anordnung bedarf es nicht in den Fällen der §§ 315a und 315c bis 316 des Strafgesetzbuchs, wenn eine Blutprobenentnahme dem Nachweis von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut dienen soll. § 98 Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.”
Zur Begründung führt der Entwurf aus, der einfachgesetzliche Richtervorbehalt sei nicht speziell auf die Entnahme von Blutproben zugeschnitten, sondern gelte generell für die Anordnung zwangsweiser körperlicher Untersuchungen bzw. Eingriffe. Bei Blutprobenentnahmen zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut entspreche diese Regelung nicht den Erfordernissen effektiver Strafverfolgung als einem wichtigen verfassungsrechtlichen Grundsatz, da eine möglichst umgehende Entscheidung über die Entnahme einer Blutprobe zu oft nicht erfolge:
„Verzögerungen bei der Blutentnahme vermindern wegen des schnellen Abbaus der Alkohol- bzw. Wirkstoffkonzentration im Blut die Genauigkeit der Feststellung. Zeitliche Verzögerungen bei der Blutentnahme können auch durch Rückrechnung nicht kompensiert werden, denn bei jeder Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration auf den Tatzeitpunkt muss zugunsten des Beschuldigten von zwar theoretisch vorkommenden, aber der Realität regelmäßig nicht entsprechenden Abbauwerten ausgegangen werden. Mit der Einholung einer richterlichen Anordnung ist stets eine gewisse zeitliche Verzögerung verbunden, selbst wenn der Richter — was bei Blutprobenentnahmen regelmäßig der Fall ist — ohne Vorlage der Ermittlungsakten allein aufgrund der ihm telefonisch mitgeteilten Informationen des Polizeibeamten vor Ort und des entsprechenden Antrags der Staatsanwaltschaft entscheidet. Die derzeitige Rechtslage kann mithin dazu führen, dass eine Blutalkoholkonzentration angenommen werden muss, die den Straftäter einer Sanktionierung entzieht, oder eine Straftat folgenlos bleibt, weil die Blutalkohol- oder Wirkstoffkonzentration zum Tatzeitpunkt nicht mehr festgestellt werden kann.” […]
„Von unter Alkohol- oder Betäubungsmitteleinfluss stehenden Fahrzeugführern gehen erhebliche Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs und andere Verkehrsteilnehmer aus. Der Einfluss von berauschenden Mitteln in Form von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten stellt im Straßenverkehr eine der Hauptursachen für Verkehrsunfälle mit schweren Folgen dar. Fahrten unter Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Medikamenteneinfluss müssen deshalb im Interesse der Verkehrssicherheit effektiv geahndet werden können. Das ist nach derzeitiger Rechtslage aus den dargestellten Gründen nicht sicher gewährleistet. Durch die derzeitige Rechtslage wird das zentrale Anliegen des Strafverfahrens in rechtsstaatlich nicht gebotener Weise erschwert.” [BR-Drucksache 615/10B]
Als Lösung solle sowohl Staatsanwaltschaft wie ihren Ermittlungspersonen (der Polizei) „eine eigenständige gleichrangige Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut eingeräumt” werden, weil die Alternative lediglich die „Beibehaltung des bisherigen unbefriedigenden Rechtszustande” sei. Rechtsstaatliche Bedenken bestünden gegen eine solche Regelung nicht, da ein Richtervorbehalt für die Entnahme von Blutproben weder durch das Grundgesetz vorgeschrieben, noch aus rechtsstaatlichen Gründen geboten sei.
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Kieler Landtag, Werner Kalinka, ist der Forderung Fölsters im Namen seiner Fraktion prompt beigetreten — Und spannte die OLG-Präsidentin — so scheint es — metaphorisch noch ein wenig strammer vor den politischen Karren. Es handele sich um eine „sachgerechte, praxisorientierte und praxistaugliche Anregung.”, die CDU-Fraktion teile diese Auffassung seit langem:
„Besonders für die Polizei wäre dies eine erheblich erleichternde, der Rechtssicherheit ihrer Arbeit dienende Handhabung. Der „Piks“ bei einer Blutentnahme sei tatsächlich kein bedeutsamer Eingriff. Eine Alkoholprobe erfolge im Übrigen nicht ohne Anlass. Schon heute seien die Richter bei ihrer Entscheidung in den meisten Fällen auf die Einschätzung der Polizeibeamten vor Ort angewiesen. Für die Rechtmäßigkeit der Anordnung zur Blutprobe stehe der Polizeibeamte wie auch sonst bei seinem Handeln ein.”
Vom liberalen Koalitionspartner darf die CDU dabei keine Unterstützung erwarten: Für die FDP-Landtagsfraktion wies Ingrid Brand-Hückstädt die Forderung Kalinkas scharf zurück und bekräftigte damit die Haltung aus dem vergangenen November, als die Liberalen den Koalitionspartner bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf aus Niedersachsen zur Enthaltung im Bundesrat verpflichteten: „Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist ein hohes Gut. Wer hier die Tür öffnet, hat womöglich ganz andere Grundrechtseingriffe im Hinterkopf.” Die Rechtsanwältin fügte hinzu:
„Dass nach der Strafprozessordnung grundsätzlich ein Richter eine Blutentnahme anordnen muss, ist und bleibt richtig: Es wird das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit berührt — eine Blutprobe ist also ein Grundrechtseingriff, auch wenn sie im Vergleich zur Wohnungsdurchsuchung beispielsweise als nachrangig angesehen wird.”
Der Rechtspolitiker der Grünen-Fraktion Thorsten Fürter, im Zivilberuf Richter, näherte sich dem Problem pragmatisch. Richtervorbehalte, die nur auf dem Papier stünden, brächten in der Praxis für den Grundrechtsschutz so gut wie nichts:
„Wenn eine Richterin oder ein Richter vom Polizeibeamten angerufen wird, ob bei einer Kontrolle an der A1 mitten in der Nacht einem Fahrer durch den Arzt Blut abgenommen werden darf, besteht für das Gericht praktisch keine andere Möglichkeit, als den Angaben des Beamten zu folgen.”
Heinz-Werner Jezewski, innenpolitischer Sprecher der Linken sieht hingegen keinen Anlass, den Richtervorbehalt aufzugeben:
„Bisher gibt es klare Regelungen, unter welchen Voraussetzungen dieses Grundrecht eingeschränkt werden kann, und dazu gehört die Zustimmung eines Richters. Auch jetzt schon kann — in Ausnahmefällen — davon abgewichen werden.“
Wenn Richter im Alltag keine Zeit dafür hätten, dann werde für ihn andersherum ein Schuh daraus: Der Aufwand zur Anordnung von Blutentnahmen müsse in den Personalplänen des Justizministeriums „angemessene Berücksichtigung“ finden.
Ein kleiner Pieks für einen Menschen — Ein großer Schnitt für…???
Wie kontrovers ist der Fölster-Vorstoß wirklich? Tatsächlich wandelt die Schleswiger OLG-Präsidentin auf einem Pfad, dessen Richtung bereits durch langjährige Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts gleichsam ausgetrampelt vorgegeben ist — und zwar mit dem sehr interessanten Argument „Uns doch egal, was der Gesetzgeber in die StPO schreibt!”:
„Der einfachrechtliche Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO gehört nicht zum Bereich des rechtsstaatlich Unverzichtbaren (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008 — 2 BvR 784/ 08 -, juris Rn. 12). Das Grundgesetz enthält ausdrückliche Richtervorbehalte nur für Wohnungsdurchsuchungen (Art. 13 Abs. 2 GG) und Freiheitsentziehungen (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG), nicht aber für Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG). Auch die hohe Bedeutung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet verfassungsrechtlich nicht, dass die — zwingend von einem Arzt vorzunehmende — Blutentnahme zum Nachweis von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut nur durch einen Richter angeordnet werden dürfte. Eine Blutentnahme zum Zwecke der Aufklärung eines Sachverhalts tastet das Grundrecht nicht in seinem Wesensgehalt an (vgl. BVerfGE 5, 13 [15]) und stellt auch keinen so schwerwiegenden Eingriff dar, dass aus dem Gesichtspunkt der Eingriffstiefe heraus ein Richtervorbehalt zu verlangen wäre (vgl. BVerfGE 16, 194 [200 f.]). Der Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO beruht auf einer Entscheidung des Gesetzgebers, nicht auf einer zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgabe.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO im nachfolgenden Strafverfahren keine verfassungsrechtliche Bedeutung erlangen könnte. Es bleibt jeweils zu prüfen, ob die maßgeblichen strafrechtlichen Vorschriften unter Beachtung des Fairnessgrundsatzes und in objektiv vertretbarer Weise, also ohne Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), ausgelegt und angewandt worden sind (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]; BVerfG, Beschluss der 2.Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008 — 2 BvR 784/ 08 -, juris Rn. 12).” [BVerfGE http://lexetius.com/2011,642
Dieses klare Votum muss man weder rechtlich noch politisch teilen. Aber die Schlussfolgerung, deswegen gesetzgeberisch vor der Judikatur zu Kreuze zu kriechen und den Richtervorbehalt für ausgewählte Straftaten aushebeln zu müssen, ist keineswegs alternativlos. Man wird jedenfalls im gleichen Atemzug darüber diskutieren müssen, ob das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit nicht umgekehrt einen verfassungsrechtlichen Richtervorbehalt benötigt: In meine Wohnung darf der Staat nicht ohne richterliche Rechtsgüter-Abwägung eindringen, aber in meinen Körper schon?
Das Argument „Das ist doch nur ein kleiner Pieks” ist in diesem Zusammenhang kaum durchgreifend — Und ich wundere mich enorm, dass ausgerechnet eine OLG-Präsidentin sich dies zu eigen macht. Man könnte ketzerisch sagen: Auch die Giftspritze beginnt nur mit einem kleinen Pieks! Es geht hier nicht nur um den Eingriff des Staates in die körperliche Unversehrtheit oder die Handlungsfreiheit — hier wird ein Bürger gegebenenfalls zur Duldung gezwungen, an seiner eigenen Überführung mitzuwirken und damit zum Beweismittel gegen sich selbst, also zum Objekt staatlichen Handelns degradiert, was ebenso die Menschenwürde betrifft. Allein aus Bequemlichkeit den Richtervorbehalt abschaffen zu wollen, halte ich daher für den falschen Weg. Die Sorge, damit werde das Einfallstor eröffnet, auch in anderen gesetzlichen Fällen Hand an bislang weit strengere Anforderungen an den richterlichen Vorbehalt anzulegen, ist jedenfalls nicht vollkommen unbegründet. Gibt es tatsächlich kein anderes, gleich geeignetes und milderes Mittel zur Lösung dieses Dilemmas? Was spricht dagegen, zumindest bei den zumeist akribisch geplanten Polizeikontrollen einen Bereitschaftsrichter vor Ort abzustellen?
In einer Wortmeldung vor der Beschlussfassung über den o.g. Gesetzentwurf im Bundesrat, fasste der sächsische Justizminister Dr. Jürgen Martens (FDP) seine Bedenken so zusammen:
„Meine Damen und Herren, es ist allen bewusst, dass diese Problematik gelöst werden muss. Die Betonung liegt dabei aber auf „Lösung“. Wir sind uns einig, dass den handelnden Ermittlungspersonen klare und eindeutige Regelungen an die Hand gegeben werden müssen, um Beweise schnell und gerichtsfest zu sichern. Der heute zu beratende Gesetzentwurf will dies ganz einfach mit der Aufhebung des Richtervorbehaltes in § 81a Absatz 2 für bestimmte Straftaten erreichen.
Ich meine, wir machen es uns hier zu leicht. Mit dieser Lösung wird lediglich die Praxis von Gerichten legitimiert, keinen richterlichen Bereitschaftsdienst in der Nacht einzurichten – auf Kosten der Rechte von Bürgern, auch wenn diese möglicherweise beschuldigt sind, Trunkenheitsfahrten begangen zu haben.”
[Plenarprotokoll des Bundesrates, 876.Sitzung, S. 804]
Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat gerade das Strafprozessrecht in vielen Bereichen (z.B. bei den Beweisverwertungsverboten) zu Gunsten einer effektiven Strafverfolgung und damit im überwiegenden öffentlichen Interesse, aber eben zu Lasten des Bürgers enorm relativiert. Daher ist vor allem auf Seiten der Rechtsanwälte der Aufschrei so enorm groß. Der Politik — egal ob liberal oder nicht — muss daran gelegen sein, mehr auf einen verantwortungsvollen Ausgleich der verfassungsrechtlichen Interessen effektiver Strafverfolgung einerseits und grundrechtlichem Eingriffschutz andererseits zu achten. Dazu gehört, sich politisch über die Frage auszutauschen, ob das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit durch einen verfassungsrechtlichen Richtervorbehalt besser vor staatlichen Eingriffen geschützt werden muss.
Eine vernünftige richterliche Kontrolle braucht Zeit. Es ist nicht angemessen, Beschlüsse, die Handlungen erlauben, welche nur mit richterlicher Genehmigung zulässig sind, auf Zuruf über Telefon zu erlassen. Vielmehr sollte es zumindest einen (schriftlich) fixierten Polizeibericht geben. Die Blutalkoholkonzentration ändert sich aber schnell. Deshalb hat man früher die Bluprobenentnahmen immer mit Gefahr im Verzug gerechtfertigt: Die Zeit reicht für eine sinnvolle richterliche Kontrolle nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat erst vor wenigen Jahren (leider) entschieden, dass Gefahr im Verzug auch dann nicht gegeben ist, wenn ein Richter die Maßnahme auch per Telefon nach fernmündlicher Schilderung des Sachverhalts genehmigen kann.
Damit wurde der Richtervorbehalt nicht gestärkt, sondern geschwächt: Zwar müssen Richter häufiger beteiligt werden, aber es reicht bloßes ab-nicken. Es ist gut, wenn man davon wieder wegkommt.
Ich denke mir mal die vorgeschlagene Ausnahmeregelung zeigt schon wie wichtig der Richtervorbehalt ist, selbst wenn der Richter nicht groß prüfen kann. Man stelle sich nur eine Polizeistreife vor, die bei einer nächtlichen Ruhestörung in einer Wohnung auf die Idee kommt Partybesucher mitzunehmen um diese zu „prüfen”. Ein Richter würde — wenn er nicht belogen wird — denen etwas husten. Mit der Neuregelung gäbe es zumindest von der Seite der Anordung der Massnahme keine Hürden mehr.