Ein kleiner Pieks für einen Menschen - Ein großer Schnitt für das Verfassungsrecht?

Von | 22. Juli 2011

Es drängt sich in den letz­ten Wochen ein wenig der Verdacht auf, dass das poli­ti­sche Sommerloch des Jahres 2011 in Schleswig-Holstein offen­bar nur unter Beteiligung der schles­wig-hol­stei­ni­schen Justiz gefüllt wer­den kann. Wurde zunächst eine Amtsrichterin für die rän­kisch-zän­ki­schen Plänkeleien der Parteien instru­men­ta­li­siert, sorgt nun der medi­en­wirk­sa­me Vorstoß der Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts Uta Fölster, den kör­per­li­chen Eingriff von Blutentnahmen aus Anlass von Alkohol- und Drogenkontrollen künf­tig ohne rich­ter­li­che Anordnung direkt von den ein­ge­setz­ten Polizeibeamten ver­fü­gen zu las­sen, für Diskussionsstoff und erreg­te Reaktionen Pawlowschen Ausmaßes ins­be­son­de­re der­je­ni­gen, die sich als Strafverteidiger der Betroffenen beruf­lich mit der Materie befas­sen.

Konkret geht es dabei um die Vorschrift des §81a StPO:

§ 81a
(1) Eine kör­per­li­che Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen ange­ord­net wer­den, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Zu die­sem Zweck sind Entnahmen von Blutproben und ande­re kör­per­li­che Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärzt­li­chen Kunst zu Untersuchungszwecken vor­ge­nom­men wer­den, ohne Einwilligung des Beschuldigten zuläs­sig, wenn kein Nachteil für sei­ne Gesundheit zu befürch­ten ist.

(2) Die Anordnung steht dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu.

(3) …

Dieser ent­hält in sei­nem Abs.2 einen ein­fach­ge­setz­lich gere­gel­ten sog. Richtervorbehalt: Blutproben und ande­re kör­per­li­che Eingriffe dür­fen danach grund­sätz­lich, aber nicht aus­nahms­los, vor­ran­gig nur durch einen Richter ange­ord­net wer­den, weil die­ser auf staat­li­che Veranlassung hin auch gegen den Willen des Betroffenen erzwun­ge­ne Eingriff den Schutzbereich der grund­recht­lich garan­tier­ten kör­per­li­chen Unversehrtheit die­ses Menschen betrifft.

Nun hat die­se Regelung in der Praxis der Strafverfolgung erheb­li­che Konsequenzen, weil gera­de die trun­ken­heits- und rausch­be­ding­ten Verkehrsstraftaten noch immer Massendelikte in einem auto­mo­bi­len Land sind, wo Bier und Wein aus vie­len Hähnen, Fässern, Flaschen und Dosen flie­ßen. Polizeikontrollen fin­den zumeist in den Abend- und Nachtstunden statt und füh­ren in einem unhei­li­gen Zusammenwirken mit dem mensch­li­chen Stoffwechsel zu einem Wettlauf zwi­schen rich­ter­li­cher Erreichbarkeit und dem Abbau von Alkohol und/​oder ande­ren Wirkstoffen aus dem mensch­li­chen Kreislauf, das der Vertreter der Jurisprudenz bis­lang in der Regel zu ver­lie­ren neigt. Es gilt daher zu berück­sich­ti­gen, wo die Diskussion her­rührt, die nun aus­ge­rech­net aus der Richterschaft neu ange­facht wird. Es ist näm­lich bei wei­tem nicht so, dass der Polizeibeamte auf der Straße sagt: „Mir sind die Grundrechte egal, ich hau der nach bil­li­gem Fusel stin­ken­den, Papas-Porsche-fah­ren­den 18-jäh­ri­gen Schnapsleiche mal gepflegt eine Kanüle in den Arm, weil mir das Spaß macht!”

Vielmehr wur­den die Beamten in den ver­gan­ge­nen Jahren ver­mehrt damit kon­fron­tiert, dass der Staat nicht in der Lage ist, sei­nen in ehr­wür­di­ger rich­ter­li­cher Unabhängigkeit arbei­ten­den Männern und Frauen einen ver­nünf­tig funk­tio­nie­ren­den Bereitschaftsdienst vor­zu­schrei­ben. Strafverteidiger monie­ren in die­sen Fällen oft, dass in vie­len Gerichten die ent­spre­chen­den Diensthandys der Bereitschaftsrichter ab 22.00 Uhr ein­fach aus­ge­schal­tet wer­den um dem rich­ter­li­chen Schlaf ein Wohlgefallen zu tun. Lange Zeit führ­te das dazu, dass bei Blutentnahmen ohne rich­ter­li­che Anordnung auf Grundlage der Ausnahmeregelung des §81 Abs.2 StPO mit der Begründung der Gefährdung des Untersuchungserfolges gear­bei­tet wur­de, bis es schließ­lich so ein­ge­schlif­fen war, dass schnell nicht ein­mal mehr pro for­ma ver­sucht wur­de, einen Richter ans Telefon zu bekom­men. Da der Richtervorbehalt des §81a StPO „nur” ein ein­fach­ge­setz­li­cher und eben kein ver­fas­sungs­recht­li­cher Richtervorbehalt ist, stell­te sich eine sol­che Verweigerung nicht unmit­tel­bar als Mißachtung der Verfassung dar und wird schließ­lich im Strafverfahren — durch höchst­rich­ter­li­che Rechtsprechung gebil­ligt — nicht ein­mal mehr obli­ga­to­risch mit einem Verwertungsverbot geahn­det.

Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht erst im letz­ten Jahr gezwun­ge­ner­ma­ßen wie­der­holt zur Klarstellung sei­ner tra­dier­ten Rechtsprechung genö­tigt gese­hen, dass der Richtervorbehalt zumin­dest effek­ti­ven Rechtsschutz durch „eine effek­ti­ve Kontrolle der Ermitlungsmaßnahme durch eine unab­hän­gi­ge und neu­tra­le Instanz” gewähr­leis­te und allein „bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer rich­ter­li­chen Entscheidung ver­bun­de­ne Verzögerung” die Staatsanwaltschaft und — nach­ran­gig — die Ermittlungsbehörden die Blutentnahme selbst anord­nen dür­fe. Doch die deut­sche Rechtsprechung hat bereits höchst­selbst erst dafür gesorgt, dass die­ser straf­pro­zes­sua­le Richtervorbehalt heu­te von einer OLG-Präsidentin als „über­holt” und „über­flüs­sig” bezeich­net wer­den kann.

 

Neuer Anschub für CDU-Initiative zur Änderung der StPO

Mit ihrer Forderung, die­sen Richtervorbehalt abzu­schaf­fen, sekun­diert die Juristin aus Schleswig eine ent­spre­chen­de Initiative der CDU aus dem Jahre 2010, die seit mehr als einem hal­ben Jahr auf die Befassung im Bundestag war­tet, weil die Bundesregierung — durch das zustän­di­ge Bundesjustizministerium — Prüfungsbedarf anmel­de­te. Niedersachsen hat­te im November 2010 einen ent­spre­chen­den Gesetzentwurf in den Bundesrat ein­ge­bracht, der die „Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben” für die Straftatbestände der Trunkenheit im Verkehr, der Straßenverkehrsgefährdung und der Gefährdung des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs neu regeln soll, indem dem §81a Abs.2 StPO fol­gen­de Sätze ange­fügt wer­den:

„Einer rich­ter­li­chen Anordnung bedarf es nicht in den Fällen der §§ 315a und 315c bis 316 des Strafgesetzbuchs, wenn eine Blutprobenentnahme dem Nachweis von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut die­nen soll. § 98 Absatz 2 Satz 2 gilt ent­spre­chend.”

Zur Begründung führt der Entwurf aus, der ein­fach­ge­setz­li­che Richtervorbehalt sei nicht spe­zi­ell auf die Entnahme von Blutproben zuge­schnit­ten, son­dern gel­te gene­rell für die Anordnung zwangs­wei­ser kör­per­li­cher Untersuchungen bzw. Eingriffe. Bei Blutprobenentnahmen zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut ent­spre­che die­se Regelung nicht den Erfordernissen effek­ti­ver Strafverfolgung als einem wich­ti­gen ver­fas­sungs­recht­li­chen Grundsatz, da eine mög­lichst umge­hen­de Entscheidung über die Entnahme einer Blutprobe zu oft nicht erfol­ge:

„Verzögerungen bei der Blutentnahme ver­min­dern wegen des schnel­len Abbaus der Alkohol- bzw. Wirkstoffkonzentration im Blut die Genauigkeit der Feststellung. Zeitliche Verzögerungen bei der Blutentnahme kön­nen auch durch Rückrechnung nicht kom­pen­siert wer­den, denn bei jeder Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration auf den Tatzeitpunkt muss zuguns­ten des Beschuldigten von zwar theo­re­tisch vor­kom­men­den, aber der Realität regel­mä­ßig nicht ent­spre­chen­den Abbauwerten aus­ge­gan­gen wer­den. Mit der Einholung einer rich­ter­li­chen Anordnung ist stets eine gewis­se zeit­li­che Verzögerung ver­bun­den, selbst wenn der Richter — was bei Blutprobenentnahmen regel­mä­ßig der Fall ist — ohne Vorlage der Ermittlungsakten allein auf­grund der ihm tele­fo­nisch mit­ge­teil­ten Informationen des Polizeibeamten vor Ort und des ent­spre­chen­den Antrags der Staatsanwaltschaft ent­schei­det. Die der­zei­ti­ge Rechtslage kann mit­hin dazu füh­ren, dass eine Blutalkoholkonzentration ange­nom­men wer­den muss, die den Straftäter einer Sanktionierung ent­zieht, oder eine Straftat fol­gen­los bleibt, weil die Blutalkohol- oder Wirkstoffkonzentration zum Tatzeitpunkt nicht mehr fest­ge­stellt wer­den kann.” […]

„Von unter Alkohol- oder Betäubungsmitteleinfluss ste­hen­den Fahrzeugführern gehen erheb­li­che Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs und ande­re Verkehrsteilnehmer aus. Der Einfluss von berau­schen­den Mitteln in Form von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten stellt im Straßenverkehr eine der Hauptursachen für Verkehrsunfälle mit schwe­ren Folgen dar. Fahrten unter Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Medikamenteneinfluss müs­sen des­halb im Interesse der Verkehrssicherheit effek­tiv geahn­det wer­den kön­nen. Das ist nach der­zei­ti­ger Rechtslage aus den dar­ge­stell­ten Gründen nicht sicher gewähr­leis­tet. Durch die der­zei­ti­ge Rechtslage wird das zen­tra­le Anliegen des Strafverfahrens in rechts­staat­lich nicht gebo­te­ner Weise erschwert.” [BR-Drucksache 615/​10B]

Als Lösung sol­le sowohl Staatsanwaltschaft wie ihren Ermittlungspersonen (der Polizei) „eine eigen­stän­di­ge gleich­ran­gi­ge Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut ein­ge­räumt” wer­den, weil die Alternative ledig­lich die „Beibehaltung des bis­he­ri­gen unbe­frie­di­gen­den Rechtszustande” sei. Rechtsstaatliche Bedenken bestün­den gegen eine sol­che Regelung nicht, da ein Richtervorbehalt für die Entnahme von Blutproben weder durch das Grundgesetz vor­ge­schrie­ben, noch aus rechts­staat­li­chen Gründen gebo­ten sei.

 

Der innen­po­li­ti­sche Sprecher der CDU-Fraktion im Kieler Landtag, Werner Kalinka, ist der Forderung Fölsters im Namen sei­ner Fraktion prompt bei­ge­tre­ten — Und spann­te die OLG-Präsidentin — so scheint es — meta­pho­risch noch ein wenig stram­mer vor den poli­ti­schen Karren. Es han­de­le sich um eine „sach­ge­rech­te, pra­xis­ori­en­tier­te und pra­xis­taug­li­che Anregung.”, die CDU-Fraktion tei­le die­se Auffassung seit lan­gem:

„Besonders für die Polizei wäre dies eine erheb­lich erleich­tern­de, der Rechtssicherheit ihrer Arbeit die­nen­de Handhabung. Der „Piks“ bei einer Blutentnahme sei tat­säch­lich kein bedeut­sa­mer Eingriff. Eine Alkoholprobe erfol­ge im Übrigen nicht ohne Anlass. Schon heu­te sei­en die Richter bei ihrer Entscheidung in den meis­ten Fällen auf die Einschätzung der Polizeibeamten vor Ort ange­wie­sen. Für die Rechtmäßigkeit der Anordnung zur Blutprobe ste­he der Polizeibeamte wie auch sonst bei sei­nem Handeln ein.” 

 

Vom libe­ra­len Koalitionspartner darf die CDU dabei kei­ne Unterstützung erwar­ten: Für die FDP-Landtagsfraktion wies Ingrid Brand-Hückstädt die Forderung Kalinkas scharf zurück und bekräf­tig­te damit die Haltung aus dem ver­gan­ge­nen November, als die Liberalen den Koalitionspartner bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf aus Niedersachsen zur Enthaltung im Bundesrat ver­pflich­te­ten: „Das Grundrecht auf kör­per­li­che Unversehrtheit ist ein hohes Gut. Wer hier die Tür öff­net, hat womög­lich ganz ande­re Grundrechtseingriffe im Hinterkopf.” Die Rechtsanwältin füg­te hin­zu:

„Dass nach der Strafprozessordnung grund­sätz­lich ein Richter eine Blutentnahme anord­nen muss, ist und bleibt rich­tig: Es wird das Grundrecht auf kör­per­li­che Unversehrtheit berührt — eine Blutprobe ist also ein Grundrechtseingriff, auch wenn sie im Vergleich zur Wohnungsdurchsuchung bei­spiels­wei­se als nach­ran­gig ange­se­hen wird.” 

 

Der Rechtspolitiker der Grünen-Fraktion Thorsten Fürter, im Zivilberuf Richter, näher­te sich dem Problem prag­ma­tisch. Richtervorbehalte, die nur auf dem Papier stün­den, bräch­ten in der Praxis für den Grundrechtsschutz so gut wie nichts:

„Wenn eine Richterin oder ein Richter vom Polizeibeamten ange­ru­fen wird, ob bei einer Kontrolle an der A1 mit­ten in der Nacht einem Fahrer durch den Arzt Blut abge­nom­men wer­den darf, besteht für das Gericht prak­tisch kei­ne ande­re Möglichkeit, als den Angaben des Beamten zu fol­gen.”

 

Heinz-Werner Jezewski, innen­po­li­ti­scher Sprecher der Linken sieht hin­ge­gen kei­nen Anlass, den Richtervorbehalt auf­zu­ge­ben:

„Bisher gibt es kla­re Regelungen, unter wel­chen Voraussetzungen die­ses Grundrecht ein­ge­schränkt wer­den kann, und dazu gehört die Zustimmung eines Richters. Auch jetzt schon kann — in Ausnahmefällen — davon abge­wi­chen wer­den.“

Wenn Richter im Alltag kei­ne Zeit dafür hät­ten, dann wer­de für ihn anders­her­um ein Schuh dar­aus: Der Aufwand zur Anordnung von Blutentnahmen müs­se in den Personalplänen des Justizministeriums „ange­mes­se­ne Berücksichtigung“ fin­den.

 

Ein kleiner Pieks für einen Menschen — Ein großer Schnitt für…??? 

Wie kon­tro­vers ist der Fölster-Vorstoß wirk­lich? Tatsächlich wan­delt die Schleswiger OLG-Präsidentin auf einem Pfad, des­sen Richtung bereits durch lang­jäh­ri­ge Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts gleich­sam aus­ge­tram­pelt vor­ge­ge­ben ist — und zwar mit dem sehr inter­es­san­ten Argument „Uns doch egal, was der Gesetzgeber in die StPO schreibt!”:

„Der ein­fach­recht­li­che Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO gehört nicht zum Bereich des rechts­staat­lich Unverzichtbaren (vgl. bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008 — 2 BvR 784/​ 08 -, juris Rn. 12). Das Grundgesetz ent­hält aus­drück­li­che Richtervorbehalte nur für Wohnungsdurchsuchungen (Art. 13 Abs. 2 GG) und Freiheitsentziehungen (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG), nicht aber für Eingriffe in die kör­per­li­che Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG). Auch die hohe Bedeutung des Grundrechts auf kör­per­li­che Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebie­tet ver­fas­sungs­recht­lich nicht, dass die — zwin­gend von einem Arzt vor­zu­neh­men­de — Blutentnahme zum Nachweis von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut nur durch einen Richter ange­ord­net wer­den dürf­te. Eine Blutentnahme zum Zwecke der Aufklärung eines Sachverhalts tas­tet das Grundrecht nicht in sei­nem Wesensgehalt an (vgl. BVerfGE 5, 13 [15]) und stellt auch kei­nen so schwer­wie­gen­den Eingriff dar, dass aus dem Gesichtspunkt der Eingriffstiefe her­aus ein Richtervorbehalt zu ver­lan­gen wäre (vgl. BVerfGE 16, 194 [200 f.]). Der Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO beruht auf einer Entscheidung des Gesetzgebers, nicht auf einer zwin­gen­den ver­fas­sungs­recht­li­chen Vorgabe.

Dies bedeu­tet aller­dings nicht, dass ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO im nach­fol­gen­den Strafverfahren kei­ne ver­fas­sungs­recht­li­che Bedeutung erlan­gen könn­te. Es bleibt jeweils zu prü­fen, ob die maß­geb­li­chen straf­recht­li­chen Vorschriften unter Beachtung des Fairnessgrundsatzes und in objek­tiv ver­tret­ba­rer Weise, also ohne Verstoß gegen das all­ge­mei­ne Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), aus­ge­legt und ange­wandt wor­den sind (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]; BVerfG, Beschluss der 2.Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008 — 2 BvR 784/​ 08 -, juris Rn. 12).” [BVerfGE   http://lexetius.com/2011,642

 

Dieses kla­re Votum muss man weder recht­lich noch poli­tisch tei­len. Aber die Schlussfolgerung, des­we­gen gesetz­ge­be­risch vor der Judikatur zu Kreuze zu krie­chen und den Richtervorbehalt für aus­ge­wähl­te Straftaten aus­he­beln zu müs­sen, ist kei­nes­wegs alter­na­tiv­los. Man wird jeden­falls im glei­chen Atemzug dar­über dis­ku­tie­ren müs­sen, ob das Grundrecht der kör­per­li­chen Unversehrtheit nicht umge­kehrt einen ver­fas­sungs­recht­li­chen Richtervorbehalt benö­tigt: In mei­ne Wohnung darf der Staat nicht ohne rich­ter­li­che Rechtsgüter-Abwägung ein­drin­gen, aber in mei­nen Körper schon?

Das Argument „Das ist doch nur ein klei­ner Pieks” ist in die­sem Zusammenhang kaum durch­grei­fend — Und ich wun­de­re mich enorm, dass aus­ge­rech­net eine OLG-Präsidentin sich dies zu eigen macht. Man könn­te ket­ze­risch sagen: Auch die Giftspritze beginnt nur mit einem klei­nen Pieks! Es geht hier nicht nur um den Eingriff des Staates in die kör­per­li­che Unversehrtheit oder die Handlungsfreiheit — hier wird ein Bürger gege­be­nen­falls zur Duldung gezwun­gen, an sei­ner eige­nen Überführung mit­zu­wir­ken und damit zum Beweismittel gegen sich selbst, also zum Objekt staat­li­chen Handelns degra­diert, was eben­so die Menschenwürde betrifft. Allein aus Bequemlichkeit den Richtervorbehalt abschaf­fen zu wol­len, hal­te ich daher für den fal­schen Weg. Die Sorge, damit wer­de das Einfallstor eröff­net, auch in ande­ren gesetz­li­chen Fällen Hand an bis­lang weit stren­ge­re Anforderungen an den rich­ter­li­chen Vorbehalt anzu­le­gen, ist jeden­falls nicht voll­kom­men unbe­grün­det. Gibt es tat­säch­lich kein ande­res, gleich geeig­ne­tes und mil­de­res Mittel zur Lösung die­ses Dilemmas? Was spricht dage­gen, zumin­dest bei den zumeist akri­bisch geplan­ten Polizeikontrollen einen Bereitschaftsrichter vor Ort abzu­stel­len? 

In einer Wortmeldung vor der Beschlussfassung über den o.g. Gesetzentwurf im Bundesrat, fass­te der säch­si­sche Justizminister Dr. Jürgen Martens (FDP) sei­ne Bedenken so zusam­men:

„Meine Damen und Herren, es ist allen bewusst, dass die­se Problematik gelöst wer­den muss. Die Betonung liegt dabei aber auf „Lösung“. Wir sind uns einig, dass den han­deln­den Ermittlungspersonen kla­re und ein­deu­ti­ge Regelungen an die Hand gege­ben wer­den müs­sen, um Beweise schnell und gerichts­fest zu sichern. Der heu­te zu bera­ten­de Gesetzentwurf will dies ganz ein­fach mit der Aufhebung des Richtervorbehaltes in § 81a Absatz 2 für bestimm­te Straftaten errei­chen.

Ich mei­ne, wir machen es uns hier zu leicht. Mit die­ser Lösung wird ledig­lich die Praxis von Gerichten legi­ti­miert, kei­nen rich­ter­li­chen Bereitschaftsdienst in der Nacht ein­zu­rich­ten – auf Kosten der Rechte von Bürgern, auch wenn die­se mög­li­cher­wei­se beschul­digt sind, Trunkenheitsfahrten began­gen zu haben.”
[Plenarprotokoll des Bundesrates, 876.Sitzung, S. 804

Die höchst­rich­ter­li­che Rechtsprechung hat gera­de das Strafprozessrecht in vie­len Bereichen (z.B. bei den Beweisverwertungsverboten) zu Gunsten einer effek­ti­ven Strafverfolgung und damit im über­wie­gen­den öffent­li­chen Interesse, aber eben zu Lasten des Bürgers enorm rela­ti­viert. Daher ist vor allem auf Seiten der Rechtsanwälte der Aufschrei so enorm groß. Der Politik — egal ob libe­ral oder nicht — muss dar­an gele­gen sein, mehr auf einen ver­ant­wor­tungs­vol­len Ausgleich der ver­fas­sungs­recht­li­chen Interessen effek­ti­ver Strafverfolgung einer­seits und grund­recht­li­chem Eingriffschutz ande­rer­seits zu ach­ten. Dazu gehört, sich poli­tisch über die Frage aus­zu­tau­schen, ob das Grundrecht der kör­per­li­chen Unversehrtheit durch einen ver­fas­sungs­recht­li­chen Richtervorbehalt bes­ser vor staat­li­chen Eingriffen geschützt wer­den muss.

Ruediger Kohls
Von:

WestCoast-Liberaler, Verkehrspolitiker, stv, Mitglied im Wirtschaftsausschuss des nordfriesischen Kreistages.

2 Gedanken zu “Ein kleiner Pieks für einen Menschen - Ein großer Schnitt für das Verfassungsrecht?”:

  1. RiAG

    Eine ver­nünf­ti­ge rich­ter­li­che Kontrolle braucht Zeit. Es ist nicht ange­mes­sen, Beschlüsse, die Handlungen erlau­ben, wel­che nur mit rich­ter­li­cher Genehmigung zuläs­sig sind, auf Zuruf über Telefon zu erlas­sen. Vielmehr soll­te es zumin­dest einen (schrift­lich) fixier­ten Polizeibericht geben. Die Blutalkoholkonzentration ändert sich aber schnell. Deshalb hat man frü­her die Bluprobenentnahmen immer mit Gefahr im Verzug gerecht­fer­tigt: Die Zeit reicht für eine sinn­vol­le rich­ter­li­che Kontrolle nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat erst vor weni­gen Jahren (lei­der) ent­schie­den, dass Gefahr im Verzug auch dann nicht gege­ben ist, wenn ein Richter die Maßnahme auch per Telefon nach fern­münd­li­cher Schilderung des Sachverhalts geneh­mi­gen kann.

    Damit wur­de der Richtervorbehalt nicht gestärkt, son­dern geschwächt: Zwar müs­sen Richter häu­fi­ger betei­ligt wer­den, aber es reicht blo­ßes ab-nicken. Es ist gut, wenn man davon wie­der weg­kommt.

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  2. Bernd Eckenfels

    Ich den­ke mir mal die vor­ge­schla­ge­ne Ausnahmeregelung zeigt schon wie wich­tig der Richtervorbehalt ist, selbst wenn der Richter nicht groß prü­fen kann. Man stel­le sich nur eine Polizeistreife vor, die bei einer nächt­li­chen Ruhestörung in einer Wohnung auf die Idee kommt Partybesucher mit­zu­neh­men um die­se zu „prü­fen”. Ein Richter wür­de — wenn er nicht belo­gen wird — denen etwas hus­ten. Mit der Neuregelung gäbe es zumin­dest von der Seite der Anordung der Massnahme kei­ne Hürden mehr.

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