Wenn die Welle Nord schreibt „Schleswig-Holsteins Polizisten leben gefährlich. Die Zahl der Gewaltübergriffe gegen Beamte hat zwischen 2005 und 2009 kontinuierlich zugenommen — und die Gewalt selbst ist härter geworden. Das ist das Ergebnis einer bundesweit bislang einmaligen Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen in Zusammenarbeit mit zehn Bundesländern, die der NDR 1 Welle Nord exklusiv vorliegt“, der sh.z berichtet: „Schleswig-Holsteins Polizisten leben immer gefährlicher: (…) Zwischen 2005 und 2009 hat die Zahl der gewaltsamen Angriffe auf Beamte kontinuierlich zugenommen. Das ist das Ergebnis einer bundesweit bislang einmaligen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen“ dann ist nicht etwa die Ähnlichkeit der Texte ein Problem, sondern der Inhalt der Studie, die jeder sozusagen exklusiv hier herunterladen kann: Die kommt nämlich zu ganz anderen Ergebnissen.In der Zusammenfassung werden 12 Ergebnisse sehr differenziert und intensiv festgehalten. Ich zitiere sie um deutlich zu machen, wie differenziert und breit die Studie angelegt ist
1. Weibliche Beamte stellen mittlerweile einen nicht geringen Anteil aller Polizeibeamten. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich dies problematisch auf die Arbeit der Polizei auswirkt; im Gegenteil: Für die Situation der häuslichen Gewalt gilt, dass eine Frau im Einsatzteam das Übergriffsrisiko reduziert.
2. Bei Einsätzen wegen Familienstreitigkeiten bzw. häuslicher Gewalt handelt es sich um einen besonders schwierigen Einsatztypus.
3. Gewaltübergriffe haben zwar nur selten sehr schwere Konsequenzen, sind aber dann für die Betroffenen sehr belastend.
4. Gewaltübergriffe beeinflussen auch die Wahrnehmungen und Einstellungen von Beamten.
5. Sowohl für das Mitführen verschiedener Führungs- und Einsatzmittel als auch für die Ausstattung mit verschiedener Schutzkleidung ergeben sich ansteigende Entwicklungstrends.
6. Der Alkoholkonsum spielt eine entscheidende Rolle für Angriffe auf Polizeibeamte.
7. Die Dienstunfähigkeitsdauer wird nur durch wenige beamten- bzw. situationsbezogene Faktoren beeinflusst.
8. Polizeibeamte, die ihrer Arbeit in Großstädten ab 500.000 Einwohnern nachgehen, berichten von einem schwierigeren Arbeitsalltag.
9. Bislang ist die Nachbereitung eines Einsatzes, der zur Verletzung eines Beamten mit nachfolgender Dienstunfähigkeit geführt hat, noch nicht die Regel. Zudem wenden sich die Betroffenen nur in Ausnahmefällen an Kriseninterventionsdienste oder Therapeuten.
10. Beamte, die Opfer von Gewaltübergriffen geworden sind, müssen nicht selten damit rechnen, dass ihnen mit dem Vorwurf eines eigenen Fehlverhaltens rechtliche Sanktionen angedroht werden, heute häufiger als früher. Durch diese Konsequenzen, insbesondere das Führen eines Disziplinarverfahrens, entstehen weitere psychische Belastungen.
11. Die Beamten üben z.T. deutliche Kritik an ihrem Ausbildungsstand und dem Dienstherrn, aber kaum Kritik am eigenen Verhalten bzw. dem Verhalten der Kollegen.
12. Zumindest an Schießtrainings und Trainings zum Thema Eigensicherung hat im Zeitraum 2005 bis 2009 die Mehrheit der Beamten teilgenommen. Gleichwohl existiert sowohl in Bezug auf diese Trainings als auch in Bezug auf zahlreiche andere Trainings ein starker Wunsch nach Fortbildungen. Mit den Daten kann allerdings nicht nachgewiesen werden, dass die Teilnahme an bestimmten Trainings und Fortbildungen das Risiko, Opfer eines Gewaltübergriffs zu werden, senkt.
Schließlich diskutieren die Forscher die Ergebnisse und leiten – auch die Befunde der ersten beiden Forschungsberichte vor Augen – sehr vorsichtig Folgerungen für die Prävention von Gewalt gegen Polizeibeamte ab. Sie argumentieren umsichtig, wollen nicht vorschreiben sondern Diskussionen anstoßen: Es „können allgemeine Folgerungen für die Prävention gezogen werden, die die Diskussion um die Prävention innerhalb und außerhalb der Polizei anstoßen können.“
Acht Folgerungen für die einzelnen Polizeibeamten und ebenfalls acht Folgerungen für den Dienstherrn beziehungsweise Vorgesetzten leiten sie ab. Schließlich folgen noch drei allgemeine gesellschaftliche Folgerungen. Die dritte und letzte gesellschaftliche Folgerung heißt:
Gesellschaftlichen Polarisierungstendenzen als eine mögliche Ursache für die Zunahme von Gewalt gegen Polizeibeamte sollte entgegen getreten werden.
In der Begründung dieser Folgerung finden wird das vermeintliche Ergebnis der Studie: „Übergriffe gegen Polizeibeamte, die zu Dienstunfähigkeit geführt haben, haben zwischen 2005 und 2009 zugenommen. Betrachten wir die Entwicklung der Gewaltkriminalität im Allgemeinen, also nicht bezogen auf Polizeibeamte, so ist seit 2007 eine Abnahme in der Polizeilichen Kriminalstatistik festzustellen; im Dunkelfeld sind bereits früher Rückgänge zu verzeichnen. Gesamtgesellschaftlich ist also nicht generell von einer zunehmenden Gewaltbereitschaft auszugehen.“
Ich habe viel Verständnis dafür, Studien knackig zusammenzufassen, sie auf den Punkt zu bringen. Aber sich irgendeinen Satz aus 145 Seiten rauszusuchen und ihn, die Begründung einer Folgerung, als Ergebnis zu präsentieren, ist fahrlässig. Mit dieser Pointierung wird etwas erreicht, was die Autoren sicher nicht wollten und der Studie nicht gerecht wird. Die Diskussion wird auf einzelne Themenfelder verengt. Aus dem komplexen Stoff wird ein Aspekt herausgerissen. Warum? Weil er gefällt? Weil er skandaliert? Weil er Vorurteile bedient? Und was soll uns die Bebilderung der beiden Artikel sagen?
Mit diesen Berichten schafft man allenfalls neue Probleme, löst die vorhanden aber nicht. Für die Polizisten, nicht nur in Schleswig-Holstein, wäre das ein Bärendienst.