Gewalt gegen Polizeibeamte: Ein komplexes Thema

Von | 23. September 2011

Wenn die Welle Nord schreibt Schleswig-Holsteins Polizisten leben gefähr­lich. Die Zahl der Gewaltübergriffe gegen Beamte hat zwi­schen 2005 und 2009 kon­ti­nu­ier­lich zuge­nom­men — und die Gewalt selbst ist här­ter gewor­den. Das ist das Ergebnis einer bun­des­weit bis­lang ein­ma­li­gen Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen in Zusammenarbeit mit zehn Bundesländern, die der NDR 1 Welle Nord exklu­siv vor­liegt“, der sh.z berich­tet:Schleswig-Holsteins Polizisten leben immer gefähr­li­cher: (…) Zwischen 2005 und 2009 hat die Zahl der gewalt­sa­men Angriffe auf Beamte kon­ti­nu­ier­lich zuge­nom­men. Das ist das Ergebnis einer bun­des­weit bis­lang ein­ma­li­gen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen“ dann ist nicht etwa die Ähnlichkeit der Texte ein Problem, son­dern der Inhalt der Studie, die jeder sozu­sa­gen exklu­siv hier her­un­ter­la­den kann: Die kommt näm­lich zu ganz ande­ren Ergebnissen.In der Zusammenfassung wer­den 12 Ergebnisse sehr dif­fe­ren­ziert und inten­siv fest­ge­hal­ten. Ich zitie­re sie um deut­lich zu machen, wie dif­fe­ren­ziert und breit die Studie ange­legt ist

1. Weibliche Beamte stel­len mitt­ler­wei­le einen nicht gerin­gen Anteil aller Polizeibeamten. Es gibt kei­ne Hinweise dar­auf, dass sich dies pro­ble­ma­tisch auf die Arbeit der Polizei aus­wirkt; im Gegenteil: Für die Situation der häus­li­chen Gewalt gilt, dass eine Frau im Einsatzteam das Übergriffsrisiko redu­ziert.  

2. Bei Einsätzen wegen Familienstreitigkeiten bzw. häus­li­cher Gewalt han­delt es sich um einen beson­ders schwie­ri­gen Einsatztypus.  

3. Gewaltübergriffe haben zwar nur sel­ten sehr schwe­re Konsequenzen, sind aber dann für die Betroffenen sehr belas­tend.  

4. Gewaltübergriffe beein­flus­sen auch die Wahrnehmungen und Einstellungen von Beamten.  

5. Sowohl für das Mitführen ver­schie­de­ner Führungs- und Einsatzmittel als auch für die Ausstattung mit ver­schie­de­ner Schutzkleidung erge­ben sich anstei­gen­de Entwicklungstrends.  

6. Der Alkoholkonsum spielt eine ent­schei­den­de Rolle für Angriffe auf Polizeibeamte.  

7. Die Dienstunfähigkeitsdauer wird nur durch weni­ge beam­ten- bzw. situa­ti­ons­be­zo­ge­ne Faktoren beein­flusst.  

8. Polizeibeamte, die ihrer Arbeit in Großstädten ab 500.000 Einwohnern nach­ge­hen, berich­ten von einem schwie­ri­ge­ren Arbeitsalltag. 

9. Bislang ist die Nachbereitung eines Einsatzes, der zur Verletzung eines Beamten mit nach­fol­gen­der Dienstunfähigkeit geführt hat, noch nicht die Regel. Zudem wen­den sich die Betroffenen nur in Ausnahmefällen an Kriseninterventionsdienste oder Therapeuten. 

10. Beamte, die Opfer von Gewaltübergriffen gewor­den sind, müs­sen nicht sel­ten damit rech­nen, dass ihnen mit dem Vorwurf eines eige­nen Fehlverhaltens recht­li­che Sanktionen ange­droht wer­den, heu­te häu­fi­ger als frü­her. Durch die­se Konsequenzen, ins­be­son­de­re das Führen eines Disziplinarverfahrens, ent­ste­hen wei­te­re psy­chi­sche Belastungen.  

11. Die Beamten üben z.T. deut­li­che Kritik an ihrem Ausbildungsstand und dem Dienstherrn, aber kaum Kritik am eige­nen Verhalten bzw. dem Verhalten der Kollegen.  

12. Zumindest an Schießtrainings und Trainings zum Thema Eigensicherung hat im Zeitraum 2005 bis 2009 die Mehrheit der Beamten teil­ge­nom­men. Gleichwohl exis­tiert sowohl in Bezug auf die­se Trainings als auch in Bezug auf zahl­rei­che ande­re Trainings ein star­ker Wunsch nach Fortbildungen. Mit den Daten kann aller­dings nicht nach­ge­wie­sen wer­den, dass die Teilnahme an bestimm­ten Trainings und Fortbildungen das Risiko, Opfer eines Gewaltübergriffs zu wer­den, senkt.  

Schließlich dis­ku­tie­ren die Forscher die Ergebnisse und lei­ten – auch die Befunde der ers­ten bei­den Forschungsberichte vor Augen – sehr vor­sich­tig Folgerungen für die Prävention von Gewalt gegen Polizeibeamte ab. Sie argu­men­tie­ren umsich­tig, wol­len nicht vor­schrei­ben son­dern Diskussionen ansto­ßen: Es „kön­nen all­ge­mei­ne Folgerungen für die Prävention gezo­gen wer­den, die die Diskussion um die Prävention inner­halb und außer­halb der Polizei ansto­ßen kön­nen.“

Acht Folgerungen für die ein­zel­nen Polizeibeamten und eben­falls acht Folgerungen für den Dienstherrn bezie­hungs­wei­se Vorgesetzten lei­ten sie ab. Schließlich fol­gen noch drei all­ge­mei­ne gesell­schaft­li­che Folgerungen. Die drit­te und letz­te gesell­schaft­li­che Folgerung  heißt:

Gesellschaftlichen Polarisierungstendenzen als eine mög­li­che Ursache für die Zunahme von Gewalt gegen Polizeibeamte soll­te ent­ge­gen getre­ten wer­den. 

In der Begründung die­ser Folgerung fin­den wird das ver­meint­li­che Ergebnis der Studie: „Übergriffe gegen Polizeibeamte, die zu Dienstunfähigkeit geführt haben, haben zwi­schen 2005 und 2009 zuge­nom­men. Betrachten wir die Entwicklung der Gewaltkriminalität im Allgemeinen, also nicht bezo­gen auf Polizeibeamte, so ist seit 2007 eine Abnahme in der Polizeilichen Kriminalstatistik fest­zu­stel­len; im Dunkelfeld sind bereits frü­her Rückgänge zu ver­zeich­nen. Gesamtgesellschaftlich ist also nicht gene­rell von einer zuneh­men­den Gewaltbereitschaft aus­zu­ge­hen.“

Ich habe viel Verständnis dafür, Studien kna­ckig zusam­men­zu­fas­sen, sie auf den Punkt zu brin­gen. Aber sich irgend­ei­nen Satz aus 145 Seiten raus­zu­su­chen und ihn, die Begründung einer Folgerung, als Ergebnis zu prä­sen­tie­ren, ist fahr­läs­sig. Mit die­ser Pointierung wird etwas erreicht, was die Autoren sicher nicht woll­ten und der Studie nicht gerecht wird. Die Diskussion wird auf ein­zel­ne Themenfelder ver­engt. Aus dem kom­ple­xen Stoff wird ein Aspekt her­aus­ge­ris­sen. Warum? Weil er gefällt? Weil er skan­da­liert? Weil er Vorurteile bedient? Und was soll uns die Bebilderung der bei­den Artikel sagen?

Mit die­sen Berichten schafft man allen­falls neue Probleme, löst die vor­han­den aber nicht. Für die Polizisten, nicht nur in Schleswig-Holstein, wäre das ein Bärendienst.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

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