Gestern (6. Oktober) war es dann soweit. Am Wochenende war die vom schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragen Thilo Weichert via Presseerklärung ausgesprochene Frist abgelaufen, derzufolge insbesondere öffentliche Stellen und große Privatanbieter Facebooks „Gefällt mir-Button“ zu löschen und Facebook-Fan-Seiten zu schließen hätten. Am Donnerstag trafen sich in der Kieler Staatskanzlei der Chef der Staatskanzlei, Staatssekretär Dr. Arne Wulff und der unabhängige Landesbeauftragte für den Datenschutz (ULD), Dr. Thilo Weichert, zu einem ersten(!) Gespräch über diese Fragen.
Der ankündigte Brief des Datenschützers ging erst am gleichen Tag ein. So blieb der Regierung kaum Zeit, die vom Kieler Datenschützer angesprochenen Bedenken zu bewerten. Zur Sache ging es aber anscheinend trotzdem, denn Arne Wulff erklärte nach dem Treffen: „Wir sind hinsichtlich der Frage der Rechtmäßigkeit der Informationsangebote der Landesregierung weiter unterschiedlicher Auffassung.“
Nun will die Landesregierung zunächst die Ergebnisse der Innenministerkonferenz abwarten, die sich damit frühestens auf ihrer nächsten Konferenz am 09. Dezember mit der Frage beschäftigen kann. Auf Vorschlag Schleswig-Holstein hatten die Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder die Innenminister schon kürzlich um eine datenschutzrechtliche Bewertung gebeten.
Erst danach will die Landesregierung entscheiden, wie sie mit der Kritik des Datenschutzbeauftragten umgehen will. Die Staatskanzlei betonte, dass die Bedenken „mit den Grundsätzen der Informationspflicht und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen sind.“ ” Darüber hinaus sieht die Landesregierung anscheinend auch keinen Grund für einen schleswig-holsteinischen Sonderweg: Peter-Harry Carstensens Amtschef meinte abschließend, dass „nur ein abgestimmtes Vorgehen der Länder sinnvoll“ sei.
Währenddessen schlugen Scheswig-Holsteins Grüne eine Mediation im Facebook-Streit vor. Die Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Marlene Löhr, sicherte Thilo Weichert ihre volle Unterstützung zu. Allerdings erkannte auch sie, dass das Einfordern von Datenschutz „alleine durch das Verschicken von Briefen und eventuellen Einzelstrafen ein langer, zäher Prozess“ werden kann. Sie schlug deshalb vor „die aufgenommenen Gesprächsfäden zusammenzubinden und eine Mediation einzuleiten“ .
Der innen- und rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Thorsten Fürter, stand an ihrer Seite: „Was wir vermeiden sollten, sind jahrelange Prozesse“ . Er sieht anscheinend auch die niemanden zufriedenstellende Situation, in der alle verloren haben: „Der Datenschutz, weil zwar die Seite von Radio Schleswig-Holstein gelöscht wird, die von Radio Hamburg aber weiter betrieben werden könnte. Die Unternehmen in Schleswig-Holstein, weil sie gegenüber ihren KonkurrentInnen im In- und Ausland einen wichtigen Weg der Kundenansprache verlieren. Und am wichtigsten: Die Menschen im Land, weil sie eine Möglichkeit verlieren, sich auszutauschen und zu diskutieren.“
Es sieht also erst mal nach einer Denkpause, die die auf dem Teller rotierende Betriebsamkeit der letzten Tage ablösen könnte. Damit ist jeder Seite gedient. Datenschutzrechtliche Verstöße von Facebook hätten keine so gravierenden Auswirkungen, dass besondere Eile angezeigt ist. Und: das Thema ist in seiner Bewertung weit über die rechtliche Dimension hinaus bedenkens- und diskussionswürdig. Das gilt auch für das Timing des ULD: Fernberatung der Landesregierung via Presseerklärung, ohne vorherige Gespräche oder Schriftverkehr, gehört nicht zum Kernbereich der Tätigkeiten eines Landesdatenschutzbeauftragten.
Der von den Grünen vorgeschlagene Mediation kann ich nichts abgewinnen. Ich fände es zunächst ausreichend, wenn Facebook und ULD überhaupt in einen ernsthaften und von Offenheit geprägten Gesprächsprozess eintreten könnten. Eine Mediation setzt zudem, wie die Grünen selbst herausstellen, die Einsicht aller Seiten voraus, verlieren zu können. Die öffentlichen Äußerungen von Herrn Weichert – ich empfehle noch einmal das von mir gestern schon erwähnte NDR-Interview – legen diese Einsicht nicht nahe. Zudem sehe ich einen Widerspruch in der von mir geteilten Befürchtung Thorsten Fürters wegen der regionaler Ungleichgewichte und der Unterstützung des Kurses des Kieler Datenschützers: Wer diese Ungleichgewichte nicht will, der darf den eingeschlagenen Weg Weicherts nicht gut heißen. Denn die Taktik des streitbaren Kieler Datendschützers setzt erkennbar auf genau dieses Dilemma.
Diese Denkpause sollten Parlament und Regierungen auch dazu nutzen, ihre politischen Grundeinstellungen in Sachen Bürger, Datenschutz und Internet zu überprüfen und anhand anderer aktueller Problemfelder auf Praktikabilität und Akzeptanz durchzutesten Das nächste Objekt der Begierde naht schon: Die Bundesregierung hat vor ein paar Tagen ihren Entwurf zur Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) beschlossen. In den Medien lief er zumeist unter dem Aspekt Betreiber und FDP verhindern Universaldienst in Deutschland. Den Wortlaut des Entwurfes kenne ich noch nicht. Schaut man aber in die Stellungnahme, die der AK Vorrat zum Referentenentwurf der Bundesregierung abgegeben hat, dann erkennt man noch ein paar weitere Themen in der „modernen Kommunikation, die Bürgern betreffen könnten. Dabei könnte(!) auch die Umsetzung der sogenannten Cookie-Richtlinie eine Rolle spielen. Das kann lustig werden – auch wenn diese Seite wohl übertreibt, jedenfalls, wenn dieser Artikel aus dem Heise-Verlag stimmt (ab fünfter Absatz: Andere Online-Medien kochen …).