Eigentlich ist es ganz einfach: Wenn die Polizei nach einen Täter sucht oder ihn zu identifizieren versucht, dann wendet sie sich auch an die Bürgerinnen und Bürger und bittet sie um Mithilfe. Crowdsourcing nennt man das heutzutage.
Als es noch keine Schwarmtheorie gab, die Menschen aber des Lesens schon mächtig waren, machte man das mit Steckbriefen. Gestern hießen die Fahndungsplakate.
Kein Western, in dem nicht wenigstens ein „Dead or alive“-Plakat an der Tür des Saloons hängt. Georg Büchners Steckbrief klebt seit 1835 in jedem zweiten Geschichtsbuch. In den 1970er und 1980er Jahren hingen RAF-Fahndungsplakate in Postfilialen, Banken, Behördenfluren oder Bahnhöfen. Heute hängen Aufrufe in Schaufenstern, Bussen oder anderen öffentlichen, gut frequentierten Räumen aus. Bei aktuellem Fahndungsdruck werden auch Presse, Rundfunk oder Fernsehen um Mithilfe gebeten. Das FBI in den USA benutzt seit ein paar Jahren sogar „Electronic wanted poster“ – Elektronische Plakatwände, die wir hier in Europa allenfalls als ständig blinkendes Nervdings für Werbezwecke kennen.
Es ist also seit jeher das gleiche, völlig unaufgeregte Spiel: Die Polizei geht mit ihren Plakaten dahin, wo sich die anzusprechende Zielgruppe aufhält. Das können dann auch mal Fußballstadien, Discothekenmeilen oder Arztpraxen sein. Genauso unaufgeregt ist es, dass die Polizei heute auch das Internet mit einbezieht. So sind einige Polizeibehörden bei Facebook vertreten und plakatieren dort ihre Fahndungsaufrufe. Wegen der „Teilen“-Funktion innerhalb der sozialen Netzwerke ist das sehr effektiv. Bei 22.123.660 Deutschen, die bei Facebook aktive Nutzer sind, wäre es sogar dumm, diesen gut besuchten Platz nicht zu nutzen — zumal die Kosten kaum ins Gewicht fallen sollten.
Man könnte sich also darüber lustig machen, dass für diese scheinbar banale Entscheidung überhaupt ein Projekt aufgemacht wird, eine Versuchsphase mit (wohlmöglich: wissenschaftlich fundierter) Auswertung vorgesehen wird und eine bundesweite Koordinierung angestrebt wird. Fehlt nur noch der Wunsch nach einer EU-Richtlinie.
Bei Facebook sind zum Beispiel die Kriminalpolizei Bremerhaven, die Polizei Mecklenburg-Vorpommern, das BKA, die Polizeiinspektion Harburg, das Polizeipräsidium Stuttgart und die Polizei Hannover. Letztere hat Ende letzten Jahres Bilanz gezogen. Sie konnten keine Wunderwerke vermelden, aber immerhin acht geklärte Fälle, so stand es in der taz, könne man auf das Engagement bei Facebook zurückführen.
Skeptiker gibt es aber auch: der Niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragter kritisiert, so die taz, den Standort der Facebook-Server in den USA. Ähnlich äußerte sich Thilo Weichert, Schleswig-Holstein oberster Datenschützer, als die Kieler Nachrichten das Thema letzte Woche auf Schleswig-Holstein übertrugen: „Finger weg davon“. Politiker im Kieler Landtag, Peter Eichstädt (SPD) und Thorsten Fürter (Grüne) signalisierten hingegen gegenüber den KN Zustimmung. Auch die Landespolizei ist interessiert. Heute hat dpa das Thema wieder aufgegriffen. Weichert, der Facebook illegale Praktiken unterstellt, hält das soziale Netzwerk jedoch nicht für einen Platz, auf dem sich die Polizei bevölkerungsinformierend aufhalten sollte. Seine Idee: Die Polizei sollte stattdessen lieber selber Internetportale schaffen, auch für Fahndungszwecke.
Das halte ich nun für eine saublöde Idee. Dann kann man Fahndungsplakate auch gleich exklusiv in Polizeistuben aufhängen. Und, viel wichtiger, die Vergangenheit hat gezeigt, dass gerade die Polizei mit eigenen Servern ab und an Schindluder treibt und sie schon mal ziemlich datenschutzunkonform als Honigtopf benutzt. Dann besser bei Facebook Plakate kleben. Da weiß man wenigstens, woran man hat.