Schleswig-Holstein: Heimatgefühl für ein Provisorium

Von | 16. Februar 2012

Büsumer Hafen | Foto: Franz-Josef Molitor - CC BY 2.0

„Norddeutsche Kooperation” ist ein schwie­ri­ges Thema. Swen hat das ges­tern schon in sei­nem Artikel über die mau­en Ergebnisse der gleich­na­mi­gen Enquete Kommission erwähnt. Doch die­se Schwierigkeiten haben offen­bar nicht nur etwas mit der Angst der Parlamentarier um ihre Jobs zu tun. Auch der nor­ma­le Schleswig-Holsteiner holt Forken und Fackeln aus dem Keller, wenn ihm jemand mit dem „Nordstaat” kommt. Und „Norddeutsche Kooperation” klingt doch schon fast wie „Nordstaat”. Aber wie ste­hen wir tat­säch­lich zu unse­rer Doppeleiche?

Der Pinneberger bezeich­net sich als Hamburger. Der Elmshorner pen­delt zur Arbeit nach Hamburg, der Eine fie­bert mit dem HSV, der Andere mit St. Pauli. Und über­haupt wohnt man, wenn man ehr­lich ist, nur im „Speckgürtel”, weil sich das Haus in Hamburg kei­ner leis­ten kann.

Der Flensburger will eigent­lich lie­ber zu Dänemark gehö­ren. Und Lübeck gehört mehr zur Hanse als zu Schleswig-Holstein. In Dithmarschen ist der Hoffnungsfunke auch nach 500 Jahren nicht erlo­schen, irgend­wann wie­der unab­hän­gig zu wer­den. Und wir alle fah­ren am liebs­ten nach Dänemark, Schweden oder Norwegen in den Urlaub. Wer braucht schon Sonne?

Natürlich gehört zu dem Gefühl Schleswig-Holsteiner zu sein ist, das Bewusstsein, in dem herb-schö­nen Land zwi­schen den Meeren zu leben. Aber es gehört doch auch die gute Gewissheit dazu, dass die A7 einen schnell nach Hamburg und nach Dänemark brin­gen kann. Wir sind doch nor­ma­ler­wei­se gute Nachbarn!

Aber wehe, es kommt jemand und deu­tet an, dass man sich Verwaltung mit einem Nachbarn tei­len könn­te. Am Ende ver­lö­re man doch viel­leicht die Unabhängigkeit.

Sicher: Die HSH Nordbank ist nicht gera­de das Aushängeschild län­der­über­grei­fen­der Kooperation — soweit mir bekannt ist, hat bis­her nie­mand behaup­tet das habe etwas mit den Ländern oder der Kooperation zu tun. Und die Medienanstalt Hamburg-Schleswig-Holstein macht doch eine Arbeit, über die ich im Bus und auf der Straße wenig Klagen höre.

Warum kann man in jeder Behörde in Schleswig-Holstein einen Pass bean­tra­gen — egal wo man wohnt? Wenn man aber erst beim Check-In am Flughafen in Hamburg bemerkt, dass der Pass abge­lau­fen ist, kann man den nicht dort bean­tra­gen. Dann muss man erst über die „Grenze” zum ers­ten Amt nach Schleswig-Holstein fah­ren.

Neulich bin ich in den Memoiren von Wilhelm Käber über eine Anekdote gestol­pert: Käber war SPD Innenminister in der ers­ten gewähl­ten Landesregierung. Er arbei­te­te 1949 mit Ministerpräsident Hermann Lüdemann (SPD) an der einer pro­vi­so­ri­schen Landesverfassung.

„Wir gin­gen davon aus, dass Schleswig-Holstein als Land auf Dauer kaum lebens­fä­hig sein wer­de. Mit der Schaffung eines Landes Nordrhein-Westfalen durch die Briten schien uns das Gleichgewicht unter den Ländern der west­li­chen Zonen aus der Balance gebracht zu sein. Denn um opti­mal zu funk­tio­nie­ren, mein­ten wir, brau­che ein Bundesstaat ein annä­hern­des Gleichgewicht sei­ner Glieder. Uns war bewusst, dass Schleswig-Holstein in sei­nen engen Grenzen und auf­grund sei­ner spe­zi­fi­schen Wirtschaftsstruktur auf Dauer dazu ver­ur­teilt sein wür­de, Kostgänger des Bundes und der ande­ren Bundesländer zu sein. Warum, so frag­ten er, soll­te man sich mit den durch die Selbstständigkeit Schleswig-Holsteins als Bundesland her­vor­ge­ru­fe­nen Problemen lan­ge her­um­quä­len; es müs­se in einem grö­ße­ren Verband ein­ge­bracht wer­den, in dem es ein nütz­li­ches Glied sein kön­ne. Ihm schweb­te ein Land „Unterelbe” vor, das Hamburg und Teile Niedersachsens am lin­ken Elbufer mit umfass­te. Aber damit hat er tau­ben Ohren gepre­digt. Obwohl also eine kon­kre­te Lösung die­ses Problems nicht in Sicht war, mein­ten wir, über den Tag hin­aus den­ken zu sol­len. Wir gaben unse­rem Verfassungsentwurf den Zuschnitt einer vor­rüber­ge­hen­den Ordnung für das Provisorium Schleswig-Holstein inner­halb des Provisoriums Bundesrepublik.” (aus: „Wilhelm Käber — Regierung und Opposition” — Frank Lubowitz, 1986)

Erst die Regierung von Björn Engholm (SPD) hat 1990 im Zuge der umfas­sen­den Parlamentsreformen nach der Barschel-Affäre das wohl dau­er­haf­te Existieren des Landes aner­kannt und eine ech­te Verfassung aus­ge­ar­bei­tet. Spätestens seit damals ste­hen wir da mit die­sem seit sei­ner Gründung chro­nisch blan­ken Bundesland und unse­rem merk­wür­di­gen Heimatgefühl.

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