Am Karfreitag darf man in Kiel nicht tanzen, in Schacht-Audorf aber um die Wette schießen. Bringt uns das Gott näher?
Nicht das Gleichnis des barmherzigen Samariters ist wichtig sondern das drumherum. Und zwar nicht der Umstand, dass Jesus den Gesetzeslehrer seine Frage „Wer ist mein Nächster“ selbst beantworten ließ („Der, der barmherzig gehandelt hat“) – sondern sein Antwort darauf: „Dann geh und handle genauso!“ Wir sollen also nicht definierend Adressatenkreise eingrenzen sondern selbst etwas tun. Wenn wir etwas tun, werden wir selbst zum Nächsten.
Die weltliche Variante davon lieferte uns J.F. Kennedy: „Frage nicht, was Dein Land für Dich, sondern was Du für Dein Land tun kannst.“
Wenn das richtig ist – und daran zweifele ich als Protestant nicht, dann sollte die Kirche in diesen Tagen nicht allein auf gesetzliche Vorschriften verweisen, die den Karfreitag mit einem Tanzverbot belegen – sondern in die Welt rausziehen und uns von der inneren Wichtigkeit des Tages überzeugen.
Sicher ist es richtig: Karfreitag ist einer(!) der höchsten christlicher Feiertage. Ohne ihn, ohne Jesu Tod, gäbe es keine Auferstehung — und damit auch keine Kirche. Daraus folgt also sowohl eine kirchliche Bedeutung als auch – mehr noch – eine Bedeutung für den Glauben. Daraus folgt aber kein festes Regelwerk für die äußere Ausgestaltung des Tages. Das erkennen wir schon daran, dass das gesellschaftliche Regelwerk Änderungen unterworfen ist. Noch bis in die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde die „geschlossene Zeit“ in Wochen gemessen. Heute beschränken wir uns auf einen Tag, dessen Symbol das Tanzverbot ist. Das Gesetz verbietet „alle öffentlichen Veranstaltungen (…), soweit sie dem ernsten Charakter des Tages nicht entsprechen“. Merkwürdigerweise darf man zwar nirgends das Tanzbein schwingen, aber in Schacht-Audorf gesellig zusammen sein und dabei — in Stille, Trauer und Besinnung? — um die Wette schießen.
Christen begehen den Tag weltlich unterschiedlich In den meisten Regionen mit mehr oder weniger überwiegender christlicher Bevölkerung ist der kirchliche Tag kein gesetzlicher Feiertag. Nur in den protestantischen Ländern Skandinaviens, des Baltikum und in Großbritannien, der Schweiz und Deutschland ist er ein gesetzlicher Feiertag. In den römisch-katholisch oder orthodox geprägten Ländern ist er das in der Regel (Ausnahmen: Spanien und Slowakei) nicht. Ob der Status „gesetzlicher Feiertag“ stets mit Tanzverboten oder ähnlichem staatlich verordneten Verhaltensmaßregeln einhergeht, wäre sicher eine spannende Frage. Auf alle Fälle wissen wir aber schon, dass in landläufig als gläubig bekannten Ländern wie Polen oder Italien die Abwesenheit des gesetzlichen Feiertags Karfreitag kein freitägliches Sündenbabel entstehen lässt.
Aus christlicher Sicht ist Karfreitag nicht depressive Dreifaltigkeit aus „Leiden, Sterben und Tod“ sondern auch und besonders die Hoffnung auf die Wiederauferstehung und das Wissen um ein sinnerfülltes Leben. Man kann(!) den Karfreitag still begehen.
Man muss es aber wollen, aus sich heraus. Da mag die Hamburger Bischöfin Fehrs noch so viel Recht haben, wenn sie dem NDR sagt, dass der Karfreitag Raum gebe, „auch einmal zur Besinnung zu kommen”. Das stimmt aber eben nur, wenn der Adressat des gesetzlichen Tanzverbots das auch tun will – er das Verbot an sich also nicht bräuchte. Und die „starke Geste, die Festlichkeiten und Partys zu unterbrechen“ von der der hannoversche Landesbischof Ralf Meister schwärmt, ist nur dann eine Geste, wenn sie aus innerer Überzeugung passiert – und nicht, wenn sie erzwungen wird.
Beide verhalten sich im Prinzip wie der Gesetzesgelehrte, der das obigen Gleichnis zu hören bekam: Sie definieren, handeln aber nicht. Man möchte, dass jemand kommt und ihnen zuruft: „Dann geht doch raus und überzeugt die Menschen!“
Der Christdemokrat Johannes Callsen argumentiert ungenau, wenn er meint, das Osterfest würde durch die Beendigung des Karfreitags generell in Frage gestellt werden. Nein, das Osterfest – genauer: der Bedeutungsinhalt des Festes(sic!) – ist erst dann in Frage gestellt, wenn niemand mehr den Glauben in sich trägt und ihn aus freien Stücken selbstbestimmt und ohne Unterdrückung leben will.
Der liberale Christopher Vogt ist auf dem richtigen Weg, wenn er eine Lockerung (Tanzverbot nur zwischen 4 Uhr und 21 Uhr) vorschlägt. Ich frag mich aber schon ein wenig, warum der Fetisch Auto rund um die Uhr freie Fahrt für freie Bürger bekommen, das Tanzbein aber reglementiert werden darf.
Ich weiß nicht, ob der grüne Rasmus Andresen, der mit seinen Äußerungen im NDR die diesjährige Diskussion lostrat, gläubig ist. Ich bin mir aber sicher, dass er es nicht deshalb wird, wenn wir ihm das Tanzen verbieten. Er wird nicht „zur inneren Besinnung kommen“, das Verbot verleitet ihn zu keiner „starke Geste“.
Oder vielleicht doch? Vielleicht sagt er zu Jesus, wenn er auf einem Flashmob am Karfreitag doch irgendwo tanzt: Das hast Du gut gemacht. Du hast mit einer liberalen Botschaft die Regeln des Establishment gebrochen: Mit der aus Freiheit erwachsenen Bindung hast Du hat jede systematisierte und dogmatisierte Religion in Frage gestellt.“ (Sinngemäß zitiert aus: Franz Alt, Jesus – der erste neue Mann). Dann hätten wir viel gewonnen.
Die Lösung ist erstaunlich einfach: Abschaffung aller religiös begründeten Feiertage und wahlweise Ersatz durch solche, die einer Demokratie würdig sind (etwa: Inkrafttreten des Grundgesetzes) oder Erhöhung des gesetzlichen Mindesturlaubs.
Hallo.Das Problem was ich sehe, ist das wenn die Kirche raus geht um den Leuten etwas zu erleutern oder näher zu bringen, hören die meisten nicht zu. Für mich ist glaube etwas privates was jeder mit sich selbst ausmachen sollte. In die Kirche zu gehen, gilt leider oft als uncool und langweilig! Aber gerade die, die Sonntags früh aufstehen um ihren Glauben
mit anderen zu teilen sind cool und an manchen Orten mutig! Das Regelwerk sagt zwar was man tun sollte, aber ich sehe es eher als weiche Richtlinien. lg
Wer an was glaubt oder nicht ist Privatsache. Und ich lass mir doch nicht vorschreiben, wann ich inne halte.… Schon gar nicht von Menschen oder Institiutionen, mit denen ich nichts zu tun habe. Das Problem ist doch eher, dass die christliche Minderheit in diesem Land nach wie vor von Schutzregeln profitiert, die aus Zeiten stammen , in denen sich viele nicht getraut haben aus der Kirche auszutreten oder auch mal im Sinne von Trennung von Staat und Kirche zu diskutieren.
Das reicht allerdings heute nicht mehr aus.
Warum hat nicht jeder Mensch in diesem Land Anspruch auf eine bestimmte Anzahl zusätzlicher freier Tage, die dann persönlich gewählt werden können — je nach persönlichem Gusto dann auch am Karfreitag, daran wird dann doch niemand gehindert werden. Und alle, denen das nicht wichtig ist können ihre Zeit des „innehaltens” selber bestimmen.
Vermutlich wird der Aufschrei groß sein, weil die Kirchen in ihrem Inneren Ahnen, dass sie ohne die staatlichen Feiertage noch leerer sein werden…
Und für alle gibt’s dann bundesweit einheitlich ein oder zwei wichtige freie Tage im Jahr. Ob das der Tag des Grundgesetzes wird oder der in Deutschland sehr geschichtsträchtige 9. November der noch anders ist zu diskutieren. Aber das geht jedenfalls alle an und ist demokratischer Aufteag.
Das sehe ich genau so. Jedem das Seine. ich versuche ja auch nicht, anderen meinen Glauben aufzudrängen und „meine” Feiertage sind nun mal andere als die der Christen. Zum Glück verlieren die Kirchen immer mehr an Macht, so werden wir, oder unsere Nachkommen, in diesem Land vielleicht irgendwann einmal selbstbestimmt leben können.
Wir müssen mehrere Dinge unterscheiden.
Der gesetzliche Feiertag in seiner Rolle als arbeitsfreier Tag. Da wäre ich bei Kai. Wenn der Tag religiös motiviert ist, dann ist das Privatsache und jeder muss für sich entscheiden, ob der Tag für ihn arbeitsfrei sein sollte.
Die Rolle der Feiertage an sich. Ein arbeitsfreier „Tag des Grundgesetzes”, der von allen genutzt wird, um ein verlängertes Wochenende in Dänemark zu verbringen, ist (aus Sicht der Demokratie) auch nichts wert.
Der Schutz des Individuums. Wer sich religiös betätigen will, den sollten wir auch einen gesetzlichen Rahmen dafür bieten. Bestimmte Dinge, etwa solche, die mit Lärm verbunden sind) sollten an Sonntagen (wenigstes während der üblichen Gottesdienstzeiten) oder am Karfreitag unterbleiben.
Die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Wollen wir wirklich eine Gesellschaft ohne bindende Klammer, auch wenn der Grund für diese Klammer weggefallen ist? Denn konsequent müsste dann auch der Schutz des Sonntages wegfallen und der Rhythmus der Arbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern (bzw. den Tarifvertragsparteien) neu ausgehandelt werden.
Die Rolle des Konsums. Gibt es nicht auch ohne bindende (religiöse) Klammer Gründe, es den Menschen zu ermöglichen, aus dem (Arbeits-)Alltag auszubrechen. Ist es nicht auch Aufgabe des Staates, solche Schutzräume vorzuhalten und damit die individuelle Freiheit einzuschränken — auch gegen den Willen vieler?
Ich glaube, das man all das diskutieren kann (und muss). Und zwar mit gebotener Zurückhaltung und viel Sachlichkeit. Wir sollten eine Diskussionkultur pflegen, in der man in Frage stellen darf, ohne dummerhaft anpgepflaumt zu werden. Wenn ich etwa den Kommentar in der heutigen shz lese (http://www.shz.de/nachrichten/top-thema/article//kulturvergessenheit.html Über den Autor: http://bundeshauptstadt.info/benjamin-lassiwe/), dann zweifle ich an dem Willen zum Diskurs. Man kann das, was Rasmus Andresen vorschlug, ablehnen und für falsch halten, ihm „undurchdachte Äußerungen” vorwerfen. Dann aber von „eines Politikers nicht würdig” zu reden und ihm im väterlichen Duktus ein vermeintliche „Nichtwissen” zu unterstellen und ihm eine Umdeutung christlichen Feiertage anzulasten, ist eine unnötige Stigmatisierung der Person. So was brauchen wir in Schleswig-Holstein aus guten Gründen nicht mehr. In der Sache irrt der Kommentator zudem: Weder ist in diesem Jahr im Supermarkt eine wachsende Kulturvergessenheit spürbar (die Osterhasen sind ziemlich heidnisch und kein Tanzverbot am Karfreitag führte dazu, dass sie einen Woche später im Regal landeten. Noch setzt sich der Autor mit der Situation in anderen Länder auseinander. Denn wenn er Recht hätte, dann wäre ja in Länder wie Polen und Italien alles noch schlimmer. Wir wissen seit jahren aus Straßenumfragen, dass die Bedeutung des Osterfestes und Pfingsten aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet. Trotz des freien Tage. Der freie Tag führt nicht zu einer Auseinandersetzung mit dem Inhalt. Das muss man akzeptieren — und nach Auswegen suchen. Festhalten am Bisherigen wird nichts ändern.
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