Gestern (25. April) hat eine Zeitung in Schleswig-Holstein berichtet, dass in „Schleswig-Holstein so viele Bürger wie in keinem anderen Bundesland für ein mehrgliedriges Schulsystem mit Gymnasium — und gegen eine ‚Einheitsschule‘“ seien. Das ginge aus einer Allensbach-Studie hervor. In einem Kommentar hieß es, die „große Schulstudie“ sei „geeignet, den Wahlkampf in Schleswig-Holstein in den letzten eineinhalb Wochen neu zu befeuern.“ Den Wahlkampf mag das befeuern. Die Bildungspolitik verbrennt aber als Kollateralschaden.
Die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, Cornelia Conrad, erklärte „die schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten und Grünen machen Bildungspolitik an den Bürgern vorbei.“ Ihre Kollegin aus der CDU-Fraktion, Heike Franzen sekundierte: „Für uns – und wie Sie heute der Allensbach-Studie entnehmen können, auch für den überwiegenden Teil der Bevölkerung – ist das gegliederte Schulwesen (…) die Zukunftsperspektive für Schleswig-Holstein“. Die IVL-Landesvorsitzende Grete Rhenius fand, durch die Allensbach-Befragung werde deutlich: „Die vielfach kolportierte politische Auffassung, die Schleswig-Holsteiner wünschten sich ein Einheitsschulsystem, ist widerlegt.“
Die Argumentationen wurden schnell in den sozialen Netzwerken von den jeweiligen, wahlkämpfenden Parteigängern übernommen und so konnte man beispielsweise lesen, dass nun dank Allensbach „Fakten alle Positionen und Argumente widerlegen“ oder „so sind sie halt die Schleswig-Holsteiner, erstmal mit gesundem Menschenverstand und dann frei von Ideologien.“ Und es wäre nicht erstaunlich, wenn ab heute an den Wahlkampfständen solche und ähnliche Sprüche wieder und wieder wiederholt werden.
Nun ist das nichts Neues. Bildungspolitik ist in Wahlkampfzeiten der Dauerbrenner, wenn es darum geht, mit grobem Pinsel dicke Striche zu ziehen. Da wird fröhlich vereinfacht, ketzerisch das Wort im Munde umgedreht oder dreist gelogen. Von dem einen mehr, von dem anderen weniger. „Drogenfreigabe“ und „Sex mit Kindern“ sind aktuell aus der Mode gekommen. Die aktuellen Äquivalente „Raubkopieren“ und „Gegen-irgendwas-sein“ schaffen es einfach nicht, der Hasen Herz so richtig zu ängstigen.
Diese Infantilisierung ist in Wahlkampfzeiten anscheinend nicht zu vermeiden. Vermeidbar ist aber das Weitergeben von dünnen Argumenten. Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich die Analyse der Wahlprogramme der Parteien durch die Uni Hohenheim hier veröffentliche, nachdem ich, rückschauend betrachtet, eine Woche zuvor vielleicht ein wenig zu eilfertig über eine sehr ähnliche Studie berichtet habe. Ich fragte mich, ob ich mit der Veröffentlichung vielleicht nur gern gehörte Argumentationsmuster über „die Parteien“ und „die Politik“ bediene: „Höhö, die können ja nicht einmal die Wähler ordentlich ansprechen“. Und ist das, was die Uni gemacht hat, überhaupt belastbar – oder einfach nur schnell dahergesagt? Erst als ich mir sicher war, dass das Hand und Fuß hat, habe ich die Meldung transportiert.
Bei der Meinungsumfrage aus Allensbach entscheide ich mich dagegen.
Ich halte es für falsch, komplexe Themen wie Bildungspolitik durch Meinungsumfragen „beurteilen“ zu lassen. Da brauchen wir Fakten, nicht Vorurteile. Ich ziehe Studien vor, in denen Experten belastbares Datenmaterial sichten und wichten und ihre Methoden offen legen.
Es verstört mich, wenn eine schon zum dritten Mal jährlich ähnlich wiederkehrende Umfrage meint, mit reißerischen Titeln aufwarten zu müssen: „Lehre® in Zeiten der Bildungspanik“ ist so ziemlich der bescheuerste Titel, der mir in diesem Jahr untergekommen ist.
Ich finde es unverantwortlich, bei 2.096 bundesweit Befragten die Antworten auf Länder runterzubrechen. 3,5 Prozent von den 2.096 müssten Schleswig-Holsteiner sein: 73 befragte Schleswig-Holsteiner! Ist hier irgendjemand, der ernsthaft glaubt, dass 73 befragte Schleswig-Holstein ausreichen, um zu belegen, irgendjemand mache „Bildungspolitik an den Bürgern vorbei“? Das ist also schon eine „große Schulstudie“? Und was sind dann PISA, TIMSS und IGLU? „universumsgroße Mega-Schulstudien?“ Sollte man eine Umfrage überhaupt Studie nennen? Ist die eigene Argumentation so mau, dass man schon so schwache Zahlen als Beleg gebrauchen kann? Und ist der NDR eigentlich doof, wenn er ein Institut dafür bezahlt, 1.000 Wähler/-innen für seine Wahlumfrage anzurufen, wo schon 73 Hausbesuche ausreichten? Nein, solange die Umfrage-Institute ihre Methoden nicht veröffentlichen, sollte man solche Zahlen mit ganz großer Vorsicht genießen („Was halten Sie von diesen Zahlen?“ „Ich halte Abstand“).
Oh, und wo wir schon dabei sind. Das gilt, lieber NDR, auch für „Online-Umfragen“ nach Radioduellen. Wer meldet sich freiwillig und behauptet, dass er den Satz, es gebe „ein klares Votum der Nutzer von NDR.de“ aus fester innerer Überzeugung geschrieben hat?
Diese Umfrage ist nicht nur „nicht repräsentativ“ sondern komplett unsinnig. Klar, wäre ich CDU, würde ich diese Ergebnisse auch in die Welt rausrufen. Und wäre ich SPD, würde ich mir jetzt auch fest vornehmen, das nächste Mal nicht zu vergessen, die „Klick-Perser“ zeitig zu informieren. Aber wäre ich NDR, würde ich mir das nächste Mal lieber vornehmen, irgendeinen Spezialexperten mit Professorentitel megarichtige Analysesätze sagen lassen oder eine Infratest-dimap-SMS-Blitzumfrage oder irgendwas anderes Innovatives durchziehen. Aber nicht nochmal solche Bandbreiten-Verschwendungen, bitte. Nachdem ich jetzt nicht nur einmal gehört und gelesen habe, dass sich erwachsene Menschen ernsthaft darüber unterhalten haben, ob das Ergebnis wohl daran liegen könne, dass die Hörer von NDR 1 nun mal älter und damit eher konservativ seien … komme ich langsam zu der Einsicht, dass so etwas nicht mal mehr witzig ist.
Aber wir haben doch gar keine „Klick-Perser”…
Tja, dann hat die SPD halt zweimal Pech und sowieso selber schuld.