Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, sprach bei der gestrigen (05. Juni) Konstituierung des Landtages als Alterspräsident zu den Abgeordneten. Dabei saß er meines Erachtens zwei Missverständnissen auf.
Zunächst geht es um den Begriff „Teilhabe“. Er sagte, offensichtlich in Anspielung auf die Piratenpartei:
In der letzten Zeit ist immer wieder der Ruf nach Transparenz laut geworden. Daraus spricht der berechtigte Wunsch der Menschen, nicht allein die politischen Entscheidungen zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch an ihrem Zustandekommen teilzuhaben.
Das aber ist selbstverständlich immer schon möglich gewesen: Die Sitzungen des Schleswig-Holsteinischen Landtages sind öffentlich, jeder kann nach Anmeldung auf der Besuchertribüne Platz nehmen und die Debatten verfolgen. Der Offene Kanal sendet Mitschnitte der Debatten, die Protokolle sind ebenfalls in ihrer zur Veröffentlichung genehmigten Form einsehbar.
Der Begriff Teilhabe beinhaltet in seiner politischen Bedeutung „Beteiligung“. Wir sprechen auch von Partizipation. Partizipation erstreckt sich dabei prinzipiell auf den vollständigen politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess.
Das Zuhören von einer Tribüne (nach Anmeldung) wird bitte niemand ernsthaft als Teilhabe verstehen wollen. Zumal jeder politisch halbwegs Interessierte weiß, dass nicht im Plenum die Entscheidung zustande kommt sondern die Hauptarbeit schon in den vorgelagerten Gremien, etwa den Ausschüssen, passiert ist. Im Plenum wird der formale, ritualisierte demokratische Auftakt und der Schlussakkord vollzogen. Alle Vorschläge zur „Modernisierung“ der Plenarsitzungen haben deshalb den Fokus auf eine unterhaltsamere, medial attraktivere Präsentation der Diskussion – und behaupten folglich auch nicht, man bezwecke damit mehr Demokratie, Teilhabe, Transparenz oder sonst was.
Am Rande: Seit einiger Zeit gibt es ParlaTV. Die Plenarsitzungen des Schleswig-Holsteinischen Landtages werden vollständig im Internet veröffentlicht. Manche Fraktionen veröffentlichen die Redebeiträge ihrer Redner anschießend auch auf Youtube. Die Mitschnitte des Offenen Kanals (m.E. sind das zudem auch keine Mitschnitte sondern Liveübertragungen) haben deshalb mittlerweile wohl nicht mehr die ehemalige Bedeutung.
Wie schon bei dem Platz nehmen nach Anmeldung wundere ich mich dann bei den Protokollen ein wenig über die Formulierung: in ihrer zur Veröffentlichung genehmigten Form einsehbar. Zunächst kann die Formulierung dahingehend missverstanden werden, dass der Redner gegenüber dem Wortprotokoll des stenografischen Dienstes eine größere Veränderungsmöglichkeit hätte – was nicht der Fall ist (dazu kommt, wie gestern schon angekündigt, demnächst ein eigener Beitrag). Zum anderen ist das Protokoll natürlich nicht nur „einsehbar“.
Ich klaube nicht das Wort, ich störe mich an dem Eindruck des Gnadenaktes, den der Alterspräsident durch die Formulierung erweckt. Und an dem Widerspruch, den er formuliert. Die These: Politischen Entscheidungen soll die Bürger nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern an ihrem Zustandekommen teilzuhaben. Die Erfüllung: Wir haben fertig! Ihr dürft nach Anmeldung sitzend zuhören und Protokolle einsehen. Hallo?! Hat keiner vorher das Manuskript gelesen?
Das zweite Missverständnis ist die Definition von Transparenz, bzw. der Irrglaube, weshalb es die Forderung nach Transparenz gibt.
Transparenz kann jedoch nicht immer der Maßstab aller Dinge und allzumal nicht der Maßstab jeder Form politischer Arbeit sein. Lassen Sie mich das an einem Gegensatz aufzeigen. Der Gegensatz zur Transparenz im politischen Geschäft ist nicht die „Intransparenz“, sondern die Vertraulichkeit. Vertraulichkeit – darin steckt nicht zufällig das Wort „Vertrauen“. Es gibt Prozesse des Meinungsaustausches, der Diskussion, des Streits und vor allem der Konsensfindung, die nur im Vertrauen, in der Vertraulichkeit des Gesprächs, möglich sind.
Im Ergebnis stimme ich Herrn Kubicki zu, dass es Stufen der Konsensfindung gibt, die nur im Vertrauen, im nicht öffentlichen Wort, gefunden werden können. Falsch ist die Herleitung.
Damit die gefundenen Ergebnisse auch von Nichtbeteiligten akzeptiert (und nicht nur hingenommen) werden können, muss Vertrauen vorhanden sein. Vertrauen entsteht – jedenfalls in Situationen, wo uns die Handelnden nicht schon auf das Engste bekannt sind – aus Transparenz. Nur wenn wir uns sicher sind, dass wir unserem (Volks)Vertreter vertrauen können, verzichten wir auf Transparenzforderung. Transparenz ist also kein Wert an sich, kein „Maßstab“, sondern erschafft etwas: Vertrauen. Transparenz und Vertraulichkeit sind folglich kein Gegensatzpaar. Sie bedingen einander. Das gilt nur für denjenigen nicht, der Angst hat, urplötzliche Transparenz zerstörte vorhandenes Vertrauen. Die heutigen Rufe nach Transparenz sind nichts anderes als das zur Forderung gewordene Unbehagen in die Akteure der Politik, die „Vertrauenskrise der Politik“. Seien wir doch froh, dass dieses Unbehagen in so rationaler Form formuliert wird.
Guter Punkt. Allerdings würde ich noch weitergehen. Ich denke es sollte viel mehr aufgeschlüsselt werden, was unter den Oberbegriffen gefasst wird.
Bürgerbeteiligung ist z.B. durchaus auch bei Bauprojekten verpflichtender Bestandteil des Prozesses. In der Lokalpolitik wird das aber auch schnell zur Pharce — auch die Kinder- und JugendBETEILIGUNG.
Echte Beteiligung oder Partizipation sollte mehr beinhalten als Informiert zu werden — und auch mehr als lediglich etwas sagen zu dürfen. Es sollte auch beinhalten den Ausgang einer Entscheidung verändern und mitgestalten zu können. und zwar nicht nach dem Filter derjenigen, die eine Beteiligungsveranstaltung auswerten.
Bürgerbeteiligung ist eigentlich ein direktdemokratisches Element, das die repräsentative Demokratie erweitert. Aus Sicht unserer Repräsentanten soll es aber lieber nur etwas sein, das abgehakt wird. Je weniger die Bürger sich dabei beteiligen, desto besser. Denn dann muss man seine Pläne nicht ändern. Und wenn sie sich beteiligen, dann bitte so, wie es die Parteien wollen. Damit der Bürger für oder gegen die Regierung vereinnahmt werden kann.
Es sollte für Beteiligung ganz klare Kategorien,nach denen man sie bemessen kann. Solange das nur ganz grob als „nice to have” irgendwo steht lässt das beliebig viel Interpretationsspielraum.