Transparenz und Vertrauen - Zur Rede des Alterspräsidenten

Von | 6. Juni 2012

Der Fraktionsvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, sprach bei der gest­ri­gen (05. Juni) Konstituierung des Landtages als Alterspräsident zu den Abgeordneten. Dabei saß er mei­nes Erachtens zwei Missverständnissen auf.

Zunächst geht es um den Begriff „Teilhabe“. Er sag­te, offen­sicht­lich in Anspielung auf die Piratenpartei:

In der letz­ten Zeit ist immer wie­der der Ruf nach Transparenz laut gewor­den. Daraus spricht der berech­tig­te Wunsch der Menschen, nicht allein die poli­ti­schen Entscheidungen zur Kenntnis zu neh­men, son­dern auch an ihrem Zustandekommen teil­zu­ha­ben.

Das aber ist selbst­ver­ständ­lich immer schon mög­lich gewe­sen: Die Sitzungen des Schleswig-Holsteinischen Landtages sind öffent­lich, jeder kann nach Anmeldung auf der Besuchertribüne Platz neh­men und die Debatten ver­fol­gen. Der Offene Kanal sen­det Mitschnitte der Debatten, die Protokolle sind eben­falls in ihrer zur Veröffentlichung geneh­mig­ten Form ein­seh­bar.

Der Begriff Teilhabe beinhal­tet in sei­ner poli­ti­schen Bedeutung „Beteiligung“. Wir spre­chen auch von Partizipation. Partizipation erstreckt sich dabei prin­zi­pi­ell auf den voll­stän­di­gen poli­ti­schen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess.

Das Zuhören von einer Tribüne (nach Anmeldung) wird bit­te nie­mand ernst­haft als Teilhabe ver­ste­hen wol­len. Zumal jeder poli­tisch halb­wegs Interessierte weiß, dass nicht im Plenum die Entscheidung zustan­de kommt son­dern die Hauptarbeit schon in den vor­ge­la­ger­ten Gremien, etwa den Ausschüssen, pas­siert ist. Im Plenum wird der for­ma­le, ritua­li­sier­te demo­kra­ti­sche Auftakt und der Schlussakkord voll­zo­gen. Alle Vorschläge zur „Modernisierung“ der Plenarsitzungen haben des­halb den Fokus auf eine unter­halt­sa­me­re, medi­al attrak­ti­ve­re Präsentation der Diskussion – und behaup­ten folg­lich auch nicht, man bezwe­cke damit mehr Demokratie, Teilhabe, Transparenz oder sonst was.

Am Rande: Seit eini­ger Zeit gibt es ParlaTV. Die Plenarsitzungen des Schleswig-Holsteinischen Landtages wer­den voll­stän­dig im Internet ver­öf­fent­licht. Manche Fraktionen ver­öf­fent­li­chen die Redebeiträge ihrer Redner anschie­ßend auch auf Youtube. Die Mitschnitte des Offenen Kanals (m.E. sind das zudem auch kei­ne Mitschnitte son­dern Liveübertragungen) haben des­halb mitt­ler­wei­le wohl nicht mehr die ehe­ma­li­ge Bedeutung.

Wie schon bei dem Platz neh­men nach Anmeldung wun­de­re ich mich dann bei den Protokollen ein wenig über die Formulierung: in ihrer zur Veröffentlichung geneh­mig­ten Form ein­seh­bar. Zunächst kann die Formulierung dahin­ge­hend miss­ver­stan­den wer­den, dass der Redner gegen­über dem Wortprotokoll des ste­no­gra­fi­schen Dienstes eine grö­ße­re Veränderungsmöglichkeit hät­te – was nicht der Fall ist (dazu kommt, wie ges­tern schon ange­kün­digt, dem­nächst ein eige­ner Beitrag). Zum ande­ren ist das Protokoll natür­lich nicht nur „ein­seh­bar“.

Ich klau­be nicht das Wort, ich stö­re mich an dem Eindruck des Gnadenaktes, den der Alterspräsident durch die Formulierung erweckt. Und an dem Widerspruch, den er for­mu­liert. Die These: Politischen Entscheidungen soll die Bürger nicht nur zur Kenntnis neh­men, son­dern an ihrem Zustandekommen teil­zu­ha­ben. Die Erfüllung: Wir haben fer­tig! Ihr dürft nach Anmeldung sit­zend zuhö­ren und Protokolle ein­se­hen. Hallo?! Hat kei­ner vor­her das Manuskript gele­sen?

Das zwei­te Missverständnis ist die Definition von Transparenz, bzw. der Irrglaube, wes­halb es die Forderung nach Transparenz gibt.

Transparenz kann jedoch nicht immer der Maßstab aller Dinge und all­zu­mal nicht der Maßstab jeder Form poli­ti­scher Arbeit sein. Lassen Sie mich das an einem Gegensatz auf­zei­gen. Der Gegensatz zur Transparenz im poli­ti­schen Geschäft ist nicht die „Intransparenz“, son­dern die Vertraulichkeit. Vertraulichkeit – dar­in steckt nicht zufäl­lig das Wort „Vertrauen“. Es gibt Prozesse des Meinungsaustausches, der Diskussion, des Streits und vor allem der Konsensfindung, die nur im Vertrauen, in der Vertraulichkeit des Gesprächs, mög­lich sind.

Im Ergebnis stim­me ich Herrn Kubicki zu, dass es Stufen der Konsensfindung gibt, die nur im Vertrauen, im nicht öffent­li­chen Wort, gefun­den wer­den kön­nen. Falsch ist die Herleitung.

Damit die gefun­de­nen Ergebnisse auch von Nichtbeteiligten akzep­tiert (und nicht nur hin­ge­nom­men) wer­den kön­nen, muss Vertrauen vor­han­den sein. Vertrauen ent­steht – jeden­falls in Situationen, wo uns die Handelnden nicht schon auf das Engste bekannt sind – aus Transparenz. Nur wenn wir uns sicher sind, dass wir unse­rem (Volks)Vertreter ver­trau­en kön­nen, ver­zich­ten wir auf Transparenzforderung. Transparenz ist also kein Wert an sich, kein „Maßstab“, son­dern erschafft etwas: Vertrauen. Transparenz und Vertraulichkeit sind folg­lich kein Gegensatzpaar. Sie bedin­gen ein­an­der. Das gilt nur für den­je­ni­gen nicht, der Angst hat, urplötz­li­che Transparenz zer­stör­te vor­han­de­nes Vertrauen. Die heu­ti­gen Rufe nach Transparenz sind nichts ande­res als das zur Forderung gewor­de­ne Unbehagen in die Akteure der Politik, die „Vertrauenskrise der Politik“. Seien wir doch froh, dass die­ses Unbehagen in so ratio­na­ler Form for­mu­liert wird.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

Ein Gedanke zu “Transparenz und Vertrauen - Zur Rede des Alterspräsidenten”:

  1. Thilo

    Guter Punkt. Allerdings wür­de ich noch wei­ter­ge­hen. Ich den­ke es soll­te viel mehr auf­ge­schlüs­selt wer­den, was unter den Oberbegriffen gefasst wird.

    Bürgerbeteiligung ist z.B. durch­aus auch bei Bauprojekten ver­pflich­ten­der Bestandteil des Prozesses. In der Lokalpolitik wird das aber auch schnell zur Pharce — auch die Kinder- und JugendBETEILIGUNG.

    Echte Beteiligung oder Partizipation soll­te mehr beinhal­ten als Informiert zu wer­den — und auch mehr als ledig­lich etwas sagen zu dür­fen. Es soll­te auch beinhal­ten den Ausgang einer Entscheidung ver­än­dern und mit­ge­stal­ten zu kön­nen. und zwar nicht nach dem Filter der­je­ni­gen, die eine Beteiligungsveranstaltung aus­wer­ten.

    Bürgerbeteiligung ist eigent­lich ein direkt­de­mo­kra­ti­sches Element, das die reprä­sen­ta­ti­ve Demokratie erwei­tert. Aus Sicht unse­rer Repräsentanten soll es aber lie­ber nur etwas sein, das abge­hakt wird. Je weni­ger die Bürger sich dabei betei­li­gen, des­to bes­ser. Denn dann muss man sei­ne Pläne nicht ändern. Und wenn sie sich betei­li­gen, dann bit­te so, wie es die Parteien wol­len. Damit der Bürger für oder gegen die Regierung ver­ein­nahmt wer­den kann.

    Es soll­te für Beteiligung ganz kla­re Kategorien,nach denen man sie bemes­sen kann. Solange das nur ganz grob als „nice to have” irgend­wo steht lässt das belie­big viel Interpretationsspielraum.

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