TTIP - Diskussionsreihe der Europa-Union in Kiel gestartet

Von | 3. November 2014
Containerschiff

Der Handel über den Atlantik soll Dank TTIP einfacher werden.| Foto: Daniel Ramirez - CC BY 2.0

Das geplan­te Freihandelsabkommen zwi­schen den USA und der Europäischen Union – kurz: TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) – ist hef­tig umstrit­ten. Die Befürworter des Abkommens hof­fen auf neue Arbeitsplätze, stei­gen­de Löhne und mehr Wachstum und Wohlstand. Die Gegner befürch­ten, dass all die­se glor­rei­chen Aussichten nur auf Kosten von Verbraucherschutz und Umweltstandards mög­lich sind, wenn über­haupt. Das Problem das bei­de Seiten in die­sem Streit mit­ein­an­der ver­bin­det, ist die Tatsache, dass Informationen über das, was ein­mal die größ­te Freihandelszone der Welt wer­den soll, nur Tröpfchenweise an die Öffentlichkeit gelan­gen, weil die Verhandlungen hin­ter ver­schlos­se­nen Türen statt fin­den. Dass die­ser Umstand bei dem ein oder ande­ren für Bedenken sorgt, liegt auf der Hand. Eine Reihe von Diskussionsrunden, so genann­ten Bürgerdialogen, soll nun für Aufklärung sor­gen. Der Startschuss für die Kampagne „TTIP – Wir müs­sen reden!“ fiel Anfang Oktober in Kiel.

Die Europa Union Deutschland (EUD) hat­te in die Räume der Industrie und Handelskammer der schles­wig-hol­stei­ni­schen Landeshauptstadt gela­den. Und die­ses Gesprächsangebot wur­de dan­kend ange­nom­men: Zwar platz­te der Saal nicht aus allen Nähten, aber nur weni­ge der rund 120 Sitze waren frei geblie­ben. Das Thema hat­te Interessierte jeder Couleur und jeden Alters ange­lockt. Noch bevor es los­ging bekam jeder Besucher die Aufgabe sei­ne aktu­el­le Position zum Freihandelsabkommen mit­hil­fe eines far­bi­gen Aufklebers auf einer „Stimmungslinie“ zu mar­kie­ren. Je wei­ter links man sei­nen Aufkleber plat­zier­te, des­to kri­ti­scher stand man den Plänen von EU und USA gegen­über.

Stimmungsbild per Klebepunkte

Die gro­ße Mehrheit hat­te ihren oran­ge­far­be­nen Klebepunkt auf die lin­ke Hälfte der Stimmungslinie gesetzt. Es gab Gesprächsbedarf. Als Gesprächspartner waren Vertreter der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein, des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), der EU und des Hausherren der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) anwe­send. Für den volks­wirt­schaft­li­chen Hintergrund sorg­te Professor Langhammer, vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Das ers­te Wort hat­te frei­lich der Vertreter des Gastgebers EUD, der es sich als guter Europäer bei sei­ner Begrüßung nicht neh­men ließ, etwai­ge Schuldzuweisungen bereits im Vorfeld gleich­mä­ßig auf alle Mitgliedsländer zu ver­tei­len, in dem er dar­auf hin­wies, dass Brüssel irr­tüm­lich für Vieles ver­ant­wort­lich gemacht wird, was eigent­lich in den Hauptstädten ent­schie­den wur­de. So auch die Pläne für TTIP.

Bevor es nun rich­tig los­ging, woll­te Moderator, Martin Lätzel, noch ein­mal genau­er wis­sen, wie es um die Stimmung bei den Anwesenden bestellt war. Während er Einzelne nach den Beweggründen ihres Kommens frag­te und die zu erwar­ten­den Schlagworte Investitionsschutz und Chlorhühnchen fie­len, warf er selbst einen Begriff ein, der für den Rest des Abends über der gan­zen Veranstaltung zu schwe­ben schien: German Angst. Den Menschen die­se Angst zu neh­men war nun das erklär­te Ziel die­ses Bürgerdialogs und tat­säch­lich waren die kri­ti­schen Töne schon in der Vorstellungsrunde der Vertreter der gela­de­nen Interessenverbände eher lei­se – und erwar­tungs­ge­mäß ver­teilt.

Während bei­spiels­wei­se, BDI und IHK von den Vorteilen fal­len­der Zölle — auch für klei­ne Unternehmen — schwärm­ten, hieß es von Seiten der Verbraucherzentrale, man sei zwar nicht dage­gen, aber skep­tisch. Vom DGB hieß es, man ach­te dar­auf, das TTIP nicht zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen füh­ren wer­de. Richtig kon­kret wur­de es erst, als Professor Dr. Rolf J. Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft das Wort ergriff, im Bemühen die Befürchtungen der Anwesenden durch wis­sen­schaft­li­che Erkenntnisse von einer emo­tio­na­len, auf eine ratio­na­le Grundlage zu stel­len.

Expertise vom Institut für Weltwirtschaft

Langhammer refe­rier­te unter ande­rem über Umleitungseffekte, durch die glo­ba­le Handelsströme im Zuge des Freihandelsabkommen so aus­ge­rich­tet wür­den, dass gera­de ärme­ren und land­wirt­schaft­lich gepräg­ten Staaten außer­halb der Freihandelszone Nachteile ent­ste­hen dürf­ten. So genann­te Diskriminierungseffekte, so Langhammer wei­ter, exis­tie­ren aber bereits und ihre Auswirkungen sei­en bis­lang mode­rat. Angesprochen wur­den auch die unter­schied­li­chen Perspektiven der Verhandlungspartner z.B. bei Verbraucherstandards: Während die Europäer nach dem Vorsorgeprinzip han­deln und so in der Regel dafür sor­gen, dass das Kind gar nicht erst in den Brunnen fal­len kann, han­deln die Amerikaner nach dem Nachsorgeprinzip und über­le­gen sich so etwas erst hin­ter­her. Das muss nicht grund­sätz­lich falsch sein: Denn wäh­rend die eine Seite bereits im Vorfeld in Überregulierung ersti­cken kann, unter­nimmt die ande­re Seite erst etwas, sobald ein Problem tat­säch­lich exis­tiert und man sicher sein kann, dass ent­spre­chen­de Regeln tat­säch­lich not­wen­dig gewor­den sind. Andererseits möch­te man sich so etwas gera­de im Fall von Lebensmitteln nicht vor­stel­len.

Selbstverständlich wur­de auch die so genann­te Investorenschutzklausel ange­spro­chen, die den Kern einer jeden TTIP-Kritik bil­det. Diese Klausel ermög­licht es aus­län­di­schen Konzernen gegen die­je­ni­gen Länder vor­zu­ge­hen, in die sie ihr Geld gesteckt haben, wenn es dort Gesetzesänderung gibt, durch die ihre Investition gefähr­det wird. Das klingt zunächst ein­mal sinn­voll und auch die Erklärung, dass ein sol­cher Investitionsschutz nötig sei, weil es eben kein ein­heit­li­ches, inter­na­tio­na­les Wirtschaftsrecht gibt, scheint auf den ers­ten Blick ein­leuch­tend. Doch pro­ble­ma­tisch wird es, wenn man sich die Schiedsgerichte anschaut, die in sol­chen Fällen ent­schei­den. So wird bei­spiels­wei­se auch dort hin­ter ver­schlos­se­nen Türen ver­han­delt und ein Widerspruch gegen die Entscheidung ist nicht mög­lich. Verhandelt wird außer­dem immer über sehr viel Geld, eben die Investition des Unternehmens – und für die muss dann im Zweifelsfall der Steuerzahler des beklag­ten Landes auf­kom­men.

Der Hinweis, dass die Investitionsschutzklausel ja bereits viel­fach, in bereits exis­tie­ren­den Freihandelsabkommen zur Anwendung kommt und damit längst gän­gi­ge Praxis ist, beru­higt da nur bedingt. Es reicht ein kur­zer Blick auf den bis­lang bekann­tes­ten Fall: Vor dem Hintergrund des Freihandelsabkommens NAFTA zwi­schen Kanada, den USA und Mexiko, wur­de Kanada zur Zahlung einer drei­stel­li­gen Millionensumme an den Gaskonzern Lone Pine ver­ur­teilt, weil ein Bürgerentscheid in Quebec den Fracking-Plänen der Firma einen Strich durch die Rechnung gemacht hat­te.

Natürlich wur­de auch die Frage gestellt, wer denn eigent­lich Gewinner und wer Verlierer des TTIP sein könn­te. Nach Einschätzung von Professor Langhammer dürf­ten bei­de Seiten einen wirt­schaft­li­chen Vorteil aus dem Freihandel zie­hen, aber: die USA wohl doch etwas mehr als die EU. Als Begründung nann­te Langhammer den Export von Dienstleistungen, der in der Zukunft immer mehr an Bedeutung erlan­gen wer­de, und in wel­chem die USA schon jetzt „sehr potent“ sei­en.

Am Ende stell­te Langhammer fest, dass es sich bei TTIP um „eine Maßnahme zur Disziplinierung des Merkantilismus han­de­le“, denn schließ­lich woll­ten alle expor­tie­ren. Und die­je­ni­gen die ein Problem mit TTIP hät­ten, hät­ten wohl eher ein grund­sätz­li­ches Problem mit einem markt­wirt­schaft­li­chen Mechanismus und eine anti-ame­ri­ka­ni­sche Grundhaltung.

Zu guter letzt trat noch Lutz Güllner vor das Publikum. Güllner ist bei der EU-Kommission stell­ver­tre­ten­der Referatsleiter für Kommunikation der Generaldirektion Handel. Auch er sprach noch ein­mal von den Vorteilen des TTIP, beschwer­te sich über ein hohes Maß an Populismus in der öffent­li­chen Debatte und mal­te die Zukunft des west­li­chen Freihandels in so rosa­ro­ten Farben, dass sich die ver­meint­li­che German Angst am Ende sei­ner Rede bei­na­he in einen kur­zen Moment von German Begeisterung ver­wan­delt hät­te. Möglicherweise hät­te er nicht sei­ne Verwunderung dar­über zum Ausdruck brin­gen sol­len, dass ja vor allem die Deutschen in die­ser Sache über­mä­ßig kri­tisch, ja gera­de­zu hys­te­risch sei­en.

Diskussionsrunde im großen Kreis

Abschließend begann die Diskussionsrunde im gro­ßen Kreis: Die Redebeiträge reich­ten von neu­gie­ri­gen Nachfragen, über ruhig vor­ge­tra­ge­ne Kritik bis hin zu laut­star­ker Empörung über die mut­maß­li­che Bedrohung durch aus­län­di­sche Firmen, die klei­nen, loka­len Betrieben schon seit Jahren an den Kragen woll­ten und denen das TTIP nun end­gü­tig Tür und Tor öff­ne. In der öffent­li­chen Diskussion über das Transatlantische Freihandelsabkommen zwi­schen der EU und den Vereinigten Staaten man­gelt es zuge­ge­be­ner­ma­ßen nicht an Populismus und Gesprächsveranstaltungen wie der Bürgerdialog sind auf jeden Fall zu begrü­ßen. Solche Debatten soll­ten aber nicht dazu genutzt wer­den die Ängste der Menschen mit unpas­sen­den Kunstbegriffen zu brand­mar­ken und her­un­ter zuspie­len. Zudem soll­te sich ein Vertreter der EU-Kommission gera­de beim bevöl­ke­rungs­reichs­ten und export­stärks­ten Land der EU nicht über die Sorgen der Menschen wun­dern, die sich zurecht fra­gen, ob es denn tat­säch­lich nur um die Interessen inter­na­tio­nal agie­ren­der Großkonzerne geht.

Immerhin tra­gen die öffent­li­che Debatte und viel­leicht ja auch der Bürgerdialog der EUD neue Früchte. Die Europäische Union ist jetzt einen Schritt auf die­je­ni­gen zuge­gan­gen, die vor allem die Undurchsichtigkeit des Verfahrens kri­ti­sie­ren. Inzwischen hat Brüssel das bis­lang geheim gehal­te­ne Verhandlungsmandat für TTIP ver­öf­fent­licht. Das 18-sei­ti­ge Dokument zu dem geplan­ten Abkommen wur­de nur weni­ge Tage nach dem ers­ten TTIP-Bürgerdialog in Kiel vom Rat der EU-Mitgliedstaaten offi­zi­ell publik gemacht.

Den nächs­ten Bürgerdialog zum nach wie vor umstrit­te­nen Freihandelsabkommen TTIP ver­an­stal­tet die Europa Union Deutschland am 15. Dezember in Nürnberg.

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Ralf Beckendorf
Von:

ist gebürtiger Kieler (Baujahr 1983), nach Studium und Volontariat in Leipzig in die Heimat zurück gekehrt und arbeitet nun als Nachrichtenredakteur beim privaten Rundfunk.

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