Fehlentscheidung des Landes revidieren – Kiel ringt um einzigen Konzertsaal

Von | 21. Februar 2017
Konzerthalle Kieler Schloss

Dekordetail aus dem Fördefoyer im Kieler Konzertgebäude. Entrümpeln und Sanieren, schlägt der Gutachter vor. Foto: panama

Sanieren oder schlie­ßen? Kiel besitzt einen hoch­wer­ti­gen Konzertsaal. Der wur­de in den 60er Jahren errich­tet, über die Jahrzehnte gehegt und gepflegt aber nie sub­stan­ti­ell reno­viert. Die Defizite im Saal und an der musea­len Veranstaltungstechnik sind seit Jahren offen­sicht­lich. Zum 30. Juni nächs­ten Jahres stellt der Eigentümer den Konzertbetrieb ein. Was dann? Der Kreisverband der CDU in Kiel lud am gest­ri­gen Abend zu einer öffent­li­chen Podiumsdiskussion ins Fördefoyer des Kieler Schlosses. Fünf Herren auf dem Podium und das Publikum gaben ihr Votum ab.

Sanieren! lau­tet das Fazit von Dipl.-Ing. Björn Bergmann. Der Architekt und Partner im Büro bbp lobt die hohe gestal­te­ri­sche Qualität des Baus, des­sen gro­ßer Saal 1.400 Besucherinnen und Besuchern Platz bie­te: „Es lohnt, mit dem Bestandsgebäude wei­ter­zu­le­ben!“ In sei­nem 300 Seiten umfas­sen­den Gutachten für die Stadt Kiel kommt er zum Schluss, aus dem Sanierungsfall mit weni­gen Akzenten einer moder­nen Formensprache ein ganz beson­de­res Schmuckstück schaf­fen zu kön­nen. Kein zwei­tes Gebäude in Deutschland hät­te die Jahrzehnte so gut über­stan­den wie die­ses, warb er beim Publikum. Aber die Foyers müss­ten gründ­lich ent­rüm­pelt, Bar und Garderobe ihre Plätze tau­schen und der Bau drin­gend in Sachen Wärmedämmung, Brandschutz, Barrierefreiheit, Akustik und Bühnentechnik auf den neu­es­ten Stand gebracht wer­den — Gesamtkosten brut­to: 24,4 Mio Euro, Planungszeit: 18 Monate, Bauzeit: 24 Monate. Ein Neubau läge bei 50 bis 70 Mio.

Sanieren! appel­liert Generalmusikdirektor Georg Fritsch. Das Kieler Opernhaus sei kein Konzerthaus, die Sparkassen-Arena bloß eine Stätte für Sport und Shows. Ohne Konzertsaal hät­te die Landeshauptstadt wohl kaum Chancen, gute Musiker zu enga­gie­ren. Bestätigen kön­ne er die Klagen von Musikern, die auf der Bühne den Klang ihrer Orchesterkollegen man­gels Schallreflektoren nicht hören könn­ten. Dagegen sei für das Publikum die Akustik in dem alten Saal sehr, sehr gut mit einem wei­chen und trans­pa­ren­ten Klang. Für par­tei­po­li­ti­sche Diskussionen eig­ne sich das Thema Konzertsaal nicht, mahn­te er, und erin­ner­te ein­dring­lich dar­an, dass die­ser 2002 für 1 Euro vom Land an einen Investor ver­kauft wor­den sei: „Er gehört uns nicht!“. Den Betreibern Claudia Lohse und Klaus-Peter Marschall gebüh­re Lob für die Übernahme die­ser öffent­li­chen Aufgabe: „Jeder Konzertsaal auf der Welt macht Defizite!“

Sanieren! Dr. Niels Bunzen inves­tiert in die Bebauung des sog. Schlossquartiers. Seine NGEG Grundstücksentwicklungsgesellschaft errich­tet in unmit­tel­ba­rer Nachbarschaft über 200 Wohnungen. Für Kunden sei die intak­te inner­städ­ti­sche Infrastruktur kauf­ent­schei­dend gewe­sen, wes­halb eine Schließung des Konzertsaales nicht infra­ge käme. Mit einem sechs­stel­li­gen Betrag las­se die NGEG zudem das gesam­te Areal für ein har­mo­ni­sches Gesamtbild ebnen und ein­heit­lich pflas­tern.

Sanieren! Der Vorsitzende der Kieler CDU-Ratsfraktion ärgert sich über den jüngs­ten Antrag der Grünen, mit dem die Partei sich das Thema zu eigen machen will. Stefan Kruber ist der Ansicht, dass längst über alle Parteien hin­weg Konsens in der Frage herrscht. Mit allen Beteiligten müs­se über den Rückkauf der Immobilie ver­han­delt wer­den. Neben der Stadt sol­le sich vor allem das Land an den Sanierungskosten betei­li­gen: „Mindestens Drittel, eher mehr, denn das Land hat den Verkauf damals ver­an­lasst”. Und er mahn­te zur Eile: „Der Saal darf nicht kalt wer­den. Tourpläne wer­den über Jahre im Voraus erstellt. Ist Kiel ein­mal drau­ßen, wird es schwer, den Ort bei den gro­ßen Agenturen wie­der zu eta­blie­ren“.

Sanieren! Stadtkämmerer Wolfgang Röttgers (SPD) ist skep­tisch, ob die Vertreter der Kreise im Landtag einer Kostenübernahme zustim­men wer­den. Da sie jedoch die Kostensteigerung bei der Sanierung der Musik- und Kongresshalle in Lübeck geschluckt hät­ten, bestün­de etwas Hoffnung.

Sanieren! Neben den Philharmonikern, dem NDR und dem Schleswig-Holstein Musik-Festival nut­zen diver­se ande­re über­re­gio­na­le Veranstalter den Saal für klas­si­sche wie Pop-Konzerte, für Kabarett, Shows und Ballett-, Tanz und Gymnastikaufführungen, Verbände fei­ern dort an zen­tra­ler Stelle in der Landeshauptstadt Feste und Vereine ihre Jubiläen. Und so gab es 100 % Zustimmung im Publikum bei einer spon­ta­nen Abstimmung an die­sem Abend für den Erhalt der Kulturstätte, die einst als „Akropolis” die neue Mitte der Landeshauptstadt mar­kie­ren soll­te — mit dem Rücken zur Förde, zur Altstadt hin für die fla­nie­ren­den Bürgerinnen und Bürger jedoch ein­la­dend geöff­net.

panama
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das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 30 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews - www.panama-sh.com.

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