Ein Katholik als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein

Von | 10. Juli 2017

By: thinkaboutfreedom - CC BY 2.0

„Traue nie­mals einem Katholiken,” das ist ein Satz, den mir ein sehr alter Mann in mei­nem Zivildienst auf den Weg gege­ben hat. Damals, Mitte der 1990er, habe ich über­haupt nicht ver­stan­den, was der Satz soll­te. „Katholiken? Die gibt es doch nur in Bayern,” dach­te ich. Doch jetzt ist ein in Kiel gebo­re­ner Katholik Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.
Eine Geschichte über Integration.

Die Flüchtlinge in Schleswig-Holstein

Die Flüchtlinge in Schleswig-Holstein

Praktisch alle katho­li­schen Gemeinden in Schleswig-Holstein sind nach dem Zweiten Weltkrieg ent­stan­den — als das Land vol­ler Flüchtlinge vor allem aus dem Osten des ehe­ma­li­gen Deutschen Reichs war. Auf einen Einheimischen kam ein Flüchtling. Nicht alle Flüchtlinge waren Katholiken — 11,3 % stellt eine Erhebung des Sozialministeriums aus dem Jahr 1950 fest. Welch ein sozia­ler Sprengstoff das trotz­dem war, kann man sich heu­te nicht mehr vor­stel­len. In „Schleswig-Holstein 1800 bis heu­te: Eine his­to­ri­sche Landeskunde” schrei­ben die Autoren:

„Mehrheitlich lehn­ten die Einheimischen die ‚Eindringlinge’, die sie spöt­tisch ‚die aus der kal­ten Heimat’ nen­nen, ab. Sie emp­fin­den ihre Sprache, ihren Dialekt, ihre Umgangsformen und ihre Speisezettel als anders­ar­tig. Masurisch, Pommersch und Ermländisch klin­gen für sie als Sprachen und Dialekte eben­so fremd, wie Königsberger Klopse und Schlesisches Himmelreich als Gerichte. Im nord­frie­si­schen Langenhorn ver­ab­schie­det der Dorfschmied die Töchter am Samstagabend mit der kla­ren Anweisung zum Tanzen: ‚Du dörfst mi mit allens na Hus komen, blots mit keen Flüchtlingsjung!’ Der ange­se­he­ne Anwalt und Landeshistoriker Otto Kähler for­mu­liert es 1946 in einem Schreiben an den Landesbibliothek Volquarts Pauls hoch­deutsch, aber dem Sachverhalt nach sehr ähn­lich: „Die Flüchtlinge gehö­ren nicht in unser Land hin­ein. Dass wir Preußen los sein sol­len, die Preusen aber kom­men haben, ist eine schau­er­li­che Ironie der Weltgeschichte. In allem wider­strebt und die­ses Volk.‚ Josef Müller-Merein lässt in sei­nem berühmt gewor­de­nen Buch ‚Deutschland im Jahre 1’ (erschie­nen 1984)  eine Schleswig-Holsteinerin zum abschlie­ßen­den Urteil gelan­gen: ’ Wir haben im Leben nicht gewusst, was die Ostpreußen für Menschen sind, so faul und lie­der­lich (…). Wenn die Ostpreußen auch Deutsch sind, dann dan­ke.’ Und den letz­ten Schritt voll­zieht ein sech­zehn­jäh­ri­ges Mädchen, das beim Anblick eines neu­en Flüchtlingstransports in ihrer Heimatstadt aus­ruft: ‚Oh haua ha, bald mehr Flüchtlinge als Menschen in Heide!’”

Die Vermischung der Konfessionen war ein ech­tes Problem. Der Historiker Andreas Kossert erin­nert dar­an in der ZEIT: „Auch die reli­giö­se Landkarte Deutschlands ver­än­der­te sich durch die Vertriebenen, wie seit den Tagen des Dreißigjährigen Krieges nicht mehr. Wenn Protestanten aus dem Osten auf Katholiken aus dem Westen tra­fen, konn­te es selbst in den fünf­zi­ger Jahren noch zu tumult­ar­ti­gen Szenen kom­men.”

Der Journalist Matthias Drobinski erin­nert im NDR dar­an: „Noch nach dem Zweiten Weltkrieg sind man­che Schulhöfe durch einen wei­ßen Strich geteilt, der dafür sorgt, dass die evan­ge­li­schen Kinder in der Pause nicht bei den katho­li­schen ste­hen. Katholische Bischöfe pre­di­gen gegen die Mischehe – Finger weg von den Evangelischen!”

„Misch-Ehen” aus Katholiken und Protestanten waren noch bis in die 1970er kirch­lich ver­bo­ten. Der katho­li­sche Theologe Michael Schmaus woll­te sie in einem SPIEGEL-Interview 1962 nicht ein­mal „Ehe” nen­nen: „Ich wür­de sagen: Es sind ehe­ähn­li­che Verbindungen, ehe­ähn­li­che Gemeinschaften.”

Das war es, wovon der 98-Jährige Mann mir damals im Zivildienst mit sei­nem Rat „Traue nie­mals einem Katholiken” erzähl­te. Der stamm­te noch aus die­ser Zeit. Das ist es, woher wir als Gesellschaft kom­men. Auf abgeordnetenwatch.de wur­de Daniel Günther im März 2017 gefragt, ob sein Katholizismus ein Nachteil im Wahlkampf sei. Seine Antwort: „Bei mei­ner bis­he­ri­gen poli­ti­schen Arbeit habe ich kei­ne nega­ti­ven Erfahrungen in Bezug auf mei­ne Religion gemacht. Ich glau­be, dass Schleswig-Holstein in die­ser Beziehung ein sehr offe­nes Land ist. Wir haben bei uns Menschen ver­schie­dens­ter Religionen. Und auch wenn in Schleswig-Holstein der Protestantismus die deut­lich größ­te Gruppe dar­stellt, habe ich nie das Gefühl gehabt, als Katholik beson­ders kri­tisch betrach­tet zu wer­den.”

 

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