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„Traue niemals einem Katholiken,” das ist ein Satz, den mir ein sehr alter Mann in meinem Zivildienst auf den Weg gegeben hat. Damals, Mitte der 1990er, habe ich überhaupt nicht verstanden, was der Satz sollte. „Katholiken? Die gibt es doch nur in Bayern,” dachte ich. Doch jetzt ist ein in Kiel geborener Katholik Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.
Eine Geschichte über Integration.
Praktisch alle katholischen Gemeinden in Schleswig-Holstein sind nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden — als das Land voller Flüchtlinge vor allem aus dem Osten des ehemaligen Deutschen Reichs war. Auf einen Einheimischen kam ein Flüchtling. Nicht alle Flüchtlinge waren Katholiken — 11,3 % stellt eine Erhebung des Sozialministeriums aus dem Jahr 1950 fest. Welch ein sozialer Sprengstoff das trotzdem war, kann man sich heute nicht mehr vorstellen. In „Schleswig-Holstein 1800 bis heute: Eine historische Landeskunde” schreiben die Autoren:
„Mehrheitlich lehnten die Einheimischen die ‚Eindringlinge’, die sie spöttisch ‚die aus der kalten Heimat’ nennen, ab. Sie empfinden ihre Sprache, ihren Dialekt, ihre Umgangsformen und ihre Speisezettel als andersartig. Masurisch, Pommersch und Ermländisch klingen für sie als Sprachen und Dialekte ebenso fremd, wie Königsberger Klopse und Schlesisches Himmelreich als Gerichte. Im nordfriesischen Langenhorn verabschiedet der Dorfschmied die Töchter am Samstagabend mit der klaren Anweisung zum Tanzen: ‚Du dörfst mi mit allens na Hus komen, blots mit keen Flüchtlingsjung!’ Der angesehene Anwalt und Landeshistoriker Otto Kähler formuliert es 1946 in einem Schreiben an den Landesbibliothek Volquarts Pauls hochdeutsch, aber dem Sachverhalt nach sehr ähnlich: „Die Flüchtlinge gehören nicht in unser Land hinein. Dass wir Preußen los sein sollen, die Preusen aber kommen haben, ist eine schauerliche Ironie der Weltgeschichte. In allem widerstrebt und dieses Volk.‚ Josef Müller-Merein lässt in seinem berühmt gewordenen Buch ‚Deutschland im Jahre 1’ (erschienen 1984) eine Schleswig-Holsteinerin zum abschließenden Urteil gelangen: ’ Wir haben im Leben nicht gewusst, was die Ostpreußen für Menschen sind, so faul und liederlich (…). Wenn die Ostpreußen auch Deutsch sind, dann danke.’ Und den letzten Schritt vollzieht ein sechzehnjähriges Mädchen, das beim Anblick eines neuen Flüchtlingstransports in ihrer Heimatstadt ausruft: ‚Oh haua ha, bald mehr Flüchtlinge als Menschen in Heide!’”
Die Vermischung der Konfessionen war ein echtes Problem. Der Historiker Andreas Kossert erinnert daran in der ZEIT: „Auch die religiöse Landkarte Deutschlands veränderte sich durch die Vertriebenen, wie seit den Tagen des Dreißigjährigen Krieges nicht mehr. Wenn Protestanten aus dem Osten auf Katholiken aus dem Westen trafen, konnte es selbst in den fünfziger Jahren noch zu tumultartigen Szenen kommen.”
Der Journalist Matthias Drobinski erinnert im NDR daran: „Noch nach dem Zweiten Weltkrieg sind manche Schulhöfe durch einen weißen Strich geteilt, der dafür sorgt, dass die evangelischen Kinder in der Pause nicht bei den katholischen stehen. Katholische Bischöfe predigen gegen die Mischehe – Finger weg von den Evangelischen!”
„Misch-Ehen” aus Katholiken und Protestanten waren noch bis in die 1970er kirchlich verboten. Der katholische Theologe Michael Schmaus wollte sie in einem SPIEGEL-Interview 1962 nicht einmal „Ehe” nennen: „Ich würde sagen: Es sind eheähnliche Verbindungen, eheähnliche Gemeinschaften.”
Das war es, wovon der 98-Jährige Mann mir damals im Zivildienst mit seinem Rat „Traue niemals einem Katholiken” erzählte. Der stammte noch aus dieser Zeit. Das ist es, woher wir als Gesellschaft kommen. Auf abgeordnetenwatch.de wurde Daniel Günther im März 2017 gefragt, ob sein Katholizismus ein Nachteil im Wahlkampf sei. Seine Antwort: „Bei meiner bisherigen politischen Arbeit habe ich keine negativen Erfahrungen in Bezug auf meine Religion gemacht. Ich glaube, dass Schleswig-Holstein in dieser Beziehung ein sehr offenes Land ist. Wir haben bei uns Menschen verschiedenster Religionen. Und auch wenn in Schleswig-Holstein der Protestantismus die deutlich größte Gruppe darstellt, habe ich nie das Gefühl gehabt, als Katholik besonders kritisch betrachtet zu werden.”