Die Spaltung oder Vom Glück der Bullerbü-Kinder

Von | 15. Januar 2018

Karin Prien, Ministerin für Bildung, Kultur und Wissenschaft, bei einem Vortrag am 4. Dezember 2017 im Kieler RBZ Wirtschaft

 

Mitte Dezember stell­te Schleswig-Holsteins Kultur- und Bildungsministerin Karin Prien bei ver­schie­de­nen Anlässen die künf­ti­gen bil­dungs­po­li­ti­schen Maßnahmen der Regierung vor. Zentrales poli­ti­sches Anliegen ist die Rückkehr der Gymnasien zu G9. Landesbloggerin Daniela Mett kommt zum Schluss, dass es Wichtigeres gäbe, um das Land fit zu machen für die Zukunft.

 

Verhalten stolz berich­tet bei der Weihnachtsfeier unser Rechtsanwalt, end­lich alle sei­ne Kinder durchs Abitur gebracht zu haben. Jedes der vier stu­diert nun Jura. Auch ich wuchs behü­tet auf. Auf die Idee, mei­nem Vater ins Richteramt oder mei­ner Mutter ins Exportgeschäft zu fol­gen, kam ich nicht. In der BRD der frü­hen Achtziger waren wir frei und fähig zur Berufswahl gemäß eige­ner Interessen.

Nach dem Abitur such­ten vie­le das Freie. Dieser Reflex ist den Abiturienten von heu­te geblie­ben. Im Trend liegt Australien. Als Motivation jedoch gibt der Nachwuchs an, sich vom Leistungsdruck der Lernjahre erho­len zu müs­sen. Chill now, work later. Das war bei uns anders, über­rascht aber auch nicht wirk­lich. Kaum konn­ten sie die Augen offen hal­ten, wur­den sie zum Babyschwimmen gekarrt. In der KiTa Phase erhiel­ten sie Privatkurse zur musi­ka­li­schen Früherziehung und spie­le­risch ers­ten Fremdsprachenunterricht. Über die Schulferien ging es zum Sprachkurs nach London. Wer am Eingang zur Studienstufe des staat­li­chen Gymnasiums stran­de­te, setz­te sei­nen Weg auf dem Internat fort. Leistungsdruck erzeug­te nicht allein das Turboabitur. Dahinter ste­cken Eltern.

Wohlstand bestimmt die Bildungschancen

Die soge­nann­te „Problemklientel“ gilt nicht als geeig­ne­ter Umgang für jene, die es zur Hochschulreife brin­gen sol­len.  Segregation beginnt nach der Geburt. Wer kann, schickt sei­ne Kinder dort­hin, wo der Wohlstand zuhau­se ist, selbst wenn dafür ein Wohnortwechsel not­wen­dig wäre. Frei nach Goethes Aphorismus „Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist“ − ein poe­ti­scher Satz aus „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, nie­der­ge­schrie­ben Anfang des 19. Jahrhunderts.

Damals herrsch­te ein nach Kriterien sozia­ler und eth­ni­scher Herkunft geglie­der­tes Schulsystem: das Volk zur Volksschule, die Bessergestellten zur Gelehrtenschule. Ende des Schuljahres 2015/​16 ver­ließ in Schleswig-Holstein die Hälfte aller Absolventen die Schule mit Hochschulzugangsberechtigung. In den Städten liegt ihr Anteil sogar deut­lich dar­über. Das Statistikamt Nord hat aktu­el­le Zahlen aus Hamburg: In Stadtteilen mit hohem sozia­len Status gehen über 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler auf das Gymnasium. Eltern glei­chen schu­li­sche Defizite durch pri­va­te Förderung aus.

Zwecks Teilhabe führ­te das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011 das Bildungspaket ein. Es soll Familien mit nied­ri­gem sozia­len Status ermög­li­chen, ihre Kinder eben­falls in der Freizeit pri­vat zu för­dern. Zehn Euro monat­lich ste­hen Bedürftigen in Schleswig-Holstein dar­aus zu. Das reicht knapp für die Fussballsparte im Sportverein, jedoch nicht für Einzelunterricht beim Klavierlehrer. Investitionen in die pri­va­te Förderung ihrer Kinder bleibt für finanz­schwa­che Eltern daher Luxus.

Besonders stark unter G8 gelit­ten hat das Niveau ästhe­ti­scher Bildung. Seit 2013 grei­fen daher Bund und pri­va­te Stiftungen flan­kie­rend ein und geben Millionen aus für Initiativen zur kul­tu­rel­len Bildung. Allein das Kooperationsverbot ver­hin­dert, dass sie die Mittel direkt dahin geben, wo sie brei­te Wirkung zei­gen wür­den: in die indi­vi­du­el­le Förderung jun­ger Menschen durch staat­li­chen Schulunterricht, durch­gän­gig von der ers­ten bis zur Abschlussklasse.

Bildungsoffensive ohne die Gemeinschaftsschulen

Laut Koalitionsvertrag steht nicht nur der Rückbau von G8 zu G9 an. Eine neu­er­li­che Bildungsoffensive soll alle Ebenen von der KiTa bis zu den Universitäten erfas­sen. Man will „mit den neu­en Fachanforderungen eine hohe fach­li­che Qualität in allen Bereichen zu errei­chen“. Erst- und Zweitklässler eben­so wie Gymnasiasten sol­len in der Orientierungsstufe nach Willen des Bildungsministeriums noch mehr Unterrichtsstunden erhal­ten. Dafür schafft es zusätz­li­che Stellen: 40 für die ins­ge­samt 394 Grundschulen des Landes. Auch für den Rückbau zu G9 sind ab Schuljahr 2019/​20 zusätz­li­che Stellen geplant. „Weitere 50 Stellen“, heißt es in der Pressemitteilung, „erhal­ten die Gymnasien, damit sie in den Jahrgängen 5 bis 7 dau­er­haft pro Jahrgang eine Stunde mehr unter­rich­ten und damit ein gutes Ganztagsangebot gewähr­leis­ten kön­nen“. Knapp hun­dert davon hat Schleswig-Holstein aktu­ell.

Mehr Unterricht, län­ge­re Schuldauer – damit gehen jene leer aus, die sich Entlastung für ihre Kinder erhofft hat­ten. Und was aus den Gemeinschaftsschulen wird, bleibt vor­erst offen. „Wir waren uns einig dar­über, dass sozia­le Gerechtigkeit weni­ger eine Frage der Umverteilung ist, son­dern in aller­ers­ter Linie eine Frage der Chancengerechtigkeit”, lei­te­te Schleswig-Holsteins Bildungs- und Kulturministerin Karin Prien vor Weihnachten einen öffent­li­chen Vortrag ein. Die Durchsetzung bil­dungs­po­li­ti­scher Ziele sei nicht allein Aufgabe des Staates son­dern auch der Familien, fuhr sie vor Mitgliedern eines Kieler CDU-Ortsverbandes fort: „Wir wol­len daher Eltern stär­ker als bis­her ein­be­zie­hen”. Das klingt nach Defensive.

Vor allem Schulen an pre­kä­ren Standorten erwar­te­ten einen Ausgleich für ihr unweit grö­ße­res Engagement bei Inklusion und Integration. Die Enttäuschung bei deren Elternschaft eben­so wie im Lehrerkollegium fällt umso grö­ßer aus, da die CDU-Bildungspolitikerin das Modell der nach Sozialindex unter­schied­lich ein­ge­stuf­ten Schulen aus der ham­bur­gi­schen Bürgerschaft kennt und mit­ge­tra­gen hat. „Ich enga­gie­re mich lei­den­schaft­lich für eine leis­tungs­ori­en­tier­te Schulpolitik, die gerech­te Bildungschancen für Schülerinnen und Schüler aus allen Stadtteilen bie­tet“, lässt sich noch in ihrem Profil bei Abgeordnetewatch.de nach­le­sen, „mit einer bes­se­ren Unterrichtsqualität, ohne wei­te­ren Niveauverlust beim Abitur und eine Aufwertung des mitt­le­ren Bildungsabschlusses.“

Während Hamburger sich bereits im November mit dem Ruf nach einer Schule für alle auf die Straße bega­ben, lässt Schleswig-Holsteins Elternschaft bis­her klag­los zu, dass sich die Spaltung der Gesellschaft wei­ter fort­set­zen wird. Dabei braucht unser länd­lich gepräg­tes Flächenland nichts weni­ger als die nächs­te Flut an Erstsemestern, die stu­die­ren, um die hohen Erwartungen ihrer Eltern zu erfül­len.

Gefragt sind Kreativität und Unternehmergeist. Wer dar­an zwei­felt, soll­te sich zum Bullshitbingo in eine Debatte mit Leuten von der Wirtschaftsförderung set­zen. Dort fal­len Begriffe wie Multiprofessionelle Teams, Coworking, Prototyping, Design Thinking oder Service Learning. Voraussetzung für all das ist eine Vielfalt an Fähigkeiten und nicht zuletzt: sozia­le Kompetenz. Geeigneter Nährboden dafür lässt sich an den Brennpunktschulen fin­den. Dort ist der Hunger nach sozia­lem Aufstieg groß und Wille zur Veränderung vor­han­den. Ihnen soll­te die Gesellschaft unver­züg­lich mehr Chancen ein­räu­men.

Weiterführende Links

(1) Statistik Lehrerinnen und Lehrer an all­ge­mein­bil­den­den Schulen in Schleswig-Holstein

(2) Statistik Die all­ge­mein­bil­den­den Schulen in Schleswig-Holstein: Einrichtungen und Schüler

(3) Bildungsfinanzbericht 2017: Ausgaben öffent­li­cher Schulen je Schülerin und Schüler

(4) Sonderbericht des Landesrechnungshofes 2017 zur Inklusion an Schulen

(5) Kampagne „Bildungsrat für Bildungsgerechtigkeit” mit  Link zur Online Petition

(6) lan­des­blog-Artikel 2012 über den Elternbeitrag zwecks Ausgleich schu­li­scher Defizite

panama
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das; Abk. f. Panorama (griech.). Unter diesem Namen postet Daniela Mett vermischte Nachrichten aus der bewohnten Welt des Nordens. Die ausgebildete Magazinjournalistin berichtet frei und unabhängig. Sie hat sich in 30 Berufsjahren spezialisiert auf Reportagen und Interviews - www.panama-sh.com.

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