Karin Prien, Ministerin für Bildung, Kultur und Wissenschaft, bei einem Vortrag am 4. Dezember 2017 im Kieler RBZ Wirtschaft
Mitte Dezember stellte Schleswig-Holsteins Kultur- und Bildungsministerin Karin Prien bei verschiedenen Anlässen die künftigen bildungspolitischen Maßnahmen der Regierung vor. Zentrales politisches Anliegen ist die Rückkehr der Gymnasien zu G9. Landesbloggerin Daniela Mett kommt zum Schluss, dass es Wichtigeres gäbe, um das Land fit zu machen für die Zukunft.
Verhalten stolz berichtet bei der Weihnachtsfeier unser Rechtsanwalt, endlich alle seine Kinder durchs Abitur gebracht zu haben. Jedes der vier studiert nun Jura. Auch ich wuchs behütet auf. Auf die Idee, meinem Vater ins Richteramt oder meiner Mutter ins Exportgeschäft zu folgen, kam ich nicht. In der BRD der frühen Achtziger waren wir frei und fähig zur Berufswahl gemäß eigener Interessen.
Nach dem Abitur suchten viele das Freie. Dieser Reflex ist den Abiturienten von heute geblieben. Im Trend liegt Australien. Als Motivation jedoch gibt der Nachwuchs an, sich vom Leistungsdruck der Lernjahre erholen zu müssen. Chill now, work later. Das war bei uns anders, überrascht aber auch nicht wirklich. Kaum konnten sie die Augen offen halten, wurden sie zum Babyschwimmen gekarrt. In der KiTa Phase erhielten sie Privatkurse zur musikalischen Früherziehung und spielerisch ersten Fremdsprachenunterricht. Über die Schulferien ging es zum Sprachkurs nach London. Wer am Eingang zur Studienstufe des staatlichen Gymnasiums strandete, setzte seinen Weg auf dem Internat fort. Leistungsdruck erzeugte nicht allein das Turboabitur. Dahinter stecken Eltern.
Wohlstand bestimmt die Bildungschancen
Die sogenannte „Problemklientel“ gilt nicht als geeigneter Umgang für jene, die es zur Hochschulreife bringen sollen. Segregation beginnt nach der Geburt. Wer kann, schickt seine Kinder dorthin, wo der Wohlstand zuhause ist, selbst wenn dafür ein Wohnortwechsel notwendig wäre. Frei nach Goethes Aphorismus „Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist“ − ein poetischer Satz aus „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, niedergeschrieben Anfang des 19. Jahrhunderts.
Damals herrschte ein nach Kriterien sozialer und ethnischer Herkunft gegliedertes Schulsystem: das Volk zur Volksschule, die Bessergestellten zur Gelehrtenschule. Ende des Schuljahres 2015/16 verließ in Schleswig-Holstein die Hälfte aller Absolventen die Schule mit Hochschulzugangsberechtigung. In den Städten liegt ihr Anteil sogar deutlich darüber. Das Statistikamt Nord hat aktuelle Zahlen aus Hamburg: In Stadtteilen mit hohem sozialen Status gehen über 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler auf das Gymnasium. Eltern gleichen schulische Defizite durch private Förderung aus.
Zwecks Teilhabe führte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011 das Bildungspaket ein. Es soll Familien mit niedrigem sozialen Status ermöglichen, ihre Kinder ebenfalls in der Freizeit privat zu fördern. Zehn Euro monatlich stehen Bedürftigen in Schleswig-Holstein daraus zu. Das reicht knapp für die Fussballsparte im Sportverein, jedoch nicht für Einzelunterricht beim Klavierlehrer. Investitionen in die private Förderung ihrer Kinder bleibt für finanzschwache Eltern daher Luxus.
Besonders stark unter G8 gelitten hat das Niveau ästhetischer Bildung. Seit 2013 greifen daher Bund und private Stiftungen flankierend ein und geben Millionen aus für Initiativen zur kulturellen Bildung. Allein das Kooperationsverbot verhindert, dass sie die Mittel direkt dahin geben, wo sie breite Wirkung zeigen würden: in die individuelle Förderung junger Menschen durch staatlichen Schulunterricht, durchgängig von der ersten bis zur Abschlussklasse.
Bildungsoffensive ohne die Gemeinschaftsschulen
Laut Koalitionsvertrag steht nicht nur der Rückbau von G8 zu G9 an. Eine neuerliche Bildungsoffensive soll alle Ebenen von der KiTa bis zu den Universitäten erfassen. Man will „mit den neuen Fachanforderungen eine hohe fachliche Qualität in allen Bereichen zu erreichen“. Erst- und Zweitklässler ebenso wie Gymnasiasten sollen in der Orientierungsstufe nach Willen des Bildungsministeriums noch mehr Unterrichtsstunden erhalten. Dafür schafft es zusätzliche Stellen: 40 für die insgesamt 394 Grundschulen des Landes. Auch für den Rückbau zu G9 sind ab Schuljahr 2019/20 zusätzliche Stellen geplant. „Weitere 50 Stellen“, heißt es in der Pressemitteilung, „erhalten die Gymnasien, damit sie in den Jahrgängen 5 bis 7 dauerhaft pro Jahrgang eine Stunde mehr unterrichten und damit ein gutes Ganztagsangebot gewährleisten können“. Knapp hundert davon hat Schleswig-Holstein aktuell.
Mehr Unterricht, längere Schuldauer – damit gehen jene leer aus, die sich Entlastung für ihre Kinder erhofft hatten. Und was aus den Gemeinschaftsschulen wird, bleibt vorerst offen. „Wir waren uns einig darüber, dass soziale Gerechtigkeit weniger eine Frage der Umverteilung ist, sondern in allererster Linie eine Frage der Chancengerechtigkeit”, leitete Schleswig-Holsteins Bildungs- und Kulturministerin Karin Prien vor Weihnachten einen öffentlichen Vortrag ein. Die Durchsetzung bildungspolitischer Ziele sei nicht allein Aufgabe des Staates sondern auch der Familien, fuhr sie vor Mitgliedern eines Kieler CDU-Ortsverbandes fort: „Wir wollen daher Eltern stärker als bisher einbeziehen”. Das klingt nach Defensive.
Vor allem Schulen an prekären Standorten erwarteten einen Ausgleich für ihr unweit größeres Engagement bei Inklusion und Integration. Die Enttäuschung bei deren Elternschaft ebenso wie im Lehrerkollegium fällt umso größer aus, da die CDU-Bildungspolitikerin das Modell der nach Sozialindex unterschiedlich eingestuften Schulen aus der hamburgischen Bürgerschaft kennt und mitgetragen hat. „Ich engagiere mich leidenschaftlich für eine leistungsorientierte Schulpolitik, die gerechte Bildungschancen für Schülerinnen und Schüler aus allen Stadtteilen bietet“, lässt sich noch in ihrem Profil bei Abgeordnetewatch.de nachlesen, „mit einer besseren Unterrichtsqualität, ohne weiteren Niveauverlust beim Abitur und eine Aufwertung des mittleren Bildungsabschlusses.“
Während Hamburger sich bereits im November mit dem Ruf nach einer Schule für alle auf die Straße begaben, lässt Schleswig-Holsteins Elternschaft bisher klaglos zu, dass sich die Spaltung der Gesellschaft weiter fortsetzen wird. Dabei braucht unser ländlich geprägtes Flächenland nichts weniger als die nächste Flut an Erstsemestern, die studieren, um die hohen Erwartungen ihrer Eltern zu erfüllen.
Gefragt sind Kreativität und Unternehmergeist. Wer daran zweifelt, sollte sich zum Bullshitbingo in eine Debatte mit Leuten von der Wirtschaftsförderung setzen. Dort fallen Begriffe wie Multiprofessionelle Teams, Coworking, Prototyping, Design Thinking oder Service Learning. Voraussetzung für all das ist eine Vielfalt an Fähigkeiten und nicht zuletzt: soziale Kompetenz. Geeigneter Nährboden dafür lässt sich an den Brennpunktschulen finden. Dort ist der Hunger nach sozialem Aufstieg groß und Wille zur Veränderung vorhanden. Ihnen sollte die Gesellschaft unverzüglich mehr Chancen einräumen.
Weiterführende Links
(1) Statistik Lehrerinnen und Lehrer an allgemeinbildenden Schulen in Schleswig-Holstein
(2) Statistik Die allgemeinbildenden Schulen in Schleswig-Holstein: Einrichtungen und Schüler
(3) Bildungsfinanzbericht 2017: Ausgaben öffentlicher Schulen je Schülerin und Schüler
(4) Sonderbericht des Landesrechnungshofes 2017 zur Inklusion an Schulen
(5) Kampagne „Bildungsrat für Bildungsgerechtigkeit” mit Link zur Online Petition
(6) landesblog-Artikel 2012 über den Elternbeitrag zwecks Ausgleich schulischer Defizite