Bis Ende September, so hatte Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz (ULD) Mitte August geschrieben, sollen „alle Stellen in Schleswig-Holstein ihre Fanpages bei Facebook und Social-Plugins wie den „Gefällt mir“-Button auf ihren Webseiten entfernen“.
Auf der Schleswig-Holstein Facebook-Fanpage schrieb die Staatskanzlei heute (30. September): „Die Staats- und Senatskanzleien beschäftigen sich intensiv damit und auch die Innenministerkonferenz wird sich damit auseinandersetzen. Genaue Vorschläge wird es aber wohl erst im November geben. Wir machen zunächst mal weiter und halten Euch hier über die Entwicklung auf dem Laufenden“. In den Kommentaren erntet die Landesregierung Zustimmung, der ULD wird kritisiert.
Nach seiner Initiative Mitte August, so die Kieler Datenschützer heute, habe „ein intensiver Dialog des ULD mit allen Beteiligten“ begonnen.
Eine bewusste Provokation der Landesregierung? Ignoriert sie etwa eine Aufforderung des ULD? Fragt man bei der Landesregierung nach, dann wartet man dort noch auf den „intensiven Dialog“ und die Aufforderung. Staatssekretär Arne Wulff hatte schon am 19. August dem ULD seine Meinung der Landesregierung schriftlich übermittelt. Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen hatte vor dem Kieler Landtag die Kieler Datenschützer deutlich kritisiert (Die Rede kann man übrigens auf bei Youtube sehen und hören).
In der heutigen Presseerklärung steht an späterer Stelle, man wolle „wie angekündigt(sic!)“ „ausgewählte öffentliche und private Anbieter in Schleswig-Holstein im Oktober zu Stellungnahmen auffordern“. Mit wen auch immer der intensive Dialog gepflegt wurde, anscheinend sind die Betroffenen bislang nicht in einen Dialog einbezogen worden. Und Aufforderungen sind kein Dialog.
Schon in der gestrigen (29. September) Entschließung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder Datenschutz bei sozialen Netzwerken jetzt verwirklichen! war von Dialog nicht die Rede. Vielmehr wurden die Anbieter sozialer Netzwerke aufgefordert, die Beschlüsse der Obersten Aufsichtsbehörden für den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich umzusetzen. Thilo Weichert schlug heute in die gleiche Kerbe: „Die Dialogbereitschaft von Facebook wie auch von Webseitenbetreibern in Schleswig-Holstein entbindet die Verantwortlichen nicht von der Beachtung des Datenschutzrechtes“. Ein Dialog ist also nicht angesagt. Der Rechtsweg muss her: Der ULD will, „im Interesse einer schnellen und verbindlichen Klärung der Rechtslage“ „Verwaltungsverfahren einleiten“.
Das ist sein gutes Recht. Klug ist das aber nicht. Hier wird auf den Rücken der Bürger in einem empfindlichen rechtspolitischen Bereich — dem Recht auf freie Meinungsäußerung — nicht das Gespräch mit den Betroffenen gesucht sondern Druck aufgebaut und Verunsicherung betrieben. So sehr man auch das datenschutzrechtliche Handeln Facebooks kritisieren können mag: Wir befinden uns am Beginn einen überfälligen Prozesses, in dem wir uns über die Bedeutung von Privatsphäre in Zeiten des Internets neu aufzustellen müssen und deren Grenzen neu verhandeln. Aktuell drohen kein großes Unheil und kein elende Katastrophe. Der Zustand ist schon seit Jahren ungeklärt, ohne dass jemand daran gestorben wäre, körperliches Leid erfahren habe oder an den Rand seiner Existenz getrieben worden wäre. In solchen Situationen wird in einer Bürgergesellschaft diskutiert. Der Streit in der zivilen Sphäre der Gesellschaft wird mit Worten und Argumenten ausgetragen. Hektischer Aktionismus und der Gang vors Gericht ersetzt keine Debatte, im Gegenteil.
Es ist mir unverständlich, wie der ULD nicht mal 6 Wochen nach der Präsentation seiner Datenschutzrechtliche Bewertung der Reichweitenanalyse durch Facebook sagen kann, er wolle die Hoffnung nicht aufgeben, „dass Facebook-Anwendungen irgendwann einmal datenschutzkonform gestaltet und genutzt werden.“
Thilo Weichert ist sich anscheinend sicher, dass er die richtige Richtung kennen: Um datenschutzkonform zu werden, sei „ein totaler Richtungswechsel“ nötig. Ihm ist klar, „dass dieser Richtungswechsel nicht ohne Konflikte erreicht werden kann“. Er provoziert.
Gerichte schaffen in solchen Situationen keine Lösungen. Das ist aber auch nicht ihre Aufgabe. Ziel kann es also nicht sein, die zu erwartenden Musterprozesse abzuwarten. So kann „Politik“ nicht agieren. Deren Akteure, also wir, sind aufgefordert, uns mit dem Thema zu befassen und zu entscheiden, was wir für richtig halten. Das kann dann schließlich in der Nähje der Meinung des ULD sein. Oder nah bei der Meinung derjenigen, die das jetzige Datenschutzrecht für renovierungsbedürftig und einengend halten. Und Dann muss das Recht angepasst werden. Dafür haben wir Parlamente.
Das eigentliche Problem liegt aber woanders.
Ich persönlich habe nichts gegen das mitloggen meiner Bewegungen im Netz. Will ich anonym bleiben, dann beherrsche ich meinen Browser hinreichend. Der ULD zeigt mir, wie ich meine Privatsphäre schütze. Aber gerade weil ich für eine Diskussion über die Neudefinition der Grenzen von Privatsphäre bin, habe ich ein ganz grundsätzliches Problem mit dem „walled garden“ Facebook. Facebook wird für politisch interessierten Bürger in Schleswig-Holstein zunehmend eine Informationsquelle. Nicht nur Landespolitiker, auch die Pressesprecher und Öffentlichkeitsarbeiter der Fraktionen und Parteien führen dort zunehmend politische Diskurse. Diese sind aber nicht wirklich „öffentlich“ (obwohl den Protagonisten durchaus daran gelegen wäre), denn sie finden in einer Umgebung statt, die nur dem komplett zugänglich ist, der „bei Facebook“ ist. Solche geschützten, abgeschlossenen Reservate haben aber, wenn wir uns die Grundidee des World Wide Webs vergegenwärtigen, im Web nicht die Regel sondern die Ausnahme zu sein. Und wenn es um „öffentlich“ geht, sind sie sogar falsch, ein systematischer Fehler in einer demokratischen Sphäre. Sir Tim Berners-Lee, der „Erfinder“ des World Wide Webs, hat uns in diesem Artikel vor knapp einem Jahr die Prinzipien des Webs in Erinnerung gebracht. (Alexander Stock hat die Kernthesen hier übersetzt). Mit Blick auf Facebook genügt die erste – und wichtigste – These: Universalität ist das grundliegende Design des Webs. Unabhängig von Hard- und Software, Netzwerkanbindung und Sprache soll es den Menschen möglich sein, jeden Inhalt in das Web zu stellen und auf eben diese Ressource zu verlinken. Das setzt zwingend Offenheit und Dezentralität voraus. Das erfüllt Facebook aber nicht und ist damit broken by design. Nicht ohne Grund war der Leitspruch des W3-Konsortiums, dem Gremium, das die zum World Wide Web gehörenden Techniken standardisiert, zunächst „Everyone’s a publisher!“. Jeder soll veröffentlichen können.
Bei der Frage, wem ich meinen Daten preisgebe, werte ich nach dem Maßstab, wie ein Produkt dieses Grundprinzip erfüllt. Ich bin zu Abstrichen bereit. Aber es gibt Grenzen. Und diese Grenze mache ich nicht in erster Linie bei der Menge der gespeicherten Daten fest sondern an deren anschließenden Offenheit. Ich bin eher gewillt, Google+ und noch mehr einem Diaspora-Server Daten zu übergeben als Facebook. Wenn ich eine öffentliche timeline habe, dann geht die auch jeden was an, nicht nur meine FB-Freunde.
Ich finde es wichtig, wenn wir bei aller berechtigen Kritik an Facebook und an der Vorgehensweise des ULD das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verlieren.
D’accord!
Ich habe heute meine Konsequenzen gezogen und meinen Account bei FB deaktiviert.