Karfreitag: Let's dance?

Von | 5. April 2012

Am Karfreitag darf man in Kiel nicht tan­zen, in Schacht-Audorf aber um die Wette schie­ßen. Bringt uns das Gott näher?

Nicht das Gleichnis des barm­her­zi­gen Samariters ist wich­tig son­dern das drum­her­um. Und zwar nicht der Umstand, dass Jesus den Gesetzeslehrer sei­ne Frage „Wer ist mein Nächster“ selbst beant­wor­ten ließ („Der, der barm­her­zig gehan­delt hat“) – son­dern sein Antwort dar­auf: „Dann geh und hand­le genau­so!“ Wir sol­len also nicht defi­nie­rend Adressatenkreise ein­gren­zen son­dern selbst etwas tun. Wenn wir etwas tun, wer­den wir selbst zum Nächsten.
Die welt­li­che Variante davon lie­fer­te uns J.F. Kennedy: „Frage nicht, was Dein Land für Dich, son­dern was Du für Dein Land tun kannst.“

Wenn das rich­tig ist – und dar­an zwei­fe­le ich als Protestant nicht, dann soll­te die Kirche in die­sen Tagen nicht allein auf gesetz­li­che Vorschriften ver­wei­sen, die den Karfreitag mit einem Tanzverbot bele­gen – son­dern in die Welt raus­zie­hen und uns von der inne­ren Wichtigkeit des Tages über­zeu­gen.

Sicher ist es rich­tig: Karfreitag ist einer(!) der höchs­ten christ­li­cher Feiertage. Ohne ihn, ohne Jesu Tod, gäbe es kei­ne Auferstehung — und damit auch kei­ne Kirche. Daraus folgt also sowohl eine kirch­li­che Bedeutung als auch – mehr noch – eine Bedeutung für den Glauben. Daraus folgt aber kein fes­tes Regelwerk für die äuße­re Ausgestaltung des Tages. Das erken­nen wir schon dar­an, dass das gesell­schaft­li­che Regelwerk Änderungen unter­wor­fen ist. Noch bis in die ers­te Hälfte des letz­ten Jahrhunderts wur­de die „geschlos­se­ne Zeit“ in Wochen gemes­sen. Heute beschrän­ken wir uns auf einen Tag, des­sen Symbol das Tanzverbot ist. Das Gesetz ver­bie­tetalle öffent­li­chen Veranstaltungen (…), soweit sie dem erns­ten Charakter des Tages nicht ent­spre­chen“. Merkwürdigerweise darf man zwar nir­gends das Tanzbein schwin­gen, aber in Schacht-Audorf gesel­lig zusam­men sein und dabei — in Stille, Trauer und Besinnung? — um die Wette schie­ßen.

Christen bege­hen den Tag welt­lich unter­schied­lich In den meis­ten Regionen mit mehr oder weni­ger über­wie­gen­der christ­li­cher Bevölkerung ist der kirch­li­che Tag kein gesetz­li­cher Feiertag. Nur in den pro­tes­tan­ti­schen Ländern Skandinaviens, des Baltikum und in Großbritannien, der Schweiz und Deutschland ist er ein gesetz­li­cher Feiertag. In den römisch-katho­lisch oder ortho­dox gepräg­ten Ländern ist er das in der Regel (Ausnahmen: Spanien und Slowakei) nicht. Ob der Status „gesetz­li­cher Feiertag“ stets mit Tanzverboten oder ähn­li­chem staat­lich ver­ord­ne­ten Verhaltensmaßregeln ein­her­geht, wäre sicher eine span­nen­de Frage. Auf alle Fälle wis­sen wir aber schon, dass in land­läu­fig als gläu­big bekann­ten Ländern wie Polen oder Italien die Abwesenheit des gesetz­li­chen Feiertags Karfreitag kein frei­täg­li­ches Sündenbabel ent­ste­hen lässt.

Aus christ­li­cher Sicht ist Karfreitag nicht depres­si­ve Dreifaltigkeit aus „Leiden, Sterben und Tod“ son­dern auch und beson­ders die Hoffnung auf die Wiederauferstehung und das Wissen um ein sinn­erfüll­tes Leben. Man kann(!) den Karfreitag still bege­hen.

Man muss es aber wol­len, aus sich her­aus. Da mag die Hamburger Bischöfin Fehrs noch so viel Recht haben, wenn sie dem NDR sagt, dass der Karfreitag Raum gebe, „auch ein­mal zur Besinnung zu kom­men”. Das stimmt aber eben nur, wenn der Adressat des gesetz­li­chen Tanzverbots das auch tun will – er das Verbot an sich also nicht bräuch­te. Und die „star­ke Geste, die Festlichkeiten und Partys zu unter­bre­chen“ von der der han­no­ver­sche Landesbischof Ralf Meister schwärmt, ist nur dann eine Geste, wenn sie aus inne­rer Überzeugung pas­siert – und nicht, wenn sie erzwun­gen wird.

Beide ver­hal­ten sich im Prinzip wie der Gesetzesgelehrte, der das obi­gen Gleichnis zu hören bekam: Sie defi­nie­ren, han­deln aber nicht. Man möch­te, dass jemand kommt und ihnen zuruft: „Dann geht doch raus und über­zeugt die Menschen!

Der Christdemokrat Johannes Callsen argu­men­tiert unge­nau, wenn er meint, das Osterfest wür­de durch die Beendigung des Karfreitags gene­rell in Frage gestellt wer­den. Nein, das Osterfest – genau­er: der Bedeutungsinhalt des Festes(sic!) – ist erst dann in Frage gestellt, wenn nie­mand mehr den Glauben in sich trägt und ihn aus frei­en Stücken selbst­be­stimmt und ohne Unterdrückung leben will.

Der libe­ra­le Christopher Vogt ist auf dem rich­ti­gen Weg, wenn er eine Lockerung (Tanzverbot nur zwi­schen 4 Uhr und 21 Uhr) vor­schlägt. Ich frag mich aber schon ein wenig, war­um der Fetisch Auto rund um die Uhr freie Fahrt für freie Bürger bekom­men, das Tanzbein aber regle­men­tiert wer­den darf.

Ich weiß nicht, ob der grü­ne Rasmus Andresen, der mit sei­nen Äußerungen im NDR die dies­jäh­ri­ge Diskussion los­trat, gläu­big ist. Ich bin mir aber sicher, dass er es nicht des­halb wird, wenn wir ihm das Tanzen ver­bie­ten. Er wird nicht „zur inne­ren Besinnung kom­men“, das Verbot ver­lei­tet ihn zu kei­ner „star­ke Geste“.

Oder viel­leicht doch? Vielleicht sagt er zu Jesus, wenn er auf einem Flashmob am Karfreitag doch irgend­wo tanzt: Das hast Du gut gemacht. Du hast mit einer libe­ra­len Botschaft die Regeln des Establishment gebro­chen: Mit der aus Freiheit erwach­se­nen Bindung hast Du hat jede sys­te­ma­ti­sier­te und dog­ma­ti­sier­te Religion in Frage gestellt.“ (Sinngemäß zitiert aus: Franz Alt, Jesus – der ers­te neue Mann). Dann hät­ten wir viel gewon­nen.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

6 Gedanken zu “Karfreitag: Let's dance?”:

  1. Kai

    Die Lösung ist erstaun­lich ein­fach: Abschaffung aller reli­gi­ös begrün­de­ten Feiertage und wahl­wei­se Ersatz durch sol­che, die einer Demokratie wür­dig sind (etwa: Inkrafttreten des Grundgesetzes) oder Erhöhung des gesetz­li­chen Mindesturlaubs.

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  2. Victoria Hoch

    Hallo.Das Problem was ich sehe, ist das wenn die Kirche raus geht um den Leuten etwas zu erleu­tern oder näher zu brin­gen, hören die meis­ten nicht zu. Für mich ist glau­be etwas pri­va­tes was jeder mit sich selbst aus­ma­chen soll­te. In die Kirche zu gehen, gilt lei­der oft als uncool und lang­wei­lig! Aber gera­de die, die Sonntags früh auf­ste­hen um ihren Glauben
    mit ande­ren zu tei­len sind cool und an man­chen Orten mutig! Das Regelwerk sagt zwar was man tun soll­te, aber ich sehe es eher als wei­che Richtlinien. lg

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  3. Sabine Gilleßen

    Wer an was glaubt oder nicht ist Privatsache. Und ich lass mir doch nicht vor­schrei­ben, wann ich inne hal­te.… Schon gar nicht von Menschen oder Institiutionen, mit denen ich nichts zu tun habe. Das Problem ist doch eher, dass die christ­li­che Minderheit in die­sem Land nach wie vor von Schutzregeln pro­fi­tiert, die aus Zeiten stam­men , in denen sich vie­le nicht getraut haben aus der Kirche aus­zu­tre­ten oder auch mal im Sinne von Trennung von Staat und Kirche zu dis­ku­tie­ren.
    Das reicht aller­dings heu­te nicht mehr aus.
    Warum hat nicht jeder Mensch in die­sem Land Anspruch auf eine bestimm­te Anzahl zusätz­li­cher frei­er Tage, die dann per­sön­lich gewählt wer­den kön­nen — je nach per­sön­li­chem Gusto dann auch am Karfreitag, dar­an wird dann doch nie­mand gehin­dert wer­den. Und alle, denen das nicht wich­tig ist kön­nen ihre Zeit des „inne­hal­tens” sel­ber bestim­men.
    Vermutlich wird der Aufschrei groß sein, weil die Kirchen in ihrem Inneren Ahnen, dass sie ohne die staat­li­chen Feiertage noch lee­rer sein wer­den…
    Und für alle gibt’s dann bun­des­weit ein­heit­lich ein oder zwei wich­ti­ge freie Tage im Jahr. Ob das der Tag des Grundgesetzes wird oder der in Deutschland sehr geschichts­träch­ti­ge 9. November der noch anders ist zu dis­ku­tie­ren. Aber das geht jeden­falls alle an und ist demo­kra­ti­scher Aufteag.

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    1. Bea

      Das sehe ich genau so. Jedem das Seine. ich ver­su­che ja auch nicht, ande­ren mei­nen Glauben auf­zu­drän­gen und „mei­ne” Feiertage sind nun mal ande­re als die der Christen. Zum Glück ver­lie­ren die Kirchen immer mehr an Macht, so wer­den wir, oder unse­re Nachkommen, in die­sem Land viel­leicht irgend­wann ein­mal selbst­be­stimmt leben kön­nen.

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  4. Swen Wacker Post author

    Wir müs­sen meh­re­re Dinge unter­schei­den.

    Der gesetz­li­che Feiertag in sei­ner Rolle als arbeits­frei­er Tag. Da wäre ich bei Kai. Wenn der Tag reli­gi­ös moti­viert ist, dann ist das Privatsache und jeder muss für sich ent­schei­den, ob der Tag für ihn arbeits­frei sein soll­te.

    Die Rolle der Feiertage an sich. Ein arbeits­frei­er „Tag des Grundgesetzes”, der von allen genutzt wird, um ein ver­län­ger­tes Wochenende in Dänemark zu ver­brin­gen, ist (aus Sicht der Demokratie) auch nichts wert.

    Der Schutz des Individuums. Wer sich reli­gi­ös betä­ti­gen will, den soll­ten wir auch einen gesetz­li­chen Rahmen dafür bie­ten. Bestimmte Dinge, etwa sol­che, die mit Lärm ver­bun­den sind) soll­ten an Sonntagen (wenigs­tes wäh­rend der übli­chen Gottesdienstzeiten) oder am Karfreitag unter­blei­ben.

    Die Auswirkungen auf unse­re Gesellschaft. Wollen wir wirk­lich eine Gesellschaft ohne bin­den­de Klammer, auch wenn der Grund für die­se Klammer weg­ge­fal­len ist? Denn kon­se­quent müss­te dann auch der Schutz des Sonntages weg­fal­len und der Rhythmus der Arbeit zwi­schen Arbeitgeber und Arbeitnehmern (bzw. den Tarifvertragsparteien) neu aus­ge­han­delt wer­den.

    Die Rolle des Konsums. Gibt es nicht auch ohne bin­den­de (reli­giö­se) Klammer Gründe, es den Menschen zu ermög­li­chen, aus dem (Arbeits-)Alltag aus­zu­bre­chen. Ist es nicht auch Aufgabe des Staates, sol­che Schutzräume vor­zu­hal­ten und damit die indi­vi­du­el­le Freiheit ein­zu­schrän­ken — auch gegen den Willen vie­ler?

    Ich glau­be, das man all das dis­ku­tie­ren kann (und muss). Und zwar mit gebo­te­ner Zurückhaltung und viel Sachlichkeit. Wir soll­ten eine Diskussionkultur pfle­gen, in der man in Frage stel­len darf, ohne dum­mer­haft anpge­pflaumt zu wer­den. Wenn ich etwa den Kommentar in der heu­ti­gen shz lese (http://www.shz.de/nachrichten/top-thema/article//kulturvergessenheit.html Über den Autor: http://bundeshauptstadt.info/benjamin-lassiwe/), dann zweif­le ich an dem Willen zum Diskurs. Man kann das, was Rasmus Andresen vor­schlug, ableh­nen und für falsch hal­ten, ihm „undurch­dach­te Äußerungen” vor­wer­fen. Dann aber von „eines Politikers nicht wür­dig” zu reden und ihm im väter­li­chen Duktus ein ver­meint­li­che „Nichtwissen” zu unter­stel­len und ihm eine Umdeutung christ­li­chen Feiertage anzu­las­ten, ist eine unnö­ti­ge Stigmatisierung der Person. So was brau­chen wir in Schleswig-Holstein aus guten Gründen nicht mehr. In der Sache irrt der Kommentator zudem: Weder ist in die­sem Jahr im Supermarkt eine wach­sen­de Kulturvergessenheit spür­bar (die Osterhasen sind ziem­lich heid­nisch und kein Tanzverbot am Karfreitag führ­te dazu, dass sie einen Woche spä­ter im Regal lan­de­ten. Noch setzt sich der Autor mit der Situation in ande­ren Länder aus­ein­an­der. Denn wenn er Recht hät­te, dann wäre ja in Länder wie Polen und Italien alles noch schlim­mer. Wir wis­sen seit jah­ren aus Straßenumfragen, dass die Bedeutung des Osterfestes und Pfingsten aus dem Bewusstsein der Menschen ver­schwin­det. Trotz des frei­en Tage. Der freie Tag führt nicht zu einer Auseinandersetzung mit dem Inhalt. Das muss man akzep­tie­ren — und nach Auswegen suchen. Festhalten am Bisherigen wird nichts ändern.

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  5. Pingback: Nicht spurlos

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