Es gibt wohl kaum ein Fest, besonders bei den stets wiederkehrenden, gewissen Ritualen unterworfenen Festen, bei deren Vorbereitung nicht mal gern der eine oder andere Streit ausgefochten wird. Es ist also völlig normal, wenn über ein Wahlgesetz in einer Demokratie gestritten wird. Und natürlich ist es auch völlig normal, wenn der Streit alle paar Jahre wiederholt wird — und sei es nur, um sich zu vergewissern, dass die bisherigen Rituale noch passen. Seitdem das Landesverfassungsgericht am 30. August 2010 Neuwahlen anordnete, wissen die Fraktionen im schleswig-holsteinischen Landtag, dass sie die bestehenden Regeln ein wenig ändern müssen. Sie werden gut daran tun, trotz der aufgebrachten Stimmung nicht das Oberste nach unten zu kehren sondern sich auf das unbedingt Notwendige beschränken – zumal der demokratische Anstand eine gewisse Zügigkeit gebietet: Ein nicht dramatisch großer, aber fatale Folgen habender Fehler muss korrigiert werden.
„Democracy’s ceremonial, its feast, its great function, is the election.”
„Die große Aufgabe der Demokratie, ihr Ritual und ihr Fest — das ist die Wahl”
–H.G. Wells
Die im Landeswahlgesetz gefundenen Regelungen über Bildung, die Größe und die Anzahl der Wahlkreise, die Bestimmung des Zweitstimmrechts und die Vorschriften über den Mehrsitzausgleich (Überhangsmandate) münden, so fand das Verfassungsgericht, in ihrem Zusammenspiel in einem nicht mehr aufzulösenden Verfassungskonflikt: Sowohl die Vorgabe, die Regelgröße von 69 Abgeordneten möglichst nicht zu überschreiten, als auch der Grundsatz der Wahlgleichheit wurden verfehlt.
So was ist kein Drama oder Skandal. Es hat schon schlimmere Dinge in Schleswig-Holstein gegeben und es sind schon schlimmere Verstöße von Verfassungsgerichten festgestellt worden. Bei aller Aufgeregtheit über das Ergebnis und der nicht von der Hand zu weisenden Peinlichkeit des Ganzen kann das Beheben des Schadens ziemlich flott über die Bühne gehen. Man muss kein Hellseher sein, um zu erwarten, dass die nächste Landtagswahl nicht erst im September 2012 stattfinden wird sondern schon im Frühjahr, spätestens im Frühsommer 2012. Denn die Regierung legt dem Parlament üblicherweise im Sommer den Entwurf für den Haushalt für das nächsten (oder die beiden nächsten Jahre) vor, damit er in der zweiten Jahreshälfte in die parlamentarische Beratung gehen kann. Um das Ziel der sogenannten Schuldenbremse zu erreichen, werden auch im Haushaltsentwurf 2013/14, der im Sommer 2012 auf den parlamentarischen Weg gebracht werden wird, weitere Streichungen und Kürzungen anzukündigen sein. Wohl viele, die eine Wahl gewinnen möchten, werden Wahlkampf und Haushaltsberatung nicht parallel veranstalten wollen — Umfragewerte und Bundestrends hin oder her.
Ich werde mir im Folgenden zu den nun anstehenden Änderungen ein paar Gedanken machen. Ich beschränke mich dabei auf zwei, vielleicht drei Themen: Wie groß soll ein Landtag in Schleswig-Holstein eigentlich sein? Und wie sieht das mit den Wahlkreise und den Erst- und Zweitstimmen aus? Dabei werde ich mich nicht nur auf Zahlen beschränken sondern auch einige beliebte Argumente für oder gegen bestimmte Rituale diskutieren. Rechtliche Fragen werden nicht im Vordergrund stehen.
Eine Kleidergröße für Landtage?
In einem Parlament soll sich der am Wahltag erklärte Wille des Wählers widerspiegeln. Das Parlament repräsentiert den Wählerwillen im Augenblick der Wahl. Das hört sich gut an. Stünde man aber vor der Aufgabe, ein gerade frisch erfundenes Parlament mit einer noch zu bestimmenden Anzahl an Abgeordneten zu füllen, dann fehlte nun erstmal jeder Maßstab.
Glücklicherweise gibt es ja schon anderswo Parlamente. Vergleicht man die Größe der Parlamente in den demokratisch verfassten Ländern der Welt, dann erkennt man eine gewisse Relation zwischen der Größe eines Parlaments und der Größe der Bevölkerung, die es repräsentieren darf. Ein Ranking verbietet sich gleichwohl. Zum einen sind die Aufgaben der Parlamente zu unterschiedlich. Denn in manchen (föderalen) Ländern besteht der Staat aus einigen oder mehreren Ländern mit wiederum eigenen Parlamenten; andere sind eher zentralistisch organisiert. Zum anderen gestalten sich Demokratien unterschiedlich aus. So ist, wenn mich meine von der Medienberichterstattung geprägte Wahrnehmung nicht trügt, das Selbstverständnis eines Parlamentes, Gesetzesvorlagen der Regierung kritisch zu durchleuchten, etwa in den USA wesentlich ausgeprägter als z.B. in Großbritannien.
Gleichwohl gibt eine gewisse Relation zwischen der Größe des Parlaments und der Zahl der Bevölkerung demokratisch Sinn. Denn mit sinkender Zahl der Parlamentarier — genauer: der steigende Menge der Bürger, die ein Abgeordneter vertritt — steigt der Mangel an Repräsentanz. Also irgendwo zwischen “jeder ist sein eigener Volksvertreter” und “drei Volksvertreter” ist gefühlt richtig. Wir können aufgrund der langen Tradition, die Demokratien haben, davon ausgehen, das existierende Parlamente sich auf eine gesellschaftlich anerkannte Größe eingependelt haben, die sowohl die Repräsentanz als auch die Arbeitsfähigkeit gewährleisten.
Dort, wo der Staat föderativ ausgeprägt ist, besteht eine Kaskade von Parlamenten, die untereinander abgestimmt sind, aufeinander aufbauen und auf der jeweiligen Ebene vergleichbar sind. Parlamente tagen in der Regel nicht permanent. In Demokratien, in denen Parlamente ein Arbeitscharakter innewohnt, sie also nicht allein appellative Aufgaben wahrnehmen, hat sich das Instrument der Ausschüsse als Arbeitsgremium herausgebildet. Dort können bestimmte Aufgabe besser vorbereitet werden. Manches kann dort sogar abschließend oder ausschließlich behandelt werden. Wegen dieser Verlagerung der ursprünglichen Parlamentsarbeit sollten Ausschüsse regelmäßig öffentlich tagen.
Ausschüsse sind also wichtig. Ihre Anzahl orientiert sich häufig an Themenpaketen, die sich im Lauf der Zeit herausgebildet haben und in der sich oftmals auch die Struktur der Ministerien widerspiegelt. Die Menge der Ausschüsse ist damit ebenso begrenzt wie die physische Möglichkeit eines Abgeordneten, an Ausschusssitzungen produktiv teilzunehmen. Eine weitere Tendenz zur Obergrenze ergibt sich aus einem Selbstregulativ: Gäbe es Abgeordnete, die weder eine Leitungsfunktion in ihrer Fraktion oder im Parlament an sich innehaben und gleichwohl keinem Ausschuss angehören, entstünde Missgunst.
Das alles passt auf die Situation der Bundesländer in Deutschland. Weshalb wir sie untereinander vergleichen können.
Ausschüsse streben als Arbeitsgremien Größen an, in denen sich sinnvoll arbeiten lässt. Machen wir eine Stichprobe: Das Saarland, kleinstes Flächenland, hat 11 Ausschüsse mit je 13 Mitgliedern, In Schleswig-Holstein sind es 8 Ausschüsse mit in der Regel 11 Mitgliedern, in dem etwa gleichgroßen Bundesland Sachsen-Anhalt existieren 12 (ständige) Ausschüsse mit je 12 Mitgliedern. In dem mittelgroßen Bundesland Niedersachsen sind es 11 (ständige) Ausschüsse mit je 17 Mitgliedern, in Hessen deren 11 mit 18 bis 20 Mitgliedern. Bayern, ein großes Bundesland besitzt 12 Ausschüsse, die mit 16 bis 22 Mitgliedern besetzt sind. In dem größten Bundesland Nordrhein-Westfalen schließlich gibt es 18 (ständige) Ausschüsse mit 21 bis 25 Mitgliedern. Mir scheint, dass es in den einzelnen Länderparlamenten trotz identischer Zuständigkeiten durchaus unterschiedliche Ausprägungen zur Ausschussarbeit gibt. Besonders die geringe Zahl der Ausschüsse in Kiel fällt auf. Aber in der Tendenz besteht die zu erwartende Ähnlichkeit.
Betrachten wir nun die Länderparlamente und setzen sie in Beziehung zu den Einwohnern je Parlamentarier. Das ist auf Länderebene mit ein paar Einschränkungen möglich, denn die Länder der Bundesrepublik haben weitestgehend identische Aufgabenprofile. Lediglich bei den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg scheint mir das faktisch anders zu sein; hier kann die Aufteilung der Aufgaben zwischen Land und Kommunen etwas anders verlaufen. Ich habe deshalb in der folgenden Grafik die Stadtstaaten außen vor gelassen. Die Tabelle mit allen Daten befindet sich hier. Nicht jede der dort vorhandenen Spalten diskutiere ich in diesem Artikel. Sie sind teils erst Gegenstand des zweiten Teils des Artikels, teils aus Spielerei entstanden.
Sortiere ich die Flächenländer absteigend nach Einwohnerzahl, dann ergibt sich folgendes Bild:
Die Zahl der Einwohner pro Mandat schwankt zwischen 20.203 (Saarland) und 99.078 (Nordrhein-Westfalen). Der Mittelwert (die rote Linie) liegt bei 47.105.
Anscheinend hat sich in der Praxis eine Mindestgröße herausgebildet, die ein Länderparlament in Deutschland haben sollte, um dem Repräsentationsanspruch zu genügen und seine Aufgabe überhaupt wahrnehmen zu können. Mit der Einwohnerzahl eines Landes wachsen eventuell zu debattierende oder zu entscheidende Problemfelder, das führt aber nicht zu einem gleichmäßigen Anstieg der Parlamentarier. Im Gegenteil wird in größeren Ländern mit einer relativ geringeren Anzahl von Abgeordneten gelebt, ohne dass Klagen bekannt geworden wären, dass in diesen Ländern ein grundsätzliches Demokratiedefizit herrsche oder die Parlamentarier überarbeiteter als anderswo seien. Der Abgeordnete in Bayern, der fünfmal mal mehr Bürger repräsentiert als sein saarländischer Kollege, wird in der Binnenwahrnehmung seines Landes wohl kaum als weniger demokratisch legitimiert angesehen.
Das — zugegeben aktuell sehr theoretische (siehe Spalte J der vorhin schon erwähnten Tabelle — Verhältnis von Einwohner zu Mandatsträger in Schleswig-Holstein würde sich nicht sonderlich verändern, wenn die Anzahl der Abgeordneten lediglich 61 betrüge (diese Zahl haben die Grünen in Gespräch gebracht). In diesem Fall läge sie mit 46.463 sehr nah am Mittelwert:
Komplett abwegig wäre so eine Zahl also nicht. Es scheint sogar, dass die vorgeschlagene Anzahl der Parlamentarier wegen der großen Nähe zum Mittelwert mit Bedacht gewählt worden ist. Sie ist aber gleichwohl nicht naturgesetzartig oder aus sich heraus “richtig”. Es gilt aber auch: Die Grafik spiegelt nicht mehr Demokratie wieder, wenn sie wohlgeformt daherkommt, die Kurve also ohne Dellen und Beulen sanft steigt. Sprünge sind durchaus okay. Einer stimmigen Begründung bedürfen sie gleichwohl.
Schlankmacher für’s Parlament?
Es sind im Wesentlichen drei Argumente, die einem immer wieder begegnen, wenn man von den Vorteilen der Verringerung der Anzahl der Parlamentarier spricht:
- Mehr können wir uns nicht leisten
- Kleinere Parlamente arbeiten effizienter
- Die Arbeitsfähigkeit der Parlamente muss erhalten bleiben
Keines dieser Argumente mag zu überzeugen. Schon weil sie nicht für eine Größe sprechen sondern allein gegen eine Größe wettern.
Zumeist ordnet man solche Pseudoargumente den “Stammtischen” zu oder hört sie aus dem Munde derjenigen, die gern pauschal gegen “die Politik” wettern. “BILD-Zeitungs-Niveau” nennt man das dann auch. Manchmal traut sich aber auch jemand, das mal aufzuschreiben. Ein Beispiel: Der sogenannte Bund der Steuerzahler nahm im April 2010 (also noch weit vor dem Schleswiger Urteil) Stellung zu einem Gesetzesentwurf der Grünen zur Verringerung der Anzahl der Wahlkreise und schwadronierte, die “übergroße Zahl der Landtagsabgeordneten in Schleswig-Holstein” führe “zu einer erheblichen Kostenbelastung für das extrem finanzschwache Land”. Außerdem führe “ein größerer Landtag nach aller Erfahrung eher zu schwierigeren und längeren Meinungsbildungsprozessen”. Später dann heißt es, der “Repräsentationsgrad der Landesbevölkerung” sei “in Schleswig-Holstein im Vergleich zu den westdeutschen Flächenländern deutlich überproportional” (was zunächst offenkundig an den Haaren herbeigezogen ist und dann auch noch wegen des Bezugsrahmen westdeutsche Länder komplett sinnfrei, wenn nicht sogar beleidigend, ist). In einer ersten Reaktion auf das Urteil wird der Verein dann konkret und schlägt, lässig aus der Hüfte schießend, 51 Abgeordnete vor. Das sähe in unserem schon bekannten Diagramm dann so aus:
51 Abgeordnete sind nicht per se “falsch” oder aus irgendwelchen Prinzipien heraus ohne Prüfung abzulehnen. Wegen der Abweichung vom Mittelwert kann jedoch nicht allein der Anschein des “Üblichen” ausreichen. Hier ist noch mehr als bei 61 Abgeordneten auf die Begründung zu achten.
“Das können wir uns nicht leisten” ist ein erkennbar populistisches Argument. “Gar kein Parlament” wäre dann nämlich die konsequente Forderung. Das kostet nämlich noch weniger Geld. Angesichts seiner dramatischen Verschuldungskrise kann sich das Land Schleswig-Holstein nämlich eigentlich nicht mal mehr seine eigene Existenz leisten. Solche Forderung muss immer mit einer Aufgabenkritik einhergehen, die klar benennt, was man nicht mehr an parlamentarischer Aufgabenerfüllung will. Denn ohne Streichung wird es nicht gehen — außer man ist der Meinung, der Parlamentarier als solcher habe heute einen faulen Lenz.
Das weitere Argument, ein größerer Landtag verkompliziere irgendwie alles, ist offenkundig dumm: Nach “aller Erfahrung” sind die Parlamente in Hessen, Baden-Württemberg, Bayern oder Niedersachsen also allesamt voller “schwierigerer und längerer Meinungsbildungsprozesse”? Etwa, weil das Auszählen der erhobenen Finger bei einer Abstimmung länger dauert? Oder weil in den Sitzungen häufiger zu Geburtstagen gratuliert werden muss? Oder wo ist jetzt das Argument versteckt? Nein, es ist nicht schlimm, wenn eine Meinungsfindung länger dauert oder kompliziert erscheint. Wichtig ist vielmehr, dass die gefundene Entscheidung tragfähig ist und von möglichst vielen Bürgern nachvollzogen und hingenommen, im besten Fall sogar akzeptiert werden kann.
Anders herum werden kleine Parlamente nicht mit von vornherein zu einfacheren und schnelleren Meinungsbildungsprozessen führen. Man mag zu Recht beklagen, dass die Kontrolle der Regierung durch das Parlament schon heute zu wünschen übrig lässt, mit weniger Abgeordneten wird das auch nicht viel besser werden. Und längst nicht jeder vermeintlich schnelle und effiziente Prozess macht etwas langfristig billiger. Es kann sogar teurer werden, wenn z.B. die Korrektur der Arbeit der Verwaltung durch das parlamentarische Korrektiv abnimmt.
Nur kurz ein Einwurf zur Arbeitsfähigkeit eines Parlamentes: Dieses Argument ist keins. Es wird ohne weitere Begründung mal für eine Verkleinerung, mal gegen eine Verkleinerung ins Feld geführt. (Die gebotene Verlässlichkeit, dass die von der Verfassung vorgegebene Zahl 69 Abgeordnete auch auf so ungefähr 69 hinauslaufen muss und nicht 95 oder mehr bedeutet, werde ich später diskutieren).
Die Größe des Schleswig-Holsteinischen Parlamentes ist nach allem also nicht so abwegig. Es muss sich ob seiner Größe nicht verstecken oder in Frage stellen. Zum Rühmen gibt es allerdings ebenso wenig Anlass.
Zwingende Gründe für eine Verkleinerung erkenne ich nicht. Naturgesetzlich daherkommende Gründe dagegen sind auch nicht ersichtlich, denn die grundsätzliche Arbeitsfähigkeit eines aus weniger als 69 Abgeordneten bestehenden Parlaments ist gewiss gegeben. Schließlich gibt es in der Bundesrepublik kleinere, lichtere Länderparlamente, sowohl mit Blick auf die absolute Zahl der Sitze als auch hinsichtlich des Verhältnisses Wähler zu Abgeordneten.
Geld bzw. Kosten sind also ein schlechtes Argument. Deshalb leben Parlamentarier jedoch nicht in einer Schutzzone. Im Gegenteil. Sie müssen sich der öffentlichen Überprüfung und Kritik stellen, wenn sie etwa ihre Diäten erhöhen wollen, ohne triftigen, hinreichenden Grund dienstreisen, der parlamentarischen Arbeit fernbleiben, trotz der Eigenschaft Berufspolitiker “nebenher” verdienen. Sie sind im besten Sinne öffentliche Personen. Sie müssen auch dazu bereit sein, das bringt das Amt mit sich. Wenn sie das nicht wollen, dann sollen sie ihren Beruf die ihnen auf Zeit übertragende Aufgabe nicht anstreben.
Und die, die uns vertreten, müssen auch an sich exemplarisch zeigen, was sie von uns, ihren Wählern, alltäglich verlangen, nämlich Verzicht.
Dennoch gilt völlig unaufgeregt: Demokratie kostet. Und diese Kosten sind notwendig und unausweichlich, weil der Kontakt zwischen Bürgern und Politik nicht abreißen darf. Man kann nicht auf der einen Seite beklagen, “die Politik” entferne sich von “dem Bürger” und anderseits die Zahl der Akteure auf der einen Seite ohne Plan und Argument aus populärer Effekthascherei verringern. Die Kosten müssen sich stets herleiten und begründen lassen. Das reicht dann aber auch. Demokratie ist kein auf rationelle Abläufe zu trimmender, allein der Effizienz als Maßstab zu unterwerfender Betrieb, den man nach Kostengesichtspunkten “sanieren” könnte.
Abschließend noch ein Blick in die jüngere Geschichte unseres Landes, wie ich ihn in dem noch heute lesenwerten Schlussbericht (Achtung, großes PDF-Dokument) der “Enquete-Kommission Verfassungs- und Parlamentsreform” aus dem Jahre 1989 fand (Seite 154): Das erste Landeswahlgesetz von 1947 nannte 70 Abgeordnete. 1950 sank die Zahl auf 69. 16 Jahre, 1966, erhöhte sich die Zahl auf 73 Abgeordnete. 1973 dann legt man sich auf 74 fest. Diese Zahl blieb bis 1989 konstant. In diesem Jahr verwarf man die damalige Begründung (der SSW sollte nach Auffassung der CDU nicht “Zünglein an der Waage” sein können) als nicht stichhaltig und erhöhte die Zahl auf 75. Im Jahr 2003 senkte eine große Koalition aus SPD und CDU — gegen die Bedenken von SSW, FDP und Grünen — aus sachfremden Erwägungen (die Verkleinerung des Landtages war Kompensation für die Finanzierung einer Diätenerhöhungen und die Umstellung der künftigen Versorgung der Abgeordneten) nach turbulenter Debatte auf 69 Abgeordnete. Schon allein die aus heutiger Sicht für manche der damaligen Redner eher peinliche Debatte spricht dafür, nicht ohne sachlichen Grund und unter kritischer Betrachtung des “Warums” die Zahl der Abgeordneten zu verändern. Eine Verfassung ist weder ein der Mode unterworfener Saisonartikel noch gehört es sich, sie zu ändern, um irgendwelche Pakete zu schnüren.
Im Zusammenhang betrachtet scheint es mir zwar durchaus möglich, mit einem aus 61 Abgeordneten bestehenden Parlament ein gleichwohl arbeitsfähiges, repräsentierendes Gremium zu schaffen. Ich sehe allerdings aktuell keine überzeugende Begründung und keine zwingende Notwendigkeit, dies umzusetzen. Im Gegenteil hat das Parlament in Schleswig-Holstein vor nicht allzu langer Zeit die Zahl der Abgeordneten von 75 auf 69 reduziert. Es gebietet die politische Glaubwürdigkeit, diese Zahl nicht beliebig zu ändern sondern sehr selbstbewusst, sehr ruhig und sehr klar für Jedermann zu argumentieren, warum nun auf einmal 61 Parlamentarier ausreichen oder es sogar besser machen können als deren 69. Das mag man mit Veränderungen im föderalen Gefüge begründen können. Das könnte mit einem größeren Fokus auf Ausschussarbeit realisierbar sein. Es zeugt sicher auch von Selbstbewusstsein und Selbstreflektion, wenn ein Parlament eine Debatte initiiert, was es zukünftig sein lassen könnte. Aber alles hat seine Zeit. Vor der nächsten Legislaturperiode besteht keine Notwendigkeit zur Änderung.
Im zweiten Teil werde ich mich der Frage beschäftigen, wie sich ein Parlament zusammensetzen kann, was es mit den Erst- und Zweitstimmen auf sich hat und ob das überhaupt nötig ist.
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