Steffen Voss hat im Blog des SPD Arbeitskreises Digitale Gesellschaft auf eine „Studie“ der TU Ilmenau aufmerksam gemacht, die festgestellt haben will, dass deutsche Politiker kaum auf Wähleransprache via Facebook setzten. Schleswig-Holstein kommt in der Untersuchung schlecht weg: Lediglich 6 der 95 Abgeordneten nutzten Facebook. Das passt ins übliche Beute-Schema des rückständigen deutschen Politikers. Folglich hat die Presse die dpa-Meldung fröhlich weiterverbreitet. Wie nicht anders zu erwarten, haben von BILD über Lübecker Nachrichten bis zur Süddeutschen alle üblichen Verdächtigen die dpa-Meldung vertickert. Und die WELT kann sich nicht mal damit rausreden, das wäre dooferweise ohne Menschenhand durch den Ticker gelaufen, die haben die Meldung sogar in ihre Social Media Kolumne aufgenommen. Bei der „Studie“ handelt es sich um eine Bachelorarbeit, die bei Professor Dr. Wolfgang Schweiger am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Fachgebiet Public Relations und Technikkommunikation, erstellt wurde. Die Arbeit begeht einen grundlegenden Fehler bei der Auswahl der zu betrachtenden Seiten, indem sie sich ohne schlüssige Argumentation auf „offizielle“ Facebookseiten der Abgeordneten beschränkt.
In der Arbeit wird das wie folgt begründet (3.3, Seite 28):
Gegenstand der Analyse sind ausschließlich offizielle Profilseiten von Bundes- und Landtagsabgeordneten, die der Öffentlichkeitsarbeit und der Wähleransprache dienen. Private Facebook-Profile der Abgeordneten fließen nicht in die Untersuchung ein, da bei diesen eine vornehmlich private Nutzung unterstellt wird.
Ich habe mich im Rahmen der Recherchen zu dem Landesblog-Artikel Facebook im Landtag mit allen 38 (!) Abgeordneten des schleswig-holsteinischen Landtages, die über einen Facebook-Account verfügen, „befreundet“ und verfüge seitdem über einen recht guten Überblick hinsichtlich des Engagements der Abgeordneten. Meine Anfragen sind nur in Einzelfällen nicht beantwortet worden. Ohne, dass ich das Engagement im Detail quantitativ ausgewertet hätte, ist offensichtlich, dass die Abgeordneten in der Mehrzahl ihren Facebook-Account politisch nutzen. Frei nach dem alten Spontispruch „Das Politische ist privat und das Private politisch“. Tatsächlich liegt das m.E. in der sehr kommunikativen Struktur einer „privaten“ Seite begründet.
Der Verfasserin ist nur insoweit zuzustimmen, als dass zur vollständigen Einsicht des „privaten“ Profils eine „Freundschaft“ zwischen den Nutzern geschlossen werden muss. Das ist sicher eine Hürde. Denn „Freundschaft“ ist im deutschen Sprachgebrauch gemeinhin eine hochwertiger Begriff. Und es setzt natürlich ein gemeinsamen Tun voraus, um überhaupt in Kommunikation treten zu können. Das ist aber zunächst mal üblich und der Kommunikation förderlich. Und danach — und das ist aus meiner Sicht entscheidend — ist die Kommunikation gegenseitig: Beide sehen nun die aktuellen Beiträge des jeweils anderen im News-Feed ihres Facebook-Accounts. Ein deutlicher Unterschied zu bisherigen üblichen Struktur der Kommunikation mit Politikern!
Bei Facebook-Seiten gibt es den nur einseitig zu drückenden Gefällt mir-Button. „Gefällt mir“ mag als Begriff vielleicht geringwertiger als „Freundschaft“ sein, er ist aber gleich wohl noch hoch genug, um als „Hürde“ verspürt zu werden. Häufig genug will man damit eh eher ein „darüber will ich informiert werden“ ausdrücken. Für die Autorin der Arbeit ist aber einzig relevant, so „ganz einfach Anhänger“ (sic!) einer Seite zu werden. Der zum Nachdenken anregende Unterschied, dass 6 Seiten die sechsfache Anzahl an privaten Seiten von schleswig-holsteinischen Abgeordneten gegenüber steht, wird nicht erwähnt. Doch zurück zur Facebook-Seite: Die Kommunikation verläuft nun zukünftig einseitig. Wie ehemals. „Social“ im Sinne von „gesellig“ oder „gesellschaftlich” ist das jedoch nicht. Diese Art der Seite verharrt — untypisch für ein „social network“ — in der Einbahnstraßen-Kommunikation des Broschürenzeitalters des letzten Jahrhunderts oder der schon aus dem Web 1.0 bekannten Abonnement-Struktur eines RSS-Feeds (womit ich nichts gegen RSS-Feeds sagen will – die sind immer noch toll!). Es grenzt jedoch schon ans Absurde, wenn die TU Ilmenau in ihrer Presseerklärung vor dem Hintergrund dieser Auswahlentscheidung verkündet, dass es „zum Dialog zwischen Politikern und Bürgern (…) auf den Facebook-Seiten selten“ komme. Nun, liebe TU, das ist in erster Linie eine gewollter Eigenschaft von den Facebook-Seiten, die ihr ausgewählt haben, weniger aber die Wiedergabe der realen Welt!
Es kann eben durchaus seinen Charme haben, sich gegen eine „offizielle Profilseite” und für eine (nur scheinbar) „private“ Seite zu entscheiden. Meine Erfahrungen mit den Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages legen nahe, dass die Abgeordneten genau so gedacht haben. Natürlich gibt es kaum genutzte Profil-Leichen. Aber es gibt auch reichlich aktive Accounts. Ob und inwieweit jemand seine „private” Facebookseite vor den Augen anderer verbirgt, ist zudem (im doppelten Wortsinn) Einstellungssache.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit diesen Aspekten jedoch nicht und blendet die privaten Seite ohne schlüssige Argumentation aus. Die Schlussfolgerungen der Arbeit sind damit allenfalls eingeschränkt aussagekräftig und taugen nicht für verallgemeinerbare Thesen. Wohl aber für deftige Schlagzeilen. Solche Mängel können einer Bachelorarbeit immer mal anhängen.
Ab dafür, so was passiert, das kann dem Betreuer einer Arbeit schon mal durchrutschen. Ärgerlich wird es jedoch, wenn die Hochschule (im Fachgebiet Public Relations und Technikkommunikation!) dies nicht erkennt und die vermeintlichen Erkenntnisse der Arbeit erkennbar unkritisch aber lautstark veröffentlicht. Von der unreflektierten Presse mal ganz zu schweigen.
Update 06.02.2011: Ich sehe gerade, dass die Verfasserin bei wahl.de ihre Auswahl rechtfertigt. Die Argumentation überzeugt mich immer noch nicht. Sie nimmt die Facebook AGB als Maßstab — als ob es sich bei Facebook um eine Behörde handelt. Folglich ignoriert sie alle privaten Facebook-Profile und verweist auf den „offiziellen” Charakter der Facebook-Seiten. Solche Vorschriftentreue ist bei einer Arbeit, die reale Kommunikationstrukturen untersuchen will, fehl am Platz.
Die Rückständigkeit alleine aus der Facebook-Nutzung abhängig zu machen halte ich aber auch für gewagt. Ich habe meine Erfahrungen via Email gemacht — und das Ergebnis war recht durchwachsen. Genau so wie kommunal ist meine Erfahrung, dass man bei einer Mehrheit aller Anfragen keine Antwort bekommt. Spätestens bei Nachfragen, wenn es oft spannend wird — also abseits der Standardantworten.
Für mich ist Facebook datenschutzmäßig eher ein rotest Tuch — und ein Politiker der da aktiv ist eher einer, der mein auf einer Welle mitreiten zu müssen. Entscheidender ob Facebook oder nicht ist für mich die Frage, ob Politiker zum Dialog bereit sind. Wenn ich selber nie wirklich aktiv wäre auf Facebook kann ich das ja wohl kaum von Politikern erwarten? Mich stört da auch und vor allem das ein Unternehmen offenbar die Kommunikation zwischen uns und den Politikern monopolisieren darf, ohne dass sich jemand am Kopf kratzt.
Schön, dass wir ähnliche Probleme mit der Datenbasis der Studie haben. Nicht, dass die Frage der Art und Weise der Kommunikation von Politikern auf Facebook nicht interessant wäre, doch fehlt die geeignete Ausgangslage.
Übrigens haben wir auf 39 Profile bzw. Seiten auf Facebook von Landespolitikern aus SH verzeichnet. Ich glaube euch fehlt noch ?
Die Differenz kann man auch so erklären: Ihr zählt Carsten-peter Brodersen als Carsten-Peter Brodersen — was ich nicht tue :-)