Politiker nutzen Facebook zum Wählerdialog

Von | 5. Februar 2011

Steffen Voss hat im Blog des SPD Arbeitskreises Digitale Gesellschaft auf eine „Studie“ der TU Ilme­nau auf­merk­sam gemacht, die fest­ge­stellt haben will, dass deut­sche Poli­tiker kaum auf Wäh­ler­ansprache via Face­book setz­ten. Schleswig-Holstein kommt in der Untersuchung schlecht weg: Lediglich 6 der 95 Abge­ord­neten nutz­ten Face­book. Das passt ins übli­che Beute-Schema des rück­stän­di­gen deut­schen Politikers. Folglich hat die Presse die dpa-Meldung fröh­lich wei­ter­ver­brei­tet. Wie nicht anders zu erwar­ten, haben von BILD über Lübecker Nachrichten bis zur Süddeutschen alle übli­chen Verdächtigen die dpa-Meldung ver­ti­ckert. Und die WELT kann sich nicht mal damit raus­re­den, das wäre doo­fer­wei­se ohne Menschenhand durch den Ticker gelau­fen, die haben die Meldung sogar in ihre Social Media Kolumne auf­ge­nom­men. Bei der „Studie“ han­delt es sich um eine Bachelorarbeit, die bei Professor Dr. Wolfgang Schweiger am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Fachgebiet Public Relations und Technikkommunikation, erstellt wur­de. Die Arbeit begeht einen grund­le­gen­den Fehler bei der Auswahl der zu betrach­ten­den Seiten, indem sie sich ohne schlüs­si­ge Argumentation auf „offi­zi­el­le“ Facebookseiten der Abgeordneten beschränkt.

In der Arbeit wird das wie folgt begrün­det (3.3, Seite 28):

Gegenstand der Analyse sind aus­schließ­lich offi­zi­el­le Profilseiten von Bundes- und Landtagsabgeordneten, die der Öffentlichkeitsarbeit und der Wähleransprache die­nen. Private Facebook-Profile der Abgeordneten flie­ßen nicht in die Untersuchung ein, da bei die­sen eine vor­nehm­lich pri­va­te Nutzung unter­stellt wird.

Ich habe mich im Rahmen der Recherchen zu dem Landesblog-Artikel Facebook im Landtag mit allen 38 (!) Abgeordneten des schles­wig-hol­stei­ni­schen Landtages, die über einen Facebook-Account ver­fü­gen, „befreun­det“ und ver­fü­ge seit­dem über einen recht guten Überblick hin­sicht­lich des Engagements der Abgeordneten. Meine Anfragen sind nur in Einzelfällen nicht beant­wor­tet wor­den. Ohne, dass ich das Engagement im Detail quan­ti­ta­tiv aus­ge­wer­tet hät­te, ist offen­sicht­lich, dass die Abgeordneten in der Mehrzahl ihren Facebook-Account poli­tisch nut­zen. Frei nach dem alten Spontispruch „Das Politische ist pri­vat und das Private poli­tisch“. Tatsächlich liegt das m.E. in der sehr kom­mu­ni­ka­ti­ven Struktur einer „pri­va­ten“ Seite begrün­det.

Der Verfasserin ist nur inso­weit zuzu­stim­men, als dass zur voll­stän­di­gen Einsicht des „pri­va­ten“ Profils eine „Freundschaft“ zwi­schen den Nutzern geschlos­sen wer­den muss. Das ist sicher eine Hürde. Denn „Freundschaft“ ist im deut­schen Sprachgebrauch gemein­hin eine hoch­wer­ti­ger Begriff. Und es setzt natür­lich ein gemein­sa­men Tun vor­aus, um über­haupt in Kommunikation tre­ten zu kön­nen. Das ist aber zunächst mal üblich und der Kommunikation för­der­lich. Und danach — und das ist aus mei­ner Sicht ent­schei­dend — ist die Kommunikation gegen­sei­tig: Beide sehen nun die aktu­el­len Beiträge des jeweils ande­ren im News-Feed ihres Facebook-Accounts. Ein deut­li­cher Unterschied zu bis­he­ri­gen übli­chen Struktur der Kommunikation mit Politikern!
Bei Facebook-Seiten gibt es den nur ein­sei­tig zu drü­cken­den Gefällt mir-Button. „Gefällt mir“ mag als Begriff viel­leicht gering­wer­ti­ger als „Freundschaft“ sein, er ist aber gleich wohl noch hoch genug, um als „Hürde“ ver­spürt zu wer­den. Häufig genug will man damit eh eher ein „dar­über will ich infor­miert wer­den“ aus­drü­cken. Für die Autorin der Arbeit ist aber ein­zig rele­vant, so „ganz ein­fach Anhänger“ (sic!) einer Seite zu wer­den. Der zum Nachdenken anre­gen­de Unterschied, dass 6 Seiten die sechs­fa­che Anzahl an pri­va­ten Seiten von schles­wig-hol­stei­ni­schen Abgeordneten gegen­über steht, wird nicht erwähnt. Doch zurück zur Facebook-Seite: Die Kommunikation ver­läuft nun zukünf­tig ein­sei­tig. Wie ehe­mals. „Social“ im Sinne von „gesel­lig“ oder „gesell­schaft­lich” ist das jedoch nicht. Diese Art der Seite ver­harrt — unty­pisch für ein „soci­al net­work“ — in der Einbahnstraßen-Kommunikation des Broschürenzeitalters des letz­ten Jahrhunderts oder der schon aus dem Web 1.0 bekann­ten Abonnement-Struktur eines RSS-Feeds (womit ich nichts gegen RSS-Feeds sagen will – die sind immer noch toll!). Es grenzt jedoch schon ans Absurde, wenn die TU Ilmenau in ihrer Presseerklärung vor dem Hintergrund die­ser Auswahlentscheidung ver­kün­det, dass es „zum Dialog zwi­schen Politikern und Bürgern (…) auf den Facebook-Seiten sel­ten“ kom­me. Nun, lie­be TU, das ist in ers­ter Linie eine gewoll­ter Eigenschaft von den Facebook-Seiten, die ihr aus­ge­wählt haben, weni­ger aber die Wiedergabe der rea­len Welt!

Es kann eben durch­aus sei­nen Charme haben, sich gegen eine „offi­zi­el­le Profilseite” und für eine (nur schein­bar) „pri­va­te“ Seite zu ent­schei­den. Meine Erfahrungen mit den Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages legen nahe, dass die Abgeordneten genau so gedacht haben. Natürlich gibt es kaum genutz­te Profil-Leichen. Aber es gibt auch reich­lich akti­ve Accounts. Ob und inwie­weit jemand sei­ne „pri­va­te” Facebookseite vor den Augen ande­rer ver­birgt, ist zudem (im dop­pel­ten Wortsinn) Einstellungssache.

Die vor­lie­gen­de Arbeit beschäf­tigt sich mit die­sen Aspekten jedoch nicht und blen­det die pri­va­ten Seite ohne schlüs­si­ge Argumentation aus. Die Schlussfolgerungen der Arbeit sind damit allen­falls ein­ge­schränkt aus­sa­ge­kräf­tig und tau­gen nicht für ver­all­ge­mei­ner­ba­re Thesen. Wohl aber für def­ti­ge Schlagzeilen. Solche Mängel kön­nen einer Bachelorarbeit immer mal anhän­gen.
Ab dafür, so was pas­siert, das kann dem Betreuer einer Arbeit schon mal durch­rut­schen. Ärgerlich wird es jedoch, wenn die Hochschule (im Fachgebiet Public Relations und Technikkommunikation!) dies nicht erkennt und die ver­meint­li­chen Erkenntnisse der Arbeit erkenn­bar unkri­tisch aber laut­stark ver­öf­fent­licht. Von der unre­flek­tier­ten Presse mal ganz zu schwei­gen.

Update 06.02.2011: Ich sehe gera­de, dass die Verfasserin bei wahl.de ihre Auswahl recht­fer­tigt. Die Argumentation über­zeugt mich immer noch nicht. Sie nimmt die Facebook AGB als Maßstab — als ob es sich bei Facebook um eine Behörde han­delt. Folglich igno­riert sie alle pri­va­ten Facebook-Profile und ver­weist auf den „offi­zi­el­len” Charakter der Facebook-Seiten. Solche Vorschriftentreue ist bei einer Arbeit, die rea­le Kommunikationstrukturen unter­su­chen will, fehl am Platz.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

3 Gedanken zu “Politiker nutzen Facebook zum Wählerdialog”:

  1. Thilo P.

    Die Rückständigkeit allei­ne aus der Facebook-Nutzung abhän­gig zu machen hal­te ich aber auch für gewagt. Ich habe mei­ne Erfahrungen via Email gemacht — und das Ergebnis war recht durch­wach­sen. Genau so wie kom­mu­nal ist mei­ne Erfahrung, dass man bei einer Mehrheit aller Anfragen kei­ne Antwort bekommt. Spätestens bei Nachfragen, wenn es oft span­nend wird — also abseits der Standardantworten.

    Für mich ist Facebook daten­schutz­mä­ßig eher ein rotest Tuch — und ein Politiker der da aktiv ist eher einer, der mein auf einer Welle mit­rei­ten zu müs­sen. Entscheidender ob Facebook oder nicht ist für mich die Frage, ob Politiker zum Dialog bereit sind. Wenn ich sel­ber nie wirk­lich aktiv wäre auf Facebook kann ich das ja wohl kaum von Politikern erwar­ten? Mich stört da auch und vor allem das ein Unternehmen offen­bar die Kommunikation zwi­schen uns und den Politikern mono­po­li­sie­ren darf, ohne dass sich jemand am Kopf kratzt.

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