Der italienischer Regierungschef Silvio Berlusconi hat eine von ihm angestrebte Justizreform damit begründet, man habe „fast eine Diktatur der linken Richter”. Was nicht passt, wird also passend gemacht? Demokratien funktionieren glücklicherweise anders, als Hobbyhandwerker, Despoten oder Berlusconis sich das so vorstellen. Ihr inneres Gleichgewicht ist ebenso filigran wie stabil austariert. Und wenn mal einer, ohne lange nachzudenken, einen Nagel in die Küchenwand schlägt, dann richtet es die Zeit: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse erboste sich über ein Pfandbon-Urteil eines Berliner Gerichts — das später, ganz ohne Thierse, vom Bundesarbeitsgericht gekippt wurde.
Peinlicher ist schon, wenn einer erst lange vor sich hindenkt und dann trotzdem fröhlich oberhalb der Steckdose Nägel in die Wand schlägt. Klaus Schlie, Innenminister in Schleswig-Holstein ist anscheinend so ein Hobbybastler.
Was war geschehen? Am 6. Juni hatte eine Gericht einen Polizisten wegen „gefährlicher Körperverletzung im Amt” zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.300 Euro. Er hatte Pfefferspray, nach Überzeugung des Gerichts: „unverhältnismäßig”, also ohne Not, eingesetzt. (Update: Sachverhaltsdarstellung des Gerichts, Presseerklärung des LG Itzehoe vom 01.06.2010). Innenminister Klaus Schlie hat der Richterin deshalb am 15. Juni einen Brief geschrieben und sie daran zu einer „Nachtfahrt” mit Polizeibeamten eingeladen. Damit nichts schief läuft, will er gleich mitfahren und hat den Brief in der Landespolizei herumgeschickt – unter voller Nennung des Namens der Richterin. Hier ist der Brief im Wortlaut: Seite 1, Seite 2, das Landesblog hat den Namen der Richterin enfernt.
Vorweg zwei Dinge zu Klarstellung:
Ist Richterschelte sakrosant? Nein, Richterschelte ist Ausdruck der öffentlichen Meinung. Da müssen Richter aushalten, dafür werden sie (hoffe ich doch) geschult. Sie urteilen schließlich „im Namen des Volkes” und betrieben keine Geheimbündelei. Wer mal in juristischen Fachzeitschriften blättert, der sieht aber auch schnell, dass Kritik an Urteilen üblich ist – und nicht selten deutlich im Ton.
Kann sich ein Innenminister nicht vor seine Polizisten stellen? Ja, er kann nicht nur, er muss es sogar: Um zu zeigen, dass er hinter „seinen“ Polizisten steht, selbst wenn einer tatsächlich mal daneben gelegen haben sollte. Und um zu zeigen, dass man auch die Probleme des alltäglichen „kleinklein“, die schnell mal zum „großen“ Ereignis werden können, im Auge hat. So setzt man ein Signal, das sagt, dass man stets darauf achten wird, die Vorschriften der Polizei und die Ausbildung der Polizisten so zu gestalten, dass sie den beruflichen Alltag sinnvoll und effektiv begleiten.
Und wie soll man das machen, wenn nicht durch Briefe schreiben? Ein Ministerium hat vielfältige Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit, kann Fachtagungen organisieren, mit dem Justizminister Meinungen austauschen über die Ausbildung von Richtern, kann vielfältigste Fortbildungen, Kongressen, Broschüren, Fachaufsätzen und noch vieles mehr veranstalten oder veröffentlichen, um die Öffentlichkeit und die fachlich Interessierten über die eigenen Motive, Sorgen und Nöte aufzuklären. Ein Minister, der das nicht macht, füllt sein Amt nicht gut aus.
Der Brief, den Klaus Schlie geschrieben hat, erfüllt all dies nicht. Und das, nachdem der Minister für seine fehlerfreie Ermessensentscheidung ganze 10 Tage Zeit hatte — nicht wie der Polizist, der in Sekunden entscheiden musste.
Was darüber hinaus an dem Brief zu kritisieren ist:
Als Verfassungsminister sollte der Innenminister wissen, dass der einzig erfolgversprechende Weg gegen Urteile vor Gericht führt. Anderes gilt nur für die Bildzeitungsreporterin Alice Schwarzer oder andere Vertreter des Boulevards. Ein Verfassungsminister darf keinen Zweifel daran lassen, dass die Gerichte als verfassungsgewollte Kontrollfaktoren der Exekutive nicht in den Geruch kommen dürfen, Büddel der Exekutive zu sein; „Einladungen“ zu persönlichem Erleben sind das Gegenteil. Richter würdigen Sachverhalte vollständig, machen sich ein Bild vom Geschehen, befragen Zeugen und Beteiligten, wägen ab und entscheiden dann aus „Gründen“ — das mag einen im Einzelfall (den entscheiden Gerichte) mal gefallen und mal nicht; der Hinweis, das Gericht möge doch mal konkrete Arbeitsbelastungen und -erlebnisse persönlich miterleben ist schlicht nichts anderes als der Vorwurf, das Gerichte habe diese Dinge nicht berücksichtigt. Wobei: Wir wissen ja noch nicht einmal, ob das Gericht diese Fragen nun abgewogen hat oder nicht: Substantiierte Kritik ist augenblicklich nicht möglich, da das Urteil noch nicht schriftlich vorliegt. Um das Urteil ging es aber anscheinend eh nicht. Denn sonst wäre uns die Wiedereinführung des öffentlichen Pranger als Mittel der (in jeder Hinsicht) Niederen Gerichtsbarkeit erspart geblieben. Der Minister verschickt und veröffentlicht einen Brief an eine Richterin mit voller Namensnennung und dienstlicher Adresse der Richterin. Wer hatte das gedacht bei einem Minister, der sich gegen Namensschilder oder andere eindeutige Kennzeichnungen bei Polizisten mit Händen und Füßen wehrt.
Innenminister Klaus Schlie hat mit seinem ungeschickten und dann auch noch veröffentlichten Briefe Porzellan zerschlagen und der Landespolizei eine Bärendienst erwiesen.
Was bleibt, ist die Suche nach dem Motiv.
Richterin? Ob er auch einen Mann so angeschrieben hätte? Das mag sein, kann aber kein Motiv sein.
Wahlkampf? Kann es eigentlich nicht sein. Ein Minister, der mit Richterinnenschelte versucht, Wähler zu gewinnen, die nicht wissen, dass es zum normalen Alltag einer Demokratie gehört, wenn die eine Instanz eines Gerichts mal so und nächsthöhere dann so entscheidet, fischt in übersichtlich großen Gewässern.
Fürsorge? Wer mit Menschen spricht, die für Klaus Schlie arbeiten oder gearbeitet haben, der hört immer wieder: Der steht zu seinen Leuten, der steht vor seiner Mannschaft. Es wäre nun aber zu einfach, all das mit einen „der ist nun mal so“ abzutun. Das beantwortet nicht, warum all die anderen Wege nicht begangen wurden.
Nein, so darf ein Verfassungsminister nicht handeln. Der in seiner Kritik ebenso sachliche wie deutliche Brief von Justizminister Emil Schmalfuß Seite 1, Seite 2, Seite 3, auch hier haben wir den Namen entfernt) zeugt von Souveränität. Es wäre schön, wenn wir das Niveau dieses Briefes am 22. Juni, wenn sich der Innen- und Rechtsausschuss mit dem Thema beschäftigt, halten könnten. Zum Beispiel mit einem Innenminister, der sich ohne Wenn und Aber für seine begangene Dummheit entschuldigt, besonders bei der Richterin.
Was hat jetzt bitte Alice Scharzer damit zutun?
Alice Schwarzer ist durch eine sehr eigene Berichterstattung über den sogenannten Kachelmann-Prozess in der Bildzeitung aufgefallen …
Danke, ich merke gerade, dass ich den Schwarzer-Satz irgendwann rausgekürzt habe. Ich hätte ihn aber nur einkürzen sollen, weil mir das Bild immer noch gefällt.
Das Bild hat mir auch gefallen, obwohl es im Grunde sehr böse ist. Es passt aber zum aktuellen Zeitgeist, der mit Recht und Verfassung sehr großzügig umzugehen scheint.
Also wenns daraum geht, dass sie im Prozess einseitig Stellung bezogen hat, so kann ich das sehr gut nachvollziehen. Es ist ja bekannt, dass gerade in Vergewaltigungsprozessen eigentlich in den wenigsten Fällen Täter verurteilt werden. Da sagte ja auch mal ein Richter letztes Jahr im Fernsehen, dass er seiner Tochter, falls sie betroffen wäre von einer Klage abraten würde, weil es unwürdig wäre und der Täter eh freigesprochen würde. Dazu finde ich bedarf es durchaus eines Gegengewichtes. Also unabhängig vom Frau Schwarzer: Dieser Vergleich hinkt!
Und was haben Berlusconi und Schlie gemeinsam?
Sollten sie? Für mich war das ein Einstieg, weil auch hier jemand etwas passend machen will. Dito Thierse.
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