Wutbürger erwünscht!

Von | 28. Juni 2011

Die Bündnis-Grünen und die SPD in Schleswig-Holstein fes­ti­gen ihr Verhältnis zum Protest als wich­ti­ger Ressource poli­ti­scher Willensbildung. Dies mach­ten Robert Habeck, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/​Die Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag, und Ralf Stegner, sein Amtskollege auf Seiten der SPD, am 24. Juni 2011 im Rahmen einer Veranstaltung in Bad Malente deut­lich. Zwar unter­schei­den sich die bei­den Parteien deut­lich in der Art, wie der durch unter­schied­li­che Protestformen von außen an sie her­an­ge­tra­ge­ne Diskussionsdruck in die Parteiarbeit ein­flie­ßen soll. Grundsätzlich aber steht für Rot wie für Grün fest, dass ein wie auch immer gear­te­ter Protest kei­ne Spielwiese außer­halb der Politik mehr sein kann.

Einfluss vs. Element

Die größ­te Differenz zwi­schen den bei­den Parteien betrifft natur­ge­mäß die Frage, wie direkt geäu­ßer­te Wählermeinung mit den Parteizielen ver­schränkt wer­den kann und soll. Robert Habeck for­mu­lier­te für die Bündnis-Grünen den Willen, Protest unmit­tel­bar in Punkte der Parteiagenda ummün­zen zu wol­len. Ralf Stegner von der SPD hin­ge­gen stand dem außer­par­la­men­ta­risch geäu­ßer­ten Bürgerwillen deut­lich distan­zier­ter gegen­über. Für sei­ne Partei sei Protest ein Teil des gesell­schaft­li­chen Umfeldes, mach­te er klar, und wir­ke über die­ses auf die Mehrheitsbildung inner­halb der Partei ein.

Ist dem einen Protest so ein Element der Politik, ist es für den ande­ren Einflussfaktor auf die Politik. Besonders Habeck kam es dabei dar­auf an, Bürger und Bürgerinnen mög­lichst früh in Entscheidungsprozesse ein­zu­bin­den. Zwar gäbe es mitt­ler­wei­le umfang­rei­che Beteiligungsverfahren, doch führ­ten die­se in ihrer Struktur immer noch dazu, dass „man sich erst nach Abschluss des Verfahrens vor Gericht sieht“. Hier sei­en neue Wege zu fin­den. Auch müs­se man sich sei­ner Ansicht nach dar­über im Klaren sein, dass man Expertenmeinungen nicht dazu benut­zen kön­ne, um über den Bürgerwillen hin­weg­zu­ge­hen. „Wenn Menschen sich von Stromleitungen bedroht füh­len“, so Habeck, „dann müs­sen wir das ernst neh­men und danach ent­schei­den – auch wenn Experten Beeinträchtigungen durch die Strahlung von Hochspannungsleitungen nicht nach­wei­sen kön­nen“.

„Links“ war ges­tern

Die Gelegenheit für die­se Bekenntnisse war eben­so güns­tig wie unge­wöhn­lich. Im Rahmen eines fünf­tä­gi­gen Seminars der Gustav-Heinemann-Bildungstätte/Bad Malente in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung waren die bei­den Fraktionsvorsitzenden zu einer abschlie­ßen­den Diskussionsrunde mit den Teilnehmern ein­ge­la­den.

Obwohl die Gesprächsrunde unter dem Titel „Linke Projekte in der Zukunft“ stand, wur­de sehr schnell deut­lich, dass Protest ers­tens kei­ne „lin­ke“ Ausdrucksform mehr ist und zwei­tens eben­so wie er vie­le der klas­si­scher­wei­se mit dem Begriff „links“ asso­zi­ier­ten Vorstellungen und Forderungen inzwi­schen als in der Mitte der Gesellschaft ange­kom­men betrach­tet wer­den dür­fen.

Auf dem Hintergrund die­ser Feststellung sahen sich Habeck und Stegner denn auch mit den Wurzeln jener Protestkultur kon­fron­tiert, wie sie vor allem das Bild der Auseinandersetzung um das Großprojekt „Stuttgart 21“ bestimmt hat: den als intrans­pa­rent emp­fun­de­nen poli­ti­schen Entscheidungswegen und einer von Bürgerseiten dia­gnos­ti­zier­ten Ignoranz von Politik gegen­über offen­kun­dig arti­ku­lier­te Mehrheitswillen.

Der Wunsch – wobei der anste­hen­de Landtagswahlkampf und der Wahlerfolg der Bündnis-Grünen in Baden-Württemberg sicher schon eine Rolle gespielt haben dürf­ten –, sich in die­sen Fragen deut­lich und bür­ger- bezie­hungs­wei­se wäh­ler­nah posi­tio­nie­ren zu wol­len, dürf­te letz­ten Endes für die Klarheit der Aussagen von Stegner und Habeck ver­ant­wort­lich gewe­sen sein. Die Notwendigkeit mag dadurch ver­stärkt wor­den sein, dass sich aus den per­sön­li­chen Vorstellungen zahl­rei­cher fra­gen­der Teilnehmer ihr gesell­schaft­li­ches Engagement und eine deut­li­che Multiplikatorenwirkung ablei­ten lie­ßen.

Neue Medien im Parteiblick

Fast neben­bei wur­den auf der Veranstaltung auch die unter­schied­li­chen Ansichten der bei­den Politiker über die neu­en Medien deut­lich. Während Internet, face­book & Co. für den Bündnis-Grünen Robert Habeck offen­bar schlicht Teil sei­nes Alltags sind, sprach SPD-Mann Ralf Stegner bei der Frage danach, wie sich Themen heu­te öffent­lich dis­ku­tie­ren las­sen, von einer „vir­tu­el­len 24-Stunden-Welt an 365 Tagen“, die Zeichen einer „Degeneration der Medienwelt“ sei, in der sich kaum noch etwas „skan­da­li­sie­ren las­se“.

Im Anschluss an die Diskussion stell­te sich Robert Habeck den Fragen des Landesblogs zum Protestverständnis der Grünen im Detail, zu neu­en Demokratieformen und der grü­nen Interpretation aktu­el­ler Fragen der Landespolitik.

Dieter Hoogestraat
Von:

Dieter Hoogestraat ist freier Journalist mit einem besonderen Interesse an regionalem und lokalem Kulturleben sowie am netzbasierten Arbeiten.

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