Vor ein paar Tagen machte die Meldung die Runde, dass EA — eine Firma, die beliebte Computer-Spiele herstellt — seinen Kunden beim Kauf des neusten Computerspiele eine Schadsoftware unterjubelt, die den Rechner des Käufers ausspioniert – es könnte ja sein, dass eine nach Meinung der Firma nicht legale Version des Spieles installiert wäre.
Wer glaubt, dass so etwas nicht mehr überboten werden kann, kennt die Schulbuchverlage und die Kultusbürokratie nicht. Netzpolitik.org berichtet gestern vom einem Vertrag, den die Länder mit der VG WORT und der VG Musikedition abgeschlossen haben, in dem die Länder es treusorgend für die Rechteinhaber übernehmen, die Computer in den staatlichen Schulen mit einer „Plagiatssoftware“ nach „digitalen Kopien von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken auf Speichersystemen“ zu durchstöbern.
Der Kieler Anwalt Jan A. Strunk hat das gestern in seinem Blog kursorisch rechtlich beleuchtet und kommt zu dem Schluss:
Ein interessantes Szenario: „Auftragsüberwachung“ von Beamten und öffentlichen Stellen in rein privatem Interesse inklusive „Sanktionsversprechen“ durch den öffentliche Dienstherren, der dabei die (von ihm kaum zu beherrschenden) Instrumente der privaten Auftraggeber einsetzt.
Die Piratenpartei in Schleswig-Holstein möchte den „Überwachungsirrsinn“ stoppen.
Man kann sich nur an den Kopf fassen: Die Schulen haben auf PCs in staatlichem Eigentum eine private Schnüffelsoftware zu installieren, die was auch immer durchsucht und wem auch immer berichtet. Meldet sich hieraufhin ein Rechteinhaber beim vom Ministerium benannten „Ansprechpartner“ und behauptet eine Urheberrechtsverletzung, läuft dieser los, klärt zeitnah auf und sorgt bei Rechtsverletzungen für „Abhilfe“. Damit nicht genug, unterwerfen sich die Länder im aufopfernden Kotau den Verlagen und verpflichten(!) sich in einem Vertrag mit privaten Unternehmen, gegen Schulleiter und Lehrkräfte disziplinarische Maßnahmen einzuleiten. Natürlich bleiben zivil- und strafrechtliche Ansprüche der Rechteinhaber unberührt – doppelt hält besser. Wer stimmt so etwas zu?
Ich habe heute morgen Kultusministerium und ULD angeschrieben. Ich möchte gern wissen,
- ob der Vertrag so beschlossen wurde und umgesetzt werden soll,
- ob das beschriebene Verfahren in Schleswig-Holstein mitbestimmungs-, personal- und dienstrechtlich möglich ist,
- ob die betroffenen Personalräte und die Schulträger eingebunden worden sind,
- ob die privaten Schulträger dem Verfahren zugestimmt haben,
- ob die Vorgaben nach § 6 Nr. 1 schon umgesetzt worden sind,
- ob der „Ansprechpartner“ nach § 6 Nr. 6 schon benannt wurde und wie er/sie auf die Aufgabe vorbereitet wurde,
- wie die „Abhilfe“ nach § 6 Nr. 6 konkret aussehen soll,
- ob die auf der Hand liegenden datenschutzrechtlichen und datenschutztechnischen Fragen mit dem ULD und innerhalb des Landesregierung und mit welchem Ergebnis erörtert worden sind,
- was die Software durchsuchen soll und wem sie welche Ergebnisse meldet,
- nach welchem Modus Schulen ausgewählt werden sollen,
- wie hoch die bisherige Vergütung (§ 5 Nr. 1) lag,
- mit welcher Begründung die Vergütung von 7.300.000 Euro für das Jahr 2011 auf 9.000.000 EUR für das Jahr 2014 steigt (§ 5 Absatz 1), prognostiziert doch der Schulbericht 2009 des LRH eine Rückgang der Schülerzahlen an den allgemeinbildenden Schulen im Schuljahr 2014/15 um -11,3 % (gegenüber 2008/9),
- mit welcher Begründung auf Rückforderungen gegenüber den Rechteinhabern verzichtet worden ist,
- weshalb es der Landesregierung angezeigt erscheint, für private Unternehmen diese Aufgaben zu übernehmen,
- schließlich, ob der Vertrag der Hausspitze (Minister, Staatssekretär) zur Billigung oder Kenntnisnahme vorgelegen hat.
Zwei Sätze schossen mir spontan durch den Kopf:
„Bei uns in Schilda.” und „Die Geister, sie ich rief.”
Zumeist lese ich Meldungen, wo ich mich frage „na, ob das wirklich so dicke ist” und nach etwas Recherche feststelle, dass es ganz so dramatisch nicht zu sein scheint. Hier war es andersherum. Bis auf den Begriff des Schultrojaners, den Netzpoltik.org (anfangs) verwandte, ist die Geschichte dort eher zurückhaltend beschrieben. Wenn man sich die den Vertrag durchliest, dann kommt man aus dem Wundern nicht mehr raus. So was habe ich in fast 30 Jahren Verwaltungserfahrung noch nicht gesehen, nicht für möglich gehalten.
Pingback: Neues aus “Schulda” | LEGALIT.de
Ein guter Bericht, ich bin sehr auf die Antworten auf die von Ihnen gestellten Fragen gespannt.
Lg
Patrick von den PIRATEN
Mal schauen, wir begleiten das mit einer eigenen kleinen Anfrage
Übermorgen im Bildungsausschuss wird es sicher auch Thema sein. Minister Klug wird übrigens nachher im SH-Magazin was zum Thema sagen.
Klar ist, dass er die Software nur einsetzen will, wenn das ULD seine Ja gibt. Bleiben noch die Komplexe „Höhe der Zahlungen an die Schulverlage” und (vorausgesetzt, die Software darf datenschutzrechtlich und -technisch eingesetzt werden), ob das Dienst-, Personal- und Mitbestimmungsrechtlich überhaupt sein darf.
Schulen bzw. Schuleinrichtungen sind dem kommunalen Bereich zuzurechnen.
Können Ministerien Schulen überhaupt verordnen, dass sie eine bestimmte Software einsetzen? Für eine Installation der Software müsste der Eigentümer doch mindestens zustimmen. Oder?
Ich vermute stark, dass die Antworten auf alle Fragen so lauten wird:
- Ist noch nicht geklärt. Wir prüfen den Vorgang.
Bei aller Zustimmung für viele Fragen, die gestellt werden:
Ist es denn nicht in Ordnung, wenn staatliche Stellen dafür sorgen, dass sich auf ihren Rechnersystemen ausschließlich legale Inhalte befinden?
Das bedeutet für mich natürlich nicht, dass sie dies „ohne Rücksicht auf Verluste” mit allen Mitteln durchsetzen können. Gerade die Bereiche Mitbestimmung und Datenschutz müssen natürlich sehr sensibel berücksichtigt werden. Aber das hat der Minister ja offenbar auch selbst so gefordert…
Ich denke, dass niemand, auch die Gewerkschaften und Berufsverbände, sich prinzipiell gegen Kontrollen aussprechen. Nicht zuletzt sind ja auch Lehrerinnen und Lehrer Empfänger der VG Wort-Gelder für Schulbücher.
Kritisch ist allein die Art und Weise des Vorgehens. Minister Klug hat sich gestern wegen des Datenschutzes klar geäußert. Das mit dem Mitbestimmungsfragen ist in meinen Augen noch nicht abschließend geklärt.
Da sind wir uns dann ja einig. Die Frage ist nur, muss man das politisch ausschlachten, oder wäre eine sachliche Begleitung dieser Maßnahmen — wie du sie im Artikel zu recht anmahnst — nicht der Sache dienlicher?
Es laufen einfach zuviele höchst unterschiedliche Gesichtspunkte durch diesen Kreuzungspunkt. Deshalb ist er prädestiniert für politischen Krach.
— Die Lehrkörper hätte man vielleicht früher und proaktiv einbinden müssen, um ihn mitnehmen zu müssen.
— In der der Netzpolitischen Szene spielte sicher ein gewisser Ärger mit, ein Thema fast ein Jahr nicht gesehen zu haben. Da muss man heute halt um so fleißiger sein.
— Du hast das Thema digitale Kopie in einem anderen Kommentar ins Spiel gebracht; auch viel zu selten diskutiert.
— Der in der Pädagogikszene (ist jedenfalls mein Eindruck) längst nicht aktiv genug gepushte Bereich Unterrichtsmaterialien -> Curricula spielt mit rein.
— Mir persönlich stieß eher die „Verpflichtung” gegenüber Dritten/Privaten, der Staat solle sich legal verhalten und verspreche, das zu überprüfen, übel auf. Ich halte das für eine Unverschämtheit. Behörden (und ihre Mitarbeiter) verhalten sich im Zweifel korrekt. Das muss ich nicht ohne Anlass überprüfen. Und wenn, dann fielen dutzende andere Dinge ein, in der ich eine Schule überprüfen/benchmarken würde, bevor ich relativ banalen Dinge wie 20 zuviel gefertigte Kopien überprüfe — wahrscheinlich ohne die in meinen Augen notwendige Struktur und das hierfür notwendige Mitarbeiterknowhow für Datenschutzrechtliche Belange zu fördern. Ich weiß nicht, was die Verhandlungsführer geritten hat, den Verlagen hier solche merkwürdige Versprechungen zu machen.