Noch bevor der Wahlkampf richtig begonnen hat, ereignen sich erste Merkwürdigkeiten: Die CDU stattet ihren Spitzenkandidaten per Computer auf dem Wahlplakat mit grünem Schal aus und packt ihn gelegentlich vor einen roten Hintergrund. Da ist es kein Wunder, wenn nicht nur Jost de Jager auf dem Plakat etwas verwirrt dreinschaut – sondern auch der Betrachter rätselt. Wahlplakate sollen doch die Aussagen umfangreicher Parteiprogramme, Strategien und gelegentlich sogar Charisma auf wenigen qm zusammenfassen. Da wundert man sich natürlich über die vermeintliche politische Farbenblindheit der CDU. Es ist ein peinliches Beispiel für den zentralen Zielkonflikt eines jeden Wahlkampfes: Einerseits habe ich eine bestimmte politische Position, andererseits muss ich darüber hinaus möglichst viele Menschen erreichen um zu gewinnen.
Beim Schmunzeln über diese Posse wird bisher ein viel spannenderer Umgang mit diesem Zielkonflikt übersehen. Die Kampagne der SPD „mein-lieblingsland.de“ hat kaum Aufmerksamkeit erfahren. Hier werden nicht die politischen Gegner ins Plakat einbezogen, sondern gleich das ganze Land. „SPD – die Schleswig-Holstein-Partei“ heißt es auf „mein-lieblingsland.de“. Das ist in zweifacher Weise wirklich neu: Zum Ersten erheben die Sozialdemokraten da Anspruch auf einen Claim – um mal in der Werbersprache zu sprechen – der CDU; gut 60 Jahre hat sich die CDU als Landespartei vermarktet und zeitweise sehr aktiv an einer Landesidentität gewerkelt. Diese konservative Arbeit an einer Landesidentität stand in einer Tradition von den Anfängen des Landes Schleswig-Holstein bis in die 1980er Jahre. Sie konnte an viel ältere Stränge noch aus der preußischen Zeit anknüpfen. Ihr stand ein reiches Arsenal aus Erinnerungsorten, Gedenktagen und Brauchtum zur Verfügung – lokal eifrig gepflegt von einem einflussreichen bürgerlichen Milieu. Am stärksten ausgeprägt war dies unter der früheren Lichtgestalt der CDU, Gerhard Stoltenberg. Dieser bezog sich selbst gar als „der große, klare aus dem Norden“ gleich in die Identitätsstiftung mit ein und war als Marke — um wieder die Werbersprache zu bemühen – äußerst erfolgreich. Unter seiner Führung entwickelte die Staatkanzlei Ende der 1970er beispielsweise den Schleswig-Holstein-Tag als Showbühne Stoltenbergs. Da wurde eine schleswig-holsteinische Identität recht bunt „von oben“ zusammengemischt. Das Volk durfte klatschen und konnte sich wohlfühlen, v.a. aber wählte man alle paar Jahre passend. Ein „echter“ Schleswig-Holsteiner musste danach konservativ sein. Und dies zeigte lange Wirkung. Die CDU regierte 38 Jahre am Stück. Die Sozialdemokraten arbeiteten sich an diesem unique selling point – wieder die Werber — jahrzehntelang immer nur ab. Sie kritisierten, hinterfragten (wenn auch unter Heide Simonis sehr viel weniger). Seit den 1980er Jahren trug das einstige CDU-Erfolgsmodell der Identitätsstiftung über diese numinose Heimat nicht mehr so recht. Anders als die CSU in Bayern mit ihrem Claim von „Lederhose und Laptop“ hatte die schleswig-holsteinische CDU zu lange an alten Identitätsangeboten festgehalten, die höchstens noch im sehr ruralen Milieu unangefochten waren. Man kann sagen, dass die CDU den Heimatbegriff für den politischen Nutzen regelrecht abgewirtschaftet hatte. Zuletzt lächelte Peter-Harry Carstensen neben dem ausdruckslosen Slogan „Heimat, Aufschwung, Zukunft“ vom Wahlplakat. Es schien, dass die letzte Schwundstufe erreicht sei.
Und nun die Überraschung: Plötzlich ist die SPD die Schleswig-Holstein-Partei und die Genossen treten mit Herz-Buttons am Revers auf. Aber, was wollen die uns denn nun als unsere Heimat verkaufen? Das Übliche, Erwartbare ist dabei, klar; ohne die weiten Horizonte, das Meer und ähnliche Requisiten ist in der Bildsprache wohl nicht auszukommen. Die vermittelte Botschaft ist jedoch neu. Die Kampagnenseite erklärt: „Unser Lieblingsland ist die Summe vieler einzelner starker Teile. Doch der stärkste Teil sind die, die hier leben: wir! Wir haben es in der Hand, wie es mit unserem Lieblingsland weitergeht.“
Da ist der zweite Punkt, der diese Kampagne heraushebt. Die Menschen bekommen kein Bild präsentiert, wie Schleswig-Holstein immer schon war und wo ihr Platz auf der Scholle ist. Als eine Art Endmoräne des SPD-Demokratiesommers, in dem Torsten Albig durchs Land reiste und mit den Bürgern sprach, können die Schleswig-Holsteiner im Internet selbst SPD-Plakate zu ihrem Land und mit ihren Slogans gestalten. Dann wird abgestimmt und der beliebteste Entwurf wird großflächig plakatiert. Sie sind keine bloßen Konsumenten von Heimattümelei, sondern im Jargon des Web2.0 „Prosumenten“ (Produzenten und Konsumenten) ihrer Landesidentität zugleich. Der Blick geht also nicht in die Vergangenheit, um die Gegenwart zu erklären. Im Gegenteil sollen die Menschen selbst angeben, was Ihnen wichtig ist, wie Schleswig-Holstein aussehen soll. Die Identitätsstiftung ergibt sich daraus, dass alle gemeinsam für die Zukunft anpacken – eine Heimat 2.0 schaffen.
Gut, so ganz neu ist die Idee nicht. Robert Habeck hat ein ähnliches Konzept des „linken Patriotismus“ bereits vor ein paar Jahren als Buch auf den Markt geworfen. Aber das ist ein Thema des Spitzenkandidaten, nicht seiner Grünen. Und auch für das Wahlkampfmotiv gibt es Vorläufer. Björn Engholm ließ bereits plakatieren: „Stell Dir vor, es gibt eine Regierung, die hört Dir zu!” Aber hier wird in einer Kampagne gemeinsam eine zukunftsweisende Identität gesucht, in der alle Menschen als Akteure mitwirken können. Das ist wirklich neu und auf der Höhe der Generation „Gefällt mir“.
Die politischen Gegner haben die Tragweite dieses Identifikationsangebots, dieser Aneignung von Heimat 2.0 nicht verstanden. So sieht der meinungsfreudige Wolfgang Kubicki in Albigs Lieblingsland eine Utopie (Kleine Parteien nehmen sich Albig zur Brust, SHZ, 13.12.2011). Mal abgesehen davon, dass Kubicki offensichtlich generell nicht um die Kräfte, die Utopien in den Köpfen entwickeln können, weiß: In diesem auf die Zukunft gerichteten Verständnis von Schleswig-Holstein steckt vielleicht der Schlüssel zum Wahlsieg. Heimat 2.0 kann der SPD das Etikett der Mitte verleihen. Anscheinend mögen die Menschen das Präsidiale, das von der politischen Auseinandersetzung Enthobene. Sie wählen Leute wie Angela Merkel und Olaf Scholz, denen sie zuschreiben, alternativlos bzw. vernünftig zu regieren. Die Lieblingsland-Kampagne kann es schaffen, Torsten Albig dieses Etikett ebenfalls zu verpassen. In den Worten Torsten Albigs wird es kein „auf Konflikt und Krawall angelegter Wahlkampf, in dem ich mich mit dem CDU-Spitzenkandidaten verbal prügele“(Die Wahl ist noch weit weg, SHZ, 11.12.2011). Das neue Konzept ist Ausdruck des Strebens nach der Mitte. In kurz: Wer glaubhaft für sich beanspruchen kann, „unser“ Land zu vertreten, der hat die Mitte – und damit den Wahlsieg.
Mein-Lieblingsland ist Heimat 2.0 — zum mitgestalten. Es ist nicht mehr der Versuch, über eine Auswahl von Lokalkolorit politische Einstellungen als typisch oder normal für ein ganzes Land zu behaupten. Die SPD will Vielfalt. Für sie ist Schleswig-Holsteins Kultur in den Worten Albigs sowohl Theodor Storm als auch Rötger Feldmann. Aber das Gegenteil der „alten“ Heimat ist es bei aller Vielfalt und Beteiligungsmöglichkeiten auch nicht automatisch. Es besteht immer die Gefahr, dass wohlfeile Landlust-Romantik die unbequemen politischen Streitpunkte aus der Wahrnehmung verdrängt. Diese Heimat fänden dann zwar alle gut, sie wäre aber auch ziemlich beliebig. Ein derartiger Konsens mag kurzfristig gemütlich sein, er trägt jedoch kaum über den Wahlsieg hinaus. Das Lieblingsland zeichnet sich nicht nur durch kulturelle Vielfalt aus; es gibt eben auch nicht das Eine, gemeinsame politische Interesse, sondern viele verschiedene. Dies gilt umso mehr in Zeiten der Schuldenbremse und des strikten Sparkurses. Es wird hart verhandelt werden müssen, wohin Geld gehen wird und für was keines mehr da sein soll.
Nun liegt es erstmals in den Händen der Bürger als Prosumenten ihr Lieblingsland zu beschreiben und dabei nicht nur Landlust, sondern v.a. politische Verantwortung für das Land einzufordern. Entscheidend ist nicht der blanke Hans, sondern dass Hans blank ist. Die Idee zu mein-Lieblingsland ist innovativ; wenn sie funktioniert, wird der Konsens hinterher im Parlament gefunden werden und nicht schon im Vorgriff auf der Litfaßsäule.
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Ich stimme mit ein — bei einem solchen, scheinbar neutral bewertendem Text erst durch Klick auf das Autorenprofil zu erfahren, dass der Autor zumindest im Verdacht der Befangenheit steht, ist unzureichend. Da sind selbst die Verlage weiter — schreibt z.B. die Medienseite der Financial Times Deutschland über RTL, so wird dort direkt im Text angemerkt, dass man zum gleichen Konzern gehört. Das muss ich als Leser nicht erst selbst im Impressum nachlesen.
Als reger Leser bitte auch ich hier um Besserung (denn die Analyse ist ja nicht falsch, wird aber irgendwie schal…)
Als Thilo heute morgen seine Kritik äußerte, stand „Dr. Knud Andresen, 30, wohnt in Kiel und arbeitet an einer Schnittstelle zwischen Politik und Kultur. Er ist Mitglied der SPD” noch nicht im Autorenprofil Autorenprofil. Dies war ein Versäumnis von mir, als ich gestern Abend den Autorenstammsatz anlegte; Knud Andresen hatte mir die Daten geliefert. Ich habe den Text gegen 10.00 Uhr nachgetragen. Ich kann mal schauen, ob ich die Autorenbox stets unter den Text erscheinen lassen, dann tauchen solche Mißverständnisse, für die ich mich gern entschuldige, nicht mehr auf.
In der Sache verstehe ich ehrlich gesagt nicht, warum der Artikel als Lob der Kampagne begriffen wird. Der Autor leitet die Argumenatation der Kampagne zwar her, resümiert dann aber: „Es besteht immer die Gefahr, dass wohlfeile Landlust-Romantik die unbequemen politischen Streitpunkte aus der Wahrnehmung verdrängt. Diese Heimat fänden dann zwar alle gut, sie wäre aber auch ziemlich beliebig. Ein derartiger Konsens mag kurzfristig gemütlich sein, er trägt jedoch kaum über den Wahlsieg hinaus”. Das ist für mich eine recht deutliche Kritik an der Kampagne.
Also ich kann da keine Kritik an der SPD-Kampagne erkennen, da das da ja eher so ist, dass sich jeder selber sein Plakat zusammenklickt.
Wobei ich den Satz nicht verstehe: „Die Idee zu mein-Lieblingsland ist innovativ; wenn sie funktioniert, wird der Konsens hinterher im Parlament gefunden werden und nicht schon im Vorgriff auf der Litfaßsäule.”
Welcher Konsens? Wer findet den?
Auch ich sehe den Artikel der Kampagne gegenüber nicht kritisch. Muss er ja auch gar nicht sein. Dass der Hinweis auf die Parteimitgliedschaft des Autoren fehlte, ist schade. Aber Fehler passieren. Swen hat diesen eingestanden, ihn behoben und sich darüber hinaus dafür entschuldigt.
Ich finde, ein einfacher Hinweis oder eine Nachfrage hätten gelangt. Aber jede Mücke freut sich, wenn sie auch einmal zum Elefanten werden darf…
Ob man nun wissen kann ob Knud SPD Mitglied oder gar Funktionär ist, spielt ja gar keine Rolle. Ich kann mich erinnern das in den Anfängen des Landesblogs die Autorenbox sichtbar unter dem Artikel war. Dies sollte Swen bitte wieder einführen, es verhindert Irritationen.
Auch ob die SPD Kampange nun Kritisch oder Euphorisch betrachtet wird ist relativ egal, denn für mich geht es in dem Beitrag um mehr als nur Selbstbeweihräucherung. Es wird vor allem die Einbindung des Bürgers positiv hervorgehoben. Was ja nur ein Punkt der Kampagne ist. Ein Punkt der mir bei aller „Heimatverliebtheit” von Mein-Lieblingsland, sehr zuspricht.
Mitmachen kann jeder.
Das ist doch was Positives und wird sich in den kommenden Kampagnen der Parteien sicher wieder finden.
@ Oliver Fink: Mücken ärgern mich im Alltag allerdings deutlich mehr als Elefanten. Die stehen im Zoo und stören nicht weiter ;-)
Okay… :D
In einer Sache irrt Knud Andresen.
Er schreibt: „Dann wird abgestimmt und der beliebteste Entwurf wird großflächig plakatiert.”
Auf der Website der Aktion wird das anders dargestellt: „Aus allen eingesendeten Plakaten wählt eine Jury mit Torsten Albig ein Siegermotiv aus.”
Das ist verständlich, damit man nicht die hochgevotete Kampagne der Piraten plakatieren muss (könnte passieren) oder irgendein anderes Motiv, unter dem man das SPD-Signet nicht sehen möchte.
Andererseits zieht es der „Prosumer”-Story samt Identifikation doch ziemlich den Zahn: Plakatiert wird nicht, womit sich die Teilnehmer am meisten identifizieren, sondern was die SPD für passend und kampagnenwirksam hält.
Die Kontrolle abzugeben, wirklich das zu plakatieren, was am meisten Zustimmung in der Netzgemeinde, das wäre tatsächlich mutig gewesen. Und hätte sicher auch stark zur Teilnahme animiert.
So fällt das ganze doch eher zurück in einen üblichen Ideen-Einsendewettbewerb ab, wie ihn zuletzt die Uni Kiel mit ihrem Slogan vergeigt hat.
Was mir an der „Lieblingsland-Kampagne” zuerst auffiel, war die Infantilisierung des Wahlvolkes. Man hat sich an kurze, knappe Botschaften auf den Wahlplakaten (und in Statements jeder Art) gewöhnt — aber „Lieblingsland”? Wirklich?
Mein Lieblingsland heißt Bullerbü.