Ein Listenkandidat einer Partei findet, dass sein Beruf zu seiner Privatsphäre gehöre. Geht das?
Diskussionen über Transparenz in der Politik gibt es seit Jahren. Glaubt man Umfragen und Meinungsforschern, dann erhöht sich gleichwohl mehr und mehr die Vorstellung, die Bevölkerung habe in politische Prozesse im Allgemeinen und Politiker im Besonderen kein Vertrauen (mehr). Reden allein genügt also nicht.
Soweit es um die politische und administrative Prozesse geht, können wir – auch dank fortschreitender Digitalisierung von „Vorgängen“ – mit faktisch jederzeit öffentlich einsehbaren und barrierefrei zugänglichen Informationen eine gewisse statische Durchschaubarkeit schaffen („gewisse“, weil Öffentlichkeit allein nicht auch schon Verständlichkeit schafft). Politische Transparenz umfasst über die statische Bereitstellung hinaus auch die Möglichkeit zur Kommunikation und Partizipation.
Dass dies auf der Agenda der Politik steht, verdanken wir auch Ereignissen wie Stuttgart 21 und der Arbeit der Piratenpartei, zu deren Hauptforderungen die Schaffung von politischer Transparenz gehört.
Transparenz kann kein Vertrauen schaffen
„Transparenz kann kein Vertrauen stiften“ hat Christoph Kappes als Sachverständiger gegenüber der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages ausgeführt:
„Transparenz betrifft informatorische Sachverhalte in Vergangenheit und Gegenwart, Vertrauen aber ist immer eine Erwartung an Verhalten in der Zukunft. Transparenz kann kein Vertrauen stiften. Vertrauen wird erlernt oder verloren, wenn Personen Handlungsfreiheit in diese oder jene Richtung nutzen. Gegenüber jemandem, der ständig beobachtet ist, kann man kein Vertrauen entwickeln. Daher steht die Forderung nach Transparenz in der Zukunft in einem Spannungsverhältnis zu Vertrauen wie Kontrolle zu Vertrauen.”
Ebenso argumentiert Byung-Chul Han, Professor für Philosophie und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Er vertritt in einem Artikel in der ZEIT die Meinung, das gern benutzte Motto „Transparenz schafft Vertrauen“ verberge in sich einen Widerspruch: „Vertrauen ist nur möglich in einem Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen. Vertrauen heißt, trotz Nichtwissen gegenüber dem anderen eine positive Beziehung zu ihm aufzubauen.“ Und: „Die Forderung nach Transparenz wird gerade da laut, wo kein Vertrauen mehr vorhanden ist. Die Transparenzgesellschaft ist eine Gesellschaft des Misstrauens, die aufgrund des schwindenden Vertrauens auf Kontrolle setzt.“ Der Umkehrschluss „Keine Transparenz schafft Vertrauen“ ginge fehl, denn nicht die Transparenz sondern ihr Abgleiten in die Kontrolle, ihre „Ideologisierung, Fetischisierung oder Totalisierung“, steht in der Kritik.
Wir brauchen also Transparenz. Aber nicht nur. Fordern wir Transparenz auch von den Akteuren (damit meine ich nicht die auf die Offenlegung jeglicher Privatsphäre schielende „post-privacy“ Diskussion), verlassen wir also den institutionellen Teil, schauen wir auf deren Handeln oder Verhandeln. Für Kappes geht die Entwicklung (auch dank Informationstransparenz und Social-Media-Profanität) dahin, dass „Politik noch weniger inszeniert werden kann, noch weniger durch Symbolakte geschieht und noch weniger durch emotionale Aufladung wirken kann.“ Mehr Sachlichkeit also und mehr Authentizität.
Dies kann aber nur geschehen, wenn 1.) die handelnden Akteure diese Kulturtechniken beherrschen (wer ab und an Debatten in Parlamenten verfolgt, weiß, dass das ein weiter Weg ist) und 2.) wir den Akteuren wegen ihres (authentischen, sachlichen und kompetenten) Seins und Handelns Vertrauen schenken wollen.
Verlust an Privatsphäre
Damit wir einer Person Vertrauen schenken können, dürfen wir sie nicht durch Orwellsche Überwachung, die als Transparenz getarnt auftritt, kontrollieren. Das wäre so widersprüchlich. Ist die Person Abgeordnete, wäre das zudem unmöglich, denn der Abgeordnete ist keine Marionette, sondern allein seinem Gewissen unterworfen und damit notwendigerweise mit etwas ausgestattet, was sich jeder äußeren Kontrolle und Überwachung entzieht. Jenseits seines Gewissens jedoch sind sein Handeln, seine Geschichte und seine Verflechtungen nicht allein Privatsphäre sondern immer auch im Fokus des Volkes, das er zu vertreten gewählt wurde. Wer ein öffentliches Amt wahrnimmt, Volksvertreter sein möchte, der verliert Privatsphäre.
Aus dieser Grundidee sind, auch durch das Bundesverfassungsgericht, Offenbarungspflichten für Abgeordnete entstanden, die sich unter anderem in Verhaltensregeln manifestiert haben. Die Regeln wollen Transparenz erzeugen, die die Abgeordneten zu „regelkonformen Verhalten“ anhält, ohne zu sanktionieren: „Es ist an der informierten Öffentlichkeit, den Wählern, die Konsequenzen zu ziehen, indem sich die Wahlchance des Abgeordneten (und ggfs sogar seiner Partei) verschlechtern.“ (Jürgen Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip)
Verhaltensregeln
Die in Schleswig-Holstein geltenden Regeln sind, um Vertrauen in den Politiker setzen zu können und Korruption und Bestechlichkeit zu verhindern, sich noch verbesserungsfähig. Neben den Tätigkeiten und Funktionen in Vereinen oder Verbänden würde ich mir zum Beispiel eine Aufzählung aller Mitgliedschaften wünschen.
Die persönlichen Angaben der Abgeordneten (als Beispiel Herr Dr. Abercron – weil er der Erste im Alphabet ist) geben schon jetzt einen guten Überblick. Angaben über Umstände, die – mittlerweile – einmütig der privaten Sphäre zugeordnet werden (wie etwa Familienstand, Zahl etwaiger Kinder, Religionszugehörigkeit), unterliegen der Freiwilligkeit. Nach den Vorstellungen der Opposition sollten die weiteren Angaben nach den Verhaltensregeln für die Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages jedoch in bestimmten, finanziellen Bereichen erweitert werden.
Kleine Abweichungen (wie etwa das Fehlen eines Geburtstages) kann man lächelnd hinnehmen. Und sicher gibt es Grenzbereiche, über die man streiten kann: Herr Kubicki hat z.B. (als einziger Abgeordneter) erklärt, dass er – aufgrund seines informationellen Selbstbestimmungsrechts – bestimmte Verhaltensregeln nicht einhalten und diesbezüglich keine Angaben machen wird. Nun ist es also am Wähler zu entscheiden, ob ihm dieses Verhalten Respekt abringt und Vertrauen einflößt – oder eben nicht.
Selbstverständliches
Worüber man heute nicht mehr streitet, sind Angaben über Nebentätigkeiten, Funktionen in Unternehmen oder berufliche Tätigkeiten. Wir wollen wissen, woher ein/e Abgeordnete/r ihr/sein Geld bezieht, bei und für wen sie oder er gearbeitet hat, bevor sie/er ihr/sein Mandat errang. Das ist auch legitim: Wir erfahren etwas über ihre Kompetenz, ihre Erfahrung, ihre Zugehörigkeit zu einem Klientel. Wir wissen dann auch um ihre finanzielle Abhängigkeit, denn sie genießen – sofern sie nicht selbstständig waren – den Kündigungsschutz für Abgeordnete. Sie können also in den alten Beruf zurückkehren und sind ebenso frei wie sie Einflüssen und Zwängen ausgeliefert sein können. Wir wählen nämlich keine Abstimmungsmaschinen oder Katzen im Sack sondern Menschen, die unsere Interessen vertreten sollen, denen wir also vertrauen können wollen.
Bis gestern (23. April) hatte ich gedacht, dass man solche Dinge nicht mehr aufschreiben muss. Doch dann las ich ein Portrait in der taz über Dr. Patrick Breyer, der auf Platz vier der Landesliste der Piratenpartei für die Landtagswahl am 6.Mai steht: Der private Herr Breyer In dem Artikel heißt es: „Für wen der Jurist arbeitet, sagt er nicht. Passt das zur Transparenz, die Piraten fordern? ‚Was wir für andere machen, muss transparent und öffentlich laufen.‘ Sein Job gehört für ihn zur Privatsphäre. Und was ist mit Interessenkonflikten? ‚Wenn wir Erfolg haben, dann bin ich dort nicht mehr beschäftigt.‘“
Ach ne!? Ich fürchte, da hat jemand etwas ganz Grundsätzliches noch nicht verstanden. Wer meint, dass sein Job zu seiner Privatsphäre gehört und den Wähler und die Öffentlichkeit nichts angeht, der soll sich bitte fragen, ob er das Mandat des Abgeordneten in seiner gesellschaftlichen Tragweite wirklich verstanden hat. Abgeordnete sind weder an ihre Partei noch an ihre Fraktion gebunden. Sie sind an keinen Auftrag der Wähler gebunden sondern allein ihrem Gewissen unterworfen. Aus dieser Freiheit des Mandats ergibt sich, wie ich oben begründet habe, eine immanente Pflicht zur Offenlegung gegenüber den Wählerinnen und Wählern.
Wem, wie Breyer, die Offenlegung der Nebeneinkünfte wichtig ist, und wer, wie Breyer, den gläsernen Abgeordneten a la Ulrich Kelber fordert, dem kann es doch nicht egal sein, womit ein Abgeordneter vor dem Mandat sein Geld verdient hat. Zumal, wenn er einen Beruf ausübt, der von Verfassung wegen personifizierbar ist. Der gesetzliche Richter ist per Geschäftsverteilungsplan bekannt. Auch beim Amtsgericht Meldorf.
Update: In der ersten Fassung des Artikels stand, dass bei den persönlichen Angaben Aussagen zum Familienstand, der Zahl etwaiger Kinder oder der Religionszugehörigkeit fehlten. Das ist, wie der beigefügte Link exemplarisch zeigt, nicht richtig. Ich habe den Satz korrigiert.
Pingback: Patrick Breyer » Zum taz-Portrait “Der private Herr Breyer” [ergänzt] (Piratenpartei) - Klarmachen zum Ändern!
Patrick Breyer schreibt:
„Landesblogger Swen Wacker (…) hat im Internet herausgefunden, dass es am Amtsgericht Meldorf einen Richter meines Familiennamens gibt, und zieht daraus den Schluss, dass es sich um mich handeln müsse. Das entspräche den Grundsätzen journalistischer Sorgfalt dann, wenn jeweils nur eine Person pro Familiennamen in einem Ort wohnen oder arbeiten würde.”
Im Internet kann man auch (auf der ziemlich unsäglichen Seite vaeternotruf.de, die aber das Handbuch der Justiz im wesentlichen fehlerfrei abgetippt hat und aktualisiert) nachlesen, dass Dr. Patrick Breyer, Jahrgang 1977, am Amtsgericht Meldorf als Richter tätig ist. Ich finde es ja aller Ehren wert, bei einem politischen Engagement nicht öffentlich das Richteramt herauszukehren. Das „Outing” aber damit zu kommentieren, es entspreche nicht der journalistischen Sorgfaltspflicht, finde ich durchaus etwas, nun, albern.
Jedenfalls teilen alle Piraten der Landesliste Schleswig-Holstein Deine Ansichten nicht, lieber Sven. In der offiziellen Aufstellung der Landeslisten (http://www.schleswig-holstein.de/LWL/DE/Landtagswahl/PDF/landesliste12__blob=publicationFile.pdf) fehlen alle Angaben zu Alter und Hauptwohnsitz.
Transparenz, Piraten-Style.