Im Herbst 2011 führte der Hamburger Verkehrsverbund ein generelles Alkoholverbot in öffentlichen Verkehrsmitteln ein, ähnliche Pläne gibt es auch in anderen Bundesländern und einzelnen Verkehrsbetrieben. Oliver Malchow, neuer Bundeschef der Gewerkschaft der Polizei und Leiter der Kieler Kriminalpolizeistelle, forderte jüngst (in den Kieler Nachrichten) ein Bundesgesetz, welches den Genuss von Alkohol im Nahverkehr verbietet. Gründe hierfür seien vor allem eine steigende Anzahl von Gewalttaten unter Alkoholeinfluss, aber auch Vandalismus und Belästigung. Auch der Chef des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg forderte 2012 in einem Brief an Innenminister Friedrich die bundesweite Rechtsgrundlage, laut einer Forsa-Umfrage stimmten 74% der Berliner mit dieser Forderung überein. Das Innenminsterium sowie das Verkehrsministerium fühlten sich aber nicht dazu berufen, diesen Forderungen nachzukommen.
Auch in der Redaktion des Landesblogs sind die Meinungen zu diesem Thema unterschiedlich. Die Autoren Philipp Neuenfeldt, Sebastian Maas und Melanie Richter wollen die gegensätzlichen Standpunkte im Folgenden in Pro/Contra Form darstellen.
„CONTRA: Das Leben mit Vollen in Zügen genießen”
Wer ist das Problem? Die heitere Gruppe eines Sportvereins und Musikfans, die mit Bierdosen in der Hand zu einem Spiel oder Konzert fahren? Oder die stark angetrunkenen und torkelnden Partygänger, die sich auf dem Heimweg befinden? Wenn es zu Gewalttaten unter Alkoholeinfluss kommt, waren die Täter vor dem Zustieg nüchtern?
Ein Verbot von Alkohol„genuss” im ÖPNV verhindert nicht, dass Betrunkene sich daneben benehmen. Und wer soll das Verbot durchsetzen? Soll der Fahrkahrtenkontrolleur sich nun auch mit Betrunkenen prügeln? Als Metronom 2009 das Alkoholverbot in ihren Zügen durchsetzte, verstärkten sie zudem die Kontrollen und das Sicherheitspersonal — mit jährlichen Kosten von 1,6 Millionen Euro. Ich sehe in dieser Maßnahme eine größere Erfolgschance als darin, auf eine Flasche Bier ein Bußgeld zu erheben.
Eine mögliche Gesetzesänderung sollte also eher die Handhabe von Randalierern in Zügen vereinfachen. DB-Vorstandsmitglied Gerd Becht sagte bereits 2012, ein wirksameres Mittel wäre die Möglichkeit, störendes und den Betrieb aufhaltendes Verhalten mit Bußgeldern zu belegen. Natürlich soll Betrunkenen dabei nicht komplett die Fahrt im ÖPNV verboten werden, schließlich hat man sie noch lieber im Zug oder Bus als hinter dem Lenkrad.
Bei der Deutschen Bahn darf man übrigens auch Bier im Bordrestaurant bestellen. Es ist ja nicht alles schlecht.
(sma)
CONTRA: „Nicht jedes Bier macht zum Randalierer”
Vandalismus ist ein Problem und kostet die Bahn viel Geld, aber rechtfertigen die anteilig relativ wenigen Alkohol„genießer”, die sich dann der Sachbeschädigung schuldig machen, ein allumfassendes Alkoholverbot? Meiner Meinung nach nicht, denn der überwiegende Teil der Reisenden konsumiert das eine oder andere Feierabendbierchen beim Nachhausependeln oder trinkt fröhlich im Rahmen eines gemeinsamen Ausflugs. An dieser Stelle könnte man die Lärmbelästigung durch die Angeheiterten ins Feld führen, doch auch diese sind im Grunde erträglich, vor allem kleinere Mitreisende können auch ordentlich laut sein und es sollte einen im Grunde nicht stören.
(mr)
PRO: „Weniger Dreck und Belästigung”
Verbote kommen nie gut an. Zumal wenn sie einen vermeintlichen Ausdruck von Lebensfreude oder das Leben im öffentlichen Raum im Allgemeinen betreffen. Ordnungspolitisch wollen sie stets sorgsam abgewogen werden. Der Eingriff in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger will einen Mehrwert in einem Mehr an Sicherheit oder im Schutz Dritter wissen.
Ein Alkoholverbot im Fernverkehr steht nicht zur Diskussion. Das betont die DB immer wieder. Die Anzahl der Fälle, in denen sich Fahrgäste von alkoholisierten Mitreisenden gestört fühlen, liegt ohnehin weit hinter der im Nahverkehr. Das beliebte Contra-Argument, im Bordbistro der DB werde ja auch Alkohol ausgeschenkt, greift deshalb ins Leere.
Zwei Gründe sprechen aus meiner Sicht für ein Alkoholverbot im Nahverkehr der Bahn, wie es bereits in vielen Städten und Verkehrsverbünden gilt. Der Schutz Mitreisender sowie die Auswirkungen auf nachgelagerte Kosten wie etwa Müllentsorgung.
- Der Nahverkehr wird vor allem von Pendlern genutzt. Nicht nur, weil darunter auch viele Schülerinnen und Schüler sind, sondern weil auch erwachsenene Pendler bei ihrer Fahrt nach einem Arbeitstag nur bedingt Sympathien für alkoholisierte Mitreisende aufbringen, steht ihr Schutz aus meiner Sicht höher als das Grundrecht der Trinkenden auf — ja, auf was eigentlich?
Die Niederlage der Stadt Freiburg i.Br. vor dem Verwaltungsgericht war dem Umstand geschuldet, dass die Regelung „zu pauschal” sei. Wie immer ein Landesgesetz aussehen soll, das den Alkoholkonsum im Nahverkehr verbietet, es sollte also sorgsam geprüft werden im Vorfeld. Eine Landesregelung hätte aber vermutlich vor den Richtern bessere Karten als eine nur stadtteilbezogene wie in Freiburg.
Auch wenn alkoholisierte Fahrgäste nicht generell von der Fahrt ausgeschlossen würden, bei einem landesweiten Alkoholverbot im Nahverkehr erhöhte sich die Lebensqualität der übrigen Reisenden doch wirksam. Am Ende sollte zudem nicht vergessen werden, dass es sich um eine — wenn auch legale — Droge handelt. Und ein Rauchverbot — zunächst lange hart umkämpft — mag heute auch kaum mehr in Frage stellen, stellt es doch einen wirksamen Schutz vor dem passiven Konsum in Gaststätten, dem ÖPNV etc. dar und verringert die Anzahl an Fällen, die bislang Nichtabhängige den Konsum in der Öffentlichkeit „vorgelebt” bekommen. - Was sich einem nach dem Gang durch den Regionalzug an der Endstation zeigt, ist ein ernüchterndes Bild, nicht selten rollen Bierflaschen unter den Sitzen, liegen Fastfood-Verpackungen auf ihnen und quellen die Mülleimer an den kommunikativen Vierersitzen über. Bei der niedersächsischen „Metronom” wusste Pressesprecher Grützmacher 2012 von einem Rückgang des Müllaufkommens von 163 auf 55 Tonnen zu berichten. Jeden Monat.
Auch Fälle von Vandalismus nähmen durch ein Alkoholverbot ab, wird berichtet.
Und noch ein allgemein-ästhetisches Argument. Wäre es nicht schön, durch einen Regionalzug gehen zu können, ohne an mindestens einer Reisegruppe vorbeizukommen, deren Bierduft die Luft mit Abscheu und latenter Aggresivität erfüllt? Nach mehrstündiger Fahrt im ICE und Umstieg in Hamburg ist das jedenfalls mein dringendster — gleich nach dem Wunsch, endlich zu Haus zu sein.
(pn)