
Kleingärten in Kiel / https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.deCC-BY
Seit einiger Zeit verfolge ich nun schon die Diskussion um die Ansiedlung von Möbel Kraft an der Auffahrt zur A215 in Kiel, direkt neben dem IKEA. Die Argumente lassen sich grob zusammenfassen mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Unterstützung des lokalen Baugewerbes. Die Argumente dagegen umfassen den Schutz der Kleingärtner, die Erhaltung der Grünflächen und die Angst vor einem weiteren Verlust von Kaufkraft in den Innenstadtlagen. Der Streit wird aus meiner Sicht recht emotional geführt und mündet nun wohl in einer Bürgerabstimmung, wenn ich den Berichten der KN zu diesem Thema richtig gefolgt bin. Ich bin Unternehmer und mein Herz schlägt grundsätzlich für wirtschaftliches Wachstum, so dass ich grundsätzlich den Argumenten für eine Ansiedlung zustimmen möchte. Leider hat sich aber das Marktumfeld stark verändert – die Sinnhaftigkeit der großen 50.000m² Möbelhäuser ist mehr als fraglich geworden und damit zweifle ich auch sehr stark die wirtschaftliche Nachhaltigkeit einer Möbelkraftansiedlung in Kiel an.
Ich beschäftige mich beruflich seit geraumer Zeit intensiv mit den Veränderungen in der Möbelbranche. Es gibt ein paar wichtige Entwicklungen, die langfristig den Möbelhandel so verändern, dass große Möbelkaufhäuser kaum noch sinnvoll sind. Die wichtigste Veränderung liegt im boomenden Onlinehandel.
Das Internet verändert das Kaufverhalten
Im traditionellen, stationären Handel überlegen die Kunden zunächst, zu welchem Anbieter sie gehen, um nach einem neuen Sofa zu schauen und es dann zu kaufen. Online suchen sich Kunden zuerst ein Produkt aus und schauen dann, wo sie es kaufen können. Eine Ausnahme sind starke Marken von Herstellern oder Händlern. Bei IKEA zum Beispiel sucht die Kundschaft die Webseite auf und schaut, welche Sofas angeboten werden.
Möbel Kraft hat aber anders als IKEA oder auch VITRA keine so starke Marke. Kaum jemand sucht nach „Möbel Kraft Sofa” online. Möbel Kraft wird also kaum von dem Onlinehandel profitieren können. Den Effekt habe ich in einem Artikel auf Kassenzone.de beschrieben.
Online-Handel wächst massiv
Bisher konnten die Kritiker des Onlinehandels noch argumentieren, dass Leute auch weiterhin bei ihrem Möbelhaus vor Ort kaufen wollen. Dazu kommt, dass das Onlineangebot noch nicht so umfangreich ist. In den letzten zwei Jahren hat der E-Commerce allerdings massiv zugenommen. Selbst zurückhaltende Prognosen gehen davon aus, dass in den nächsten fünf bis sieben Jahren ca. 50 Mrd. Euro zusätzlich online umgesetzt werden. Das sind ca. 20% des gesamten Einzelhandels ohne Lebensmittel, Apotheken, KFZ und Kraftstoffe (grüne Linie in der Grafik) und umfasst auch die Möbelbranche. Möbelhändler ohne starke Händlermarken werden es daher schwer haben zu überleben und gegen aufstrebenden Onlinehändler — die „Amazons” des Möbelhandels — zu bestehen. Zwar wird bisher nur ein kleiner Teil des 40 Mrd. Euro Möbelhandels online gehandelt, aber seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass bis 2020 5 – 7 Mrd. Euro des (Möbel-) Gesamtmarktes online gehandelt werden.
Diese beiden Effekte aus dem Onlinehandel wirken sich also massiv nachteilig für Möbel Kraft aus. Für eine starke Marke wie IKEA wird der Effekt wohl neutral ausfallen. Die werden zwar Online-Umsätze hinzugewinnen, aber weniger Mitnahmeprodukte (Deko, Batterien, Kleinkram) über den Onlineshop verkaufen können. Diese Produkte sorgen heute für einen großen Teil des IKEA Gewinns. IKEA steht in Deutschland für Möbel wie Mediamarkt für Elektronik. Sie sind unter den Top 5 Handelsmarken in Deutschland und Möbelkraft ist im Vergleich dazu eine eher schwache Möbelmarke. Warum sollte ein Kunde zu Möbelkraft fahren und nicht zu IKEA, wenn die Auffahrt nur 100m weiter ist? Noch kritischer wird diese Frage, wenn man sie auf den Onlinekanal bezieht.
Bisher hält sich unter Möbelhändlern zwar beharrlich die Aussage, dass Möbel nicht online handelbar sind wie Schuhe, Bücher oder Kleidung, aber das Wachstum aktueller Möbelhändler (Home24, Amazon, Avandeo….) beweist das Gegenteil. Die Aussage „Kunden wollen das Sofa vorher Probe sitzen.“ hat nahtlos das Mantra der nun insolventen Schuhhändler „Kunden wollen den Schuh vor dem Kauf anprobieren.“ ersetzt.
Billiges Geld für neue Möbelhäuser
Die Kalkulation eines großen Möbelhauses läuft über 20 – 30 Jahre. Möbel Kraft dürfte durch die aktuelle Zinslage und die gute Bonität zudem einen erheblichen Teil der Investitionen über Banken finanzieren können. Und wenn man sich mal in die heutige Lage eines Möbelhändlers versetzt, dann gibt es kaum bessere Anlagemöglichkeiten als neue Möbelhäuser zu bauen.
Ich befürchte aber, dass spätestens 3 – 5 Jahre nach der Fertigstellung des neuen Möbel Kraft Hauses die Umsätze in den schlechteren Standorten (z.B. Segeberg) so stark gesunken sind, dass ein Weiterbetrieb langfristig kaum vorstellbar ist. In dem oben bereits verlinkten Interview mit der WELT sagte der Inhaber von Möbel Kraft, Kurt Krieger:
Die Welt: Sie wollen neue Märkte eröffnen, Ikea will es und die Lutz-Gruppe auch. Wer soll in all diesen neuen Häusern einkaufen?
Krieger: Sehen Sie mal in andere Einzelhandelssegmente: Bei Baumärkten gibt es noch fünf oder sechs relevante Anbieter, bei Drogeriemärkten nach der Schlecker-Pleite noch drei. Ein ähnlicher Prozess läuft auch bei Möbelhäusern. Es findet eine Marktauslese statt, und unser Ziel ist ganz einfach: Wir wollen zu den letzten gehören, die übrig bleiben.
Vielleicht überschätze ich den Onlinehandel auch in seiner Wachstumsgeschwindigkeit, aber es ist keine Frage ob die Fläche an der A215 irgendwann leer steht, sondern wann. Schade für die Kleingärtner. Wenn es gut läuft für den Kieler Standort, dann muss mittelfristig erst einmal nur das Segeberger Möbelhaus Abstriche machen. Schade für die Angestellten dort.
Du vermischst da ein wenig etwas.
„In den letzten zwei Jahren hat der E-Commerce allerdings massiv zugenommen. Selbst zurückhaltende Prognosen gehen davon aus, dass in den nächste fünf bis sieben Jahren ca. 50 Mrd. Euro zusätzlich online umgesetzt werden.”
Sagt nichts über die Steigerung im Online Möbelhandel aus. Es fehlt immer noch eine oder mehrere Möglichkeiten online nach Möbeln zu suchen. Von daher ist die nächsten Jahre kaum damit zu rechnen, dass der stationäre Handel an Umsatz einbüßen wird.
Home24, Amazon, Avandeo nennst Du als beispiele und widersprichst Deiner oben eingestellten Grafik. Hier erfolgt erstmal eine Anbieterauswahl und erst dann die Produktauswahl. Das Problem wurde ja oben schon benannt. Schuhe, Elektronik auch Kleidung lässt sich leicht vergleichen, auch Shopübergreifend. Das ist bei Möbeln nicht gegeben. Die bisherigen spezialisierten Suchmaschinen moebel.de, moebelmonster scheitern ja grandios.
Zum Punkt: Ikea und Möbel Kraft. Die nehmen sich nichts, bedienen siedoch andere Zielgruppen. Von daher könnte (!) Möbel Kraft erfolgreich sein, wie Du richtig feststellst auf Kosten des Hauses in Bad Segeberg.
Bei Möbel Kraft stellt sich aber die Frage, die sich immer stellen sollte. Wollen die Bürger dieses Projekt? Warum nicht die Bürger bei solchen Projekten mit einbeziehen? Aber das ist ein anderes Thema.
Vermischt ist das mE nicht. Aktuell gewinnen Handelskonzepte im Möbelhandel online Markanteile. Der Kaufprozess „Product first” funktioniert aufgrund der fehlenden Marken im Möbelhandel (noch) nicht wirklich. Da darf man auf das Wachstum der modernen Möbelmarken wie Avandeo & Co. gespannt sein. Der stationäre Möbelhandel verliert in den nächsten Jahren (bis 2020) 3 – 5 Mrd. Euro Umsatz in den Onlinehandel = mehr als 10% des Gesamtvolumens. Das ist schon ein ordentlicher Shift.
Ich weiß nicht, ob man nach diesen Maßstäben irgendeine Branche findet, für die sich eine Ansiedlung lohnt. Dann sollte man aufhören, sich um Startups zu kümmern. Die wollen eh nach 3 Jahren gekauft werden und dann sind sie weg. Viele Firmen sind in Kiel schon gekommen und gegangen. Das ist trotzdem die Basis für den Wohlstand, den Kiel insgesamt hat. Sollte Möbel Kraft in ein paar Jahren wieder weg sein, kommt halt die nächste Firma und macht etwas anderes. Außerdem geht seine Prognose von einer linearen Weiterentwicklung aus: Wenn Möbel Kraft bleibt, wie es ist, dann wird es nicht überleben. Der Schritt nach Kiel ist aber auch schon eine Veränderung. Und wie Du in Deinen anderen Artikeln schreibst: Shoppen wird noch länger funktionieren, wenn es gleichzeitig ein Erlebnis ist. Ein Möbelhaus hat zumindest den Platz dafür, dass es ein Erlebnis werden könnte. Und da bietet gerade die Nähe zu IKEA eine Chance für Möbel Kraft: Die Leute, die nicht darauf bestehen, dass ihr Sofa von IKEA ist, müssten nicht weit fahren, sie könnten sogar gehen, um zu schauen, was die Konkurrenz bietet. Agglomerationsvorteil nennt die Geografie das.
Der Maßstab für stationäre Konzepte muss mE Relevanz sein. Reine Händler verlieren ihre Relevanz dank des E-Commerce (abgesehen von Lebensmitteln bisher). Für wen macht das also Sinn: Marken z.B. wie Boss, Zara & Co., die stationär als Werbefläche verstehen. Vertikale Händler wie Decathlon oder IKEA, die fast 100% Eigenmarken/Eigenprodukte handeln, die aber ihre Produkte stationär präsentieren wollen & müssen. Es gibt neben den Agglomerationsvorteil aber auch genau im gleichen Maße Agglomerationsnachteile. Eine häßliche Kaffeebar würdest du auch nicht besuchen, wenn links und rechts daneben zwei schöne Kaffeebars sind, in denen alles viel verlockender aussieht.
@jmk — Moin Jürgen, was vermisst du denn auf moebel-monster.de am stärksten? Uns ist schon klar, dass da noch etliche Baustellen sind, aber zusätzliches Feedback ist für uns sehr wertvoll. Danke!
@Martin
was mir fehlt sind schlicht Shops. Ich hatte letztens nach Sideboards gesucht. Ergebnisse kamen zu ca. 90% von Home24. Da gehe ich lieber auf deren Seite, da habe ich, was euch noch fehlt eine bessere Feinjustierung. Das hat Home24 durchaus gut gelöst. Farbe, Stil, Größe habt ihr ja schon drin, aber Material, Ausführungen, Schubladen, etc. fehlen. Die Möglichkeit zu browser fehlt mir einfach, dass ich auf einen Schlag alle Suchergebnisse bekomme, erschlägt ein wenig
Danke für dein Feedback. Du hast absolut recht, dass Home24 so prominent oben steht hat gleich mehrere Ursachen und ist sicherlich nicht ideal. Die Filter würden wir liebend gerne verbessern (und haben von den vorhandenen sogar nur die Hälfte online), scheitern derzeit aber an der grauenvoll schlechten Datenqualität. Wir haben dazu auch schon einige Ideen in der Schublade und orientieren uns gerade in verschiedene Richtungen, um den Nutzwert der Seite möglichst schnell zu erhöhen.
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