Sturm Xaver: Hamburg Hafencity um 9 Uhr / https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de
Xaver brachte die zweithöchste Sturmflut seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Flut war in Hamburg 6,09 und in Husum 3,27 m über NN. Für Hamburg gilt: das waren 39cm mehr als 1962. 1962 sind 315 Menschen in der Flut gestorben.
Nordfriesland war im Katastrophen-Voralarm. Das bedeutet zwei Sachen: die einen, die Deiche verteidigen können und wollen, sammeln sich und bereiten sich auf das vor, was kommt. Die anderen gehen nach drinnen und warten ab. Denn draußen fliegen Sachen durch die Gegend. Stürme sind gefährlich. Das wissen Nordfriesen. Und die Hamburger sind da auch klar.
Diese Landkarte gibt eine Idee, was passiert wäre, wenn die Deiche nicht funktioniert hätten. Für mein Heimatdorf, das acht Kilometer hinter dem Deich liegt, hieße das „landunter“. (Das ist nur die halbe Wahrheit. Da gibt es noch einen Schlafdeich und eine Bahnstrecke auf einem Damm zwischen dem ersten Deich und dem Dorf. Diese Karte ist keine Katastrophenvorhersage, aber sie macht klar, über welche Wassermassen wir sprechen, wenn wir über die Sturmflut sprechen, die Xaver brachte.)
Wer jemals während einer Sturmflut am Deich gestanden und das Vorland nicht mehr gesehen hat — dafür aber das tosende Meer — , der weiß: „Der blanke Hans ist größer als wir alle.”
Seien wir froh, dass die Deichbauer ihr Handwerk verstehen. Seien wir froh, dass die Deichpflege funktioniert. Seien wir froh, dass die Lehren aus der Flut von 1962 gezogen wurden. Die Fluthöhe von Xaver war größer. Die Orkanspitzen hatten es in sich.
Es gibt jetzt Leute, die sagen, die Medien hätten übertrieben. Die Sicherungsmaßnahmen wären überzogen gewesen.
Die Nachricht, dass jetzt irgendeine Hallig landunter sei, war dann doch dem „Newsticker” geschuldet. Halligen gehen ca. 30 Mal im Jahr landunter. Das ist da normal. Halligen sind so gebaut. Das war Medienhype.
Aber der Rest war okay. Der folgte einer Idee.
Denn neben dem Sturm gab es eine Sturmflut. Sturmfluten sind tückisch. Damit es eine Katastrophe gibt, muss vieles „stimmen“: der Winkel, mit dem die Flut auf den Deich trifft, die Übereinstimmung der Sturmspitze mit der Fluthöhe, womöglich gestützt durch eine Springflut, vielleicht ein angenagter Deich.
Xaver brachte vieles von diesen Zutaten mit. Xaver dauerte — mit Ansage — mehr als eine Flut. Alle wussten, dass die zweite Flut die höchste werden würde. Nachdem die erste Flut bereits genagt hatte.
In so einem Fall gilt: rein in die Häuser und abwarten. Und das haben wir getan: die Schüler sollten nicht in die Schule, die Bahnen fuhren (wenn sie fuhren) nur langsam, das öffentliche Leben wurde ruhiger. Ein paar Wochen vorher hatte Christian ja schon alles runtergeholt, was nicht gut vertäut war. Der Sturm war sicher vielen eine Warnung.
Die Medien und offizielle Stellen sind der Idee gefolgt: „Bei Sturmflut ist es drinnen sicherer“. Das ist kein Alarmismus. Das ist angemessen. Wir hatten Glück. Das Meer ist stärker, als wir es sind.
„Es gibt jetzt Leute, die sagen, die Medien hätten übertrieben.”
Welche Leute?
„Aber der Rest war okay. Der folgte einer Idee.”
Welcher Idee? Aufgaben der Medien ist es nicht, Ideen zu folgen. Sachliche Berichterstattung ist angesagt und keine hyperventilierenden Außenreporter die mit Mikrofonpuschel am Strand stehen und sich wegwehen lassen. Das ist Vortäuschung journalistischer Leistung.
„Alle wussten, dass die zweite Flut die höchste werden würde. ”
Alle?
Diese Frage beantwortest Du in Deinem zweiten Absatz selbst, ich darf mal zitieren?
Wenn man bei 8 – 9 Windstärken auf dem Deich steht, hyperventiliert man leicht, das weiß ich zufällig. Und die Redaktionen schicken ihre Reporter genau dort hin, auch das weiß ich zufällig. Anderer, viel wichtigerer Punkt: Berichterstattung, ganz gleich ob sachlich oder nicht, kann nur mit Eindrücken funktionieren, die der Reporter vor Ort sammelt. Erst als ich die Sturmflut vom Eidersperrwerk und dem Büsumer Deich selbst gesehen hatte, als der Wind an mir gezerrt hat und mir der Regen wie Hagel im Gesicht geschmerzt hat, konnte ich für mich selbst wirklich verstehen, was Xaver und diese Sturmflut bedeuten. Erst als ich vor Ort mit den Leuten des Landesbetriebs Küstenschutz gesprochen hatte, konnte ich die Situation begreifen und einordnen. Zu erleben, was für eine Naturgewalt draußen vor der Tür tobt und wie stoisch gelassen die alle waren, schaffte mir als Reporter die Möglichkeit der Einordnung und versetzte mich in die Lage, erklären zu können, was da passiert. Aus dem warmen, trockenen Büro hätte ich das so nicht gekonnt.
Im Übrigen wird bei uns im Haus sehr genau hingeguckt, wo die Berichterstattung angemessen und wo sie zu reißerisch war. Die Diskussion hat die Verantwortlichen erreicht und darüber wird nun gesprochen. Aber das nur am Rande.
Zu Deiner letzten Frage „Alle?”: Ja, die Information lag schon sehr früh vor und ist nach meiner Kenntnis sehr großflächig verteilt worden.
Nochmals:
„Es gibt jetzt Leute, die sagen, die Medien hätten übertrieben.„
Sprich jemand kritisiert die Medien, dieser jemand könnte benannt werden.
„Und die Redaktionen schicken ihre Reporter genau dort hin, auch das weiß ich zufällig. ”
Das zufällig kannst Du streichen, ist offensichtlich. Ich würde mich in meiner Kritik wiederholen, mag ich aber nicht, komme mir dabei so doof vor. Steht ja alles oben.
Außenreporter gehen deshalb vor Ort, weil sie sensationslüstern berichten möchten. Das sieht man bei jedem Schneetreien, das im Winter stattfindet, inklusive Brennpunkt.
Das wird dieses Jahr nicht anders sein (so denn Schnee fällt). Und die Medien klangen fast schon beleidigt als Xaver nicht die Ausmaße erreichte, die vorhergesagt wurden und die Katastrophe nicht eintrat. Ein wenig mehr Zurückhaltung würde guttun.
Des weiteren sind die Menschen an der Küste Sturm gewöhnt, da braucht es keine Reporter die schon panikartig agieren. Das beeindruckt höchstens Zuschauer in Bayern oder Hessen.