Richterschelte: Innenminister Schlie ist mit sich im Reinen

Von | 23. Juni 2011

Klaus Schlie wird wohl einer sein, der Niederlagen weg­ste­cken kann. Das hat er 2004 bewie­sen, als ihm, nach einem Wahlkampfauftakt vol­ler Pleiten, Pech und Pannen, der Posten des Wahlkampfmanager ent­zo­gen wur­de und er dann oben­drein bei der Bildung der gro­ßen Koalition (2005) dem Proporz zum Opfer fiel und nicht als Innenminister ins Kabinett kam son­dern als Staatssekretär für Verwaltungsmodernisierung und Entbürokratisierung ins Kieler Finanzministerium ein­zog.

Er kann sich aber auf alle Fälle glaub­haft und über­zeu­gend ent­schul­di­gen. Das bewies er zu Beginn der gest­ri­gen (22. Juni) Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses des Kieler Landtages, als er sich öffent­lich, vor dem anwe­sen­den Vater, für Fehler sei­ner Polizei bei der Identifizierung einer im November 2010 bei Brunsbüttel ange­schwemm­ten Leiche ent­schul­dig­te. Durch eine unglück­li­che Kette von Versäumnissen, teils in Bremen, größ­ten­teils in Kiel, war die Identität der jun­gen Frau erst im Juni 2011 fest­ge­stellt wor­den.

Doch wenn es um im Grunde ein­fa­che Sachverhalte geht, dann klappt das nicht. Eine zag­haf­te Opposition nut­ze die Chance nicht.

Fast 1 ½ Stunden beweg­te sich in Kieler Innen- und Rechtsausschuss die Diskussion um den Brief des Innenministers an eine Elmshorner Richterin (das Landesblog berich­te­te) kurz ober­halb der poli­ti­schen Grasnarbe. Dabei hät­te es so ein­fach sein kön­nen: Wohl aus durch­aus ehren­wer­ten Gründen hat sich der Innenminister ver­ga­lop­piert. Hätte er gesagt: Tut mir leid, mitt­ler­wei­le erken­ne ich auch, dass das mit dem Brief Mist war, dann hät­te man sich nach wei­te­ren drei Minuten mit oppo­si­tio­nel­len Du, Du, Du über die Sache unter­hal­ten kön­nen, näm­lich über (spä­ter zu zie­hen­de) Konsequenzen aus dem wohl durch die Instanzen gehen­den Urteil. Dem Polizeiminister ging es im Grunde um zwei Dinge: Wegen der hohen Verunsicherung in der Polizei nach dem Urteil eines Elmshorner Gerichts über den Einsatz von Pfefferspray woll­te er klar stel­len, dass des­sen Einsatz sei­ner Meinung nach auch ohne gegen­wär­ti­gen kör­per­li­chen Angriff wei­ter­hin poli­zei­recht­lich gerecht­fer­tigt sein kön­ne. Diese Rechtsauffassung habe er der Polizei ver­mit­teln wol­len. Außerdem habe er einen öffent­li­chen Diskurs zu dem Thema initi­ie­ren wol­len.

Man braucht nicht viel (poli­ti­schen) Verstand um zu erken­nen, dass ein Brief an die Richterin das unsin­nigs­te Mittel ist, um die­ses Ziel zu errei­chen. Allenfalls Plakat-Aktionen in der Antarktis oder Gespräche vor wil­den Tieren wären noch untaug­li­cher gewe­sen. Aber nein, die Zuhörer im Sitzungszimmer 142 im Landeshaus muss­te wie­der und wie­der hören, dass Herr Schlie mit dem Brief kei­nen Einfluss auf die Justiz aus­üben woll­te (was im Ergebnis durch­aus zutrifft — den Brief hat sicher kei­ner in der Richterschaft wirk­lich ernst genom­men) und dass das auch nicht in den Brief hin­ein inter­pre­tiert wer­den kön­ne (was sicher auch stimmt, denn es ist so offen­sicht­lich, dass man da nichts hin­ein inter­pre­tie­ren muss). Wieder und wie­der wie­der­hol­te er Variationen des Mantras „Ich habe das Urteil nicht bewer­tet“ und „Ich woll­te einen öffent­li­chen Diskurs eröff­nen“. Nützt alles nichts: Der Brief ist eine Bewertung; wäre er es nicht, hät­te er die Adressatin man­gels Grund nicht zur nächt­li­chen Streifenfahrt ein­la­den kön­nen. Das ist so banal, das ich mich wun­de­re, war­um nach der vier­ten Wiederholung nie­mand schrei­end den Raum ver­las­sen hat. Und einen öffent­li­chen Diskurs damit zu eröff­nen, dass die Richterin nament­lich in die Öffentlichkeit gezerrt wird und noch vor der Bekanntgabe des schrift­li­chen Urteils eines ver­meint­lich Besseren belehrt wer­den soll, ken­ne ich nur aus dem Gossenjournalismus der BILD-Zeitung. Mal ganz abge­se­hen davon, dass Diskurs, jeden­falls in mei­nen Sprachgebrauch, was mit einem an Verständnis und Verständigung ori­en­tier­te Austausch auf Augenhöhe zu tun hat. Und nicht mit ein­sei­ti­gen, von oben her­ab beleh­ren­den nächt­li­chen Streifenfahrten.

Klaus Schlie stand dann auch allein da. Justizstaatssekretär Michael Dölp, der in Vertretung von Justizminister Emil Schmalfuß in den Ausschuss gekom­men war, war sicht­lich bemüht, den Ball flach zu hal­ten und ver­wies wort­karg auf den Brief sei­nes Ministers und sag­te lei­se etwas von Dienstwegen. Der FDP-Abgeordnete Gerrit Koch fand, er hät­te den Brief nicht geschrie­ben, wenn er Rechtssicherheit in der Polizei und die Sensibilisierung der Gerichte hät­te errei­chen wol­len. Und auch der CDU-Abgeordnete Michael von Abercron hob nicht zur Verteidigung sei­nes Parteifreundes an, son­dern frag­te nach, ob die Fortbildung der Gerichte wohl noch ver­bes­sert wer­den müs­se.

Die Opposition fand uni­so­no, dass man die Verunsicherung der Polizei ernst neh­me müs­se, des­halb habe man ja auch am 10. Juni einen Bericht des Innenministers im Ausschuss hier­zu erbe­ten. Die Sinnhaftigkeit des Handelns des Ministers erschloss sich aber kei­ner der vier Oppositionsparteien. 
Eine Trennung des Briefes des Verfassungsministers an eine Richterin von dem Sachverhalt Einsatz von Pfefferspray gelang nicht wirk­lich. Trotz der Vorwürfe, der Minister haben Grenzen über­schrit­ten, sein „untaug­li­cher Versuch der Einschüchterung“ sei „unsäg­lich“, sein Bericht vor dem Ausschuss zeu­ge von „Uneinsichtigkeit“ und allen­falls der „beson­ne­ne“ Brief des Justizministers sei lobens­wert, gelang es nicht, den Innenminister poli­tisch zu stel­len. Dabei bot der CDU-Politiker genü­gend Angriffsfläche. Den Vogel schoss in mei­nen Augen Thorsten Fürter (Grüne) an, als er den Begriff Untersuchungsausschuss in den Mund nahm. Jetzt mal im Ernst: Der Brief von Herrn Schlie ist zwar voll Panne, aber bei­lei­be kei­ne Staatsaffäre. Damit wür­de man dem Ganzen eine Bedeutung zumes­sen, die es nicht hat. Und die Handelnden sind bei wei­ten kei­ne so gewief­ten Taktiker, dass man hier staats­ge­fähr­dend Böses ver­mu­ten müss­te.

Man kann gespannt sein, ob es der Opposition gelingt, in der kom­men­den Woche in der bean­trag­ten aktu­el­len Stunde nicht in klein­li­ches Hickhack zu ver­fal­len son­dern ein poli­ti­sche Debatte zu pro­vo­zie­ren, der es sich zuzu­hö­ren lohnt.

Update: In einer frü­he­ren Version des Artikel stand, dass die gro­ße Koalition 1995 ein­ge­gan­gen wur­de. Das ist falsch gewe­sen.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

6 Gedanken zu “Richterschelte: Innenminister Schlie ist mit sich im Reinen”:

  1. gaby

    gibt es denn tat­säch­lich nie­man­den in die­sem gre­mi­en, der ver­ant­wor­tungs­voll und kom­pe­tent agiert. Was für ein thea­ter! Ist das alles, was unser land an poli­ti­scher intel­li­genz zu bie­ten hat?

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  2. Pingback: Debatte um Pfeffersprayeinsatz « KielKontrovers

  3. Thorsten Fürter

    Ob Herr Schlie durch die vor­sätz­li­che Umgehung sei­nes Ministerkollegen Schmalfuß und den Versuch der Einflussnahme auf die Unabhängigkeit der Justiz eine Staatsaffäre aus­ge­löst hat, mag jeder selbst beur­tei­len.

    Dass ich den Begriff des Untersuchungsausschusses in den Mund genom­men habe, erscheint mir aber eine ver­kürz­te Darstellung, da der Eindruck ste­hen blei­ben könn­te, ich wür­de einen sol­chen for­dern oder auch nur befür­wor­ten.

    Ich habe aber — im Gegenteil — gesagt, dass wegen der vor­lie­gen­den Schreiben, die den Vorgang gut doku­men­tie­ren, eben gera­de KEIN Untersuchungsausschuss not­wen­dig ist.

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    1. Swen Wacker Post author

      Ja, der Eindruck ist bei mir auch ent­stan­den: Aus dem Hinweis, dass wegen der bei­den ver­öf­fent­lich­ten Briefe kein Untersuchungsausschuss nötig sei, habe ich gefol­gert, dass die Grünen andern­falls einen für nötig gehal­ten hät­ten. Ich erken­ne an, dass mei­ne Verkürzung „den Begriff Untersuchungsausschuss in den Mund nahm” ohne die­sen Hinweis miss­ver­stan­den wer­den kann.

      Zu der vor­sätz­li­chen Umgehung von Justizminister Schmalfuß: Warum ist eigent­lich ges­tern Minister Schlie nicht dafür ange­gan­gen wor­den, als er (sinn­ge­mäß zitiert aus mei­ner Erinnerung, ich habe mei­nen Notizzettel auf dem hei­mat­li­chen Schreibtisch lie­gen) in der Tat sehr klar sag­te, er hät­te „eine Einflussnahme von Minister Schmalfuß auf sei­nen Brief nicht haben wol­len”? Spätestens hier frag­te sich der inter­es­sier­te Zuschauer ja, ob in der Regierung über jemand regiert (führt, lei­tet)?

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      1. Thorsten Fürter

        Hallo Herr Wacker,

        die­se Frage hal­te ich für berech­tigt und genau das habe ich gemeint, als ich von einer vor­sätz­li­chen Übergriff in den Geschäftsbereich des ande­ren Ministers sprach. Mittelbar hat er dies durch sei­ne Äußerung, die ich so erin­ne­re wie sie, auch zuge­ge­ben.

        Wir wer­den ver­su­chen, dies mit Landtag auf­zu­grei­fen. Im übri­gen bin ich mit der Leistung der Gesamtoppostion gar nicht so unzu­frie­den.

        Dass kein Mitglied der Regierungsfraktion sich getraut hat, den unsin­ni­gen Schritt des Herrn Ministers Schlie zu ver­tei­di­gen — wor­auf sie zurecht hin­wie­sen — spricht für sich, fin­de ich. Ich glau­be, dass Herr Schlie von dem Gegenwind, den er bekom­men hat, selbst über­rascht war.

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  4. Ole Fischer

    Es lohnt sich an die­ser Stelle fest­zu­hal­ten, dass auch der Justizminister einer Richterin kei­ne Anweisungen ertei­len kann. Insofern ist es völ­lig egal, ob hier in den „Geschäftsbereich” eines ande­ren Ministers ein­ge­grif­fen wor­den sein soll­te. Zum „Geschäftsbereich” der gesam­ten Exekutive, und mit­hin auch des Justizministers, gehört garan­tiert nicht die Einflussnahme auf die Justiz. Sollte die­se Auffassung von han­deln­den Personen ver­tre­ten wer­den, emp­fiehlt sich vor der Aktuellen Stunde ein klei­ner Kurs in Verfassungskunde. Vielleicht könn­te ein Richter des Landesverfassungsgerichts mal „beleh­rend” ein­grei­fen.

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