„Ist mehr Bürgerbeteiligung gleich mehr Demokratie?” fragte eine Veranstaltung, zu der die Landeszentrale für politische Bildung und der Schleswig-Holsteinische Heimatbund (SHHB) am 26. Oktober 2011 eingeladen hatte. Nach einem einführenden Referat wurden in offener Runde die Chancen und Möglichkeiten für das demokratische Zusammenleben ausgelotet.
Man geht wieder für seine Überzeugungen auf die Straße und zeltet sogar dort, wie es gerade sogar in Kiel einige „Occupyer” vor der HSH Nordbank tun. Doch Demonstrationen und Besetzungen sind eher Ausdruck von politischen Prozessen, die schief gegangen sind. Dann wird es oft erst richtig kompliziert, lähmend, Zeit aufwendig und teuer.
Wie der Status Quo aussieht und welche Optionen es gibt, berichtete Christina Tillmann von der Bertelsmann Stiftung. Sie leitet dort das Projekt „Politik gemeinsam gestalten“.
Es sei zu beobachten, dass neben den Parteien auch andere, klassische Mittlerorganisationen beständig an Mitgliedern verlören. Immer weniger Menschen engagierten sich langfristig und die Wahlbeteiligung sinkt. Es gebe trotzdem eine Teilhabeerwartung. Und die Menschen informierten sich durch das Internet viel schneller als früher und engagierten sich dann viel mehr zu einzelnen Themen.
Schnell werde dann der Ruf nach direkter Demokratie laut. Doch auch die direkte Demokratie sei in ihren Möglichkeiten limitiert. Oft führt ein nur kurzzeitiges Engagement für eine bestimmte Entscheidung zu unausgeglicheneren Entscheidungen, weil sich eher die durchsetzen, die mehr Zeit für Engagement hätten.
Was bringen Beteiligungsverfahren?
Nach Erfahrung von Christina Tillmann könnten Beteiligungsverfahren ganz grundsätzlich die verschiedenen Meinungen im politischen Prozess abbilden und das Erfahrungswissen der Bürgerinnen und Bürger einsammeln. Oft wüssten die Menschen vor Ort viel genauer, was nötig ist. In einem ordentlichen Verfahren könnte aber auch ein Ausgleich mit den Interessen anderer Bürgerinnen und Bürgern ausgehandelt werden, um damit gegenseitiges Verständnis und Akzeptanz der Ergebnisse zu finden.
So ein Beteiligungsverfahren könne aber nur erfolgreich sein, wenn es tatsächlich Gestaltungsspielräume gäbe. Beteiligung sollte deswegen so früh im Prozess wie möglich initiiert werden. Es müsse aber auch vorher klar gemacht werden, was mit den Ergebnissen passiere. So ein Beteiligungsverfahren kann je nach Thema recht umfangreich werden. Wichtig sei deswegen für einen Dialog auf Augenhöhe eine vernünftige Ausstattung mit Zeit und Geld. Christina Tillmann waren privat initiierte Beispiele bekannt, bei denen die Bürgerbeteiligung teil des Risikomanagement gewesen sei.
Vor allem sei Bürgerbeteiligung eine Frage der politischen Kultur, die unter den gegenwärtigen Voraussetzungen ausprobiert und geübt werden müsse. Dazu gehöre Versuch und Irrtum und eine Fehlerkultur, die auch missglückte Versuche anerkenne.
Eine Herausforderung sei es, möglichst viele, unterschiedliche Bevölkerungsgruppe zu aktivieren. Dazu könnte man verschiedene Beteiligungsmethoden während des Prozesses nutzen und durch begleitende Angebot wie zum Beispiel Kinderbetreuung die Zugänglichkeit erhöhen.
In der Diskussion kamen dann Beispiele von gelungener und nicht gelungener Bürgerbeteiligung. Die Gemeinde Altenholz praktiziere offene Bürgerversammlungen seit über 20 Jahren und alle Ausschüsse fänden öffentlich statt. Auch dort geben es zunächst oft Aufregung und höhere Besucherzahlen, wenn neue Projekte anstünden. Nach und nach kläre sich aber vieles und es habe seither keine Klagen mehr gegeben.
Eine andere Bürgerin berichtete dagegen von einem Bürgerentscheid, der sich gegen Windkraftanlagen ausgesprochen habe, der dann aber durch einen Trick umgangen wurde.
Außerdem gab es einige interessante Gedankenspiele: Eine Teilnehmerin fragte, ob man das Wort „repräsentative Demokratie” umdeuten könne. Sie schlug vor, die Parlamente nach statistischen, demografischen Methoden zu besetzen, so dass die Parlamente tatsächliches Abbild der Gesellschaft seien.
In einer zweiten Idee schlug sie vor, den Nichtwählern die Konsequenzen ihres Handelns vor Augen zu führen, indem entsprechend ihres Anteils Plätze im Parlament leer blieben.
Man merkt: Es wird wieder diskutiert im Land. Über Demokratie und Kapitalismus und den ganzen Rest. Wie wollen wir zusammen leben? Wie organisieren wir unsere Gesellschaft. Taugt unser repräsentatives System noch oder sollen Bürgerinnen und Bürger direkt entscheiden? Und wenn ja — wie? Die Veranstaltung „Mehr Bürgerbeteiligung = Mehr Demokratie?” hat ein paar interessante Impulse dazu geliefert.