In der letzten Woche traf die Fraktion der Piratenpartei im Kieler Landtag die wohl erste Entscheidung mit Außenwirkung: Sie kündigte eine der Fairnessregeln im Parlament und lehnte ein sogenanntes Pairing-Abkommen mit dem SSW ab. Bei so einem Abkommen verabreden sich eine Regierungs- und eine Oppositionspartei, dass bei entschuldigtem Fehlen eines Abgeordneten der Regierungspartei jemand von der Oppositionsfraktion ebenfalls nicht mit abstimmt. So wird dafür gesorgt, dass im Parlament jederzeit die Stimmverhältnisse erhalten bleiben, wie sie von den Bürgerinnen und Bürger in der Wahl festgelegt wurden. Die Piraten lehnen das Pairing als „Instrument herkömmlicher Machtstrukturen” ab. Im Ergebnis werden vermutlich Entscheidungen bei Krankheit oder Verpflichtungen in anderen Gremien, wie zum Beispiel im Bundesrat, in Zukunft immer wieder verschoben. Im schlimmsten Fall entscheidet der Zufall. Das hat sicherlich niemand gewählt.
Die Piraten sagen: „Wir Piraten betreiben keine Totalopposition. Wir stimmen sachorientiert ab, egal ob eine Initiative von der Opposition oder der Koalition ausgeht.“ und „Wir sind keine Mehrheitsbeschaffer.“
Jedoch: Man braucht immer eine Mehrheit, um Dinge zu beschließen. Deswegen tun sich Menschen ähnlicher Grundeinstellung in Parteien zusammen: um gemeinsam politische Ideen umzusetzen. Parteien erarbeiten Programme (oder kopieren sie). Da kommt der Eine auf den Anderen zu und wenn Du für meinen Antrag stimmst, stimme ich für Deinen.
Mit diesen Programmen und den Personen, die sie vertreten sollen, treten Parteien bei Wahlen an. Die Wählerinnen und Wähler suchen sich die Partei aus, bei denen ihnen Programm und Personen am besten gefallen. Sie geben diesen Personen ein Mandat in ihrem Namen die Sachen umzusetzen, die in den Programmen stehen. Die Mandatsträger einer Partei haben alle den gleichen Auftrag und ähnliche Interessen. Deswegen bildet man Fraktionen.
Es ist also zugleich Auftrag und Interesse jeder Fraktion, die Beschlüsse der Partei möglichst gut umzusetzen. Deswegen ist es nur natürlich, dass man sich von Anfang an Partner sucht. Die Parteien legen im Prinzip ihre Programme nebeneinander und gucken, was zusammen passt und wo es hakt. Und dann zählt man noch die Sitze zusammen und guckt, wie man eine Mehrheit erreicht.
In Schleswig-Holstein gibt es eine Mehrheit für die Inhalte von SPD, GRÜNEN und SSW. Die handeln jetzt aus, wie sie ihre Inhalte umsetzen und wie sie mit Konflikten umgehen. Das schreiben sie dann in den Koalitionsvertrag.
Diese Mehrheit durch Zufälle in Frage zu stellen ist grandios naiv. Die Piraten tun so, als wären sie zufällig ausgewählt im Parlament und nicht gewählt. Sie tun so, als wären die Entscheidungen im Parlament egal. Und sie tun so, als gäbe es bei unterschiedlichen Meinungen nur ein Informationsdefizit. Man müsse die anderen Parteien nur gut genug informieren, damit sie verstehen, warum man eine Mehrheit braucht. Sie verstehen nicht, dass es einfach unterschiedliche Interessen gibt. Es tut auch so, als wären die Entscheidungen im Parlament ohne Vorgeschichte. Das sind doch Fragen, die zum Teil in den Wahlprogrammen stehen und schon in Ausschüssen vorverhandelt sind. Dann handelt man da etwas aus und es scheitert dann im Parlament nur, weil jemand zum Bundesrat nach Berlin fährt. Ja, ist denn nur deswegen die Politik falsch? Ist es das, was die Wählerinnen und Wähler gewollt haben?
Und „Fraktionszwang” ist ein Mythos oder höchstens ein Effekt. Gerade bei größeren Mehrheiten weichen immer Abgeordnete ab. Bei der Bundesregierung kann man das ja im Moment gut sehen. Aber natürlich gibt es einen Druck von der Mehrheit, mit der Fraktion zu stimmen. Klar – man will ja Dinge umsetzen. Und wer mein Projekt jetzt nicht unterstützt, muss nicht damit rechnen, dass ich bei seinem Projekt großzügiger bin.
Der Grundwiderspruch der Piraten ist, dass sie zwar die Kür der repräsentativen Demokratie (Möglichkeit der Landeslisten, Zweitstimmen, Fraktionsbildung, Fraktionsmitarbeiter …) annehmen, aber bei den Pflichten oder den daraus erwachsenden Folgerungen lahmen.
Es ist inkonsequent und hinsichtlich der gezogenen Trennungslinie nicht für nachvollziehbar, warum ausgerechnet Pairing blöd ist. Dass sie aufgrund des Fraktionsstatuses in Ausschüsse kommen werden, sogar vielleicht einen Vorsitzenden stellen könnten, missfällt ihnen nicht? Warum? Das ist schließlich auch nicht vom Wähler gewollt.
Es ist weiterhin paradox, dass sie auf der einen Seite die „Freiheit des Mandats“ hochhalten und auf der anderen Seite trotzdem darauf bestehen, dass sich die Abgeordneten an Parteibeschlüsse und Spontanumfragen orientieren.
Das Grundproblem ist, dass sie im Zusammenhang mit der „Freiheit des Mandats“ den Begriff „Gewissensentscheidung“ überinterpretieren. Nicht jeder Beschluss meiner Fraktion, der mir nicht gefällt, verstößt gegen mein Gewissen. Eine Gewissensentscheidung hat man dann, wenn man gegen eigene Ethikvorstellungen verstößt. Deswegen kann man natürlich grummeln, aber zustimmen, wenn eine Fraktionsmehrheit sich für eine Sache ausspricht, die ich nicht so super finde. Wenn es umgekehrt so ist, dass die Fraktion Dingen zustimmt, die mir wichtig sind. Sonst bekommt man nie Mehrheiten zusammen.
Pingback: Die Failfraktion – Part I – Pairing mit dem SSW » Meine Sicht der Dinge
Du hast wunderbar zusammengeschrieben, das so, wie es bisher ist, es ein reines Gemauschel ist, welche Anträge wie viele Stimmen bekommen.
„Wenn du nicht heute bei mir abstimmst, bekommst du morgen auch keine Stimme von mir.”
Das ist doch ekelhaft…
Und Mehrheiten soll(t)en vllt auch nur zusammen kommen, wenn genügend Leute (aus allen Parteien) dafür sind und nicht, weil 1 Person aus der Partei/Fraktion den Antrag gut findet/in diese Richtung beeinflusst wurde…
Wenn der Antrag nicht gut ist, dann sollte auch keine Mehrheit zustande kommen!
Hallo,
hat er Voß nicht seine Beschäftigung bei der SPD noch deutlicher erwähnen sollen ?
Pairing ist die Tochter des Fraktionszwanges und dabei bleibt es.
Auch Herr Voß als zuständiger Referent zeigt nur, dass auch er die Piraten nicht versteht. Schade.
„Pairing ist die Tochter des Fraktionszwanges und dabei bleibt es.”
Drei Sätze, null Argumente. Schade.
Nö.
Wenn nicht einmal die Kandidaten der Piraten vor der Wahl in ein öffentliches Amt irgendetwas außer ihrem Namen preisgeben (http://landesblog.de/2012/04/der-offentliche-herr-abgeordnete/) muss ich das für einen popeligen Blogeintrag sicher nicht.
Vielleicht sollte man sich nicht an den dieses falsch machen orientieren. :)
Abgesehen davon: unter dem Beitrag in der Autorenbox steht drin, dass Steffen ‚ne rote Socke ist. /Mir/ reicht das.
Wiederum abgesehen davon glaube ich auch nicht, dass Steffen ohne Parteibuch eine andere Meinung hätte.
Nein, seine Nähe zur SPD ist deutlich genug erklärt. Dass er in der SPD ist, ist übrigens kein (Gegen-)Argument.
Das Pairingabkommen verstößt gegen das Gebot des freien Mandats. Denn nicht die Fraktion hat einen Auftrag vom Wähler erhalten, sondern der einzelne Abgeordnete. Steht eine Abstimmung im Raum, die mit den von ihm vertretenen Inhalten nicht zu vereinbaren ist, so verrät er diesen Auftrag, wenn er aufgrund sachfremder Erwägungen der Abstimmung fern bleibt. Sind die Inhalte vereinbar, so schadet seine Anwesenheit nicht, weil er jedenfalls nicht dagegen stimmen wird.
Was Sie nicht verstanden haben, ist die Art und Weise, in der die Piraten Politik machen. Wäre es nicht geradezu katastrophal für Ihre Koalition, wenn sie bei einem Antrag scheitern, gerade weil der eine Pirat, der ihre Auffassung teilt, aufgrund des Pairingabkommens fehlen würde? Sie gehen stillschweigend davon aus, dass die Piratenfraktion in herkömmlicher Oppositionsmanier Koalitionsvorlagen ablehnen wird und nehmen nicht zur Kenntnis, dass wir nicht darauf achten, von wem die Vorlage kommt, sondern was in ihr steht.
Letzteres ist im Übrigen ein Prinzip, welches den Koalitionsparteien jedenfalls aus Sicht vieler Bürger offenbar völlig fremd ist.
„Das Pairingabkommen verstößt gegen das Gebot des freien Mandats. Denn nicht die Fraktion hat einen Auftrag vom Wähler erhalten, sondern der einzelne Abgeordnete.”
Das ist schlicht falsch. Es sind nicht nur die einzelnen Abgeordneten gewählt worden, sondern auch die Parteien mit ihren Programmen. Gerade bei den Piraten wurde nicht ein einziger Abgeordneter direkt gewählt, sondern ausschließlich die Landesliste. Dadurch haben natürlich auch die Parteien und Fraktionen eine Legitimation erhalten.
Darüber hinaus hinkt das Argument ähnlich stark wie der Rest der Kommentare hier. Die Wähler haben mit ihrer Stimmabgabe eine bestimmte Zusammensetzung im Parlament geschaffen und somit auch eine Richtungsentscheidung getroffen, schließlich bildet die Mehrheit eine Regierung. Wenn Abgeordnete der Regierung nun schwer erkranken und die Minderheit ohne Wahl plötzlich zur Mehrheit wird, negiert dies den Wählerwillen ohne dass es überhaupt Neuwahlen gab. Dabei ist das Politikverständnis der Piraten völlig egal.
Was Sie verkennen ist, dass dennoch gerade nicht die Partei, sondern ihre als Kandidaten aufgestellten Mitglieder gewählt worden sind. Dies scheint den etablierten Parteien gelegentlich zu entfallen. Um langatmige Ausführungen zu vermeiden verweise ich auf BVerfGE 95, 335 (Urt.v.10.04.1997 — 2 BvF 1/95) und die Kommentierung in Maunz/Dürig, Art. 38 Rn. 71ff.
Ihrer Argumentation nach muss jeder Abgeordnete das Ergebnis der Wahl stützen. Das ist falsch. Denn das impliziert, dass jeder Abgeordnete in sich selbst die Mehrheitsverhältnisse des Landtages tragen müsste. Nein. Der Abgeordnete ist zunächst seinem Gewissen unterworfen. Ist eine Entscheidung nicht mit diesem vereinbar, so muss er nach Kräften versuchen, sie zu verhindern.
Was Sie sich wünschen ist, dass die (Koalitions)Mehrheit aufgrund ihrer theoretischen Mehrheit entscheiden darf. Das findet weder im Grundgesetz noch in der GO der Landtage oder des BT einen Anklang. Die Mehrheit hat IM Plenum zu bestehen. Es ist das Risiko einer schwachen Mehrheit, dies nicht zu schaffen. Es ist nicht die Aufgabe aller anderen, nicht an der Koalition beteiligten Abgeordneten, dieses Risiko für die Koalition zu tragen.
„Was Sie verkennen ist, dass dennoch gerade nicht die Partei, sondern ihre als Kandidaten aufgestellten Mitglieder gewählt worden sind.”
Was sie verkennen ist, dass es im Regelfall zwei Stimmen sind, die abgegeben werden: eine für den Kandidaten und eine für die Landesliste der Partei. Ihnen scheint zu entfallen, dass damit nicht nur Persönlichkeitsentscheidungen, sondern auch Richtungsentscheidungen verbunden sind. Diese dann gewählten Abgeordneten wurden also auch gewählt, weil sie einer Partei angehören und somit deren Programm umzusetzen versprochen haben. Deshbalb werden dann Fraktionen gegründet. Um langatmige Ausführungen zu vermeiden verweise ich auf Werner J. Patzelt: Wider das Gerede vom „Fraktionszwang“! Funktionslogische Zusammenhänge, populäre Vermutungen und die Sicht der Abgeordneten. In: ZParl 29 (1998), S. 323 – 347.
„Denn das impliziert, dass jeder Abgeordnete in sich selbst die Mehrheitsverhältnisse des Landtages tragen müsste.”
Nein. Abgeordnete werden nicht ohne Bezug in den Landtag gewählt, sondern auch weil sie einer Partei angehören und eben dieses Programm umsetzen sollen. Das ist der Wesenskern repräsentativer Demokratie.
„Es ist das Risiko einer schwachen Mehrheit, dies nicht zu schaffen.”
Das hat im übrigen auch niemand bestritten. Es geht alleine um die Frage, ob etwa schwere Krankheiten von Menschen zu diesem Risisko gehören sollen oder ob man sich hier menschlich zeigt. Und das lehnen sie mit Verweis auf formaljuristische Argumente und einem vermeintlich neuen Politikstil ab.
Für beide Stimmen gelten die zitierten Passagen. Ich würde sie lesen und nicht mit einem insofern sachfremden Argument kontern. Denn die Frage des Fraktionszwangs hat nichts damit zu tun, ob eine Partei oder ein Abgeordneter gewählt wurde. Die Fraktionen können sich — wie man im BT sieht — auch parteiübergreifend gründen. Sie treffen es aber deutlich, wenn Sie sagen, dass die Abgeordneten wegen der Inhalte (ihrer Partei) gewählt wurden. Diese Inhalte haben sie daher zu repräsentieren. Das tun sie aber nicht, wenn sie bei einer Entscheidung die gegen diese Inhalte steht, ohne Sachgrund fernbleiben. Danke für das Argument.
Das Wesen der repräsentativen Demokratie ist sicherlich nicht die Zugehörigkeit zu einer Partei. Denn das würde bedeuten, dass parteilose Bewerber unzulässig wären, was ersichtlicher Unsinn ist. Das Wesen der repräsentativen Demokratie ist die Repräsentation der Wählerstimme durch den Abgeordneten — wie er Abgeordneter wurde ist nicht Frage der repräsentativen Demokratie, sondern des Wahlsystems. Natürlich werden überall schon aus pragmatischen Gründen Bewerber aus Parteien einen Vorteil haben, sie repräsentieren aber genau so.
Nebenbei haben Sie den Einwand nicht verstanden. Denn auch Ihrer Argumentation nach dürfte er nur die Inhalte seiner Partei, nicht aber die entgegenstehenden Inhalte stützen, wozu das Pairingabkommen jedoch führt.
Das Risiko kranker Mitarbeiter und Mitglieder gehört zu dem Risiko er Koalition. Ihr steht dazu auch weiterhin das von Ihnen völlig ignorierte Lösungswerkzeug „inhaltiche Überzeugung” zur Verfügung. Der Wähler hat aber bewusst nicht nur die Koalitionsparteien gewählt, sondern auch die Oppositionsparteien und damit das Risiko des Stimmausfalls in Kauf genommen.
„Das Wesen der repräsentativen Demokratie ist sicherlich nicht die Zugehörigkeit zu einer Partei. Denn das würde bedeuten, dass parteilose Bewerber unzulässig wären, was ersichtlicher Unsinn ist”
Ahja. Wenn das „ersichtlicher Unsinn ist”, bitte ich um konkrete Beispiele: wo wurden in den Bundestag oder die Landtag parteilose Bewerber gewählt. Das ist nämlich der Unterschied einer formaljuristischen Betrachtungsweise und der Realität.
„Für beide Stimmen gelten die zitierten Passagen. Ich würde sie lesen und nicht mit einem insofern sachfremden Argument kontern.”
Ganz ehrlich: Leute, die in Diskussionen an Stelle von Argumenten nur Lesehinweise bringen, interessieren mich relativ wenig. Das ist so schön sinnfrei — Ich dachte eigentlich, dass das mit meinem Verweis auf Patzelt deutlich wurde.
„Der Wähler hat aber bewusst nicht nur die Koalitionsparteien gewählt, sondern auch die Oppositionsparteien und damit das Risiko des Stimmausfalls in Kauf genommen.”
Nein. Der Wähler hat einen Abgeordneten gewählt, eine Richtungsentscheidung getroffen und somit die Zusammensetzung des Parlaments bestimmt. Wenn eine Stimme dauerhaft ausfällt — etwas durch Rücktritt, Tod oder anderes — rückt jemand nach, der der exakt selben Partei angehört und somit auch diese Richtungsentscheidung widerspiegelt.
Irgendwie irritiert es mich. Einerseits schreiben Sie, der Wähler habe die Mehrheitsverhältnisse gewählt. Andererseits schreiben Sie, der Wähler habe einen Abgeordneten gewählt. Ich meine zweiteres. Im Übrigen ist es gerade die von Ihnen vorgebrachte Richtungsentscheidung des Wählers, die durch ein Pairingabkommen ignoriert wird. Denn er hat ja gerade wegen der Inhalte gewählt — das beisst sich damit, wenn man von ihm eine Enthaltung aus „Fairnessgründen” erwartet.
Warum die Zitate? Weil es immerhin mehr an Inhalt ist als die Behauptung einer „Parteistimme”. Der Inhalt ist schnell zusammengefasst: Es werden Abgeordnete beauftragt, nicht Parteien. Das ist ein gewichtiger Unterschied und wird in der Debatte zu gerne vergessen.
Wenn parteilose Bewerber zum BT und den Landtagen zulässig sind, dann wird die Parteizugehörigkeit wohl kaum zum Wesen der repräsentativen Demokratie gehörden. Allein aufgrund der Synergieeffekte sicherlich zum Usus unseres Wahl- und Parteiensystems aber eben nicht zum Wesen unserer Demokratie. Vielleicht sollte man sich die Unterscheidung und die Überschneidung genauer in Erinnerung rufen. Das könnte auch so einige Missverständnisse mit den Piraten beseitigen.
„Ich habe die Zitate gebracht, um die langatmigen Ausführungen zu vermeiden. Dabei handelt es sich mE auch nicht um formaljuristsiche Ausführungen, sondern um Grundsätze unserer repräsentativen Demokratie.”
Aha. Dann werde ich auch — um langatmige Ausführugen zu vermeiden — auf Standardwerke der Politikwissenschaft verweisen. Dort wird dann, anders als in Gerichtsurteilen und deren Begründungen, wissenschaftlich dargelegt, wie Politik in der Praxis funktioniert. Argumente spare ich mir dann auch einfach.
„Die Strukturen, Instituationen und Praktiken in der tatsächlich gelebten Politik werden von den Piraten ja gerade kritisiert (…)”
Klar. Die Strukturen, die der Arbeit und dem Erfolg nützen, werden gerne genutzt, wie etwa der Status einer Fraktion und die damit zusammenhängenden Arbeitserleichterungen. Die daraus resultierende ethische Verpflichtung wird abgelehnt. Das ist schlicht verlogen. Warum schließen sich die Abgeordneten der Piraten denn überhaupt zu einer Fraktion zusammen? Sie könnten doch als einzelne Abgeordnete im Parlament arbeiten und zu jeder Sachfrage mit allen anderen Abgeordneten eine Meinung herausarbeiten. Seltsamerweise wollen die Piraten aber doch gerne die Vorteile dieser Organisationsstruktur für sich nutzen. Paradox.
„Wenn parteilose Bewerber zum BT und den Landtagen zulässig sind, dann wird die Parteizugehörigkeit wohl kaum zum Wesen der repräsentativen Demokratie gehörden.”
Eben diese Argumentation macht den Rückzug auf Formaljuristisches deutlich. Natürlich ist es in der Praxis möglich, dass parteilose Bewerber antreten — nur geschieht dies nie mit Erfolg. Eben weil nicht nur der einzelne Politiker im Vordergrund steht, sondern auch die Richtung. Das ist auch der Grund weshalb wir ein Verhältniswahlrecht haben. Damit wird nämlich das tatsächliche Verhältnis von Richtungen in der Gesellschaft besser abgebildet als mit einem Mehrheitswahlrecht. Insofern ist es zwingend logisch, dass eine Wahlentscheidung auch immer eine Richtungsentscheidung ist. Im Kern ist das wie der Rückzug der Juristen auf die Böckenfördesche Legitimationskette, wenn es um die Frage von formaler Legitimation geht: danach ist dann selbst der Akt des Bauamtleiters legitimert und somit alles was dort geschieht vom Wähler gewollt.
„Es werden Abgeordnete beauftragt, nicht Parteien.”
Nichts ist falscher als diese Behauptung in einem System des Verhältniswahlrechts.
„Dort wird dann, anders als in Gerichtsurteilen und deren Begründungen, wissenschaftlich dargelegt, ”
:) touchee, mit der Wissenschaftlichkeit ist es in Urteilen wirklich nicht weit her.
Verzeihen Sie die Pedanterie, aber mir sträuben sich die Nackenhaare, wenn ich höre, dass die Zugehörigkeit zu einer Partei „Wesen der repräsentativen Demokratie” sein sollen. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass in der praktisch gelebten in Deutschland Demokratie Parteien unabdingbar sind.
Im Rest werden wir wohl kaum zueinander kommen.
„Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass in der praktisch gelebten in Deutschland Demokratie Parteien unabdingbar sind.”
Ich bitte um das Beispiel nur einer einzigen, freien Demokratie, in der sich keine Parteien gebildet haben, die entsprechend in den Parlamenten repräsentiert sind.
Kleiner Tipp: ich werde nicht die Luft anhalten bis zur Antwort…
» „Was Sie nicht verstanden haben”
Herr Sommerfeld, Sie unterstellen mit solchen Formulierungen dem gegenüber, mit dem Sie ja diskutieren wollen, ein Verständnisdefizit. Ich empfinde solche Formulierungen als unhöflich.
Das Grundproblem ist nicht das von Steffen beschriebene. Das Grundproblem ist, dass die Piraten eine grundlegend andere Art Politik zu machen vertreten.
Ein Pairing-Abkommen ist genau dann nötig, wenn man Fraktionszwänge hat aus denen man nicht heraus kommt. Wenn man als Paralamentarier der Regierungskoalition fürchten muss, bei der nächsten LTW nicht mehr aufgestellt zu werden, wenn man (zu oft) nicht mit der eigenen Fraktion stimmt und. Und wenn man auf der anderen Seite davon ausgehen muss, dass die Opposition gegen jedes Vorhaben stimmt; nicht zwingend aus politischen Gründen, sondern schlicht um dagegen zu sein.
Die Piraten verfolgen hier einen komplett anderen Ansatz, nämlich den themenorientierter Koalitionen. Die Piraten werden im Falle des Falles weder der Regierungsbank noch der, ich unterstelle das einfach mal, fundamentaloppositionellen Bank von CDU/FDP zu Mehrheiten verhelfen, nur um der jeweils anderen Seite eins auszuwischen.
Zu den Pflichten eines jeden Abgeordneten gehört es auch immer noch Schaden vom Land abzuwenden. Und man muss sich halt fragen, ob man diese Pflicht nicht verletzt, wenn man seine Hand gegen ein, aus eigener Sicht, stumpfsinniges Gesetz nicht erhebt, „nur” weil auf der anderen Seite jemand krank im Bett liegt.
_Wenn_ die Piraten eine grundlegend andere Politik machen wollten, dann hätten Sie keine Fraktion gründen sollen und jede Vergünstigung einer Fraktion ablehnen müssen — denn Fraktionen sind ja in der Logik nur Kunstgebilde, die nicht gewählt wurden und deshalb keine Grundlage für eine Bezuschussung aus öffentlichen Geldern haben. Für mich läuft das auf eine Rosinenpickerei heraus.
Ich halte es überhaupt nicht für inkonsequent, wenn die Piraten eine Fraktion bilden, anstatt die Vergünstigungen einer Fraktion abzulehnen. Fraktionen bekommen Mittel und haben Rechte, welche die Abgeordneten aus der Piratenpartei nicht anders in Anspruch nehmen können. Sie können diese Rechte nur als Fraktion in Anspruch nehmen oder sozusagen verfallen lassen. Sie haben nicht die Möglichkeit, die Rechte auf die einzelnen Abgeordneten umverteilen zu lassen.
Es ist keineswegs so, dass die Piraten sich damit die Rosinen herauspicken würden. Fraktionen sind nicht zur Blockabstimmung verpflichtet. Sie dürfen es auch nicht sein. Eine Geschäftsordnung oder andere Rechtsvorschriften hätten vor der Verfassungsgerichtsbarkeit keine Chance, wenn sie Rechte vorsehen würden, die Abgeordnete nur dann in Anspruch nehmen dürften, wenn sie sich bei Abstimmungen einem Fraktionszwang unterwerfen würden. Die Vergünstigungen einer Fraktion dienen nicht dazu, Blockabstimmungen zu belohnen, weil sie verfassungsrechtlich dazu gar nicht dienen dürfen.
Viele Wähler wollen, dass die Abgeordneten im Parlament prinzipiell offen für Argumente sind. Sie wollen, dass keine Gesetze beschlossen werden, die auf Absprachen im kleinen Kreis beruhen und durch spätere öffentliche Debatten nicht mehr zu beeinflussen sind. Dass die Piraten wollen, dass ihre Abgeordneten ohne Fraktionszwang offen für Argumente sein können, ist (glaube ich zumindest, ich schließe hier von mir auf andere) für viele Wähler der Piraten ein ganz wesentlicher Grund gewesen, dieser Liste die Stimme zu geben.
Offenlegung: Ich bin weder Parteimitglied noch Politiker und zudem seit geraumer Zeit nicht mehr in Schleswig-Holstein wahlberechtigt. Ich bin Volljurist, war aber schon vor meinem Jurastudium gegen Fraktionszwang.
„Ein Pairing-Abkommen ist genau dann nötig, wenn man Fraktionszwänge hat aus denen man nicht heraus kommt.”
Nun, das scheint mir eines der üblichen Vorurteile über die Arbeit von Fraktionen zu sein, die nur schwer auszurotten sind. Das, was hier als „Fraktionszwang” diskreditiert werden soll, ist im Kern zweierlei: Erstens ein urdemokratisches Prinzip und zweitens die Anerkenntnis von Parteien und Richtungen.
Wenn Abgeordnete sich zu einer Fraktion zusammenschließen, heißt das natürlich nicht, dass sie alle ihre Meinung und Haltung abgeben und deswegen nur nach Vorgabe abstimmen. Die Themen werden innerhalb der Fraktion diskutiert und abgestimmt bevor sie im Parlament behandelt werden. Und da kommt dann eine der wichtigen Säulen der Demokratie zum tragen: eine Demokratie funktioniert nur, wenn Mehrheitsentscheidungen akzeptiert werden. Wenn die 49% unterlegenen ihre Niederlage nicht akzeptieren, kann eine Gesellschaft nicht demokratisch funktionieren. Was das in der Praxis bedeutet, kann man in Afrika nach Wahlen beobachten — dort ist eines der Probleme, die mangelnde Akzeptanz von Demokratie.
Und deswegen ist es natürlich völlig richtig, dass diejenigen, die in einer Fraktion bei einer Abstimmung unterliegen, das Ergebnis der Abstimmung akzeptieren. Schließlich erwarten sie auch, dass die anderen es akzeptieren, wenn sie einmal bei einer anderen Fraktionsabstimmung unterliegen.
Der zweite Punkt ist die Anerkenntnis von Parteien, die gewählt werden. Parteien bestehen aus Mitgliedern, die Programme aufstellen, Positionen erarbeiten, Kandidaten zu Wahlen vorschlagen und eben eine dauerhafte Idee repräsentieren — wie eben SPD, CDU, Grüne und andere. Und wenn diese Parteien mit ihrem Programm gewählt wurden, erwarte ich als Wähler natürlich, dass die Abgeordneten — und somit die Fraktionen! — das Programm umsetzen, das die Parteien zur Wahl beschlossen haben. Also gibt es natürlich einen Zwang, sich an das Programm der Partei zu halten. Das erwarte ich als Wähler!
„Wenn man als Paralamentarier der Regierungskoalition fürchten muss, bei der nächsten LTW nicht mehr aufgestellt zu werden, wenn man (zu oft) nicht mit der eigenen Fraktion stimmt und.”
Ja, und? Wenn ich als Parteimitglied ein Programm beschließe, erwarte ich, dass der gewählte Abgeordnete dieser Partei das Programm umsetzt. Warum sollte ich denjenigen wieder aufstellen, der sich hier verweigert?
Jeder Demokrat erkennt die Mehrheitsentscheidung an. Nur muss es halt eine Mehrheitsentscheidung IM Plenum sein, nicht sonstwo auf der grünen Wiese.
Auch gilt hier natürlich wieder, dass nicht die Fraktion oder Partei gewählt wurde, sondern der Abgeordnete. Fraktionen sind zunächst organisatorische Zusammenschlüsse der einzelnen Abgeordneten. Abstimmungen in der Fraktion können für den Abgeordneten in seiner eigentlichen Tätigkeit keine Bindungswirkung entfalten. Dann könnten wir auch auf das freie Mandat verzichten.
Es kommt in Einzelfall immer darauf an, ob der Abgeordnete die Entscheidung der Fraktion dennoch tragen kann. Hier kann man — muss man aber nicht — erwarten, dass er dann der Fraktion folgt. Das sollte vor allem dann der Fall sein, wenn er inhaltlich überzeugt wird. Wie wäre denn mal ein Umdenken:
Die Abstimmungen in der Fraktion stellen ein Meinungsbild dar, ob ein bestimmtes Vorhaben umzusetzen ist. Zeigen sich hierbei zu viele Gegenstimmen, so ist es jedenfalls mit den Stimmen der Fraktion offenbar nicht umzusetzen und man muss mit anderen Abgeordneten sprechen, um diese inhaltlich zu überzeugen.
Inhaltliches Überzeugen endet nicht an den Grenzen der eigenen Fraktion. Das freie Mandat endet aber noch viel weniger mit dem Eintritt in die Fraktion.
„Abstimmungen in der Fraktion können für den Abgeordneten in seiner eigentlichen Tätigkeit keine Bindungswirkung entfalten.”
Nun, wenn ich mit einer Gruppe von Gleichgesinnten für fünf Jahre zusammenarbeite, um ein Ziel zu erreichen, muss ich Spielregeln akzeptieren. Und die grundlegende Regel der Demokratie ist die Mehrheitsentscheidung, die ich zu akzeptieren habe.
Wohlgemerkt: Mit keiner Silbe habe ich — oder jemand anders hier — das freie Mandat in Abrede stellen wollen. Jeder Abgeordnete kann natürlich auch gegen die Fraktion stimmen und machen was er will. Jederzeit, ohne Probleme. Nur stelle ich als Partei diesen Abgeordneten dann nicht wieder zur Wahl auf. Denn warum soll ich als Parteimitglied jemanden unterstützen, der nach der Wahl sich nich gemeinsame Beschlüsse hält sondern macht was er will?
Insofern stimme ich Ihnen herzlichst zu. Wer dauerhaft gegen die Programme und Standpunkte der Partei stimmt, wird rein faktisch schon keine Chance mehr haben, aufgestellt zu werden. Das gilt mE auch dann, wenn er wirklich glaubhaft machen kann, dass jede andere Entscheidung mit seinem Gewissen unvereinbar gewesen sei.
Die Verknüpfung von Pairingabkommen und Fraktionszwang besteht mE auch anders. Deshalb habe ich diese bislang auch nicht zur Hilfe genommen. Wenn eine Fraktion ein Pairingabkommen schließt, dann bedeutet dies, dass im worst case ein Abgeordneter entgegen seinem Gewissen nicht gegen die Vorlage stimmen kann/darf (worst case, wenn alle Abgeordneten dagegen sind). Da wir hier über abstrakte Regelungen sprechen, müssen diese zwangsläufig auch an worst-case-Szenarien gemessen werden. Durch die abgeschlossene Vereinbarung könnte der Abgeordnete sich jedoch verpflichtet fühlen, tatsächlich nicht zu erscheinen. Insofern entsteht ein faktischer Fraktionszwang.
Einen Diskurs über Reichweite und Wirkung Fraktions- und Parteienzwang (sowie -disziplin) würde ich sehr begrüßen, halte aber die Kommentarfunktion hier für den falschen Ort.
mfg
„Wenn eine Fraktion ein Pairingabkommen schließt, dann bedeutet dies, dass im worst case ein Abgeordneter entgegen seinem Gewissen nicht gegen die Vorlage stimmen kann/darf (worst case, wenn alle Abgeordneten dagegen sind).”
Das kann vorkommen, ja. Die normative Kraft des Faktischen zeigt nunmal, dass ein Parlament aus 60 Einzelkämpfern nicht funktioniert und Gruppenbildungen unerlässlich sind und übrigens auch in jeder Demokratie so vorkommen. Und das führt in der Praxis nunmal zu funktionslogischen Einschränkungen, Ritualen, informellen Regeln, Abläufen und anderem. *Das* ist ganz einfach menschliche und demokratische Realität, die sich nie am formalen Ideal messen lassen kann.
Hm. Ich spreche nicht gegen Strukturen und Bündnisse. Ich spreche auch nicht gegen Kompromisse. Diese sind ohne Frage in jeder Gesellschaft erforderlich. Ich spreche dagegen, dass man eine Regelung festschreibt, welche im worst case einem der Grundprinzipien unserer Demokratie zuwider läuft. Sachbezogene Enthaltungen und auch eine von unserer Fraktion mehrfach vorgeschlagene sachbezogene Zusammenarbeit schließen nichts aus. Nur halt eine sachgrundlose Stimmenthaltung.
mir gefallen die Piraten immer mehr…bewegen Leute an die Wahlurne und kratzen Dinge auf, die dringendst anders geregelt werden müssen…Fakt ist, dass ich einem Abgeordneten meine Stimme gegeben habe und möchte, dass dieser bei Abstimmungen dabei ist und nicht deswegen keine Stimme mehr hat, weil ein anderer Abgeordneter erkrankt ist…ein formloses Pairing führt immer wieder dazu, dass es gebrochen wird, deshalb muss hier eine gesetzliche Regelung erfolgen…wäre auch relativ einfach, warum nicht aus dem Krankenbett abstimmen?
Nur weil mensch es immer wiederholt, wird es nicht wahrer. Pairing ist nicht die kleine Schwester des „bösen” Fraktionszwanges sondern ein Stück Humanität, damit nicht schwerstkranke Abgeordnete ins Parlament gekarrt werden müssen bzw. z.B. sie ihre Strahlentherapie verpassen. Ja auch Abgeordnete haben Krebs. Es geht hier nicht um Blaumachen(!). Auch wenn der populistische Teil des Volksmundes häufig etwas anderes denkt, wer miterlebt hat, wie sich Kolleg_innen schwerstkrank in den Landtag schleppen, dem stösst so manche Äußerung ziemlich auf. Als der direkt gewählte Kollege Potzahr (CDU) Monate lang fehlen musste wegen eines Schlaganfalls, hätte er dann sein Mandat abgeben sollen? Regiert wird immer noch mit den Mehrheiten, die über die Parteienstimme zustande kommen und wenn es kein Pairing mehr geben würde, dann würde es bei längeren Erkrankungen zu einem verdeckten Mandataufgabezwand kommen, weil sonst die von den Wählern und Wählerinnen gewollte(!) Mehrheit nicht mehr da wäre. Unser Wahlssystem sieht übrigens auch vor, dass diese Mehrheiten zwischen den Wahlen erhalten bleiben, denn bei Tod oder Ausscheiden eines Abgeordneten wird nicht neu gewählt sondern es rücken Nichtgewählte über die Liste nach. Das ist auch ok, denn viele sind, wie die Piraten und ich auch, im Parlament, weil zwar nicht die Bewerber aber ihre Partei genügend Stimmen bekommen hat. Wer keine Mandate mehr über die nicht direkt personengebundene Listenwahl will, der muss ehrlicherweise für ein Wahlrecht wie in UK oder den USA kämpfen, wo es nur direkte Mandate aus den Wahlkreisen gibt und dann muss halt nachgewählt werden, wenn jemand stirbt/ausscheidet.
Jede/r soll die Dinge sehen wie er/sie will. Aber für mich wie für fast alle Parlamentarier sei es Opposition oder Regierung, die sich sonst wahrlich nichts schenken, ist Pairing nichts weiter als ein kleines Stückchen Humanität, die sonst im politischen Betrieb fehlen würde. Warum wohl fühlte sich Heide Simonis genötigt, trotz Krebserkrankung mit Tropf in der Stola weiterzumachen. Darüber sollten wir einmal diskutieren und nicht darüber es erkrankten Kolleginnen und Kollegne noch schwerer zu machen, zu ihrer Erkrankung zu stehen und sie, wenn möglich, auszukurieren.
Ah, das Totschlagargument des schwer kranken Abgeordneten. Die moralische Keule ist immer die letzte Säule, hinter der man sich verstecken kann. Auch hier sollte man differenzieren können.
Natürlich will man es dem kranken Abgeordneten nicht zumuten, sich „mit Tropf” ins Pelnum zu schleppen. Aber das mutet ihm nicht die pairingunwillige Opposition zu, sondern die Koalition selbst. Denn diese hat beschlossen, einen Vorschlag einzubringen, der aufgrund weniger Stimmen kippen könnte. Dabei handelt es sich um ein ständig präsentes Risiko, welches man als Regierung hat. Dieses Risiko kann man dadurch minimieren, dass man versucht, die Opposition zu überzeugen. Schafft man dies nicht, so realisiert sich ein in der Koalition angelegtes Risiko.
Gleiches gilt übrigens natürlich für die Opposition, nicht das wir uns falsch verstehen. Nur ist diese immer auf Stimmen aus der Koalitionsmehrheit angewiesen, weshalb das Risiko erheblich größer ist. Wollen wir auch dieses dem Status immanente Risiko mit einem weiteren Abkommen ausschalten? Achso nein. Das würde ja dem Mehrheitswillen widersprechen. Welcher Mehrheit doch gleich? Um die IM Plenum geht es ja offenbar nicht.
„Aber das mutet ihm nicht die pairingunwillige Opposition zu, sondern die Koalition selbst.”
Was schlicht und ergreifend falsch ist. Wenn die Regierungsmehrheit ein Vorhaben nur deswegen nicht umsetzen kann, weil ein Abgeordneter zur Chemotherapie ist und Leute wie die Piraten dies dann ausnutzen, ist das ganz einfach: unmenschlich und mies. Denn dies führt zu einem enormen Druck auf den erkrankten MdL, sich doch noch ins Plenum zu quälen.
Ganz einfach.
Und der Druck geht nicht ganz zufällig davon aus, dass die Koalition einen Inhalt beschließen will, der bei KEINEM Politiker der Opposition konsensfähig ist und die fehlende Stimme zu ersetzen? Aber nein. Das würde ja bedeuten, man müsste inhaltlich überzeugen.
Es tut mir leid, aber Sie versuchen freiwilllig auf sich genommene, politische Risiken mit der moralischen Keule zu minimieren.
„Und der Druck geht nicht ganz zufällig davon aus, dass die Koalition einen Inhalt beschließen will, der bei KEINEM Politiker der Opposition konsensfähig ist und die fehlende Stimme zu ersetzen?”
Nun, eben dieses hat der Wähler so gewollt. Die Mehrheit im Parlament ist Ausdruck des Wählerwillens.
Wie groß soll denn eine vorher zusammengestellte Mehrheit sein, damit sie auch bei Krankheit mehrere Abgeordneter bei der Abstimmung noch hält?
Die Entscheidung der Piraten verachtet alles, was an Meinungsbildung vorher schon passiert ist: Es verachtet den demokratischen Prozess, in dem Parteiprogramme entstehen und es verachtet das demokratische Wahlergebnis und es verachtet die demokratische Vorarbeit in den Ausschüssen und am Ende tun sie so, als ob das Parlament und die Abstimmung eine Tabula Rasa wäre, wo noch einmal von vorne begonnen werden muss.
Mit ihrer überzogenen Interpretation des Freiheits des Mandats stellen sie im Übrigen auch Personen über Inhalte.
Na ja, tabula rasa greift vielleicht zu weit — aber natürlich wäre es wünschenswert, wenn eine Regierung Gesetze einbrächte, die auch von mindestens so vielen der Opposition mitgetragen werden können, wie man selbst Ausfälle zu verzeichnen hat.
Es ist ja nicht so, dass ständig das halbe Personal der Regierungskoalitionen schwerkrank im Bett liegt.
Und gerade die Piraten sind es vermutlich, die man am einfachsten mit Fakten und Argumenten überzeugen kann. Eben weil da keine Fundamentalopposition betrieben wird — zumindest wäre ich dann von ihnen sehr enttäuscht.
Die Frage ist doch also viel grundlegender: wie gut (fachlich, für’s Land, für die Menschen, …) ist ein Gesetz wirklich, wenn schon ein Abgeordneter, der mit gebrochenem Bein zuhause liegt, alles zum Einsturz bringt?
„Und gerade die Piraten sind es vermutlich, die man am einfachsten mit Fakten und Argumenten überzeugen kann.”
Gerade das ist die größte Fehlannahme in der Politik: Dass es eine objektiv richtige Politik gebe, für die man sich nur entscheiden müsse. Und wenn es objektiv richtig sei, würden die Piraten schon dafür stimmen. Das ist eine völlig falsche Annahme, weil sie völlig ausblendet, dass es unterschiedliche Wertvorstellungen, Ideen und Annahmen gibt.
Offensichtlich lassen sich die Piraten beim Pairing nicht von Fakten und Argumenten überzeugen.
@Kai Ich spreche nicht von objektiv richtiger Politik. Ich spreche davon, andere Politiker durch Argumente zu überzeugen.
Aber wo du schon von „unterschiedlichen Wertvorstellungen [und] Ideen” sprichst: das ist genau mein Punkt. Ich möchte so regiert werden, dass die Werte auf denen die gemachte Politik fußt von mehr als nur einer Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag getragen werden kann. Und ich behaupte: wenn die zukünftige Regierung eine Politik für eine echte Mehrheit (soll heißen: mehr als 51% der Bürger) macht, wird man sich um die maximal 3 fehlenden Stimmen aus den eigenen Reihen keine Sorgen machen müssen.
Gehe ich, gehen die Piraten hier zu idealistisch ran? Vielleicht. Das wird sich erst noch zeigen.
@Steffen Dass man die Piraten mit guten(!) Argumenten vermutlich deutlich leichter auf die eigene Seite bekommt als Abgeordnete der beiden anderen Oppositionsfraktionen heißt freilich nicht, dass das immer funktioniert — und schon gar nicht, wo ein grundlegend anderes Verständnis von Politik und Demokratie existiert.
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Ich finde die Stelle in den Kommentaren nicht mehr. Aber irgendwo klang an, dass das die Naivität der Neulinge sei. Das halte ich für zu kurz gesprungen. Immerhin trägt auch Politprofi Angelika Beer diese Entscheidung mit: “Das Pairingsverfahren ist ein Instrument herkömmlicher Machtstrukturen”, erklärt die Piratenabgeordnete Angelika Beer. “Wir haben das Votum unserer Wähler, eben diese Machtstrukturen aufzubrechen und nicht zu stabilisieren. Es handelt sich nicht um eine Entscheidung gegen den SSW, sondern machtpolitische Taktiererei widerspricht schlichtweg unserem Politikverständnis.”
„Ich möchte so regiert werden, dass die Werte auf denen die gemachte Politik fußt von mehr als nur einer Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag getragen werden kann.”
Dann musst Du das Prinzip der Demokratie im Kern ändern — welche Mehrheit anstelle einer 50+X%-Mehrheit soll es denn sein, die Entscheidungen trifft? 60% aller Abgeodneten? 66%? 75%? 90%? 100%?
Wie gesagt, Kai, wir reden hier von maximal 3 fehlenden Stimmen. Ich, jetzt mal als Wähler und Bürger, nicht als Pirat, gesprochen, möchte schon, dass die zweifelsohne wichtigen Entscheidungen, die im Parlament gefällt werden, nicht durch gerade mal 3 (fehlende) Stimmen zu Fall gebracht werden (können).
Mir ist sehr wohl bewusst, dass eine Mehrheit eine Mehrheit ist. Aber wir sind uns ja wohl einig, dass es einen qualitativen Unterschied zwischen einer Mehrheit, bei der um jede Stimme gezittert werden muss und einer Mehrheit, wie z.B. letzte Woche im Bundestag beim Organspendegesetz gibt.
Dass ein so nahezu vollständiger Konsens die Ausnahme und nicht die Regel ist, ist mir klar. Dennoch ist so ein Konsens ja wohl wünschenswert — mir scheint aber, dass dieser nie/selten auch nur angestrebt wird.
Ich glaube sogar, dass wir grundsätzlich mit einer konsensualen Demokratie besser fahren würde. Allerdings denke ich auch, dass sich gerade Deutschland/Schleswig-Holstein den damit einhergehenden Zeitverlust nicht leisten könnte.
Vor diesem Hintergrund möchte ich am eigentlichen demokratischen System, das wir haben, gar nicht so viel ändern. Am Stil und an der Art wie hierzulande Politik gemacht wird, passt mir aber so einiges nicht.
Über all das kann man auch diskutieren und es richtig oder falsch finden. Das ist hier aber überhaupt nicht der Punkt, um den es geht. Vielmehr geht es darum, dass die Piraten eben eine Ausnahmesituation (schwere Krankheit) ausnutzen, und eine mögliche Mehrheit nicht durch reguläre Verfahren erreichen. Das ist einfach schlechter Stil.
Andererseits: wenn Pairing ein reguläres und von allen gewolltes Verfahren wäre, wäre es ja inzwischen fester Bestandteil unseres Systems. Ist es aber aus guten Gründen nicht.
Was ist den so schwer daran wenn ich nicht im Vollbesitz meiner Kräfte bin mein Mandat niederzulegen und die, in meinen Augen, verantwortungsvolle Aufgabe jemanden zu überlassen der die Funktion ausfüllen kann.
Wenn es wirklich um den humanitären Aspekt gehen würde, dann würde der „Nachrücker” bei Genesung des Abgeordneten seinen Platz wieder an ihn zurückgeben.
Aha. Und die Rückgabe des Mandats an einen wieder genesenen Abgeordneten geschieht doch gleich auf welcher rechtlichen Basis? Einmal ganz davon abgesehen, dass auch ein Nachrücker Anspruch darauf haben muss, sein berufliches Leben einigermaßen verlässlich zu planen. Also kurz und knapp: Der Nachrücker rückt bis zum Ende der Legislatirperiode nach, die Aufgabe des Mandats gilt (mindestens) bis zur nächsten Wahl.
Wenn das tatsächlich alles so banal ist, liebe Parlamentsrookies, wozu sieht das Wahlsystem dann eigentlich 2 Stimmen vor — von denen eine explizit für eine Partei (und damit die Inhalte, für sie eintritt) vorgesehen ist?
Und was hat das Pairing eigentlich mit der Gewissensentscheidung der Abgeordneten zu tun? Die scheint mir doch viel eher dadurch in Gefahr zu sein, daß sich der/die einzelne Abgeodnete schon programmatisch in vorauseilendem Gehorsam allem unterwirft, was die Piratenbasis will…
Wie „frei” ist denn ein solches Mandat?
Zu glauben, man sei durch die Verweigerung eines Pairing-Abkommens demokratischer als der Rest, ist übrigens genau so ein Irrtum wie die Annahme, man sei durch eine öffentliche Inszenierung seiner Fraktionssitzungen demokratischer und / oder authentischer.
Denn was dabei rauskommt, wenn sich Laiendarsteller im sicheren Wissen, vom geneigten Publikum permant beobachtet zu werden, vor der Kamera bewegen, kann man unterhaltsam finden (dann heißt das wohl „Big Brother” und läuft im Trash-TV) aber ganz sicher nicht als den ehrlicheren oder transparenteren Weg zu brauchbarer politischer Entscheidungsfindung anerkennen. Aber das ist in der Tat ein anderes Thema…
Die zweite Stimme geht an die Kandidaten auf der Parteiliste. Damit wird nicht die Partei gewählt. Warum versteht das nur nie jemand? Ich zitiere von oben: BVerfGE 95, 335 (Urt.v.10.04.1997 – 2 BvF 1/95) und die Kommentierung in Maunz/Dürig, Art. 38 Rn. 71ff.
Ganz ehrlich: Sich auf juristische Formalien zurück zu ziehen, ist sicher hilfreich für das zweite Staatsexamen. In der Praxis hilft es aber relativ wenig, wenn man Demokratie und Politik in der Praxis verstehen will. Dann sollte man sich auch mit den Strukturen, Institutionen und den Praktikten dort auseinandersetzen.
Ich habe die Zitate gebracht, um die langatmigen Ausführungen zu vermeiden. Dabei handelt es sich mE auch nicht um formaljuristsiche Ausführungen, sondern um Grundsätze unserer repräsentativen Demokratie. Die Strukturen, Instituationen und Praktiken in der tatsächlich gelebten Politik werden von den Piraten ja gerade kritisiert — ein taugliches Argument zur Überzeugung sind sie damit dann doch eher nicht, oder?
Die Strukturen sind mir i.Ü. durchaus bekannt und bewusst. Es macht aber einen Unterschied, ob man sie mit platten Behauptungen wie der „Parteistimme” in den Raum wirft oder in Kenntnis ihrer Existenz versucht, an ihnen zu arbeiten.
Kleiner Nachtrag noch: „Verzeihen Sie die Pedanterie, aber mir sträuben sich die Nackenhaare, wenn ich höre, dass die Zugehörigkeit zu einer Partei “Wesen der repräsentativen Demokratie” sein sollen. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass in der praktisch gelebten in Deutschland Demokratie Parteien unabdingbar sind.”
Darf ich an dieser Stelle an das Parteienprivileg des Artikel 21GG erinnern?
„Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.”
Hierdurch wird den Parteien eine wesentliche Rolle in unserer Demokratie zugesprochen, mehr noch: sie werden als ein wesentlicher Bestandteil definiert, der an der Willensbildung mitwirkt. Insofern sind sie nicht „unabdingbar”, sondern grundgesetzlich vorgesehen und mit einem besonderen Recht versehen worden.
Dass mit der Zweistimme formell eine Liste gewählt wird, ist mir durchaus bekannt. Ebenso die Entscheidung „Überhangmandate II”.
Das alles ändert aber doch an der Tatsache nichts, dass der Bürger hier faktisch „seine” Partei wählt, das auch ganz bewußt tut — und vor allem: Dass genau dieses Nebeneinander von Personenwahl (Mehrheitswahl) und (personalisierter) Verhältniswahl gewollt und bewußt so ausgestaltet worden ist.
Ich entscheide mich mit der Zweitstimme für die Inhalte einer Partei — und nehme dabei die von ihr zur Wahl aufgestellte Liste zur Kenntnis (oder notgedrungen in Kauf). Und im Gegenzug erwarte ich, dass diese Nasen von der Liste (die ich mir selbst eben nicht ausgesucht habe, sondern die jeweilige Partei!) anschließend auch im Parlament für das stehen, für das sie im Wahlkampf ihrer Partei geworben haben. So schwer ist das doch nicht…
Die Zweitstimme ist keine Personenwahl!
„Ich entscheide mich mit der Zweitstimme für die Inhalte einer Partei [..] Und im Gegenzug erwarte ich, dass diese Nasen von der Liste [..] anschließend auch im Parlament für das stehen, für das sie im Wahlkampf ihrer Partei geworben haben.”
Und wie sollen die das tun, wenn sie sich wegen eines Pairingabkommens enthalten „müssen”?
„Und wie sollen die das tun, wenn sie sich wegen eines Pairingabkommens enthalten ‚müssen’?”
Der Rest der Fraktion kann weiterhin im Sinne des Wahlprogramms abstimmen.
„Das war immer schon so und das muss auch so bleiben” scheint mir die Zusammenfassung des Artikels zu sein. Und danach wird es hier nur noch schlimmer. Ich verteidige hier beileibe nicht die naive Haltung der Piraten, aber mich entsetzt die Selbstverständlichkeit, mit der einige wirklich haarsträubende Dinge als Tatsachen in den Raum gestellt werden.
Ich kann weder ganz toll Paragraphen zitieren, noch kann ich dieses überhebliche Kopfschütteln. Aber ich kann wie viele Leser, die sich in keiner Partei engagieren, zwar noch wählen gehen aber sich insgeheim ein wenig vor der gängigen Praxis des Politikmachens gruseln (oder sollte ich lieber sagen: „ekeln”?), noch ein wenig mehr abgeschreckt sein. Vielen Dank für diese Demonstration, Autor und Kommentatoren aller Couleur. :-(
Man kann natürlich auch kommentieren, ohne nur ein einziges Argument zu gebrauchen, oder wenigstens die vorgebrachten Argumente aufzugreifen, um sie — wie auch immer — zu bewerten. Inhaltlich bringt das aber nicht viel, oder?
Anders gefragt: wenn wir auf der rechten Seite der Straße fahren und dann jemand kommt, der das für Schwachsinn hält und links fahren will, wirst Du auch ganz traurig, weil wir nicht links fahren sondern alles so weiter machen, wie bisher?
Dann „ekel” Dich mal weiter. Argumente habe ich bisher von Dir noch nie gelesen.
Danke Daniela, für deinen „inhaltsleeren” Zwischenruf.
Er macht deutlich, dass hier auch noch andere Leute mitlesen, die dieses Blog vielleicht auch nur zu Informationszwecken nutzen, um sich aus der Fülle der Argumente eine eigene Meinung zu bilden.
Und wahrlich, die Argumente sind breit gefächert.
Vielleicht hilft das ja ein bißchen bei der Begriffs- und Inhaltsdiskussion:
http://de.wikipedia.org/wiki/Parteiendemokratie
Um nicht falsch verstanden zu werden: Auch ich stehe dem derzeitigen Zustand der Parteiendemokratie (sei es auf Bundes- oder Landesebene) durchaus kritisch gegenüber. de lege ferenda mag da so Einiges zu verändern, jedenfalls zu diskutieren sein.
Das kann aber nicht dazu führen, dass man als neu in dieses System gewählte Kraft — sei es wider besseren oder auch nur mangels vorhandenen Wissens — plötzlich so tut, als hätte das Parlament eigentlich von (Landes-!)Verfassungs wegen eine parteifreie Zone zu sein und außer einem selbst anscheinend niemand in der Lage, dies richtig zu sehen…
Zu „Da kommt der Eine auf den Anderen zu und wenn Du für meinen Antrag stimmst, stimme ich für Deinen.” und zum viel zitierten „Fraktionszwang” mal ein kleines Beispiel aus der Realität des Bundestages, Oktober 2011.
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=Rc2oZS7r53E
Da muss man sich als Wähler nicht fragen, ob sich unsere Volksvertreter wirklich mit der Sache auseinandergesetzt haben. Sie haben es nicht, wie hier eindrucksvoll bewiesen wird. Entscheidung und Zustimmung erfolgen hier nur, weil die Fraktion oder die Koalition dies will… Wird schon so passen. Da muss sich dann jeder selbst fragen, ob er das mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Mir würde das doch sehr schwer fallen.
Wenn die Piraten es durchhalten, eben nicht in gleiche Verhaltensmuster zu fallen und Fraktionszwang und Pairing wegen genau solcher Beispiele zu hinterfragen und ablehnen, finde ich das sehr gut.
P.S. War Fraktionszwang nicht eh verfassungswidrig? Bei der informellen Handhabung von Sanktionen für Abweichler wird man wohl kaum entgegenwirken können…
„War Fraktionszwang nicht eh verfassungswidrig?”
Es gibt in Deutschland in keinem Parlament einen Fraktionszwang. Jeder Abgeordnete kann so abstimmen, wie er oder sie es für richtig hält, ohne irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen. Die Freiheit des Mandats ist überall und immer gewährleistet.
Dass Fraktionen aber Mitglieder ausschließen, wenn sie dauerhaft eigene Politik machen wollen, ohne sich abzustimmen, liegt auf der Hand, oder?
Wenn Du im Fußball-Team jemanden hast, der ständig Alleingänge macht, holst Du ihn auch nicht mehr ins als erstes ins Team. Auch wenn natürlich jeder auf dem Feld machen kann, was er will.
Ja, das tut es. Leider. Denn der Wähler wählt auch Personen. Zumindest tue ich das und wenn ich mir den Wahlzettel anschaue, ist das auch so.
Deshalb empfinde ich Sanktionen in jeglicher Form eben auch als einer Demokratie nicht würdig… Aber das lassen wir besser…
„Deshalb empfinde ich Sanktionen in jeglicher Form eben auch als einer Demokratie nicht würdig… Aber das lassen wir besser…”
Nö, das sind genau die Dinge, die ausdiskutiert gehören.
Warum sind Sanktionen „einer Demokratie nicht würdig”? Der Abgeordnete kann im Höchstfall lediglich aus der Fraktion ausgeschlossen werden und bleibt weiterhin Abgeordneter mit allen Rechten und Pflichten, die er mit seiner Wahl erworben hat. Fraktionen sind Organisationsstrukturen im Parlament, die sich dort bilden. Wenn Fraktionen ein freiwilliger Zusammenschluss von Abgeordneten sind — warum sollten sie dann gezwungen sein, Mitglieder gegen ihren Willen aufzunehmen oder beizubehalten?
Dass das Gro der Abgeordneten keine Ahnung hat, geht natürlich gar nicht.
Das ist sicher nicht die Regel und hat mit dem Pairing nur marginal zu tun.
Ich frage mich aber, was daran verwerflich sein soll, wenn Leute bei Entscheidungen aufeinander zugehen. Das ist doch das normalste von der Welt, wenn Menschen zueinander sagen: Wenn Du mir hier hilfst, helf ich Dir da. „Wenn Du den Abwasch machst, trockne ich ab.”
“Wenn Du den Abwasch machst, trockne ich ab.”
Und schon sind wir genau da, worauf ich hinaus wollte. Eine Hand wäscht die andere.… Das hat einen faden Beigeschmack und eben das sind die Verhaltensweisen, die in der Politik so gar nicht gehen.
Warum geht das gar nicht? Das ganze Leben besteht daraus, dass man Kompromisse eingeht, dass man jemandem entgegenkommt und derjenige das bei Gelegenheit auch tut. Das hat überhaupt keinen faden Beigeschmack, sondern ist die Grundlage eines guten Zusammenlebens ohne Blockwart-Mentalität:
Die Eltern, welche die Tochter länger als vereinbart aufbleiben lassen, weil die super für die Englischarbeit gelernt und eine gute Note nach Hause gebracht hat.
Der Hauseigentümer, der toleriert, dass der Nachbar den privaten Parkplatz gelegentlich nutzt, weil der immer so nett zur Verfügung steht, wenn man am Haus mal Hilfe braucht.
Der Chef, der beide Augen zudrückt, weil ein Mitarbeiter am Montag offenkundig blau macht, nachdem er mehrere Male ohne zu Mucken am Wochenende notfallmäßig angerückt ist.
[Add your example…]
Wichtig ist, dass die wichtigen und grundlegenden Dinge des Zusammenlebens klar und eindeutig bleiben. In der Politik sind das die zentralen Programmpunkte und die Gewissensentscheidungen. Bei allem anderen arrangiert man sich so selbstverständlich miteinander, wie es in anderen gesellschaftlichen Bereichen für alle Menschen mit Grips im Kopf selbstverständlich ist. Politik findet doch nicht auf einem anderen Stern, sondern in sozialen Zusammenhängen zwischen Menschen statt. Auch wenn man es manchmal kaum glauben mag.
Manchmal finde ich die Erwartungshaltung gegenüber Politikern derart abstrus, dass es mir schon die Sprache verschlägt.
Insgesamt verstehe ich allerdings die Aufgeregtheit um das gescheiterte Pairingabkommen nicht. Es ist eine freiwillige Angelegenheit und die Piraten können es machen oder lassen. Die Moralkeule finde ich unangebracht, auch wenn ich die Entscheidung der Piraten für unklug halte. Sie scheinen allerdings ein Politikverständnis zu haben, dass Pairing ihrer Meinung nach nicht ermöglicht. Das finde ich schade. Aber warten wir doch mal ab, wie toll dieses Modell über die Zeit trägt. Ich sage nur „Rotationsprinzip” bei den Grünen.
Und – auch das ist eine gesellschaftliche Binsenweisheit – trifft man sich im Leben immer zweimal – im politischen noch viel häufiger. Warten wir doch mal ab, wie das Echo ist, wenn die Piraten einmal auf Wohlwollen der übrigen Parteien in bestimmten parlamentarischen Verfahren angewiesen sind. Vielleicht lernen sie dann ja dazu, vielleicht bleiben sie bei ihrer Haltung. Oder vielleicht lernen wir ja alle, dass es tatsächlich auch ohne Pairing prima funktioniert. Ich gehe im Moment eh noch davon aus, dass die Dänenampel in der Regel mehr als 1 Stimme über den Durst haben wird.
Deine Beispiele sind ja nett, aber hier wird — nicht nur bei deinen Beispielen, sondern bei dieser gesamten Diskussion — immer der Idealzustand beschrieben. Zwischen dem, was geschrieben steht und eigentlich sein sollte und dem, was tatsächlich gelebt wird, liegen leider oft einige Welten. Beispiel, siehe Video oben.
Meine Argument zielte auch eher auf den Fraktionszwang als auf das Pairing. Ist jemand krank, wirklich krank und kann sich nicht mit dem Thema beschäftigen oder über die Distanz mit abstimmen (ja, sowas geht heutzutage), denke ich sollte man dem Pairing zustimmen. Wenn andernfalls keine (deutliche) Mehrheit zu Stande kommt. Ist jemand verhindert, weil er irgendwo sonst herumschwirrt (Aufsichtsratssitzungen, Urlaub o.Ä.) und fehlt bei einer „wichtigen” Entscheidung — selbst Schuld.
Aber ich denke, das muss man eben fallweise entscheiden und kann das nicht kategorisch ausklammern. Da stimme ich Dir zu. Vielleicht tun sich die Piraten damit wirklich keinen Gefallen.
Übrigens: Eine sehr schöne Diskussion hier! ;-)
Tja Swen, wenn es denn so wäre, wie du es beschreibst, warum hat die FDP dann 2005 nicht gepairt, als es um die Wahl der Ministerpräsidentin Simonis ging? Da hat sich keiner aufgeregt,dass die Mehrheitsbildung ‚zufällig’ zustande gekommen ist. Ebenso müssten dann ja die Oppositionsparteien pairen, wenn Abgeordnete aus den Regierungparteien zu ihnen ‚überlaufen’. Auf die Idee kommt natürlich niemand. Ralf Stegner hat in seinem Gespräch mit den Piraten ja wohl viel vom skandinavischen Modell, von wechselnden Mehrheiten, geredet. Da braucht es dann auch kein Pairing. Und anrüchig ist das auch nicht…
Das Pairing gilt bei Abwesenheiten, nicht für den Fall, dass anwesende Abgeordnete nicht mit ihren Fraktionen stimmen. In diesem Fall würde Pairing ja Mehrheitsverhältnisse in der Tat pervertieren, da die potentiell regierungstragenden Fraktionen – wie im Beispiel von Frau Simonis – eben offenkundig keine Mehrheit zusammengebracht haben – obwohl alle Mitglieder des Landtags anwesend waren. Dieser Unterschied sollten einem ehemaligen MdL eigentlich geläufig sein.
Die Schwäche des Pairings ist allerdings, dass es geschlossene Abstimmungen der Fraktionen voraussetzt. Anders als bei der geheimen Abstimmung bei der Wahl der Ministerpräsidentin wird ja zu Sachthemen offen abgestimmt. Hier kann es prinzipiell ja schon geschehen, dass ein Abgeordneter zur Vermeidung von Repressionen eben nicht offen gegen seine Fraktion stimmt, sondern einfach eine Krankheit vorschützt. In diesem Fall liefe das Pairing dann auch auf eine Verkehrung tatsächlicher Stimm- und damit Machtverhältnisse hinaus.
Insofern verstehe ich auch die Schwarz-Weiß-Beiträge hier nicht. Pairing ist grundsätzlich erst einmal ein gutes Verfahren, welches allerdings eben auch Schwächen besitzt. Es ist eben weder ein grundsätzlich moralisch gebotenes Verfahren, wie es in einigen Kommentaren durchklang, noch ist es moralisch verwerfliche Mauschelei, wie andere glauben machen wollen.
Das Stimmverhalten war nicht auf einen der typischen Anwendungsfälle für Pairing zurückzuführen. Gleiches gilt für Überläufer. Hätte Frau Streitbörger schon vor Ende der Legislaturperiode die Linke Fraktion verlassen und wäre — mal angenommen — zur FDP gewechselt, dann wäre dass allein ihre Entscheidung gewesen.
Was mich an der Diskussion wundert ist die (wie Oliver vorhin schon schrieb, sehe ich gerade) Schwarz-Weiß-Malerei. Pairing ist anscheinend etwas definitiv Böses, es gibt offensichtlich kein Anwendungsfall, der akzeptabel ist. Das wäre für mich noch nachvollziehbar, wenn das Instrument der Fraktion per se abgelehnt wird. Aber so?
Interessant ist unabhängig von der Theorie des Pairings, dass die Aufkündigung keine Erfindung der Piratenpartei ist: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,544499 – 6,00.html
Ich fand es in der letzten Wahlperiode immer etwas schrill, dass mittels des Pairings Mehrheitsverhältnisse hergestellt wurden, die nach Auffassung des Landesverfassungsgerichts nicht dem Willen der Wählerinnen und Wähler entsprachen. Aber auch im Normalfall frage ich mich, ob das so sein soll, dass ein Oppositionsabgeordneter nicht mitstimmt, damit ein Minister bei einer Konferenz in Berlin Dinge beschließen kann, die er (der nicht Mitstimmende) ablehnt? Eine vernünftige Regelung für Krankheitsfälle halte auch ich für sinnvoll.
Und man könnte das Ganze ja auch mal andersrum sehen: Wie miese verhält sich eigentlich eine Regierung, die Schwerkranke in den Plenarsaal schleppen lässt, statt sich über inhaltliches Entgegenkommen die Stimmen der Opposition zu sichern?
Als Wähler verfolge ich, was die von mir Gewählten treiben, in dem ich zum Beispiel auf Abgeordnetenwatch ihr Abstimmverhalten monitore. Wenn dort bei einem bösartigen Vorhaben (z.B. irgendwelche Überwachungsgesetze oder so) bei „meinem” Abgeordneten nur sowas wie „enthalten” oder gar „nicht abgestimmt” auftaucht statt der hier offensichtlich erforderlichen Gegenstimme, dann geht der bei mir eins runter.
Sollte ich dann noch mitbekommen, dass nur aufgrund seiner Enthaltung das Vorhaben realisiert werden konnte, dann müssten wir reden. Und ein „Pairing … blafasel … schon immer so gemacht … bin ja eigentlich dagegen” würde ich ihm garantiert nicht durchgehen lassen, denn das ist für mich genau gar kein Argument, die Hände in den Schoß zu legen.
Wenn dadurch ein solches Vorhaben nur verzögert statt verhindert wird, dann ist mir das auch recht, denn die Zeit kann genutzt werden, um weiter öffentlichen Druck dagegen zu generieren.