Seit September 2012 bietet Schleswig-Holstein ein Freiwilliges Bildungsjahr Politik (FPJ) in Anlehnung an das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) an. Im Bildungsjahr Politik erleben Jugendliche zwölf Monate Politik aus nächster Nähe mit und haben die Möglichkeit zum aktiven Mitgestalten. Dazu gehört es, den Arbeitsalltag einer Institution kennen zu lernen und ihn ihr mitzuarbeiten. Jugendliche im FBJ Politik zeichnen sich durch ein hohes Maß an Interesse für politische Themen aus. Matthias Lauer ist als einer der Ersten mit dabei und für die Landeszentrale für Politische Bildung Schleswig-Holstein hat er einen Bericht über seine Motivation und seine Arbeit geschrieben, den wir hier netterweise zweitverwerten dürfen.
Mein Name ist Matthias Lauer, ich bin 20 Jahre alt und arbeite im Jüdischen Museum Rendsburg als Freiwilliger im Bildungsjahr Politik. Die Stelle habe ich am 1.9.2012 angetreten. Beginnen möchte ich jedoch mit einem Ereignis, dass sich schon im Jahr 1997 zutrug, nämlich die Verabschiedung des „Münchener Manifests“. In diesem Manifest wurde die Ausrichtung der Landeszentralen für politische Bildung im 21. Jahrhundert festgelegt. Einleitend wurde dabei die heutige Gesellschaft mit ihren neuen Kennzeichnungen beschrieben. Die folgenden Schlagwörter sind dort zu finden: Egoismus, Entsolidarisierung, bedingungslose Konsumorientierung und Individualisierung.
Werden nun diese „Werte“ ausgelebt, entsteht zwangsläufig Ausgrenzung. Bei dem Stichwort Egoismus muss man dies nicht weiter ausführen, bei der Konsumorientierung bildet sich automatisch eine Schicht, die den Anforderungen nicht gerecht werden kann und so mit einer materiellen Ausgrenzung konfrontiert ist. Diese Ausgrenzungen und Mechanismen einer Ausgrenzungsgesellschaft offenzulegen und ein Korrektiv für gesellschaftliche Entwicklungen darzustellen, ist eine Aufgabe der Landeszentralen.
Im Münchener Manifest findet sich allerdings auch die Aufgabe der Aufarbeitung der „jüngsten Geschichte“, die sich auf das 20. Jahrhundert bezieht. Interessanterweise wird im gesamten Manifest nicht an einer Stelle die Begrifflichkeit „Nationalsozialismus“ verwendet.
Wie sind nun diese beiden Aufgaben, die unter anderen die Arbeit der Landeszentralen bilden, mit meiner Arbeit im Freiwilligen Bildungsjahr zu verbinden. Auf den ersten Blick scheint diese eine recht schwierige Angelegenheit zu sein.
Bei genauerer Betrachtung ist aber gerade diese Mischung spannend und fügt sich sehr gut in ein Spannungsfeld ein, dass die Akteure, die diese Stelle geschaffen haben, verbindet.
Die Akteure werden bei der Finanzierungsfrage des Freiwilligen Jahres kenntlich. Zu 1/3 bezahlt die Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten die Stelle und zu 2/3 die Landeszentrale für politische Bildung. Das Jüdische Museum Rendsburg stellt die Infrastruktur, das heißt: Ein Büro, ein Telefon, ein internetfähiger PC, etc.
Inhaltlich bilden die Gedenkstätten als historischer Ort des Verbrechens und Gedenkens an die Opfer ein Alleinstellungsmerkmal. Im Jüdischen Museum wird das historische Wissen museal vermittelt und die Landeszentrale trägt an die Gedenkstätten den Wunsch nach Demokratiebildung und politischer Bildung heran.
Durch die Möglichkeit an der bundesweiten Gedenkstättentagung in Hannover teilzunehmen, erhielt ich Einblicke, die mir verdeutlichten, dass gar nicht alle Gedenkstätten den von der Politik an sie herangetragenen Wunsch nach politischer Bildung begrüßen. Dies hat vielschichtige Gründe, die hier zu weit führen würden, jedoch inhaltlich begründet sind.
Nun bin ich auch längst nicht so lange und so intensiv im Diskurs wie manch andere Person, dennoch mache ich mir natürlich Gedanken. Und ich sehe gerade in der Integration von Gegenwartsbezügen und politischer Bildung in den Gedenkstätten einen sehr vernünftigen Weg in die Zukunft, der auch oftmals schon beschritten wird.
Die Idee aus dem nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen, einem singulären Ereignis, universelle Lehren für die Gegenwart zu ziehen, halte ich für sinnvoll und es dient sowohl der historischen Bildung als auch der Schärfung des kritischen Blicks auf unsere heutige Gesellschaft.
Es geht mir hierbei jedoch lediglich um eine stärkere Akzentuierung dieser Gegenwartsbezügen, nicht etwa um das Ausboten des stillen Gedenkens und des historischen Ortes mit seinen Besonderheiten.
Verdeutlichen möchte ich diese Ideen nun auch praktisch.
Zum einen arbeite ich an einem Stadtrundgang durch Rendsburg, der sich mit den Strukturen des NS in einer Provinzstadt wie Rendsburg auseinandersetzt. Hierbei kann man bspw. ausgehend von dem Thema der Schutzhaft oder der Diskriminierung der sog. „Ostarbeiter“ Bezüge zu der rechtlosen Haft von Menschen aufgrund ihrer Herkunft im Rendsburger Abschiebegefängnis herstellen. Solche Bezüge dürfen nie einen gleichstellenden Charakter besitzen, egal ob nun die DDR oder BRD heute thematisiert werden.
Ein anderes Projekt findet in der Gedenkstätte Ahrensbök statt. Diese KZ-Gedenkstätte, die in der Zeit des NS zuweilen als Schulgebäude benutzt wurde, bietet sehr gute Anknüpfungsmöglichkeiten für heutige SchülerInnen. Dabei sind z.B. Lehrplanvergleiche anzustellen, Herausarbeitung von der Ideologisierung bestimmter Schulfächer oder vermittelte Grundwerte. Auch das heute stets präsente Thema der Beeinflussung durch Mehrheiten ließe sich z.B. am „Organisierungsgrad“ der HJ an der jeweiligen Schule sehr gut thematisieren. Und wenn man auch hier die Gegenwartsbezüge herstellt, dann schließt das auch eine kritische Prüfung der heutigen, vermittelten Grundwerte mit ein.
Und wer weiß, vielleicht kommen wir dann bei einem der Stichworte aus dem Münchener Manifest heraus: Egoismus.