Bundesrat und Landtag - zwei verschiedene Paar Schuhe

Von | 26. Januar 2012

Warum man sich im Bundesrat grund­sätz­lich nicht ent­hal­ten kann, manch­mal aber doch. Und war­um Bundesratsdinge nicht in den Landtag gehö­ren.

Der Landtag dis­ku­tier­te ges­tern (25. Januar) das soge­nann­te Kooperationsverbot, das seit 2006 im Grundgesetz ver­an­kert ist und die (Mit)Finanzierung von Schule, Forschung und Lehre aus dem Bundeshaushalt ver­hin­dert. In fast jeder Rede wur­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass das Land sich sei­ner­zeit bei der Aufnahme des Verbotes ins Grundgesetz im Bundesrat ent­hal­ten habe. Weil ich pri­vat dar­auf ange­spro­chen wur­de, dass das nicht stim­men kön­ne –  man kön­ne sich im Bundesrat nicht ent­hal­ten – hier eine kur­ze Erklärung:

Ja, man kann sich in Bundesrat grund­sätz­lich nicht ent­hal­ten. „Grundsätzlich“ ist ein wich­ti­ges Wort. Man kann sich näm­lich im Bundesrat doch ent­hal­ten. Aber nur manch­mal.

Der Bundesrat ist eine ehr­wür­di­ge Veranstaltung. Wer mal die Gelegenheit hat, eine Sitzung zu besu­chen, der soll­te das unbe­dingt tun. Das ist ganz was ande­res als der „nor­ma­le“ Parlamentsbetrieb. Wenn es im Bundesrat so rich­tig hoch her geht, dann hat ein Zuschauer, der mit der rasan­ten Schnittfolge von Musikvideos groß gewor­den ist, allen­falls das Gefühl, jemand hät­te die Slowmotion-Taste des DVD-Players gedrückt. Reden wer­den in der Regel vor­ge­le­sen, Applaus gibt es nicht, Zwischenrufe sind ver­pönt.

Genauso gewöh­nungs­be­dürf­tig ist das Abstimmungsverhalten. Während im nor­ma­len Parlamentsbetrieb das Präsidium nach Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung fragt und für das Protokoll zudem fest­ge­hal­ten wird, wie die Fraktionen votiert haben, wird im Bundesrat eine posi­tiv for­mu­lier­te Frage zur Abstimmung gestellt:

Ich fra­ge: Wer stimmt dem Gesetz zu? – Das ist die Mehrheit.“

oder

„Wer ent­spre­chend Ziffer 1 dafür ist, den Verordnungsentwurf der Bundesregierung zuzu­lei­ten, den bit­te ich um das Handzeichen. – Das ist eine Minderheit. Damit wird der Verordnungsentwurf ent­spre­chend Ziffer 2 der Ausschussempfehlungen der Bundesregierung nicht zuge­lei­tet.“ 

Es wer­den nur die (gewich­te­ten) Stimmen der Länder, die der Frage zustim­men, gezählt. Ein Land stimmt zu, indem die/​der „Stimmführer/​in“, das ist ein Mitglied der Landesregierung, seine/​ihre Hand hebt.

Bislang ist da also kein Platz für eine Enthaltung. Wer nicht zustimmt, ist fak­tisch dage­gen. Zwischen einem „gewoll­ten“ Nein oder einer „gewoll­ten“ Enthaltung gibt es kei­nen im nach­hin­ein erkenn­ba­ren Unterschied.

Aber ich hat­te ja von „grund­sätz­lich“ gespro­chen. Es gibt also Ausnahmen. Zum Beispiel, wenn ein Land das so will oder wenn das zu beschlie­ßen­de Gesetz die Verfassung ändern wür­de. Dann wer­den die Länder ein­zeln auf­ge­ru­fen und der Stimmführer ruft Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung. Und das steht dann im Plenarprotokoll. Und des­halb steht im Protokoll der 824. Sitzung des Bundesrates am 7. Juli 2006 auf der Seite 222. 

„Über Grundgesetzänderungen pfle­gen wir durch Aufruf der ein­zel­nen Länder abzu­stim­men. Ich bit­te, die Länder auf­zu­ru­fen.
Karin Schubert (Berlin), Schriftführerin:
Baden-Württemberg Ja
Bayern Ja
Berlin Ja
Brandenburg Ja
Bremen Ja
Hamburg Ja
Hessen Ja
Mecklenburg-Vorpommern Nein
Niedersachsen Ja
Nordrhein-Westfalen Ja
Rheinland-Pfalz Ja
Saarland Ja
Sachsen Ja
Sachsen-Anhalt Ja
Schleswig-Holstein Enthaltung
Thüringen Ja” 

Also: Schleswig-Holstein hat sich ent­hal­ten.

Alle hier ver­wen­de­ten Zitate stam­men aus die­sem Bundesrats-Protokoll.

Weisungsrecht für den Landtag in Bundesratsangelegenheiten?

Wo ich gera­de dabei bin, will ich noch ein Wort über die im Landtag heu­te eben­falls mehr­fach erho­be­ne Forderung ver­lie­ren, der Landtag bräuch­te ein Weisungsrecht gegen­über der Landesregierung in Bundesratsangelegenheiten. Das stand auch in dem jüngst hier im Landesblog dis­ku­tier­ten Papier zur Parlamentsreform. Ich hat­te die Forderung schon in die­sem Artikel kri­ti­siert und möch­te das gern noch ein­mal aus­führ­li­cher begrün­den:

Zunächst ist das Weisungsrecht nicht nötig, da ein Landtag schon heu­te nicht dar­an gehin­dert wäre, „seine/​n“ Ministerpräsidenten/​in durch jemand anders zu erset­zen, wenn er oder sie bei einer Abstimmung im Bundesrat nicht gespurt hat und dadurch sein Verhältnis zum Landtag zer­rüt­tet ist.

Grundsätzlich kön­nen wir unter­stel­len, dass zwi­schen Landesregierung und Parlamentsmehrheit ein Grundkonsens über die Politik und die Interessen des Landes besteht. Wir kön­nen also unter­stel­len, dass der „Überlebenstrieb“ einer Landesregierung stets dazu führt, dass sie sich im prak­ti­schen Handeln kei­ne Blöße gegen­über der (häu­fig allen­falls zu ver­mu­ten­den) Meinung der Landtagsmehrheit gibt.

Für ein sol­ches Recht müss­te zudem das Grundgesetz geän­dert wer­den und dafür ist, wohl auch aus den eben genann­ten Gründen, eine Mehrheit nicht mal am Horizont erkenn­bar.

Auch prag­ma­ti­sche Gründe spre­chen dage­gen.
Der Bundesrat tagt frei­tags in einem drei­wö­chent­li­chen Rhythmus. Seine Tagesordnung steht erst am Dienstag vor der Sitzung end­gül­tig fest. Fast, denn sie ist, auch wegen der engen Anbindung mit dem Sitzungsrhythmus des „Hauptlieferanten“ Bundestag, häu­fig mit kurz­fris­ti­gen Ergänzungen geseg­net. Auf der Tagesordnung ste­hen gut und ger­ne 80 oder mehr Punkte, die in der Regel von den Ausschüssen des Bundesrates inten­siv und tra­di­tio­nell kon­tro­vers dis­ku­tiert wur­den. Die Kontroversen begrün­den sich aus den bewusst unab­ge­stimmt ver­tre­te­nen Partikularinteressen der betei­lig­ten Ausschüsse – was ein Innen- und Rechtsausschuss für fach­lich rich­tig und wich­tig hält, kann ein Finanzausschuss man­gels Knete vol­ler Inbrunst ableh­nen. Die Meinungsvielfalt in den Ausschüssen des Bundesrates wird erst kurz vor der Sitzung in soge­nann­ten Strichdrucksachen zusam­men­ge­führt. Die Kunst der Erstellung sol­cher Papiere ist hoch; die Verfasser kön­nen nach mei­ner Meinung auch im diplo­ma­ti­schen Dienst oder bei der UNO erfolg­reich arbei­ten. Die Tagesordnung wird dann (in der Regel am Dienstag vor der Sitzung) in den Länderkabinetten durch­dis­ku­tiert und das Abstimmungsverhalten im Detail fest­ge­legt. Häufig genug ist das aber selbst am Dienstag noch nicht voll­stän­dig abseh­bar, weil noch „ver­han­delt“ wird. Dann wird halt auch schon mal „Ermessen des Stimmführers“ beschlos­sen. Eine typi­sche Abstimmung im Bundesrat besteht daher also nicht – wie die obi­gen unty­pi­schen Beispiele es ver­mu­ten las­sen – aus Wer stimmt dem Gesetz zu? sondern sieht so aus.

„Ich begin­ne mit den Ausschussempfehlungen. Zur Einzelabstimmung rufe ich auf: Ziffer 1, bei deren Annahme der Antrag des Landes Rheinland-Pfalz ent­fällt! Wer ist dafür? – Mehrheit. Damit ent­fällt der Antrag des Landes Rheinland-Pfalz.
Ziffer 2! – Mehrheit.
Ziffer 4! – Minderheit.
Ziffer 8! – Minderheit.
Ziffer 12! – Minderheit.
Ziffer 13! – Minderheit.
Ziffer 25! – Minderheit.
Ziffer 26! – Mehrheit.
Ziffer 28! – Minderheit.
Ziffer 29, bei deren Annahme Ziffer 30 ent­fällt! – Minderheit.
Ziffer 30! – Mehrheit.
Ziffer 33! – Minderheit.
Dann bit­te ich um Ihr Handzeichen für alle noch nicht erle­dig­ten Ziffern der Ausschussempfehlungen. – Das ist die Mehrheit.
Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf, wie soeben beschlos­sen, Stellung genom­men.“

Das ist der Vorgang dazu. Es gibt kom­pli­zier­te.

Der Landtag tagt nur ein­mal im Monat. Sein Sitzungsrhythmus weicht von dem des Bundesrates ab, auch was die Sitzungspausen angeht. Die in der Regel not­wen­di­ge kurz­fris­ti­ge Weisung durch den Landtag ist damit illu­so­risch. Eine Weisung durch Ausschüsse ist hof­fent­lich eh für jeden poli­tisch undenk­bar und eine „Vorratsbeschlussfassung“ wegen der Unkenntnis über die Einzelheiten des Abstimmungsgegenstandes fak­tisch unmög­lich. Was allei­ne blie­be, wäre ein Beschluss mit Appellcharakter; das kann aber schon jetzt „in bestimm­ten Bundesratsangelegenheiten“ gemacht wer­den. Womit sich die Katze argu­men­ta­tiv in den Schwanz beißt.

Offenlegung: Ich habe vor eini­gen Jahren in einem Referat gear­bei­tet, dem unter ande­rem die Koordinierung von Bundesratssitzungen oblag. Aus die­sem Wissen habe ich — aus der Erinnerung — geschöpft. Detailfehler kön­nen also vor­kom­men.

Von:

Swen Wacker, 49, im Herzen Kieler, wohnt in Lüneburg, arbeitet in Hamburg.

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