Man sollte ja meinen, in einem 63-seitigen Koalitionsvertrag mit 81 (teilweise redundanten) Seiten Anlage sollte alles geregelt sein – oder wenigstens die Richtung vorgegeben werden.
In den Zeile 2457 und 2458 steht: „Die Globalisierung der Medienlandschaft erfordert bei der Zulassung und Kontrolle bundesweiter Rundfunkprogramme und -veranstalter neue Antworten.“
Ich stolperte gestern durch einen Hinweis von Malte Steckmeister auf Facebook auf eine Sache, von der ich schon auf der re:publica gehört hatte und die meinen Glauben festigte, dass unser Rundfunkrecht noch älter ist als das Radio und eh nicht mehr von dieser Welt ist:
Googles Videochat, in dem man mit seinen Freunden von Angesicht zu Angesicht klönen kann, hat einen großen Bruder bekommen: Hangout on air ermöglicht es, den Chat zum Livesender für Videoübertragungen zu erweitern. Eine Aufzeichnung des Videos landet bei YouTube.
In 220 Ländern gibt es Hangout on air schon. Ein paar Länder, wie z.B. Nordkorea, die rückwärtige Seite des Mondes und Deutschland, fehlen noch. In Deutschland steht offensichtlich das Rundfunkrecht im Weg. In Deutschland braucht es nämlich eine Sendelizenz wenn, rein theoretisch, mehr als 500 Zuschauer gleichzeitig zusehen könnten.
Der Journalist Dirk Baranek schlußfolgert zu Recht: „Dieser Vertrag entspricht nicht mehr der Lebenswirklichkeit der Menschen.“
Es ist nicht allein die Globalisierung der Medienlandschaft, die neue Antworten erfordert. Auch der Begriff „Rundfunkprogramm” stimmt nicht mehr. Ach, was sage ich: Zulassung, Kontrolle, Veranstalter – jedes Substantiv in diesem Satz gehört auf den Prüfstand. Der schlichte alltägliche Lauf der Dinge hat das steinzeitliche deutsche Medienrecht nicht zum ersten Mal überrundet.
Medienrecht machen die Länder, die Staats- und Senatskanzleien. Wir können gespannt sein, ob die Kieler Staatskanzlei unter Torsten Albig die Initiative ergreift, den Rundfunkstaatsvertrag zu reformieren. Oder ob das in den „bewährten“ Händen des Rheinland-Pfälzers bleibt, der seit 1994 dafür sorgt, dass deutsches Rundfunkrecht zur Lachnummer wird.
»Regulierung bedeutet Schutz und nicht Strangulierung«
Sagte 2007 Norbert Schneider, Vorsitzender der Landesanstalt für Medien NRW, in einem Interview mit der taz: http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2007/04/03/a0144
Die Regelung mit den 500 concurrent user war ursprünglich für Webradios gedacht, wurde dann 2008 auf Streaming-Angebote generell ausgedehnt (http://www.tschlotfeldt.de/elearning-blog/959-videostreaming-soll-ab-500-gleichzeitigen-nutzern-sendelizenzpflichtig-werden).
Im Prinzip ist das gesamte Internet eine Rundfunkveranstaltung. Das haben sich die öff-r Anstalten im Papier-Gutachten bescheinigen lassen. Von daher darf man froh sein, wenn man als gemeiner Blogger noch in der Rundfunksphäre Internet ohne Lizenz geduldet wird.
Und genau dagegen muss man agitieren und parlamantarische Mehrheiten suchen. Ich bin da ganz hoffnungsvoll.
Seit der Geschichte mit der PC-Gebühr hab ich eigentlich mit den Parteien beim Thema Rundfunk abgeschlossen. Die Piraten, die sich gegen die bestehende Parteienlandschaft hätten positionieren können, haben das bisher nicht getan bzw. in NRW z.B. sich auf die Rundfunkseite geschlagen. Vielleicht lassen sich solche Übertreibungen wie der 500er-Regelung mit viel Fleißarbeit aushebeln, aber das ändert nichts am Status Quo, dass das Internet in der Politik als Rundfunk mit anderen Mittel betrachtet wird mit so hübschen Konsequenzen wie der Verdreifachung der Rundfunkgebühr für PC-Besitzer ab 2013.
Übrigens der Grund, warum Initiativen, Foren mit allen Kandidaten zur Lübecker Bürgermeisterwahl zeitgleich im Internet zu übertragen, im Sande verliefen. Man stelle sich vor, da wäre mit unkontrolliertem Rundfunken die öffentliche Meinungsbildung beeinflußt worden!
Wir haben mit der FDP, den Grünen und den Piraten gleich drei Parteien, die in unterschiedlicher Art und Weise liberale Strömungen repräsentieren, die an einer Kappung der jetzigen Blöcke interessiert sind. Auch bei CDU und SPD gibt es Protagonisten, die nicht vollständig am jetzigen System hängen. Ich halte es deshalb für möglich, das es Mehrheiten gegen den bisherigen Status gibt. Das ist kein Selbstgänger, aber möglich.
Facebook-Link: „Page requested was not found”. Kann leider daher den ursprünglichen Hinweis nicht nachvollziehen.
Was mich interessieren wüde, wie es denn das mit den Livestreams geregelt, also bei Parteitagen, oder bei Pressekonferenzen zu Koalitionsverhandlungen, oder gar zu den Verhandlungen selbst? Müssen Parteien hierfür jedes Mal eine Lizenz einholen?
Gehe ich recht in der Annahme, dass derlei Beschränkungen für die Länder selbst nicht gelten, d.h. wenn gleich der Landtag eröffnet wird, dann greift dies nicht, oder?
Oh, tut mir leid, Chris. Ich sehe jetzt erst, dass das nicht komplett öffentlich ist. Hier steht es nochmal: https://plus.google.com/102951224065923126631/posts/K2FkSpbjShp
Ich bin kein Medienrechtler, die Details, die dazu führen, dass Parla-TV senden darf, sind mit nicht geläufig. Ich nehme an(!), dass § 2 Absatz des Rundfunkstaatsvertrages ausschlaggebend ist. Dort steht „Kein Rundfunk sind Angebote, die … nicht journalistisch-redaktionell gestaltet sind …”. Da einfach nur gestreamt wird, fehlt es evtl. an der journalistisch-redaktionellen Gestaltung. Die wäre aber vielleicht bei der Wiedergabe einer moderierten Talkrunde mit mehreren Kamera und daraus resultierenden Schnitten schon gegeben. Wie gesagt: Das ist eine sehr laienhafte Interpretation meinerseits.
danke! Naja, wenn bei Parteitagen zum Mikro geschaltet wird, oder bei Wahlgängen die Kameras abgeschaltet werden, dürfte das doch noch nicht als journalistisch-redaktionell gelten, hoffe ich mal..
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